Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung eines Werbevertrags. Kündigungsfrist. Keine Anwendung von § 193 BGB. Keine analoge Anwendung von § 193 BGB. Schutz des Kündigungsgegners vor Fristverkürzung. Ungekürzte Mindestfristen

 

Leitsatz (amtlich)

§ 193 BGB ist auf Kündigungsfristen weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar (Fortführung von BGHZ 59, 265)

 

Normenkette

BGB § 193

 

Verfahrensgang

OLG München (Urteil vom 14.01.2004; Aktenzeichen 15 U 2301/03)

LG München I

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 15. Zivilsenats des OLG München v. 14.1.2004 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin unterhält eine deutsche Basketball-Mannschaft, die am Spielbetrieb der Bundesliga teilnimmt; die Beklagte ist ein Telekommunikationsunternehmen, das inzwischen seinen operativen Betrieb eingestellt hat. Unter dem 11./15.10.2001 schlossen die Parteien einen Werbevertrag, der in Ziff. VIII über die Vertragsdauer folgende Bestimmungen enthält:

"a) Die Laufzeit dieses Vertrags beginnt mit seiner Unterzeichnung durch beide Parteien und läuft für die Saison 2001/2002 und 2002/2003, d.h. für die Zeit bis zum 30.6.2003.

b) Beide Parteien erhalten allerdings die Möglichkeit, den Vertrag bis zum 30.4.2002 mit einer Frist von einem Monat ohne Angabe von Gründen schriftlich zu kündigen. Sollte diese Kündigung ausgesprochen werden, endet der Vertrag bereits mit dem Ende der Spielzeit 2001/2002."

Mit Schreiben v. 27.3.2002 kündigte die Beklagte das Vertragsverhältnis. Seinerzeit fielen die Osterfeiertage auf den 31.3.und 1.4. Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Klägerin das Kündigungsschreiben schon am Karsamstag, dem 30.3.2002, oder frühestens am folgenden Dienstag, dem 2.4.2002, zugegangen ist.

Die Vorinstanzen haben eine Kündigung auch noch am 2.4.2002 für rechtzeitig gehalten und die auf Zahlung eines Teils der Vergütung für die Saison 2002/2003i.H.v. 84.100 EUR einschließlich Mehrwertsteuer gerichtete Klage abgewiesen. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht, dessen Urteil in VuR 2004, 266 (mit zustimmender Anmerkung des vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Beklagten) veröffentlicht ist, lässt es wie das LG dahinstehen, ob das Kündigungsschreiben der Beklagten schon am 30.3.2002 bei der Klägerin eingegangen ist. Es hält in zumindest analoger Anwendung des § 193 BGB auch einen Zugang noch am nächsten auf das Fristende (31.3.2002) folgenden Werktag für wirksam. Bei Kündigungserklärungen sei - abhängig vom jeweiligen Vertragstypus - nach der Schutzbedürftigkeit des Adressaten zu unterscheiden. Im Streitfall handele es sich um einen Werbevertrag zwischen gleichberechtigten Vertragspartnern, deren Position sich nicht mit derjenigen eines Arbeitgebers/Arbeitnehmers oder Vermieters/Mieters gleichsetzen lasse. Eine Schutzbedürftigkeit wie in diesen Fallgruppen sei hier nicht gegeben. Auf die Frage, ob der Klägerin die Berufung auf einen verspäteten Zugang der Kündigung gem. § 242 BGB wegen widersprüchlichen Verhaltens zu versagen sei, weil sie diesen Umstand nicht während der auf die Kündigung folgenden Vertragsverhandlungen zwischen den Parteien erwähnt und ihn erst im Prozess geltend gemacht habe, komme es nicht an.

II.

Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht stand. § 193 BGB gilt, soweit keine abweichende gesetzliche oder vertragliche Regelung besteht, insgesamt nicht für Kündigungsfristen.

1. Nach § 193 BGB kann eine an einem bestimmten Tage oder innerhalb einer Frist abzugebende Willenserklärung noch am nächsten Werktag abgegeben werden, wenn der bestimmte Tag oder der letzte Tag der Frist auf einen Sonntag, einen staatlich anerkannten allgemeinen Feiertag oder einen Sonnabend fällt. Die Anwendung dieser Vorschrift auf bei Kündigungserklärungen einzuhaltende Fristen ist umstritten. Überwiegend hat sich eine nach Vertragsformen differenzierende Kasuistik herausgebildet, während bei den hiervon nicht erfassten Verträgen nach dem Schutzzweck der Kündigungsfrist unterschieden werden soll.

Für Arbeitsverträge verneint das BAG - nach ursprünglich gegenteiliger Auffassung im Anschluss an die Rechtsprechung des Reichsarbeitsgerichts (BAGE 20, 8 = AP Nr. 2 zu § 66 HGB mit ablehnender Anmerkung Herschel; RAGE 4, 139 [140 ff.]; RAGE 16, 125 [126 f.]) - eine Anwendung des § 193 BGB, unabhängig davon, wie lang die Kündigungsfrist ist und ob sie auf Gesetz, Kollektivvertrag oder Einzelvereinbarung beruht (BAGE 22, 304 = AP Nr. 1 zu § 193 BGB, mit zustimmender Anm. Hueck; SAE 1971, 13, mit zustimmender Anm. Beuthien; DB 1977, 639). Dem sind die übrige Rechtsprechung und die Fachliteratur gefolgt (LAG Düsseldorf DB 1960, 1218 [1219]; LAG Köln NZA-RR 2002, 355 [356]; Staudinger/Repgen, BGB, Neubearb. 2004, § 193 Rz. 14). Dieser Auffassung hat sich auch der VII. Zivilsenat des BGH für das Handelsvertreterrecht angeschlossen (BGHZ 59, 265).

In Miet- und Pachtverhältnissen soll wegen der Schutzfunktion der dort bestimmten Kündigungsfristen die Auslegungsregel des § 193 BGB nach überwiegender Ansicht gleichfalls nicht gelten (Bamberger/Roth/Henrich, BGB, § 193 Rz. 4; Erman/H. Palm, BGB, 11. Aufl., § 193 Rz. 2; Soergel/Niedenführ, BGB, 13. Aufl., § 193 Rz. 9; Staudinger/Repgen, BGB, Neubearb. 2004, § 193 Rz. 14, für den Fall, dass durch die Kündigung eine gesetzliche Schutzfrist ausgelöst werde). Dem entgegen hat das Reichsgericht in solchen Fallgestaltungen die Anwendung des § 193 BGB gebilligt (RG JW 1907, 705; LG Kiel v. 2.12.1992 - 5 S 165/92, WuM 1994, 542 [543]). Der BGH hat sich hierzu noch nicht geäußert; das Urteil des VIII. Zivilsenats v. 16.10.1974 (BGH, Urt. v. 16.10.1974 - VIII ZR 74/73, NJW 1975, 40) betrifft nicht eine Kündigung im technischen Sinne, sondern die Ablehnung einer ohne "Kündigung" eintretenden Vertragsverlängerung.

Bei Versicherungsverträgen entspricht die Anwendung der Vorschrift auf der Grundlage älterer Entscheidungen der Instanzgerichte heute offenbar allgemeiner Meinung (LG Köln VersR 1953, 185; AG Hamburg VersR 1951, 125; AG München VersR 1951, 204 [205]; Prölss in Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 8 Rz. 7; Staudinger/Repgen, BGB, Neubearb. 2004, § 193 Rz. 14; a.A. AG Osnabrück Recht 1942 Nr. 1703).

Für andere Vertragsverhältnisse, wie hier, will die Kommentarliteratur demgegenüber überwiegend danach unterscheiden, ob die Einhaltung der Kündigungsfrist dem Schutz des Adressaten dient oder ob dies zu verneinen ist (Nachweise oben bei Mietverträgen; Jauernig, BGB, 11. Aufl., § 193 Rz. 1; Grothe in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 193 Rz. 7; a.A. Palandt/Heinrichs, BGB, 64. Aufl., § 193 Rz. 3: keine Anwendung der Bestimmung bei Kündigungsfristen).

2. Der erk. Senat schließt sich wie bereits der VII. Zivilsenat des BGH (BGHZ 59, 265) den überzeugenden Gründen gegen eine Geltung des § 193 BGB für Kündigungsfristen in BAGE 22, 304 [305 ff.] an. Er hält über diese beiden Entscheidungen hinaus im Interesse der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit eine Ausdehnung der dort entwickelten Grundsätze auf alle Kündigungsfristen ohne Rücksicht auf die Natur der in Rede stehenden Verträge und die Frage einer besonderen Schutzbedürftigkeit des Kündigungsempfängers für geboten.

a) Eine unmittelbare Anwendung des § 193 BGB auf Kündigungsfristen scheidet aus. Wenn mit einer Frist von einem Monat zu einem bestimmten Tag gekündigt werden kann, bedeutet dies weder, dass die Willenserklärung an einem bestimmten Tag abzugeben ist, noch, dass die Kündigung innerhalb einer Frist abgegeben werden müsste, wie es das Gesetz voraussetzt. Die Zeit vor Beginn der Kündigungsfrist ist selbst keine Frist, weil sie keinen Anfangszeitpunkt, sondern nur einen Endtermin hat (BAGE 20, 8 [11]; BAGE 22, 304 [305 f.]; BGHZ 59, 265 [267]). Auch der Beginn des Vertragsverhältnisses lässt sich nicht als Anfangstermin in diesem Sinne ansehen (so aber RG JW 1907, 705).

b) Eine entsprechende Anwendung des § 193 BGB kommt ebenfalls nicht in Betracht. Die Bestimmung dient dem Schutz und den Interessen desjenigen, der die Willenserklärung abzugeben hat. Wer innerhalb einer Frist eine Erklärung abgeben muss - wie etwa den Widerruf seiner Vertragserklärung (§ 355 BGB) -, soll davor bewahrt werden, dass das ihm zustehende Recht, die Frist bis zum letzten Tag auszunutzen, wegen der Arbeits- und Behördenruhe am Wochenende und an den Feiertagen verkürzt wird. Demgegenüber dient entgegen Teilen der Kommentarliteratur die Verpflichtung zur Einhaltung bestimmter Kündigungsfristen stets dem Schutz des Kündigungsgegners. Dieser soll sich rechtzeitig auf die Beendigung des Vertragsverhältnisses einstellen können; insofern sind alle zu seinen Gunsten bestehenden Fristen, auch soweit es sich um vertraglich vereinbarte Fristen handelt, Mindestfristen, die ihm ungekürzt zur Verfügung stehen sollen. Davon abgesehen ist es auch methodisch nicht möglich, eine Vorschrift, die denjenigen, der eine Willenserklärung abzugeben hat, vor einer Fristverkürzung schützen soll, zu Lasten des Empfängers einer Kündigung entsprechend anzuwenden mit der Folge, dass im Ergebnis die zur Verfügung stehende (Kündigungs-)Frist nicht verlängert, sondern - im ungünstigsten Falle sogar wesentlich - verkürzt wird (BAGE 22, 304 [308 ff.]; BGHZ 59, 265 [267]; Herschel, Anm. zu BAG AP Nr. 2 zu § 66 HGB; Hueck, Anm. zu BAG AP Nr. 1 zu § 193 BGB).

Ausnahmen hiervon je nach Interessenlage und fehlender besonderer Schutzbedürftigkeit des Kündigungsempfängers, gemessen an der Art des Vertragsverhältnisses oder der Länge der einzelnen Kündigungsfristen, sind nicht angebracht. Dies würde ein beträchtliches Maß an Unsicherheit mit sich bringen, während gerade Fristbestimmungen klar überschaubar und leicht handhabbar sein müssen. Damit würde die erforderliche Rechtssicherheit durch schwer berechenbare und nicht selten erst in einem Rechtsstreit zu klärende Billigkeitserwägungen ersetzt (BAGE 22, 304 [311]; BGHZ 59, 265 [268]). So wäre etwa bei der vorliegenden Fallgestaltung nicht ohne weiteres einsichtig, warum der Vermieter einer Sache - das gilt beispielsweise auch für die Vermietung von Werbeflächen - vor einer Verkürzung der ihm gegenüber einzuhaltenden Kündigungsfrist geschützt sein sollte, wie es das Berufungsgericht offenbar im Auge hat, der Anbieter sonstiger Werbemaßnahmen, wie hier, bei kaum abweichender Interessenlage dagegen nicht.

III.

Mit der gegebenen Begründung kann das Berufungsurteil danach nicht bestehen bleiben.

Die Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Widersprüchliches Verhalten, wie es die Beklagte der Klägerin vorwirft, verstößt nicht ohne weiteres gegen die Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Insbesondere bleibt es der Partei grundsätzlich unbenommen, von einer Rechtsansicht, die sie bei vorausgegangenen Vertragsverhandlungen eingenommen hat, nach Einleitung eines Rechtsstreits abzurücken.

Rechtsmissbräuchlich ist nach ständiger Rechtsprechung widersprüchliches Verhalten vielmehr erst dann, wenn dadurch für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (BGH, Urt. v. 5.6.1997 - X ZR 73/95, NJW 1997, 3377 [3379 f.]; Urt. v. 17.3.2004 - VIII ZR 161/03, MDR 2004, 1068 = BGHReport 2004, 1171 = WM 2004, 1219 [1221]; Urt. v. 14.9.2004 - XI ZR 248/03, BGHReport 2005, 111 = MDR 2005, 81 = ZIP 2004, 2273 [2275]). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht hierfür kein Anhalt.

Die Sache ist deshalb unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es die erforderlichen weiteren Feststellungen nachholen kann.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1331361

BGHZ 2005, 175

DB 2005, 1105

DStZ 2005, 355

NWB 2005, 1283

BGHR 2005, 681

EBE/BGH 2005, 99

EWiR 2005, 455

JurBüro 2005, 443

NZM 2005, 391

WM 2005, 753

ZAP 2005, 701

AnwBl 2005, 26

MDR 2005, 798

WuM 2005, 247

GuT 2005, 114

ZGS 2005, 152

LL 2005, 365

LMK 2005, 85

Mitt. 2005, 390

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