Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsunfall Bauhandwerker. Schmerzensgeldanspruch. Gemeinsame Betriebsstätte bei ineinandergreifenden betrieblichen Arbeiten mehrerer Unternehmen

 

Leitsatz (amtlich)

Eine gemeinsame Betriebsstätte i. S. d. § 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII setzt wechselseitig aufeinander bezogene betriebliche Aktivitäten von Versicherten mehrerer Unternehmen voraus. Ein lediglich einseitiger Bezug reicht nicht aus (Fortführung von BGH v. 17.10.2000 - VI ZR 67/00, BGHZ 145, 331 = MDR 2001, 155 = BGHReport 2001, 43).

 

Normenkette

BGB § 823; SGB VII § 106 Abs. 3 S. 3 a.F.

 

Verfahrensgang

OLG Hamm (Urteil vom 13.02.2001)

LG Dortmund

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Grund- und Teilurteil des 9. Zivilsenats des OLG Hamm v. 13.2.2001 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass sich die Ansprüche des Klägers auf Leistung aus der Entschädigungsforderung gegen den Haftpflichtversicherer der insolvent gewordenen Firma Gerüstbau A. B. beschränken.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger arbeitete als selbstständiger Dachdeckermeister an der Errichtung eines Senioren-Zentrums. Die dazu erforderlichen Gerüste wurden von der früheren Beklagten, der Firma Gerüstbau A.B., aufgestellt. Am 4.4.1997 befand sich der Kläger auf diesem Gerüst zur Durchführung von Dachdeckerarbeiten. Eine durchgefaulte Bohle brach unter seinem Gewicht. Er stürzte ab und zog sich schwere Verletzungen zu. Die Bauberufsgenossenschaft erkannte den Unfall als Arbeitsunfall an und erbrachte entsprechende Zahlungen. Inzwischen liegt ein Grad der Behinderung von 50 vor. Die Haftpflichtversicherung der Firma Gerüstbau A.B. leistete ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und unter dem Vorbehalt der Rückforderung Teilzahlungen an den Kläger.

Mit der ursprünglich gegen die Firma Gerüstbau A.B. gerichteten Klage hat dieser die Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes sowie die Feststellung der Ersatzverpflichtung der früheren Beklagten für zukünftige materielle und immaterielle Schäden verlangt. Das LG hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung hat das OLG den Schmerzensgeldanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und festgestellt, dass die Firma Gerüstbau A.B. verpflichtet sei, den zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden, der dem Kläger aus dem Unfall entstehen werde, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergingen oder übergegangen seien.

Vor Ablauf der Revisionsfrist ist über das Vermögen der Firma Gerüstbau A.B. das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt worden. Zwei Tage später hat die Gemeinschuldnerin gegen das gegen sie ergangene Urteil Revision eingelegt. Durch Schriftsatz v. 31.3.2003 hat der Kläger das Verfahren gegen den Beklagten gem. § 86 Ziff. 2 InsO i. V. m. § 157 VVG aufgenommen und beantragt, die Revision mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass Leistung aus der Entschädigungsforderung gegen den Haftpflichtversicherer zu erfolgen habe. Mit am 22.4.2003 eingegangenem Schriftsatz hat der Beklagte Revision eingelegt und diese am 5.5.2003 begründet. Er begehrt die Wiederherstellung des klagabweisenden Urteils des LG.

 

Entscheidungsgründe

A.

Der Kläger hat das gem. § 240 S. 1 ZPO durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gemeinschuldnerin unterbrochene Verfahren wirksam nach § 86 Abs. 1 Nr. 2 InsO aufgenommen und seinen Klageantrag in zulässiger Weise der veränderten Sachlage angepasst.

Gemäß § 86 Abs. 1 Nr. 2 InsO können Rechtsstreitigkeiten, die zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner anhängig sind, sowohl vom Insolvenzverwalter als auch vom Gegner aufgenommen werden, wenn sie die abgesonderte Befriedigung betreffen. Um eine derartige Fallkonstellation handelt es sich hier. Der Kläger hat nämlich mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gemeinschuldnerin gem. § 157 VVG ein Recht auf abgesonderte Befriedigung aus der Entschädigungsforderung gegen die Haftpflichtversicherung erworben.

Die Aufnahme des unterbrochenen Rechtsstreits und die Anpassung des Klageantrags an die durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschaffene neue Situation war noch in der Revisionsinstanz zulässig (vgl. BGH, Urt. v. 21.11.1953 - VI ZR 203/53, LM Nr. 4 zu § 146 KO; Urt. v. 23.12.1953 - VI ZR 1/52, LM Nr. 5 zu § 146 KO; Urt. v. 18.2.1965 - II ZR 205/61, WM 1965, 626; Urt. v. 11.11.1979 - I ZR 13/78, WM 1980, 164; Urt. v. 27.3.1995 - II ZR 140/93, GmbHR 1995, 373 = MDR 1995, 587 = NJW 1995, 1750). Insbesondere liegt in der Geltendmachung des durch § 157 VVG eingeräumten Absonderungsrechts keine in der Revisionsinstanz unzulässige Klageänderung. Der Kläger macht anders als in der Entscheidung vom 23.12.1953 (Urt. v. 23.12.1953 - VI ZR 1/52, LM Nr. 5 zu § 146 KO) nicht an Stelle seines ursprünglich verfolgten, nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Insolvenzforderung zu qualifizierenden Anspruchs ein auf einer anderen Rechtsstellung beruhendes Vorzugsrecht geltend. Vielmehr bleibt die rechtliche Identität des erhobenen Anspruchs gewahrt. Der Kläger stützt sein Begehren nach wie vor auf dieselbe Forderung, der auf Grund gesetzlicher Anordnung im Insolvenzfall Absonderungskraft zukommt. Er passt lediglich seinen Antrag an § 157 VVG an, der es dem geschädigten Dritten in der Insolvenz des Versicherungsnehmers ermöglicht, seinen Haftpflichtanspruch ohne Umweg über das insolvenzrechtliche Prüfungsverfahren durch unmittelbare Klage gegen den Insolvenzverwalter geltend zu machen, allerdings beschränkt auf Leistung aus der Entschädigungsforderung gegen den Haftpflichtversicherer (vgl. BGH, Urt. v. 13.7.1956 - VI ZR 223/54, VersR 1956, 625 [626]; Urt. v. 25.4.1989 - VI ZR 146/88, VersR 1989, 730).

B.

I.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht dem Kläger dem Grunde nach ein Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens aus den §§ 836 Abs. 1, 847 Abs. 1 a. F. BGB zu. Der Anspruch sei nicht gem. § 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII ausgeschlossen. Zwar habe sich der Unfall bei einer betrieblichen Tätigkeit auf einer gemeinsamen Betriebsstätte ereignet. Eine solche liege nämlich vor, wenn Bauhandwerker an einem Bauvorhaben tätig seien, wobei die Aufgabe des einen darin bestehe, ein erforderliches Gerüst zu bauen, auf das ein anderer Bauhandwerker bei der Ausführung seiner Arbeiten angewiesen sei. Die Maßnahmen der einzelnen Unternehmen wirkten in einem solchen Fall wesensmäßig und zweckgerichtet zusammen und griffen ineinander; auf ein zeitliches Nebeneinander der Tätigkeiten sei nicht abzustellen. Vielmehr komme es allein auf den sachlichen Zusammenhang der Verrichtung des einen und des anderen Bauhandwerkers an.

Die frühere Beklagte sei als Unternehmer jedoch nicht in den Privilegierungstatbestand einbezogen. Nach allen in Betracht kommenden Auslegungskriterien und Auslegungsmethoden erstrecke sich das Haftungsprivileg nicht auf den Unternehmer selbst. Selbst wenn dieser bei der Errichtung des Gerüsts mitgearbeitet hätte, was bisher nicht vorgetragen worden sei, greife das Haftungsprivileg zu seinen Gunsten nicht ein.

II.

Diese Erwägungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.

1. Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Gemeinschuldnerin dem Grunde nach für die Folgen des Unfalls aus den §§ 836, 837, 847 a. F. BGB haftet (vgl. BGH, Urt. v. 4.3.1997 - VI ZR 51/96, MDR 1997, 645 = VersR 1997, 835; Urt. v. 27.4.1999 - VI ZR 174/98, MDR 1999, 1067 = NJW 1999, 2593). Gegen diese Beurteilung wendet sich die Revision nicht.

2. Im Ergebnis zu Recht hat das Berufungsgericht auch die Voraussetzungen für einen Haftungsausschluss gem. § 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII verneint.

a) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts scheitert die Haftungsfreistellung allerdings nicht daran, dass die Gemeinschuldnerin als Unternehmerin generell nicht in den Privilegierungstatbestand einbezogen wäre. Wie der erk. Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, kommt das Haftungsprivileg des § 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII auch dem versicherten Unternehmer zugute, wenn er selbst eine vorübergehende betriebliche Tätigkeit auf einer gemeinsamen Betriebsstätte verrichtet und dabei den Versicherten eines anderen Unternehmens verletzt (vgl. BGH, Urt. v. 3.7.2001 - VI ZR 198/00, BGHZ 148, 209 [212] = MDR 2001, 1239 = BGHReport 2001, 680; Urt. v. 3.7.2001 - VI ZR 284/00, BGHZ 148, 214 [220] = MDR 2001, 1238 = BGHReport 2001, 678; Urt. v. 25.6.2002 - VI ZR 279/01, BGHReport 2002, 872 = MDR 2002, 1313 = VersR 2002, 1107; Urt. v. 29.10.2002 - VI ZR 283/01, MDR 2003, 152 = BGHReport 2003, 222 = VersR 2003, 70 [71]). Das Berufungsgericht ist - aus seiner Sicht konsequent - der Frage, ob diese Voraussetzungen im Streitfall gegeben sind, nicht nachgegangen.

b) Eine Haftungsfreistellung der Gemeinschuldnerin scheidet jedoch deshalb aus, weil sich der Unfall, aus dem der Kläger seine Ansprüche herleitet, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht auf einer gemeinsamen Betriebsstätte i. S. d. § 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII ereignet hat.

aa) Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung erfasst der Begriff der gemeinsamen Betriebsstätte über die Fälle der Arbeitsgemeinschaft hinaus betriebliche Aktivitäten von Versicherten mehrerer Unternehmen, die bewusst und gewollt bei einzelnen Maßnahmen ineinander greifen, miteinander verknüpft sind, sich ergänzen oder unterstützen, wobei es ausreicht, dass die gegenseitige Verständigung stillschweigend durch bloßes Tun erfolgt (BGH, Urt. v. 17.10.2000 - VI ZR 67/00, BGHZ 145, 331 [336] = MDR 2001, 155 = BGHReport 2001, 43; Urt. v. 24.6.2003 - VI ZR 434/01, BGHReport 2003, 1204 = MDR 2003, 1232 = NJW 2003, 2984 m. w. N.; BAG v. 12.12.2002 - 8 AZR 94/02, BAGReport 2003, 104 = VersR 2003, 1177 [1178]). Erforderlich ist ein bewusstes Miteinander im Arbeitsablauf, das sich zumindest tatsächlich als ein aufeinander bezogenes betriebliches Zusammenwirken mehrerer Unternehmen darstellt. Die Tätigkeit der Mitwirkenden muss im faktischen Miteinander der Beteiligten aufeinander bezogen, miteinander verknüpft oder auf gegenseitige Ergänzung oder Unterstützung ausgerichtet sein (vgl. BGH v. 17.10.2000 - VI ZR 67/00, BGHZ 145, 331 [336] = MDR 2001, 155 = BGHReport 2001, 43; Urt. v. 8.4.2003 - VI ZR 251/02, MDR 2003, 991 = BGHReport 2003, 1001 = VersR 2003, 904; Urt. v. 24.6.2003 - VI ZR 434/01, BGHReport 2003, 1204 = MDR 2003, 1232 = NJW 2003, 2984 [2985]; Urt. v. 24.6.2003 - VI ZR 434/01, BGHReport 2003, 1204 = MDR 2003, 1232 = NJW 2003, 2984 [2985] m. w. N.; BAG v. 12.12.2002 - 8 AZR 94/02, BAGReport 2003, 104 = VersR 2003, 1177 [1178]).

bb) Wie die Revisionserwiderung zu Recht geltend macht, sind diese Voraussetzungen im Streitfall nicht erfüllt. Zwar war der Kläger zur Erbringung der ihm obliegenden Dachdeckerarbeiten auf die Benutzung des von der Gemeinschuldnerin errichteten Gerüsts angewiesen. Dieser Umstand ist jedoch nicht ausreichend, um die beiderseitigen Aktivitäten in der erforderlichen Weise miteinander zu verknüpfen. Es fehlt an dem notwendigen Miteinander im Arbeitsablauf. Die betrieblichen Aktivitäten des Klägers einerseits und der Gerüstbaufirma bzw. ihrer Mitarbeiter andererseits stellen sich nämlich nicht als ein aufeinander bezogenes Zusammenwirken dar. Die Arbeiten des Klägers bauten lediglich auf dem von der Gerüstbaufirma geschaffenen Arbeitsergebnis auf. Die eigentlichen Arbeitsabläufe dagegen vollzogen sich unabhängig voneinander. Jeder Beteiligte verrichtete die ihm obliegenden Tätigkeiten, ohne dass der andere in irgendeiner Weise in den Arbeitsablauf eingebunden, daran beteiligt oder auch nur davon berührt worden wäre. Die Gerüstbaufirma hatte ihre Arbeiten, die Erstellung des Gerüsts, bereits beendet, als der Kläger mit den Dachdeckerarbeiten begann. Insofern bestand nicht die für eine gemeinsame Betriebsstätte typische Gefahr, dass sich die Beteiligten bei den versicherten Tätigkeiten "ablaufbedingt in die Quere kommen" (vgl. Wannagat/Waltermann, SGB i. d. F. v.2.2003, § 106 SGB VII Rz. 12; vgl. allgemein zum Gerüst: OLG Hamburg, Urt. v. 15.11.2002 - 1 U 42/00; LG Hamburg HVBG-Info 2000, 1046; Otto, NZV 2002, 10 [11] jeweils die erforderliche Verknüpfung der Tätigkeiten verneinend; Freyberger, MDR 2001, 541 [543]; Imbusch, VersR 2001, 547 [551]; Lemcke, r+s 2002, 508 jeweils die Problematik erörternd, im Ergebnis offen; OLG Karlsruhe v. 23.6.1999 - 7 U 30/99, MDR 2000, 395 = NJW 2000, 295 [296]; LG Tübingen v. 18.4.2000 - 2 O 262/99, MDR 2000, 959; Jahnke, VersR 2000, 155 [157] jeweils eine gemeinsame Betriebsstätte auf der Grundlage einer weiten Auslegung des § 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII bejahend).

Abgesehen davon fehlt es an dem erforderlichen wechselseitigen Bezug der betrieblichen Aktivitäten des Klägers einerseits und der Gerüstbaufirma andererseits. Zwar ermöglichten deren (abgeschlossene) Arbeiten erst die des Klägers und mögen insoweit einen Bezug zu ihnen aufgewiesen haben. Dagegen war die Tätigkeit des Klägers nicht auf die der Gerüstbaufirma bezogen. Weder unterstützten die Dachdeckerarbeiten deren Tätigkeit noch ergänzten oder förderten sie sie in sonstiger Weise. Ein lediglich einseitiger Bezug genügt jedoch im Rahmen des § 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII nicht. Vielmehr müssen die Aktivitäten, wie bereits ausgeführt, bei einzelnen Maßnahmen ineinander greifen, miteinander verknüpft oder auf gegenseitige Ergänzung oder Unterstützung ausgerichtet, mithin wechselseitig aufeinander bezogen sein (vgl. BGH, Urt. v. 17.10.2000 - VI ZR 67/00, BGHZ 145, 331 [336] = MDR 2001, 155 = BGHReport 2001, 43; Urt. v. 8.4.2003 - VI ZR 251/02, MDR 2003, 991 = BGHReport 2003, 1001 = VersR 2003, 904; Urt. v. 24.6.2003 - VI ZR 434/01, BGHReport 2003, 1204 = MDR 2003, 1232 = NJW 2003, 2984 [2985] m. w. N.; BAG v. 12.12.2002 - 8 AZR 94/02, BAGReport 2003, 104 = VersR 2003, 1177 [1178]). Aus diesem Grund kommt es auch nicht darauf an, ob die Gerüstbaufirma das Gerüst fortlaufend zu kontrollieren hatte, wie der Beklagte in der Revisionsbegründung geltend macht, ohne übrigens einen entsprechenden vom Berufungsgericht übergangenen Tatsachenvortrag in den Vorinstanzen aufzuzeigen und ohne einen Verfahrensfehler zu rügen.

cc) Eine andere rechtliche Bewertung der betrieblichen Aktivitäten würde dem Sinn und Zweck des § 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII nicht ausreichend Rechnung tragen. Der in dieser Bestimmung enthaltene Haftungsausschluss beruht nämlich (nur) auf dem Gedanken der sog. Gefahrengemeinschaft (vgl. BGH, Urt. v. 3.7.2001 - VI ZR 198/00, BGHZ 148, 209 [212] = MDR 2001, 1239 = BGHReport 2001, 680; Urt. v. 3.7.2001 - VI ZR 284/00, BGHZ 148, 214 [220] = MDR 2001, 1238 = BGHReport 2001, 678; Urt. v. 25.6.2002 - VI ZR 279/01, BGHReport 2002, 872 = MDR 2002, 1313 = VersR 2002, 1107; Urt. v. 29.10.2002 - VI ZR 283/01, MDR 2003, 152 = BGHReport 2003, 222 = VersR 2003, 70 [71]; Urt. v. 24.6.2003 - VI ZR 434/01, BGHReport 2003, 1204 = MDR 2003, 1232 = NJW 2003, 2984 [2985] m. w. N.; Urt. v. 27.6.2002 - III ZR 234/01, BGHZ 151, 198 [202] = BGHReport 2002, 771 = MDR 2002, 1311). Andere Gesichtspunkte, die in den Fällen der §§ 104, 105 SGB VII eine Rolle spielen (Wahrung des Betriebsfriedens, Haftungsersetzung durch die an die Stelle des Schadensersatzes tretenden Leistungen der Unfallversicherung, die vom Unternehmer finanziert wird, vgl. BVerfGE 34, 118 [132]), kommen hier dagegen nicht zum Tragen und können deshalb einen Haftungsausschluss nicht rechtfertigen (BGH, Urt. v. 3.7.2001 - VI ZR 198/00, BGHZ 148, 209 [212] = MDR 2001, 1239 = BGHReport 2001, 680; Urt. v. 3.7.2001 - VI ZR 284/00, BGHZ 148, 214 [218 ff.]; Urt. v. 25.6.2002 - VI ZR 279/01, BGHReport 2002, 872 = MDR 2002, 1313 = VersR 2002, 1107 [1108]). Eine Gefahrengemeinschaft ist dadurch gekennzeichnet, dass typischerweise jeder der (in enger Berührung miteinander) Tätigen gleichermaßen zum Schädiger und Geschädigten werden kann (vgl. BGH, Urt. v. 3.7.2001 - VI ZR 284/00, BGHZ 148, 214 [220] = MDR 2001, 1238 = BGHReport 2001, 678; BAG v. 12.12.2002 - 8 AZR 94/02, BAGReport 2003, 104 = VersR 2003, 1177 [1178]; Waltermann, NJW 2002, 1225 [1228 ff.]; Wannagat/Waltermann, SGB i. d. F. v. Februar 2003, § 106 SGB VII Rz. 11; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, 2002, § 106 Anm. 8.2; Otto, NZV 2002, 10 [14]; Schmude, Nomos und Ethos, S. 467 [473]; Schmitt, Anmerkung zu LM Nr. 4 zu § 106 SGB VII; Schmidt, BB 2002, 1859 [1860 f.]). Nur demjenigen, der als Schädiger von der Haftungsbeschränkung profitiert, kann es als Geschädigtem zugemutet werden, den Nachteil hinzunehmen, dass er selbst bei einer Verletzung keine Schadensersatzansprüche wegen seiner Personenschäden geltend machen kann (vgl. BGH, Urt. v. 3.7.2001 - VI ZR 198/00, BGHZ 148, 209 [212] = MDR 2001, 1239 = BGHReport 2001, 680; v. 3.7.2001 - VI ZR 284/00, BGHZ 148, 214 [220]; BVerfGE 34, 118 [136]; Lemcke, r+s 2002, 508; Waltermann, NJW 2002, 1225 [1229]; Wannagat/Waltermann, SGB i. d. F. v.2.2003, § 106 SGB VII Rz. 11). Zwischen dem Kläger und den für die Gerüstbaufirma Tätigen bestand jedoch keine Gefahrengemeinschaft in diesem Sinne. Sie gefährdeten sich nicht typischerweise gegenseitig. Allein der Kläger war dem nahe liegenden Risiko ausgesetzt, durch einen Mangel des errichteten Gerüsts zu Schaden zu kommen. Die Gefahr, dass er seinerseits den für die Gerüstbaufirma Tätigen Schaden zufügen würde, war auf Grund des fehlenden Miteinanders im Arbeitsablauf rein theoretischer Natur. Zwar war es nicht völlig ausgeschlossen, dass diese beim Abbau des Gerüsts beispielsweise durch einen unzureichend befestigten Dachziegel oder durch nicht ordnungsgemäß entfernte Arbeitsmaterialien des Klägers (Nägel, etc) verletzt werden würden. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um Gefahren, mit denen auf Grund eines Zusammenwirkens der Beteiligten typischerweise zu rechnen war. Das Risiko, von einem herabfallenden Dachziegel getroffen zu werden oder in einen zurückgelassenen Nagel zu treten, ging nicht über die Gefahren hinaus, denen ein an der Erstellung eines Bauwerks Beteiligter im täglichen Leben ausgesetzt ist. Es traf die für die Gerüstbaufirma Tätigen nicht anders als den Bauherrn und jeden unabhängig vom Kläger und damit nicht auf einer gemeinsamen Betriebsstätte mit ihm arbeitenden Handwerker. Damit war auch die Möglichkeit, dass der Kläger im Verhältnis zur Gerüstbaufirma von der Haftungsbeschränkung profitieren würde, äußerst gering. In einer derartigen Situation ist ein Haftungsausschluss gem. § 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII jedoch nicht zu rechtfertigen.

3. Auch die weiteren Angriffe der Revision bleiben ohne Erfolg.

a) Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht dem Kläger durch die uneingeschränkte Feststellung der Ersatzverpflichtung der Gemeinschuldnerin für zukünftige immaterielle Schäden nicht mehr zuerkannt als er beantragt hat. Der entsprechende im Tatbestand des Berufungsurteils wiedergegebene, zu Beginn des Verfahrens formulierte und später lediglich in Bezug genommene Antrag des Klägers enthält zwar die Voraussetzung, dass eine auf den Unfall zurückzuführende dauernde Verminderung der Erwerbsfähigkeit von über 30 % eintritt. Vor dem Hintergrund, dass inzwischen unstreitig ein Grad der Behinderung von 50 vorliegt, ist aber nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht die Ersatzverpflichtung nicht vom Eintritt einer Erwerbsminderung von über 30 % abhängig macht. Nachdem diese Voraussetzung zwischenzeitlich eingetreten war, war ihre Beibehaltung im Antrag nämlich gegenstandslos.

b) Die Revision rügt auch ohne Erfolg, dass das Berufungsgericht die Feststellungsanträge nicht teilweise abgewiesen hat, obwohl es die Ersatzpflicht der Gemeinschuldnerin nur insoweit festgestellt hat, als die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen oder übergegangen sind. Sie übersieht, dass das Berufungsgericht die Anträge des Klägers auch insoweit unter Berücksichtigung des gesamten Klagevorbringens ausgelegt und ihnen einen entsprechend eingeschränkten Inhalt beigemessen hat. Rechtliche Bedenken gegen diese Auslegung sind weder ersichtlich noch dargetan.

III.

Nach alledem war die Revision des Beklagten zurückzuweisen. Im Tenor war lediglich der Anpassung des Klageantrags an die durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschaffene neue Situation Rechnung zu tragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1111923

BGHZ 2004, 213

NJW 2004, 947

BGHR 2004, 585

BauR 2004, 855

EBE/BGH 2004, 3

EBE/BGH 2004, 70

EWiR 2004, 565

IBR 2004, 228

NZA 2004, 983

ZIP 2004, 568

MDR 2004, 687

NZV 2004, 191

VersR 2004, 381

IVH 2004, 68

RdW 2004, 240

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