Leitsatz (amtlich)

›Vereinbaren die Parteien eines Mietvertrages, ohne dazu verpflichtet zu sein, die Verlängerung des Mietverhältnisses in der Weise, daß sich jedenfalls eine der Parteien möglicherweise mehr als 30 Jahre lang nicht gegen den Willen der anderen aus dem Vertrag lösen kann, so läuft die 30-Jahres-Frist des § 567 BGB erst vom Abschluß der Verlängerungsvereinbarung an.‹

 

Verfahrensgang

OLG Karlsruhe

LG Heidelberg

 

Tatbestand

Im Jahre 1968 pachtete die Einzelhandelsfirma S. von der inzwischen in der Beklagten aufgegangenen Gemeinde N. Grundstücksflächen zur Kiesgewinnung. Der Pachtvertrag, der in den Jahren 1973 und 1975 geringfügig geändert wurde, war auf unbestimmte Zeit abgeschlossen und unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist jederzeit ordentlich kündbar. Anfang der 80er Jahre war der Kiesabbau beendet. Mit Bescheid vom 23. August 1985 erhielt die Firma S. vom zuständigen Landratsamt die abfallrechtliche und baurechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Schuttaufbereitungsanlage auf den schon gepachteten Grundstücken und zusätzlich auf benachbarten Flächen, die ebenfalls der Beklagten gehören. Die Vertragsparteien schlossen daraufhin am 10. Dezember 1985 eine den veränderten Verhältnissen entsprechende Vereinbarung, die auch die hinzugekommenen Flächen einschloß. Nach § 2 dieser Vereinbarung sollte das Pachtverhältnis enden "mit Ablauf der Genehmigung des Landratsamts vom 23. August 1985", es sollte sich aber jeweils um die Zeit verlängern, um die die Genehmigung des Landratsamts verlängert würde. Später ist eine Gesetzesänderung in Kraft getreten, die zur Folge hatte, daß die erteilte Genehmigung unbefristet gilt und nicht mehr verlängert werden muß.

1987 gründete der Inhaber der Firma S. eine GmbH, die im Einvernehmen mit der Beklagten als Rechtsnachfolgerin der Firma S. in das bestehende Pachtverhältnis eintrat. 1989/1990 wurde die klagende Kommanditgesellschaft gegründet, deren Komplementärin die GmbH ist. Von dieser Zeit an führte die Klägerin den Betrieb auf dem von ihrer Komplementärin gepachteten Grundstück fort.

In zwei Vorprozessen ist rechtskräftig festgestellt worden, daß Kündigungen des Pachtverhältnisses, die die Beklagte ausgesprochen hatte, unwirksam sind. Mit Schreiben vom 10. November 1993 kündigte die Beklagte erneut, und zwar zum 30. September 1998. Sie vertrat die Auffassung, zu diesem Termin sei eine ordentliche Kündigung deshalb zulässig, weil das Pachtverhältnis dann 30 Jahre bestehe.

Das Landgericht hat festgestellt, daß der zwischen der Firma S. und der Beklagten am 10. Dezember 1985 abgeschlossene Pachtvertrag durch die Kündigung der Beklagten vom 10. November 1993 zum 30. September 1998 nicht beendet werde, daß er vielmehr nicht vor dem 1. September 2015 durch ordentliche Kündigung der Beklagten beendet werden könne. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht dieses Urteil teilweise abgeändert und unter Klageabweisung im übrigen (lediglich) festgestellt, daß der Pachtvertrag durch die von der Beklagten erklärte Kündigung nicht zum 30. September 1998 beendet werde. Mit ihrer Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückweisung der Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts.

1. Gegen die Zulässigkeit der erhobenen Feststellungsklage bestehen keine Bedenken. Es kann in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben, ob die Klägerin anstelle der GmbH in das Pachtverhältnis eingetreten und selbst Vertragspartei geworden ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann Gegenstand einer Feststellungsklage gemäß § 256 Abs. 1 ZPO auch ein Rechtsverhältnis zwischen dem Beklagten und einem Dritten sein, wenn dieses Rechtsverhältnis zugleich für die Rechtsbeziehungen der Prozeßparteien untereinander von Bedeutung ist und der Kläger ein rechtliches Interesse an einer alsbaldigen Klärung dieser Frage hat (BGHZ 83, 122, 125 f, BGH, Urteil vom 16. Juni 1993 - VIII ZR 222/92 = NJW 1993, 2539, 2540 m.w.N., a.A. MünchKomm-ZPO/Lüke § 256 Rdn. 33 f.; Zöller/Greger ZPO 19. Aufl. § 256 Rdn. 3 b). Dabei ist es ausreichend, wenn der Rechtsbereich des Klägers vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses zwischen dem Beklagten und dem Dritten nur mittelbar betroffen wird (BGH, Urteil vom 16. Juni 1993 aaO. m.N.). Im vorliegenden Fall hat auch dann, wenn die GmbH nach wie vor Pächterin des Betriebsgrundstückes sein sollte, der Fortbestand des Pachtverhältnisses für die Klägerin entscheidende Bedeutung, weil sie in diesem Falle ihr Recht zum Besitz und zur Nutzung des Betriebsgrundstücks ausschließlich aus dem Pachtvertrag zwischen der GmbH (ihrer Komplementärin) und der Beklagten herleitet.

2. a) Das Berufungsgericht legt den Pachtvertrag dahin aus, daß das Pachtverhältnis bestehen soll, solange die abfallrechtliche Genehmigung - gleich aus welchen Gründen fortbesteht, und daß bis zum Entfallen dieser Genehmigung eine ordentliche Kündigung grundsätzlich ausgeschlossen sein und nur nach Ablauf von 30 Jahren nach § 567 BGB in Frage kommen soll. Zur Begründung verweist das Berufungsgericht auf sein in einem der Vorprozesse ergangenes Urteil vom 26. Februar 1993 (10 U 238/92), in dem es diese Auslegung ausführlich begründet hat. Auch die Parteien sind dieser Auslegung zunächst gefolgt, die Beklagte erkennbar auch in ihrem Kündigungsschreiben vom 10. November 1993. Demgegenüber hat die Beklagte in der Revisionsverhandlung vor dem Senat die Meinung vertreten, der Pachtvertrag enthalte für den nun eingetretenen Fall, daß die abfallrechtliche Genehmigung nicht mehr von Zeit zu Zeit verlängert werden müsse, keine Regelung darüber, wann und auf welche Weise er beendet werden könne. Insofern liege eine Vertragslücke vor, die durch ergänzende Vertragsauslegung zu schließen sei. Man könne nicht davon ausgehen, daß die Vertragschließenden auch für diesen Fall die Laufzeit des Pachtvertrages uneingeschränkt an das Fortbestehen der abfallrechtlichen Genehmigung hatten binden wollen.

Dem kann nicht gefolgt werden. Die Auslegung eines Vertrages obliegt dem Tatrichter und ist vom Revisionsgericht nur darauf zu überprüfen, ob der Tatrichter Auslegungsregeln, die Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssatze verletzt hat oder ob ihm im Zusammenhang mit der Auslegung Verfahrensfehler unterlaufen sind (BGHZ 65, 107, 110 m.N., BGH, Urteil vom 25. Februar 1992 - X ZR 88/90 - BGHR ZPO § 549 Abs. 1 Vertragsauslegung 1, jeweils m.N.). Anhaltspunkte für solche revisionsrechtlich relevanten Auslegungsfehler werden von der Beklagten nicht aufgezeigt und sind auch sonst nicht ersichtlich. Nach der deshalb verbindlichen Auslegung des Vertrages durch das Berufungsgericht besteht die geltend gemachte Vertragslücke nicht.

b) Nach § 567 BGB, der nicht nur für Mietverträge gilt, sondern gemäß § 581 Abs. 2 BGB auf Pachtverträge entsprechend anwendbar ist, kann, wenn der Vertrag für eine längere Zeit als 30 Jahre geschlossen worden ist, nach Ablauf von 30 Jahren jeder Teil das Vertragsverhältnis unter Einhaltung der gesetzlichen Frist kündigen. Die Bestimmung ist nicht nur anwendbar, wenn ausdrücklich eine Mietzeit von mehr als 30 Jahren vereinbart ist, sondern auch dann, wenn nach dem Vertrag das Ende des Mietverhältnisses abhängig ist von einem bestimmten Ereignis, auf das zumindest eine Partei keinen Einfluß hat und das später als 30 Jahre nach Abschluß des Vertrages eintreten kann (BGHZ 117, 236, 238 f. m.N.). Im vorliegenden Fall hängt die Dauer des Mietverhältnisses von dem Bestand der erteilten behördlichen Genehmigung ab, von der nicht abzusehen ist, ob sie vor Ablauf von 30 Jahren entfallen wird. Der Streit der Parteien geht darum, ob die Frist von 30 Jahren mit Abschluß des ersten Pachtvertrages im Jahre 1968 oder erst mit Abschluß der Vereinbarung im Jahre 1985 beginnt.

Es ist in Literatur und Rechtsprechung unbestritten, daß die 30-jährige Frist des § 567 BGB jedenfalls dann neu zu laufen beginnt, wenn der alte Mietvertrag beendet ist oder von den Vertragsparteien aufgehoben wird und wenn die Vertragsparteien dann einen neuen, selbständigen Mietvertrag abschließen, zu dessen Abschluß keine Verpflichtung bestanden hat (grundlegend RGZ 165, 1, 21, vgl. Soergel/Kummer, BGB 11. Aufl. § 567 Rdn. 3 und Bub/Treier/Grapentin, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 2. Aufl. IV Rdn. 223, beide m.w.N.). Das Berufungsgericht führt aus, im vorliegenden Fall hatten die Parteien im Jahre 1985 keinen neuen Pachtvertrag abgeschlossen, sie hatten lediglich das seit dem Jahre 1968 bestehende Pachtverhältnis modifiziert. Es liege deshalb ein einheitliches Pachtverhältnis vor. Die Frist von 30 Jahren des § 567 BGB sei dementsprechend vom Beginn dieses einheitlichen Pachtverhältnisses im Jahre 1968 an zu berechnen und ende im Jahre 1998.

Gegen diese Ausführungen wendet sich die Revision mit Erfolg. Sie beruhen auf einem unzutreffenden Verständnis des § 567 BGB.

3. Es kann dahingestellt bleiben, ob das Berufungsgericht zu Recht annimmt, die Vertragsparteien hatten im Jahre 1985 den bestehenden Pachtvertrag lediglich durch neue Vereinbarungen modifiziert und ihn nicht durch einen neuen Pachtvertrag ersetzt. Auch wenn die Parteien im Jahre 1985 lediglich eine Modifizierung des bestehenden Pachtvertrages vereinbart haben, läuft die Frist von 30 Jahren des § 567 BGB vom Abschluß dieser Vereinbarung an. Entscheidend ist, daß die Vertragsparteien erst im Jahre 1985 neu und, ohne dazu in irgendeiner Weise verpflichtet zu sein, eine Vertragsdauer vereinbart haben, die jedenfalls möglicherweise eine Bindung von mehr als 30 Jahren zur Folge hat.

Der Mietvertrag gibt dem Mieter einen Anspruch auf Gebrauchsüberlassung auf Zeit. Diese zeitliche Begrenzung der Bindung der Vertragsparteien soll durch § 567 BGB sichergestellt werden. Der Gesetzgeber will verhindern, daß durch einen Mietvertrag eine einem dinglichen Nutzungsrecht angenäherte, auf Dauer angelegte Nutzungsberechtigung erreicht werden kann (vgl. Mugdan, Die gesammelten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch, II S. 230). Es kommt nicht darauf an, wie lange der Mieter bereits im Besitz der Mietsache ist, sondern darauf, ob eine vertragliche Vereinbarung von Beginn an "wenigstens eine der Vertragsparteien für mehr als 30 Jahre an den Vertrag binden" kann (Bub/Treier/Grapentin aaO., ähnlich Erman/Jendrek, BGB 9. Aufl. § 567 Rdn. 2, MünchKomm-BGB/Voelskow, 3. Aufl. § 567 Rdn. 2). Die Gefahr, der § 567 BGB entgegenwirken will, daß nämlich die Vertragsparteien durch die Vereinbarung einer allzu langen Vertragsdauer in einer Weise gebunden werden, die mit dem Wesen des grundsätzlich nicht auf Dauer angelegten Mietverhältnisses nicht vereinbar wäre, besteht nicht, wenn die Bindung an das Mietverhältnis nicht auf den ursprünglichen Vertrag zurückzuführen ist, sondern auf eine neue Vereinbarung, die auf einem freien Entschluß der Vertragsparteien beruht.

Es ist sachlich nicht gerechtfertigt, in diesem Zusammenhang zu differenzieren zwischen der Aufhebung eines bestehenden Mietvertrages und dem Neuabschluß eines (möglicherweise nahezu inhaltsgleichen) Nachfolgevertrages einerseits und der bloßen vertraglichen Verlängerung eines bestehenden Mietvertrages andererseits. Wenn die Vertragsparteien auch dann, wenn ein Mietverhältnis z.B. schon 25 Jahre lang besteht, durch § 567 BGB nicht gehindert sind, es durch Abschluß eines neuen, aber gleichlautenden Vertrages wirksam um bis zu 30 Jahre zu verlängern, dann ist nicht einzusehen, warum es ihnen verwehrt sein soll, dasselbe Ergebnis durch eine vertragliche Verlängerung des bestehenden Mietverhältnisses zu erreichen. Das Reichsgericht (aaO.) hat ausgeführt, die Laufzeiten mehrerer selbständiger Einzelverträge dürften nicht zusammengerechnet werden, weil die durch den Abschluß des Folgevertrages eingetretene Bindung auf einem neuen Entschluß der Vertragsparteien beruhe. Das ist bei einer Verlängerungsvereinbarung nicht anders (wie hier: OLG Düsseldorf, Urteil vom 3. November 1988 - 10 U 58/88 - veröffentlicht bei Juris, Sternel, Mietrecht, 3. Aufl. IV 273 und 532).

4. Das Berufungsurteil kann deshalb keinen Bestand haben. Da weitere tatsächliche Feststellungen nicht zu erwarten und auch nicht erforderlich sind, kann der Senat nach § 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO abschließend entscheiden. Das Urteil des Landgerichts ist durch die Zurückweisung der Berufung der Beklagten wiederherzustellen. Das Landgericht hat zu Recht festgestellt, daß das bestehende Pachtverhältnis durch ordentliche Kündigung der Beklagten (jedenfalls) nicht vor dem 1. September 2015 beendet werden kann. Ob es schon zu diesem Zeitpunkt beendet werden kann oder erst zum Ende des dann laufenden Pachtjahres, kann offen bleiben, weil die Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts kein Rechtsmittel eingelegt hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993406

BB 1996, 1297

DB 1996, 1564

NJW 1996, 2028

BGHR BGB § 567 Dreißig-Jahre-Frist 2

DRsp I(133)587b

NJWE-MietR 1996, 172

WM 1996, 1790

ZMR 1996, 424

MDR 1996, 784

WuM 1996, 476

BGH, HdM Nr. 44

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