Entscheidungsstichwort (Thema)

Rangordnung des Pflichtteilsanspruchs eines nichtehelichen Kindes im Nachlasskonkurs

 

Leitsatz (amtlich)

Der Pflichtteil des nichtehelichen Kindes kann erheblich höher sein als die Hälfte des Erbersatzanspruchs.

Der Pflichtteilsanspruch des nichtehelichen Kindes nach seinem Vater ist wie alle anderen Pflichtteilsansprüche in der Stufe der Nr. 4 von § 226 Abs. 2 KO zu erfüllen.

Das Vermächtniskürzungsrecht des § 2318 Abs. 3 BGB kann nicht deshalb versagt werden, weil es sich um den Pflichtteil eines nichtehelichen Kindes handelt.

 

Normenkette

BGB § 1934a Abs. 1, § 1934b Abs. 1 S. 1, §§ 2302, 2303 Abs. 1 S. 2, § 2311 Abs. 1 S. 1, § 2338a; KO § 226 Abs. 2; BGB § 2318 Abs. 3; ErbStG § 10 Abs. 1 StKl I Nr. 2 Buchst. D

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 21. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 4. März 1986 aufgehoben, soweit es zum Nachteil der Beklagten ergangen ist.

In diesem Umfang wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des zweiten Revisionsverfahrens, einschließlich derjenigen des Streithelfers - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Der am 21. August 1978 verstorbene Erblasser hinterließ drei Söhne, und zwar aus seiner geschiedenen Ehe die Söhne Thomas und Christoph, sowie das am 8. September 1971 geborene, vom Erblasser anerkannte nichteheliche Kind Raphael K. In seinem notariellen Testament vom 19. August 1978 setzte er die beiden ehelichen Söhne je zur Hälfte zu seinen Erben ein, ordnete Testamentsvollstreckung für die Zeit bis zur Vollendung des 32. Lebensjahres seines Sohnes Thomas an (21. September 1986) und setzte mehrere Vermächtnisse zugunsten der Klägerin, seiner Lebensgefährtin, aus.

Zum Nachlaß gehörte ein hälftiger Miteigentumsanteil an einem Hausgrundstück in Berlin. Eines der Vermächtnisse war darauf gerichtet, der Klägerin ein auf 25 Jahre begrenztes Wohnrecht an diesem Grundstück zu gewähren bzw. zu verschaffen. Für den Fall, daß es nicht oder nicht auf Dauer gelinge, der Klägerin dieses Recht zu verschaffen, setzte er ihr ein Vermächtnis in Höhe von 150.000 DM aus; dieser Betrag sollte sich für jeden Monat um je 500 DM verringern, den die Klägerin nach seinem Tode kostenfrei in dem Haus gewohnt habe.

Die Klägerin konnte das Haus sechs Monate lang nutzen; danach wurde es veräußert. Demgemäß hat sie von dem damaligen Testamentsvollstrecker mit der Klage Zahlung von 147.000 DM nebst Zinsen verlangt. Dieser befürchtete, der Nachlaß werde bei Berücksichtigung der Pflichtteilsrechte des nichtehelichen Sohnes des Erblassers nicht ausreichen, um auch den eingeklagten Vermächtnisanspruch zu erfüllen, und zahlte deshalb nicht.

Das Landgericht hat die Klage als begründet angesehen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Testamentsvollstreckers hat das Kammergericht in Höhe von 77.830 DM nebst Zinsen als unzulässig und im übrigen als unbegründet zurückgewiesen. Auf die Revision des Testamentsvollstreckers hat der Senat dieses Urteil im Rahmen des beschränkten Revisionsantrages aufgehoben, soweit die Berufung wegen eines Betrages von 70.000 DM nebst Zinsen als unzulässig zurückgewiesen worden war (BGHZ 95, 222). Darauf hat das Berufungsgericht die Berufung - abgesehen von einem abgewiesenen Teil der verlangten Zinsen - als unbegründet zurückgewiesen. Der nichteheliche Sohn des Erblassers ist dem Testamentsvollstrecker als Streithelfer beigetreten und hat für diesen Revision eingelegt. Nach Beendigung der Testamentsvollstreckung (21. September 1986) führen die beiden ehelichen Söhne des Erblassers als dessen Erben den Rechtsstreit auf der Beklagtenseite fort. Sie erstreben die Abweisung der noch anhängigen Klage in Höhe von 70.000 DM nebst Zinsen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, daß der Vermächtnisanspruch der Klägerin in Höhe von 147.000 DM nur dann gemäß § 2318 Abs. 3 BGB zu kürzen ist, wenn die Erben eine Pflichtteilslast im Sinne dieser Vorschrift trifft. Diese Voraussetzung hat das Berufungsgericht verneint.

Während es in seinem ersten Berufungsurteil davon ausgegangen ist, dem nichtehelichen Sohn des Erblassers (Streithelfer) stehe ein Pflichtteilsanspruch zu, bezweifelt es dies nunmehr, läßt die Frage aber im Ergebnis offen. Auf sie komme es nicht an, weil der Pflichtteilsanspruch eines nichtehelichen Kindes nicht zu einer derartigen Pflichtteilslast führe. Das ergebe sich daraus, daß die genannte Vorschrift bereits auf den Erbersatzanspruch nicht anzuwenden sei. Lasse man gleichwohl den Pflichtteilsanspruch des Erbersatzberechtigten für das angeführte Kürzungsrecht ausreichen, dann habe die Entziehung des Ersatzerbanspruchs (§ 2338a BGB) zugleich eine sachfremde Besserstellung des Erben gegenüber dem Vermächtnisnehmer zur Folge: Während nämlich der Erbe den ihm nach Erfüllung des Erbersatzanspruchs verbleibenden - relativ geringen - Rest des Nachlasses gegen den Vermächtnisnehmer nicht "verteidigen" dürfe, solle er bei einem um den Pflichtteil des Nichtehelichen (erheblich weniger) verminderten Nachlaß das Vermächtnis schmälern dürfen. Ein derartiges Ergebnis bezeichnet das Berufungsgericht als widersinnig und will es durch die Nichtanwendung des § 2318 Abs. 3 BGB vermeiden. Dem stehe auch die Rangfolge des § 226 Abs. 2 KO nicht entgegen. Denn der Pflichtteilsanspruch des Nichtehelichen sei nicht wie andere Pflichtteilsrechte zwei Ränge besser als der Erbersatzanspruch, sondern ebenso wie dieser an letzter Stelle (§ 226 Abs. 2 Nr. 6 KO) eingeordnet.

II.

Diesen Ausführungen kann sich der Senat nicht in vollem Umfang anschließen.

1.

Das gilt zunächst für die Ansicht des Berufungsgerichts, der Pflichtteilsanspruch eines nichtehelichen Kindes nach seinem Vater sei im Nachlaßkonkurs (und entsprechendes gilt in den Fällen des § 1991 Abs. 4 BGB) nicht im gleichen Range mit den übrigen Pflichtteilsrechten gemäß § 226 Abs. 2 Nr. 4 KO, sondern zwei Rangstufen schlechter erst nach den Vermächtnissen und Auflagen gleichrangig mit den Ersatzerbansprüchen (§ 226 Abs. 2 Nr. 6 KO) zu erfüllen. Eine derartige Zurücksetzung der Pflichtteilsansprüche des Nichtehelichen gegenüber denjenigen der ehelichen Abkömmlinge wäre weder mit dem Wortlaut, noch mit dem Sinn der Neuordnung des Nichtehelichenrechtes durch das Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder vom 19. August 1969 (BGBl. 1969 I S. 1243) zu vereinbaren. Sinn dieser Neuordnung war es gerade, den Nichtehelichen entsprechend dem Verfassungsauftrag des Art. 6 Abs. 5 GG gleiche Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung zu verschaffen wie den ehelichen Abkömmlingen. Das hat das Berufungsgericht nicht beachtet.

2.

Nicht minder bedenklich ist es, wenn das Berufungsgericht dem Erben zur Verteidigung seines Pflichtteils ein Vermächtniskürzungsrecht gemäß § 2318 Abs. 3 BGB bei Pflichtteilsansprüchen nichtehelicher Abkömmlinge des Erblassers von vornherein versagen will, obwohl ihm bei Pflichtteilsansprüchen ehelicher Kinder ein solches ohne weiteres zustehen könnte. In einem derartigen Vorgehen läge einmal eine ungerechtfertigt differenzierende Benachteiligung des Erben bei Vorhandensein von nichtehelichen Pflichtteilsberechtigten und mittelbar eine unvertretbare Diskriminierung der Nichtehelichen.

3.

Nicht gesehen hat das Berufungsgericht anscheinend auch, daß der (ordentliche) Pflichtteil des Nichtehelichen im allgemeinen und auch im vorliegenden Fall nicht einfach durch eine Halbierung des Erbersatzanspruches ermittelt werden kann. Richtig ist zwar, daß beide Ansprüche im Grundsatz nach dem Wert des Erbteils zu bemessen sind (§ 1934a Abs. 1 BGB einerseits und § 2303 Abs. 1 Satz 2 BGB andererseits), wobei bei beiden Ansprüchen dem Wortlaut nach "der Bestand und der Wert des Nachlasses zur Zeit des Erbfalles zugrunde gelegt" wird (§ 1934b Abs. 1 Satz 1 BGB und § 2311 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Berechnung beider Ansprüche setzt dementsprechend voraus, daß der Wert des Aktivbestandes des Nachlasses um die daraus zu berichtigenden Passiva vermindert wird. Dennoch gibt es bei der Berechnung erhebliche Unterschiede.

Bei der Pflichtteilsberechnung ist seit langem anerkannt, daß zwar die Erblasserschulden, aber nicht sämtliche Nachlaßverbindlichkeiten abzusetzen sind (vgl. z.B. RGRK-Johannsen, BGB 12. Aufl. § 2311 Rdn. 3 ff.; Soergel/Dieckmann, BGB 11. Aufl. § 2311 Rdn. 12; Staudinger/Ferid/Cieslar, BGB 12. Aufl. § 2311 Rdn. 62 ff.; MK-Frank, BGB § 2311 Rdn. 9 ff.). Nicht abzuziehen sind etwa die Vermächtnisse, Auflagen und Pflichtteilsansprüche, grundsätzlich aber auch z.B. die Kosten der Testamentsvollstreckung (BGHZ 95, 222, 228). Die dazu entwickelten Grundsätze gelten selbstverständlich ohne Unterschied auch für den Pflichtteil nichtehelicher Abkömmlinge nach ihrem Vater.

Anders verhält es sich dagegen bei der Berechnung des Erbersatzanspruchs. Da der Erbersatzberechtigte im Grundsatz nicht mehr zu beanspruchen hat, als er als gesetzlicher Erbe erhalten haben würde, müssen bei der Berechnung seiner Forderung auch solche Nachlaßverbindlichkeiten abgesetzt werden, die bei einem Pflichtteil unberücksichtigt bleiben würden. Das gilt namentlich für die Pflichtteilsansprüche Dritter, sowie für die Vermächtnisse und die Auflagen (BT-Drucks. V/2370 S. 107 und V/3719 S. 51; Odersky, NEG 4. Aufl. § 1934b BGB Anm. I 2 a; Lutter, Das Erbrecht des nichtehelichen Kindes 2. Aufl. S. 54; MK-Leipold, BGB § 1934b Rdn. 11; Soergel/Stein, BGB 11. Aufl. § 1934b Rdn. 6; Staudinger/Werner, BGB 12. Aufl. § 1934b Rdn. 5).

Dieser Berechnungsunterschied kann dazu führen, daß der Pflichtteilsanspruch des Nichtehelichen erheblich höher ist als die Hälfte des Erbersatzanspruchs. Der Pflichtteilsanspruch kann - etwa bei hohen Vermächtnissen - die Höhe des Erbersatzanspruchs erreichen oder sogar noch darüber hinausgehen. Nach der Meinung des Streithelfers der Beklagten soll ein solcher Fall hier vorliegen. Träfe dies zu, dann könnte von dem vom Berufungsgericht befürchteten "widersinnigen Ergebnis" schon aus diesem Grunde schwerlich die Rede sein. Eine Entscheidung der Frage, ob der Vermächtnisnehmer dem Erben anderenfalls nicht auch einen Teil der Last des Erbersatzanspruches abnehmen müßte und auf welchem Wege das zu geschehen hätte, ist hier nicht geboten; ein entsprechender Sachverhalt ist bislang nicht festgestellt.

III.

Unter diesen Umständen kann das angefochtene Urteil nicht bestehen bleiben.

Aber auch die Ausführungen, mit denen das Berufungsgericht einen Pflichtteilsanspruch des Streithelfers bezweifelt, vermag der Senat nicht zu billigen.

Das Berufungsgericht meint, der Streithelfer sei bereits durch § 1934a Abs. 1 BGB von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen, und sieht ihn daher gewissermaßen als "enterbt" an. Deshalb könne er nicht noch zusätzlich durch die testamentarische Einsetzung der Beklagten zu alleinigen Erben enterbt worden sein. Es fehle an der Kausalität zwischen letztwilliger Verfügung und dem Nichtanfall der Erbschaft.

Bei dieser Argumentation verkennt das Berufungsgericht, daß das nichteheliche Kind in den Fällen des § 1934a Abs. 1 BGB am Nachlaß zwar nicht dinglich beteiligt, aber gerade nicht "enterbt" ist.

Zweck der Neuregelung des Nichtehelichenrechts war es vielmehr gerade, das nichteheliche Kind am Nachlaß seines Vaters wirtschaftlich im gleichen Umfang zu beteiligen wie dessen eheliche Kinder. Dementsprechend sind nichteheliche Kinder heute ebenso wie ihre ehelichen Geschwister zur gesetzlichen Erbfolge nach ihrem Vater berufen (§ 1924 BGB). Zur Vermeidung von Konflikten wird das nichteheliche Kind in den Fällen des § 1934a Abs. 1 BGB zwar nicht dinglich in die Erbengemeinschaft der engeren ehelichen Familie aufgenommen, sondern stattdessen (außerhalb der überkommenen Universalsukzession) mit einem gleichwertigen schuldrechtlichen Anspruch ausgestattet. Diese Besonderheit stellt gerade keine (neue) "Enterbung kraft Gesetzes" dar; vielmehr ist das gesetzliche Erbrecht des nichtehelichen Kindes in diesen Fällen nur in besonderer Weise ausgestaltet (vgl. auch § 233a Satz 2 BGB). Mit guten Gründen heißt es demgemäß im Schrifttum, der (dingliche) Erbteil werde in den (schuldrechtlichen) Erbersatzanspruch "umgewandelt" (Odersky, a.a.O. § 1934a Anm. II, II 1, II 6), es handele sich um einen "Quasi-Erbteil" (Bosch, FamRZ 1972, 169, 177), um ein "Erbrecht in Geld" (MK-Leipold, a.a.O. § 1934a Rdn. 51). Demgemäß können die §§ 1934a bis 1934e BGB nur eingreifen, wenn es zu einer gesetzlichen Erbfolge kommt (vgl. z.B. Staudinger/Werner, BGB 12. Aufl. § 1934a Rdn. 6). Dementsprechend hat der Senat bereits in BGHZ 80, 290, 292 ausgesprochen, daß der Erbersatzanspruch nur dann entstehen kann, wenn der Berechtigte ohne die Regelungen des § 1934a BGB gesetzlicher Erbe würde. Daran wird festgehalten.

Danach kommt es für den Pflichtteilsanspruch des Streithelfers nach § 2303 BGB darauf an, ob der Erblasser den Streithelfer durch sein Testament von der Erbfolge ausgeschlossen hat. Das hat das Berufungsgericht zu Unrecht verneint.

Richtig ist allerdings, daß der Erblasser, der seine Erben durch Testament bestimmt, nicht gehindert ist, seinem nichtehelichen Kind zugleich seinen Erbersatzanspruch zu belassen oder sogar ausdrücklich zuzuwenden. Ob das geschehen ist, ist in der Tat eine Frage der Auslegung des Testaments. Jedoch ist das Berufungsgericht bei seiner Auslegung nicht von der richtigen Fragestellung ausgegangen, nämlich davon, ob Anhaltspunkte für eine derartige Belassung vorliegen. Es hat vielmehr umgekehrt danach gefragt, ob eine Entziehung im Sinne von § 2338a BGB erklärt ist.

Anhaltspunkte dafür, daß der Erblasser mit seiner letztwilligen Verfügung eine entsprechende Belassung oder Zuwendung des Erbersatzanspruchs an den Streithelfer hätte zum Ausdruck bringen wollen, lassen sich aber weder dem Testament noch dem Parteivortrag entnehmen. Diese Auslegung kann der Senat selbst vornehmen. Wie das Berufungsgericht vielmehr selbst rechtsfehlerfrei annimmt, läßt die Einsetzung der beiden Beklagten zu den einzigen Erben des Erblassers erkennen, daß neben diesen je zur Hälfte eingesetzten Erben keine weitere Person, auch nicht der Streithelfer, erben sollte. Mit dieser Anordnung einer bestimmten gewillkürten Erbfolge, die hier voll zum Zuge gekommen ist, ist zugleich jede Art von gesetzlicher Erbfolge ausgeschlossen (§ 1937 BGB). Der Streithelfer ist damit enterbt und hat daher gemäß § 2303 Abs. 1 BGB seinen Pflichtteil zu beanspruchen; einer besonderen Entziehung des Erbersatzanspruchs (§ 2338a S. 1 BGB) bedurfte es dazu nicht (vgl. BGHZ 80, 290, 293).

 

Unterschriften

Dr. Hoegen

Dehner

Dr. Schmidt-Kessel

Dr. Zopfs

Dr. Ritter

 

Fundstellen

Haufe-Index 1456307

NJW 1988, 136

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