Entscheidungsstichwort (Thema)

Antrag auf Eröffnung eines Gesamtvollstreckungsverfahrens. Einstellungen der Bank von Zahlungseingängen in das Kontokorrent des Kunden und vereinbarungsgemäße zeitnahe Verfügungen des Kunden im selben Umfang unter Offenhaltung der Kreditlinie sind kein anfechtbares Bargeschäft

 

Leitsatz (amtlich)

Die Verrechnung von Zahlungseingängen, die eine Bank nach Stellung eines Antrags auf Eröffnung eines Gesamtvollstreckungsverfahrens über das Vermögen ihres Kunden auf dessen Kontokorrentkonto zum Ausgleich von nur geduldeten Überziehungen vornimmt, ist nicht nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO anfechtbar, wenn der Sollsaldo laufend erweitert wird, weil die Bank fremdnützige, nach eigenem Ermessen des Kunden vorgenommene Verfügungen zulässt.

 

Normenkette

GesO § 10 Abs. 1 Nr. 4

 

Verfahrensgang

Brandenburgisches OLG (Urteil vom 28.11.2000; Aktenzeichen 6 U 122/99)

LG Cottbus (Urteil vom 01.04.1999)

 

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil des 6. Zivilsenats des Brandenburgischen OLG v. 28.11.2000 im Kostenpunkt und insoweit, als es die Beklagte beschwert, sowie das Urteil der 4. Zivilkammer des LG Cottbus v. 1.4.1999 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger ist Verwalter in dem Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen des H. -D. V. (fortan: Schuldner). Dieser unterhielt bei der verklagten Sparkasse ein Kontokorrentkonto. Auf diesem Konto räumte die Beklagte dem Schuldner einen Kreditrahmen von 150.000 DM ein. Ab Oktober 1997 genehmigte sie dem Schuldner - jeweils befristet - die Überziehung des eingeräumten Kredits um zunächst 30.000 DM, später um 60.000 DM. Am 4.5.1998 gestattete die Beklagte dem Schuldner die Überziehung um 87.500 DM bis zum 30.6.1998 und um 77.500 DM bis 30.7.1998. Das Kontokorrentverhältnis und der Kredit wurden nicht vor dem 5.6.1999 gekündigt.

Auf dem Kontokorrentkonto wickelte der Schuldner seinen Zahlungsverkehr ab. Am 13.3.1998 stand das Konto i.H.v. 166.395,01 DM im Soll. Bis zum 5.6.1998 hatte sich der Negativsaldo auf 240.681,54 DM erhöht. In dem genannten Zeitraum betrugen die von der Beklagten verrechneten Gutschriften 316.843,95 DM. Die Summe der Belastungsbuchungen zu Gunsten anderer Gläubiger des Schuldners lag höher.

Am 28.1.1998 wurde gegen den Schuldner Antrag auf Eröffnung eines Gesamtvollstreckungsverfahrens gestellt, am 2.2.1998 ein allgemeines Veräußerungsverbot erlassen und am 3.6.1998 die Sequestration des Schuldnervermögens angeordnet. Am 1.7.1998 wurde das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet. Von dem Eröffnungsantrag und den sich anschließenden gerichtlichen Maßnahmen erfuhr die Beklagte nicht vor dem 5.6.1998.

Der Kläger hat die Verrechnungen angefochten und die Beklagte auf Zahlung von 435.267,55 DM in Anspruch genommen. Das LG hat der Klage in voller Höhe stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das OLG dieses Urteil - unter Abweisung im Übrigen - i.H.v. 316.843,95 DM (Verrechnungen in der Zeit v. 13.3.bis 5.6.1998) bestätigt. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Das Rechtsmittel der Beklagten hat Erfolg; die Klage ist unbegründet.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Kläger könne die von der Beklagten nach dem 13.3.1998 vorgenommenen Verrechnungen gem. § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO anfechten und infolgedessen von der Beklagten die Zahlung von 316.843,95 DM verlangen. In dieser Höhe seien Verrechnungen erfolgt, nachdem der Antrag auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens gestellt worden und der Beklagten die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners bekannt gewesen sei oder nach den Umständen habe bekannt sein müssen. Die Verrechnungen stellten sich nicht als der Anfechtung entzogene Bardeckung dar. Mit der Duldung der Überziehungen durch die Beklagte habe der Schuldner keinen Anspruch auf Gewährung oder Belassung von Kredit erworben. Vielmehr habe die Beklagte jenseits des vereinbarten Kreditrahmens von 150.000 DM die sofortige Rückführung der Überziehungen verlangen können. Am 13.3.1998 habe die Beklagte Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners erhalten.

II.

Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung in wesentlichen Punkten nicht stand.

1. Die Anfechtung gem. § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO greift nicht durch, weil die hierfür in Betracht kommende Rechtshandlung des Schuldners sich als Bargeschäft darstellt.

a) Ein Geschäft, bei dem gleichwertige Leistungen zeitnah ausgetauscht werden, bei dem also dem Vermögen des Schuldners für seine Leistung sofort - oder jedenfalls in engem zeitlichem Zusammenhang - ein entsprechender Gegenwert zufließt, kann keine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung zur Folge haben. Eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung scheidet hingegen nicht aus. In diesen Fällen ist somit - nur - eine Anfechtung nach § 30 Nr. 2 und § 31 Nr. 1 KO (§§ 131, 133 Abs. 1 InsO) möglich (BGH v. 30.9.1993 - IX ZR 227/92, BGHZ 123, 320 [322 ff.] = MDR 1994, 158; v. 7.3.2002 - IX ZR 233/01, BGHZ 150, 122 [129 ff.]; Urt. v. 25.2.1999 - IX ZR 353/98, MDR 1999, 818 = NJW 1999, 3264 [3265]). Insofern ist auch für eine Anfechtung nach § 10 Abs. 1 GesO entscheidend, ob eine Leistung an den Anfechtungsgegner erfolgt und ob diese kongruent ist - ggf. liegt ein der Anfechtung nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO entzogenes Bargeschäft vor - oder nicht.

Stellt eine Bank Zahlungseingänge für ihren Kunden in das Kontokorrent ein und lässt sie den Kunden zeitnah in demselben Umfang vereinbarungsgemäß wieder über den Gegenwert verfügen, kann ein nicht anfechtbares Bargeschäft vorliegen. Jedenfalls ein Zeitraum von zwei Wochen zwischen den Ein- und Auszahlungen übersteigt noch nicht den Rahmen des engen zeitlichen Zusammenhangs (BGH v. 7.3.2002 - IX ZR 233/01, BGHZ 150, 122 [131]; Urt. v. 25.1.2001 - IX ZR 6/00, MDR 2001, 761 = BGHReport 2001, 620 = NJW 2001, 1650 [1651]; v. 1.10.2002 - IX ZR 360/99, MDR 2003, 352 = BGHReport 2003, 100 = NJW 2003, 360 [362]).

b) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts sind diese Voraussetzungen im Streitfall erfüllt.

aa) Die Beklagte gewährte in Unkenntnis des Antrags auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens Überziehungskredite und stellte sich dem Schuldner als Zahlstelle zur Verfügung. Was dieser an Gutschriften erhielt, wurde für Auszahlungen benötigt. Die Auszahlungen überstiegen sogar die Zahlungseingänge. Soll- und Habenbuchungen haben sich fast täglich abgewechselt.

bb) Die Verrechnungen waren, wovon auch das Berufungsgericht ausgegangen ist, kongruent.

(1) Auf Grund der Giroabrede ist das Kreditinstitut berechtigt und verpflichtet, für den Kunden bestimmte Geldeingänge entgegenzunehmen und gutzuschreiben. Umgekehrt ist das Kreditinstitut verpflichtet, Überweisungsaufträge des Kunden zu Lasten seines Girokontos auszuführen, sofern es eine ausreichende Deckung aufweist oder eine Kreditlinie nicht ausgeschöpft ist. Indem das Kreditinstitut diese Absprachen einhält und den Giroverkehr fortsetzt, handelt es vertragsgemäß, also kongruent (BGH v. 7.3.2002 - IX ZR 233/01, BGHZ 150, 122 [129]; Urt. v. 1.10.2002 - IX ZR 360/00, BGHReport 2001, 907 = WM 2002, 2369 [2372]). Verrechnungen werden erst dann inkongruent, wenn das Kreditinstitut Verfügungen des Kunden nicht mehr in der vereinbarten Weise zulässt und dadurch im Ergebnis die Darlehensforderungen vor deren Fälligkeit durch die saldierten Gutschriften zurückgeführt werden.

(2) Wenn eine Kreditlinie überzogen ist, hängt es grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls ab, ob in der Duldung des Kreditinstituts eine stillschweigende Erweiterung der Kreditlinie liegt oder ob es einen sofortigen Anspruch auf Rückführung hat. Im ersten Fall ist die Rückführung des Sollsaldos ohne vorherige Kündigung inkongruent, im zweiten Fall ist sie kongruent (BGH v. 22.1.1998 - IX ZR 99/97, BGHZ 138, 40 [47] = MDR 1998, 481; v. 7.3.2002 - IX ZR 233/01, BGHZ 150, 122 [127]; Urt. v. 17.6.1999 - IX ZR 62/98, MDR 1999, 1154 = NJW 1999, 3780 [3781]).

Auf diese Unterscheidung kommt es jedoch nicht an, wenn der Sollsaldo nicht zurückgeführt, sondern im Gegenteil laufend weiter ausgedehnt wird. Dann hat das Kreditinstitut durch die saldierten Gutschriften von dem Schuldner keine Leistung erhalten, und es stellt sich nicht die Frage, ob etwa eine Leistung in anderer Art als vereinbart oder vor Fälligkeit gewährt worden ist (BGH v. 7.3.2002 - IX ZR 233/01, BGHZ 150, 122 [127]). Das Kriterium der Inkongruenz ist insofern bedeutungslos, solange und soweit die Annahme der Leistung nicht einer Deckung wegen eigener Forderungen des Empfängers dient, sondern der fremdnützigen Erfüllung von Vertragspflichten gegenüber dritten Auftraggebern (BGH v. 7.3.2002 - IX ZR 233/01, BGHZ 150, 122 [128]).

So verhält es sich im vorliegenden Fall. Die Beklagte hat die Kreditlinie offen gehalten und darüber hinaus laufend neue Kredite gewährt, um das Unternehmen des Schuldners zu "sanieren". Durch die von ihr vorgenommenen Verrechnungen hat sie ganz überwiegend Ausgaben des Schuldners ermöglicht, welche dieser nach eigenem Ermessen zu Gunsten Dritter vornahm. Insofern hat die Beklagte ihre Pflichten aus dem Girovertrag erfüllt. Soweit eine Belastungsbuchung von 38.000 DM zum Ausgleich von eigenen Zinsforderungen der Beklagten erfolgt ist, worauf die Revisionserwiderung hinweist, fällt dieser Umstand in Anbetracht der Höhe der Kreditausweitung nicht ins Gewicht.

c) Auch auf die Ausführungen des Berufungsgerichts zum Zeitpunkt der Kenntnis der Beklagten von der Zahlungseinstellung des Schuldners kommt es nicht an. Allerdings kann - worauf die Revisionserwiderung, im Ansatz zutreffend, hinweist - eine Bank, die in Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit ihres Kunden nicht den gebotenen Insolvenzantrag stellt, sondern durch Weitergewähren eines Kredits die Agonie des Kunden verlängert, um in rücksichtsloser und eigensüchtiger Weise ihre Stellung bei dem in Kürze erwarteten Zusammenbruch auf Kosten anderer Gläubiger zu verbessern, sittenwidrig i.S.v. § 826 BGB handeln (BGH BGHZ 10, 228 [233]; Urt. v. 9.12.1969 - VI ZR 50/68, NJW 1970, 657 [658]). Die Revisionserwiderung hat zwar in der Revisionsverhandlung geltend gemacht, diese Voraussetzungen seien im vorliegenden Fall erfüllt gewesen. Der von ihr in Bezug genommene Vortrag in der Berufungserwiderung reicht dafür jedoch nicht aus. Gegen ein ausschließlich eigensüchtiges Handeln der Beklagten spricht vor allem deren Sanierungsabsicht. Dass sie hoffte, mit dem Sanierungserfolg werde auch ihre Kreditforderung "gerettet", steht dem nicht entgegen. Die Beklagte, die ab April 1998 sogar auf die zuvor geforderten Überziehungszinsen verzichtet hatte, ist durch die Kreditgewährung an den Schuldner ein finanzielles Risiko eingegangen, das sich auch realisiert hat. Es geht nicht an, ihr deswegen das Risiko der weiteren wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners in noch höherem Maße - durch Versagung des Ausgleichs für die Belastungsbuchungen - aufzuerlegen.

d) Das vom Gesamtvollstreckungsgericht am 2.2.1998 verhängte allgemeine Veräußerungsverbot (§ 2 Abs. 3 GesO) ist für die Anfechtbarkeit der von der Beklagten vorgenommenen Verrechnungen ohne Bedeutung. Es betrifft nur die Wirksamkeit der Verfügungen des Schuldners.

2. Die Voraussetzungen einer Absichtsanfechtung gem. § 10 Abs. 1 Nr. 1 GesO hat das Berufungsgericht verneint. Dies wird in der Revisionsinstanz nicht infrage gestellt und trifft im Ergebnis zu.

3. Das Aufrechnungsverbot nach § 2 Abs. 4 GesO i.V.m. § 394 BGB hat das Berufungsgericht mit Recht nicht durchgreifen lassen. Eine Bank kann Gutschriften vertragsgemäß mit ihren Aufwendungsersatzansprüchen verrechnen, wenn sie nach der Stellung eines Drittantrags auf Eröffnung eines Gesamtvollstreckungsverfahrens gegen den Bankkunden, aber vor Bekanntwerden eines Verfügungsverbots, Verfügungen des Kunden über sein debitorisch geführtes Bankkonto weiter zulässt (BGH, Urt. v. 25.2.1999 - IX ZR 353/98, MDR 1999, 818 = NJW 1999, 3264 [3265]; v. 6.2.2003 - IX ZR 449/99, MDR 2003, 777 = BGHReport 2003, 708 = WM 2003, 580 f.). Soweit die Gutschriften dem Ausgleich der vom Schuldner vorgenommenen Verfügungen zu Gunsten Dritter dienen, handelt es sich bei den Verrechnungen nicht um "Zwangsvollstreckungen" i.S.d. § 2 Abs. 4 GesO. Vielmehr wird dadurch dem Schuldner der finanzielle Spielraum verschafft, um die nächsten Auszahlungen verfügen zu können. Zu einer Tilgung der eigenen Kreditforderungen der Bank gegen den Schuldner kommt es nicht.

III.

Da im Tatsächlichen nichts mehr aufzuklären ist, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO) und die Klage abweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1193387

DB 2004, 2369

DStR 2004, 1752

DStZ 2004, 736

DStZ 2006, 532

BGHR 2004, 1458

EWiR 2005, 253

WM 2004, 1575

WuB 2004, 903

ZIP 2004, 1464

DZWir 2004, 465

InVo 2004, 439

MDR 2004, 1381

NZI 2004, 491

VuR 2004, 418

ZInsO 2004, 854

ZBB 2004, 320

ZVI 2004, 403

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