Entscheidungsstichwort (Thema)

Klagepatent. Eingeschränkte Verteidigung. Nichtigkeitsurteil. Verletzungsprozess. Grundlage der Auslegung des Patents. Allgemein kennzeichnender Patentanspruch. Beschreibung oder Zeichnungen des Patents. Beschränkungen. Inhalt der Patentansprüche. Diskrepanz zwischen Tenor und Gründen des Nichtigkeitsurteils

 

Leitsatz (amtlich)

a) Ist das Klagepatent im Nichtigkeitsverfahren infolge eingeschränkter Verteidigung unter Abweisung der weitergehenden Klage teilweise für nichtig erklärt worden, ist die sich aus dem Nichtigkeitsurteil ergebende Fassung der Patentansprüche auch im Verletzungsprozess Grundlage der Auslegung des Patents (Bestätigung von BGH, Urt. v. 31.1.1961 - I ZR 66/59, GRUR 1961, 335).

b) Schränken die sich mit der Teilabweisung befassenden Entscheidungsgründe des Nichtigkeitsurteils den Sinngehalt eines die Erfindung allgemein kennzeichnenden Patentanspruchs im Sinne einer Auslegung unter seinen Wortlaut ein, erlaubt dies im Verletzungsprozess ebenso wenig eine einschränkende Auslegung dieses Patentanspruchs wie bei sich aus Beschreibung oder Zeichnungen des Patents ergebenden Beschränkungen (Fortführung von BGHZ 160, 204 - Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung).

 

Normenkette

PatG 1981 § 14; EPÜ Art. 69

 

Verfahrensgang

OLG Düsseldorf (Urteil vom 21.04.2005; Aktenzeichen I-2 U 111/03)

LG Düsseldorf (Entscheidung vom 28.10.2003; Aktenzeichen 4a O 236/00)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das am 21.4.2005 verkündete Urteil des 2. Zivilsenats des OLG Düsseldorf aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

[1] Die Parteien stehen als Hersteller von zum Metallziehen eingesetzten Ziehmaschinen in Wettbewerb. Die Klägerin nimmt die Beklagte im Zusammenhang mit der Ausstellung einer Raupenziehzugmaschine vom Typ ... auf einer Fachmesse in Düsseldorf im Jahre 2000 wegen Patentverletzung in Anspruch. Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des am 14.12.1992 angemeldeten, mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten (Tag der Bekanntmachung des Hinweises auf die Patenterteilung: 21.6.1995) europäischen Patents 548 723 (Klagepatent), welches das Europäische Patentamt im Einspruchsverfahren beschränkt aufrechterhalten hat.

[2] In einem von der Beklagten angestrengten Nichtigkeitsverfahren hat die Klägerin das Klagepatent eingeschränkt in der Weise verteidigt, dass sie Merkmale des bisherigen Patentanspruchs 2 in den Hauptanspruch aufgenommen hat. Durch rechtskräftiges Urteil vom 17.12.2002 hat das BPatG das Klagepatent dementsprechend und unter Abweisung der weitergehenden Nichtigkeitsklage teilweise für nichtig erklärt. Die Patentansprüche 1 und 7 (Anspruch 8 in der ursprünglichen Nummerierung) haben folgende Fassung erhalten (im Nichtigkeitsverfahren vorgenommene Ergänzung kursiv):

1. Ziehmaschinenzugeinheit zum Transport eines metallischen Zugrohlings, die mit einem Ziehwerkzeug (14) zusammenwirkt und zumindest zwei Triebketten (12) mit Zuggliedern aufweist, welche auf derselben Ebene liegen und welche aus einer Mehrzahl von Gliedern (16) bestehen, die Triebketten (12) mit den Ziehgliedern mit lasttragenden Rollen und mit einer starren Führung (19) zusammenwirken, die Ziehwirkung durch eine Vorwärtsbewegung der Triebketten (12) mit den Ziehgliedern sowie durch den gegenseitigen Kontakt erreicht wird, der zwischen den Triebketten (12) mit den Ziehgliedern in ihren gegenüberliegenden Zugabschnitten (15) stattfindet, und die Einheit dadurch gekennzeichnet ist, dass die lasttragenden Rollen einer gelenkigen Kette (26), bestehend aus Mitlaufrollen (17), zugeordnet sind und dass diese in einer Schleife angeordnete Mitlaufrollen (17) sind, wobei die aus Mitlaufrollen (17) bestehende gelenkige Kette (26) durch Gleiten bewegt werden kann und zwischen der inneren Oberfläche der Glieder (16) und der starren Führung (19) angeordnet ist, und die Einheit auch dadurch gekennzeichnet ist, dass der Gliedkörper (24) in sich und auf seiner Mittellinie eine Gleitfläche (18) mit einer Breite aufweist, die im Wesentlichen der Länge einer Mitlaufrolle (17) gleich ist, wobei jede Gleitoberfläche (18) zusammen mit den Gleitoberflächen der benachbarten Glieder eine einzige Gleitoberfläche bilden, die der Gleitoberfläche der starren Führung (19) gegenüberliegt, und weiter dadurch gekennzeichnet ist, dass das Glied (16) an den äußeren Seiten seitliche Mitlaufrollen (20) besitzt, wobei ein Gliedkörper (24) mit einem Verbindungs- und Positionierzapfen (25) zusammenwirkt, der in einer mittleren Lage vorgesehen ist.

7. Ziehmaschinenzugeinheit nach einem der vorgehenden Ansprüche, bei welcher die seitlichen starren Führungen mit den seitlichen Mitlaufrollen (20) zusammenwirken und eine Breite besitzen, die im Wesentlichen gleich der Länge der seitlichen Mitlaufrollen (20) ist.

[3] Das LG hat die auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung, Herausgabe patentverletzender Erzeugnisse zur Vernichtung und auf Feststellung der Schadensersatzpflicht gerichtete Klage abgewiesen; die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Das Urteil des Berufungsgerichts ist in InstGE 5, 183 ff. veröffentlicht. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, erstrebt die Klägerin die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung des Rechtsstreits zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht.

 

Entscheidungsgründe

[4] Die zulässige Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

[5] I. Das Klagepatent betrifft die Zugeinheit einer Maschine zum Ziehen von Metallrohlingen, deren Zusammenwirken mit einem Ziehwerkzeug die schematische Figur 1 des Klagepatents illustriert:

[6] Der aus dem Ziehwerkzeug (Bezugszeichen 14) heraustretende Metallrohling (11) wird zwischen zwei gegenüberliegend angeordnete, nach Art von Raupenketten endlos umlaufende Triebketten (12) geführt. Deren Kettenglieder sind an den einander gegenüberliegenden Außenseiten als Fass- und Zuggleiter ausgestaltet, die den Metallrohling entlang der Zugzone (15) beidseitig ergreifen und durch die Vorwärtsbewegung der Triebketten bei gleichzeitig senkrecht wirkenden Anpresskräften unter Verringerung seines Querschnitts in die Länge ziehen. Zur Erzeugung des Anpressdrucks wirken die Triebketten mit starren Führungen zusammen, die jedenfalls zentral innerhalb der von den umlaufenden Ketten gebildeten Ovale entlang der Zugzone vorgesehen sind.

[7] Dem Klagepatent liegt, wie die Patentschrift ausführt, das Problem zugrunde, dass sich bei wechselseitigem Kontakt zwischen den starren Führungen und den Ketten aufgrund der hohen Gleitreibung, die zwischen den beiden flachen Ebenen erzeugt wird, Abnutzungsprobleme ergeben würden. Die patentierte Erfindung will diese unter Fortentwicklung der in der Patentschrift referierten, im Stand der Technik vorzufindenden Lösungsvorschläge (Beschreibung Sp. 1 Z. 54 ff.) vermeiden und ein System schaffen, das gegen nicht koaxiale oder nicht ausgerichtete Belastungen, ungleichmäßige Abnutzung und Mängel in Konstruktion, Installierung und Einstellung sehr unempfindlich ist, sowie die Notwendigkeit von Erneuerungs- und Servicearbeiten reduzieren.

[8] Patentanspruch 1 in der Fassung des rechtskräftigen Urteils des BPatG schlägt dazu eine Anordnung der Zugeinheit vor, die das Berufungsgericht wie folgt gegliedert hat:

1. Die Ziehmaschinenzugeinheit wirkt mit einem Ziehwerkzeug zusammen;

2. die Zugeinheit weist zumindest zwei Triebketten (12) mit Zuggliedern auf;

2.1 die Zugglieder liegen auf derselben Ebene

2.2 und bestehen aus einer Mehrzahl von Gliedern (16);

3. die Triebketten mit den Ziehgliedern wirken mit lasttragenden Rollen und

4. mit einer starren Führung (19) zusammen;

5. die Ziehwirkung wird erreicht durch eine Vorwärtsbewegung der Triebketten (12) mit den Ziehgliedern sowie durch den gegenseitigen Kontakt, der zwischen den Triebketten (12) mit den Ziehgliedern in ihren gegenüberliegenden Abschnitten (15) stattfindet;

6. die lasttragenden Rollen sind einer gelenkigen Kette (26) zugeordnet;

6.1 diese Kette besteht aus Mitlaufrollen;

6.2 welche in einer Schleife angeordnet sind;

6.3 die Kette (26) kann durch Gleiten bewegt werden und

6.4 ist zwischen der inneren Oberfläche der Glieder (16) und der starren Führung angeordnet;

7. der Gliedkörper weist in sich und auf seiner Mittellinie (18) eine Gleitfläche auf,

7.1 deren Breite im Wesentlichen der Länge einer Mitlaufrolle (17) gleich ist;

7.2 jede Gleitoberfläche (18) bildet zusammen mit den Gleitoberflächen der benachbarten Glieder eine einzige Gleitoberfläche;

7.3 diese Gleitoberfläche liegt der Gleitoberfläche der starren Führung gegenüber;

7.4 dabei wirkt ein Gliedkörper (24) mit einem Verbindungs- und Positionierzapfen (25) zusammen, der in einer mittleren Lage vorgesehen ist;

8. das Glied (16) besitzt an den äußeren Seiten seitliche Mitlaufrollen (20).

[9] Das Zusammenwirken von Gliedketten, Mitlaufrollen und starren Führungen zeigt die Figur 3 des Klagepatents mit einem schematischen Querschnitt in Höhe der Achse des Verbindungsbolzens (25) eines Triebkettenglieds:

[10] Bei den mit dem Bezugszeichen 119 versehenen Elementen handelt es sich um die im Patentanspruch 7 genannten seitlichen starren Führungen.

[11] II. Das Berufungsgericht hat zur Begründung der Klageabweisung ausgeführt: Die angegriffene Ausführungsform mache von der technischen Lehre des Klagepatents keinen Gebrauch. Sie weise jedenfalls keine "seitlichen Mitlaufrollen" im Sinne der vom BPatG im Wege der Beschränkung neu in den Patentanspruch 1 aufgenommenen Merkmalsgruppe 8 auf. Nach den Entscheidungsgründen dieses Urteils seien seitlich an den Kettengliedern befindliche und mitlaufende Rollen nur dann als "seitliche Mitlaufrollen" in diesem Sinne zu qualifizieren, wenn sie auch lasttragende Funktion hätten, also bei der Übertragung der von den starren Führungen ausgehenden senkrechten Druckkräfte auf die Kettenglieder mitwirkten. An die entsprechenden Passagen der Entscheidungsgründe des Nichtigkeitsurteils sei der Verletzungsrichter gebunden. Sie seien der Sache nach Teil der Beschreibung des Patents geworden, die auch bei Ermittlung des Inhalts der Patentansprüche eines europäischen Patents heranzuziehen sei, welcher wiederum den Schutzbereich des Patents bestimme.

[12] Die bei der angegriffenen Ausführungsform vorhandenen, links und rechts auf den Bolzen der Kettenglieder sitzenden Rollen wirkten demgegenüber nicht mit starren Führungen zusammen und hätten daher keinerlei lasttragende Funktion. Sie wirkten vielmehr ausschließlich für den Antrieb der Zugeinheit mit den Zähnen der Kettenräder zusammen.

[13] III. Gegen diese Beurteilung wendet sich die Revision zu Recht. Sie bedeutet eine Einschränkung des Gegenstands von Patentanspruch 1 des Klagepatents unter dessen Wortlaut.

[14] 1. Maßgebliche Grundlage dafür, was durch ein europäisches Patent geschützt ist, ist gem. Art. 69 EPÜ der Inhalt der Patentansprüche. Die Frage, ob eine bestimmte Anweisung zum Gegenstand eines Anspruchs des Patents gehört, entscheidet sich deshalb danach, ob sie in dem betreffenden Patentanspruch Ausdruck gefunden hat (BGHZ 160, 204, 209 - Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung; vgl. auch BGH v. 29.4.1986 - X ZR 28/85, BGHZ 98, 12, 18 = MDR 1986, 1023 - Formstein). Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, sind der Sinngehalt eines Patentanspruchs in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der patentierten Erfindung beitragen, zwar unter Heranziehung der Beschreibung und der Zeichnungen durch Auslegung zu ermitteln (vgl. Senat, Urt. v. 13.2.2007 - X ZR 74/05, BGHReport 2007, 515 = Tz. 18 - Kettenradanordnung, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen). Die Einbeziehung von Beschreibung und Zeichnungen des betreffenden Patents darf aber nicht zu einer sachlichen Einengung oder inhaltlichen Erweiterung des durch seinen Wortlaut festgelegten Gegenstands führen (BGHZ 160, 204, 209 - Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung).

[15] 2. Patentanspruch 1 in der maßgeblichen Fassung des Urteils des BPatG vom 17.12.2002 enthält als Merkmal zwar seitliche Mitlaufrollen. Aus dem Anspruch ergibt sich aber nicht, dass diesen eine lasttragende Funktion zugewiesen wäre.

[16] a) Nach Merkmal 3 wirken die Triebketten (12) mit lasttragenden Rollen (17) zusammen, welche gemäß Merkmal 6 einer gelenkigen Kette (26) zugeordnet sind und als Mitlaufrollen (17) bezeichnet werden (Merkmal 6.1). Diese Kette aus lasttragenden Mitlaufrollen ist im Zentrum zwischen der inneren Oberfläche der Triebkettenglieder (16) und der starren Führung (19) angeordnet (Merkmal 6.4). In der Zugzone (15) liegt die gelenkige Kette aus Mitlaufrollen zwischen dazugehörigen Triebkettengliedern und der starren Führung (vgl. Beschreibung Sp. 4 Z. 13 ff.). Die lasttragende Funktion besteht darin, dass der vom Kontakt der Triebkettenglieder erzeugte Ziehdruck direkt auf die gelenkige Kette aus Mitlaufrollen und von da weiter auf die korrespondierenden starren Führungen übertragen wird.

[17] b) Die seitlichen Mitlaufrollen (20) sind demgegenüber an den äußeren Seiten der Zugglieder (16) angeordnet, genauer, wie aus der Figur 3 des Klagepatents hervorgeht, seitlich an den Positionierzapfen, welche die einzelnen Gliedkörper in Verbindung mit seitlichen Zugstücken zur gesamten Triebkette verbinden. Auf die seitlichen Mitlaufrollen wirken in erster Linie - funktionell vergleichbar mit den Rollen in Fahrrad- oder Motorradketten - die dem Antrieb der Zugeinheit dienenden Kettenräder (Beschreibung Sp. 6 Z. 26 ff.). Für eine zusätzliche lasttragende Funktion der seitlichen Mitlaufrollen ist dem Anspruch 1 dagegen nichts zu entnehmen.

[18] c) Lasttragend können die seitlichen Mitlaufrollen im Zugabschnitt nur dann wirken, wenn sie mit seitlichen starren Führungen (119) in der Weise zusammenwirken, dass der Ziehdruck nicht nur von den Triebkettengliedern auf die gelenkige Kette aus Mitlaufrollen und die (zentralen) starren Führungen aufgebracht wird, sondern zusätzlich über die seitlichen Mitlaufrollen auf die seitlichen starren Führungen. In Patentanspruch 1 sind seitliche starre Führungen, auf die die seitlichen Mitlaufrollen eine Drucklast übertragen können, jedoch nicht genannt. Mit dieser Zusatzfunktion sind sie erst in Unteranspruch 7 unter Schutz gestellt und in der Klagepatentschrift lediglich im Zusammenhang mit der Beschreibung eines Ausführungsbeispiels (vgl. Beschreibung Sp. 6 Z. 11 ff.) als fakultative Ausgestaltungsvariante (Sp. 6 Z. 33/34: "possible lateral rigid guides 119") dargestellt. Daraus folgt im Gegenschluss, dass die seitlichen Mitlaufrollen im Hauptanspruch allein als Angriffspunkte für die Antriebskettenräder vorgesehen sind. Dass die starre Führung 19 und die seitlichen starren Führungen 119 der Beschreibung zufolge zumindest längs der Zugzone vorgesehen sein sollen (Sp. 6 Z. 14 f.), steht dem nicht entgegen. Damit wird lediglich zum Ausdruck gebracht, dass für die seitlichen starren Führungen, wenn sie ausgeführt sind, diese Abmessung vorgesehen, nicht aber, dass jede Zugeinheit damit obligatorisch ausgerüstet ist.

[19] d) Der Sinngehalt des Patentanspruchs 1 erfährt durch die Entscheidungsgründe des Nichtigkeitsurteils des BPatG vom 17.12.2002 keine Änderung, auch wenn das BPatG die seitlichen Mitlaufrollen - infolge unzutreffender Auslegung - im Rahmen aller Patentansprüche als notwendig lasttragende Rollen angesehen hat.

[20] aa) Es erscheint bereits fraglich, ob die Entscheidungsgründe dieses Urteils ihrem Inhalt nach überhaupt wie vom Berufungsgericht angenommen Teil der Beschreibung geworden sind (vgl. dazu RGZ 153, 315, 318; 170, 346, 355; BGH, Urt. v. 31.1.1961 - I ZR 66/59, GRUR 1961, 335, 337; Urt. v. 28.11.1963 - Ia ZR 8/63, GRUR 1964, 196, 198 - Mischer II, insoweit nicht in BGHZ 40, 332; Urt. v. 30.6.1964 - Ia ZR 10/63, GRUR 1964, 669, 670 - Abtastnadel II; Urt. v. 12.5.1998 - X ZR 115/96, GRUR 1999, 145, 146 - Stoßwellen-Lithotripter; Benkard/Rogge, PatG, 10. Aufl., § 22 Rz. 92 ff.; Busse/Keukenschrijver, PatG, 6. Aufl., § 84 Rz. 41). Soweit die Klägerin das Klagepatent im Nichtigkeitsverfahren nicht mehr verteidigt hat, hat dies ohne weitere Sachprüfung zur Nichtigkeit geführt (Senat, Urt. v. 11.4.2006 - X ZR 175/01, BGHReport 2006, 1108 = GRUR 2006, 666, Tz. 20 - Stretchfolienhaube). Für diesen Teil der Entscheidung weisen die Gründe des Nichtigkeitsurteils dementsprechend keine Begründung auf, die zur Auslegung der Patentansprüche herangezogen werden könnte. Die die Abweisung der weitergehenden Nichtigkeitsklage behandelnden Gründe stehen der Beschreibung nicht gleich (vgl. Benkard/Scharen, PatG, 10. Aufl., § 14 Rz. 28 m.w.N; Busse, a.a.O., Rz. 44 m.w.N.). Sie erläutern, warum das Patent Bestand und die Nichtigkeitsklage keinen Erfolg hat. Deshalb besteht grundsätzlich kein Bedürfnis dafür, sie an die Stelle der Beschreibung treten zu lassen.

[21] bb) Aber selbst wenn die Entscheidungsgründe des Nichtigkeitsurteils vom 17.12.2002 Eingang in die Beschreibung gefunden hätten, könnte das nicht zu einer abweichenden Auslegung des Hauptanspruchs führen. Die Beschreibung gestattet regelmäßig keine einschränkende Auslegung eines die Erfindung allgemein kennzeichnenden Patentanspruchs (BGHZ 160, 204, 210 - Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung; Senat, Urt. v. 12.12.2006 - X ZR 131/02, BGHReport 2007, 354 = Tz. 17 - Schussfädentransport). Den an die Stelle der Beschreibung tretenden bzw. diese ergänzenden Entscheidungsgründen des Nichtigkeitsurteils kann keine weiterreichende Bedeutung zukommen, als der Beschreibung selbst. Sie können deshalb insb. keine den Sinngehalt eines Patentanspruchs einschränkende Auslegung rechtfertigen.

[22] cc) Der vom BPatG für die seitlichen Mitlaufrollen angenommene Sinngehalt einer zusätzlichen lasttragenden Funktion könnte für die Auslegung des im Tenor des Nichtigkeitsurteils neu gefassten Patentanspruchs 1 lediglich dann maßgeblich sein, wenn die daraus folgende Einschränkung des Patentanspruchs wegen der Ausführungen in den Entscheidungsgründen in den Wortlaut der Urteilsformel hineingelesen werden dürfte. Das verbietet sich jedoch nach allgemeinen prozessualen Grundsätzen. Bei Divergenzen zwischen Tenor und Entscheidungsgründen ist grundsätzlich die Urteilsformel maßgeblich, weil die Entscheidungsgründe ihrer Auslegung, nicht aber ihrer Änderung dienen (vgl. BGH, Urt. v. 13.5.1997 - VI ZR 181/96, MDR 1997, 829 = NJW 1997, 3447, 3448; Zöller/Vollkommer, ZPO, 26. Aufl., Vor § 322 Rz. 31). Zwar sind Urteilsformeln nach allgemeinen Grundsätzen auslegungsfähig und dabei sind insb. die Entscheidungsgründe heranzuziehen (vgl. Vollkommer, a.a.O.). Die zwischen Tenor und Gründen des Nichtigkeitsurteils bestehende Diskrepanz ist jedoch nicht durch Auslegung überbrückbar, weil der Sinngehalt der in der Urteilsformel neu gefassten Patentansprüche eindeutig und keiner Korrektur durch die Entscheidungsgründe zugänglich ist.

[23] 3. Der Wortsinn, den das BPatG Patentanspruch 1 beigelegt und an den sich das Berufungsgericht gebunden gesehen hat, stellt nach allem eine Schutzbegrenzung dieses Anspruchs unter seinen Wortlaut im Sinne einer Auslegung unter seinen Sinngehalt dar. Sie schränkt den durch seinen Wortlaut festgelegten Gegenstand des Patentanspruchs 1 und den Schutzbereich des Patents unzulässig ein. Ob die beanspruchte Lehre ohne diese Einschränkung patentfähig wäre, ist im Verletzungsprozess nicht zu prüfen.

[24] IV. Für den Ausgang des Rechtsstreits kommt es danach darauf an, ob die vom Berufungsgericht in seiner Merkmalsgliederung unter Nr. 7 erfassten Merkmale vollständig verwirklicht sind. Dazu hat das Berufungsgericht, von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig, keine Feststellungen getroffen. Um dies nachzuholen, war das angefochtene Urteil auf die Revision aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1770427

BGHZ 2007, 88

BGHR 2007, 934

EBE/BGH 2007

GRUR 2007, 778

CIPReport 2007, 59

IIC 2008, 223

Mitt. 2007, 414

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