Leitsatz (amtlich)

Dem Mandanten steht nach einer durch ein vertragswidriges Verhalten des Rechtsanwalts veranlassten Kündigung ein Schadensersatzanspruch nur zu, wenn das vertragswidrige Verhalten des Rechtsanwalts einen wichtigen Kündigungsgrund bildet und die insoweit zu beachtende Kündigungsfrist von zwei Wochen gewahrt ist.

 

Normenkette

BGB § 628 Abs. 2, § 626

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches OLG (Urteil vom 14.11.2019; Aktenzeichen 11 U 127/18)

LG Kiel (Urteil vom 02.11.2018; Aktenzeichen 5 O 253/17)

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 11. Zivilsenats des OLG Schleswig vom 14.11.2019 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Die Klägerin beauftragte den beklagten Rechtsanwalt, Schadensersatzansprüche wegen fehlerhafter Anlageberatung gegen die P. AG (nachfolgend: P.) gerichtlich durchzusetzen. Während des laufenden Rechtsstreits unterbreitete der Beklagte am 18.11.2016 der Klägerin den Vorschlag, eine Auftrags- und Vergütungsvereinbarung mit der H. GmbH zu schließen, deren Geschäftsführerin und alleinige Gesellschafterin - was die Klägerin nicht wusste - die Ehefrau des Beklagten war. Die H. GmbH sollte den Beklagten durch "Recherchehilfe und banktechnische Kompetenz" unterstützen. Als Vergütung war eine Beteiligung von 16 vom Hundert an der für die Klägerin erstrittenen Schadensersatzleistung vorgesehen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die P. bereits angeboten, den Rechtsstreit durch eine Zahlung von 68.000 EUR und damit etwa 60 vom Hundert der Klageforderung vergleichsweise beizulegen.

Rz. 2

Die Klägerin lehnte den Abschluss der ihr angesonnenen Vereinbarung anlässlich einer mit der sachbearbeitenden Rechtsanwältin am 20.1.2017 geführten fernmündlichen Unterredung ab. Durch eine Nachricht vom 22.1.2017 erneuerte der Beklagte gegenüber der Klägerin die Bitte um Abschluss der Vereinbarung, wobei er die erfolgsabhängige Vergütung auf 12,5 vom Hundert ermäßigte. Nachdem die sachbearbeitende Rechtsanwältin das von ihr als "akzeptabel" bezeichnete Vergleichsangebot der P. der Klägerin am 23.1.2017 mitgeteilt hatte, forderte der Beklagte am 25.1.2017 die Klägerin abermals auf, die Vereinbarung zu unterzeichnen. Dies lehnte die Klägerin ab.

Rz. 3

Mit Schreiben vom 10.2.2017, das dem Beklagten am 13.2.2017 zuging, kündigte die Klägerin das Mandat. Nach Beauftragung neuer Prozessbevollmächtigter wurde der von der Klägerin gegen die P. geführte Rechtsstreit durch einen zugunsten der Klägerin auf 63 vom Hundert der Klageforderung leicht verbesserten Vergleich beendet.

Rz. 4

Vorliegend nimmt die Klägerin - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - den Beklagten auf Ersatz der ihr durch den Anwaltswechsel entstandenen Mehrkosten in Anspruch. Das LG hat den Beklagten zur Zahlung von 5.098 EUR verurteilt. Auf die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen und auf dessen Widerklage festgestellt, dass die Klägerin gem. § 717 Abs. 2 ZPO dem Beklagten zum Ersatz des Schadens verpflichtet ist, der ihm durch eine zur Abwendung der Zwangsvollstreckung erbrachte Leistung entstanden ist. Mit der von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des Ersturteils.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 5

Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

Rz. 6

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Klägerin stehe ein Schadensersatzanspruch aus § 628 Abs. 2 BGB nicht zu. Es brauche nicht entschieden zu werden, ob die Kündigung der Klägerin durch ein vertragswidriges Verhalten des Beklagten veranlasst worden sei, weil die Kündigung nicht innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 626 Abs. 2 BGB erklärt worden sei. Diese Frist sei nach einhelliger Auffassung für einen Schadensersatzanspruch aus § 628 Abs. 2 BGB nach Kündigung gem. § 627 BGB entsprechend anwendbar. Verstreiche ein Zeitraum von mehr als zwei Wochen nach dem vertragswidrigen Verhalten eines Teils, ohne dass der andere Teil darauf mit einer Kündigung reagiere, gelte die unwiderlegbare Vermutung, dass die Fortsetzung des Vertrages dem anderen Teil nicht unzumutbar sei.

Rz. 7

Die Klägerin habe die Kündigung nicht fristgemäß erklärt. Die Frist habe mit dem nach Auffassung der Klägerin ungebührlichen und vertragswidrigen Drängen des Beklagten vom 25.1.2017 zu laufen begonnen und am 8.2.2017 geendet. Die Kündigungserklärung der Klägerin sei bei dem Beklagten erst am 13.2.2017 eingegangen.

II.

Rz. 8

Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung stand. Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin aus § 628 Abs. 2 BGB ist gegen den Beklagten nicht begründet, weil die Klägerin die Kündigungsfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB versäumt hat.

Rz. 9

1. Gemäß § 627 Abs. 1 BGB ist bei einem Dienstverhältnis, das kein Arbeitsverhältnis i.S.d. § 622 BGB ist, die Kündigung auch ohne die in § 626 BGB bezeichnete Voraussetzung eines wichtigen Grundes zulässig, wenn der zur Dienstleistung Verpflichtete, ohne in einem dauernden Dienstverhältnis mit festen Bezügen zu stehen, Dienste höherer Art zu leisten hat, die aufgrund besonderen Vertrauens übertragen zu werden pflegen. Diese Voraussetzungen sind bei der Beauftragung eines Rechtsanwalts oder Steuerberaters gegeben (BGH, Urt. v. 2.5.2019 - IX ZR 11/18 WM 2019, 2178 Rz. 12). Zur fristlosen Kündigung sind sowohl der Berater als auch der Auftraggeber berechtigt (BGH, a.a.O., Rz. 13 a.E.). Mithin hat die Klägerin das zwischen den Parteien bestehende Vertragsverhältnis durch ihr Schreiben vom 10.2.2017 wirksam gekündigt. Die Klägerin konnte den Auftrag jederzeit und ohne Angabe von Gründen mit sofortiger Wirkung beenden (vgl. BGH, Urt. v. 7.3.2019 - IX ZR 221/18 WM 2019, 740 Rz. 8).

Rz. 10

2. Die vergütungsrechtlichen Folgen der Kündigung eines Dienstvertrages sind in § 628 Abs. 1 BGB geregelt.

Rz. 11

Wird nach dem Beginn der Dienstleistung das Dienstverhältnis aufgrund des § 626 BGB oder des § 627 BGB gekündigt, so kann der Verpflichtete gem. § 628 Abs. 1 Satz 1 BGB einen seinen bisherigen Leistungen entsprechenden Teil der Vergütung verlangen. Kündigt er, ohne durch vertragswidriges Verhalten des anderen Teils dazu veranlasst zu sein, oder veranlasst er durch sein vertragswidriges Verhalten die Kündigung des anderen Teils, so steht ihm nach § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB ein Anspruch auf die Vergütung insoweit nicht zu, als seine bisherigen Leistungen infolge der Kündigung für den anderen Teil kein Interesse haben. Diese Regelungen betreffen den Vergütungsanspruch des Dienstverpflichteten, der nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist.

Rz. 12

3. Weitergehend kann ein Vertragsteil gem. § 628 Abs. 2 BGB Ersatz des durch die Aufhebung des Dienstverhältnisses entstehenden Schadens verlangen, wenn die Kündigung durch ein vertragswidriges Verhalten des anderen Teils veranlasst wurde. Diese Regelung ist hier schon deshalb unanwendbar, weil die Klägerin die zweiwöchige Kündigungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt hat.

Rz. 13

a) Die Schadensersatzpflicht aus § 628 Abs. 2 BGB kann bei einer Vertragsbeendigung, für die der andere Vertragsteil durch ein vertragswidriges schuldhaftes Verhalten den Anlass gegeben hat, entstehen. Dabei muss das für den Schadensersatz erforderliche Auflösungsverschulden des Vertragspartners - anders als das in § 628 Nr. 1 Satz 2 BGB vorausgesetzte vertragswidrige Verhalten (vgl. BGH, Urt. v. 29.3.2011 - VI ZR 133/10 NJW 2011, 1674 Rz. 14; v. 7.3.2019 - IX ZR 221/18 WM 2019, 740 Rz. 22) - das Gewicht eines wichtigen Grundes i.S.d. § 626 BGB haben. Nur derjenige kann Schadensersatz nach § 628 Abs. 2 BGB fordern, der auch wirksam aus wichtigem Grund hätte fristlos kündigen können, denn aus dem Zusammenhang der Abs. 1 und 2 ergibt sich die gesetzliche Wertung, dass nicht jede geringfügige schuldhafte Vertragsverletzung, die Anlass für eine Beendigung des Vertragsverhältnisses gewesen ist, die schwerwiegenden Folgen des § 628 Abs. 2 BGB nach sich zieht (BAG, Urt. v. 26.7.2001 - 8 AZR 739/00, BAGE 98, 275, 280 f.; vom 20.11.2003 - 8 AZR 608/02, EzA BGB 2002 § 628 Nr. 3 unter II 2a; vom 14.12.2011 - 5 AZR 439/10, BAGE 140, 159 Rz. 31; KG, Urt. v. 18.8.2005 - 8 U 251/04, juris Rz. 133; Henssler in MünchKomm/BGB, 8. Aufl., § 628 Rz. 74; Preis in Staudinger, BGB, 2019, § 628 Rz. 38; Soergel/Kraft, BGB, 12. Aufl., § 628 Rz. 11; Erman/Belling/Riesenhuber, BGB, 15. Aufl., § 628 Rz. 31; Fuchs/Plum in Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BGB, 4. Aufl., § 628 Rz. 12; Palandt/Weidenkaff, BGB, 79. Aufl., § 628 Rz. 6; Lingemann in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 14. Aufl., § 628 Rz. 6; Dauner-Lieb/Langen/Klappstein, BGB, 3. Aufl., § 628 Rz. 18; RGRK-BGB/Corts, 12. Aufl., § 628 Rz. 31). Diese einhelligen Erwägungen gelten auch im Rahmen der anwaltlichen Berufshaftung. Ein Schadensersatzanspruch aus § 628 Abs. 2 BGB setzt mithin ein anwaltliches Fehlverhalten von der Schwere eines wichtigen Grundes nach § 626 BGB voraus (KG NJW-RR 2002, 708, 710; Mennemeyer in Fahrendorf/Mennemeyer, Die Haftung des Rechtsanwalts, 9. Aufl., Kap. 1 Rz. 233; Jungk in Borgmann/Jungk/Schwaiger, Anwaltshaftung, 6. Aufl., Kap. III. Rz. 106).

Rz. 14

b) Ob der Schweregrad eines wichtigen Grundes erreicht ist, kann im Streitfall dahinstehen. Erfordert der Schadensersatzanspruch aus § 628 Abs. 2 BGB einen wichtigen Beendigungsgrund, muss für die Kündigung auch die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt werden. Daran fehlt es.

Rz. 15

aa) Der Schadensersatzanspruch aus § 628 Abs. 2 BGB setzt voraus, dass eine wirksame außerordentliche Kündigung wegen vertragswidrigen Verhaltens der anderen Vertragspartei ausgesprochen wurde oder hätte ausgesprochen werden können. Wird die gesetzliche Ausschlussfrist nach § 626 Abs. 2 BGB versäumt, endet damit auch das Recht zur außerordentlichen Kündigung. Ein erheblicher wichtiger Grund ist - sollte er vorgelegen haben - nicht mehr geeignet, die Fortsetzung des Dienstverhältnisses unzumutbar zu machen. Wenn ein pflichtwidriges Verhalten einer Vertragspartei nicht mehr zum Anlass einer vorzeitigen Beendigung des Rechtsverhältnisses genommen werden kann, entfällt damit auch der Schadensersatzanspruch nach § 628 Abs. 2 BGB wegen dieses Verhaltens. Andernfalls bestünde ein nicht auflösbarer Widerspruch zwischen der Bestimmung über die außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB und der Vorschrift über den Schadensersatz nach § 628 BGB. Die Vorschrift des § 628 Abs. 2 BGB ist kein Auffangtatbestand für wegen Versäumung der Ausschlussfrist misslungene außerordentliche Kündigungen. Mit der Einführung der Ausschlussfrist nach § 626 Abs. 2 BGB sind die Anforderungen an eine außerordentliche Kündigung verschärft worden. Das hat auch zu einer Einschränkung des auf § 626 BGB aufbauenden Schadensersatzanspruches nach § 628 Abs. 2 BGB geführt. Wahrt der Anspruchsberechtigte die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht, so verliert er seinen Anspruch auf Schadensersatz (BAG, Urt. v. 22.6.1989 - 8 AZR 164/88, DB 1990, 433; Urt. v. 26.7.2001 - 8 AZR 739/00, BAGE 98, 275, 285; Henssler in MünchKomm/BGB, 8. Aufl., § 628 Rz. 78; Preis in Staudinger, BGB, 2019, § 628 Rz. 37; Soergel/Kraft, BGB, 12. Aufl., § 628 Rz. 13; Erman/Belling/Riesenhuber, BGB, 15. Aufl., § 628 Rz. 31; Fuchs/Plum in Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BGB, 4. Aufl., § 628 Rz. 11; Palandt/Weidenkaff, BGB, 79. Aufl., § 628 Rz. 6; Dauner-Lieb/Langen/Klappstein, BGB, 3. Aufl., § 628 Rz. 18; Lingemann in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 14. Aufl., § 628 Rz. 6). Entsprechend dieser allgemeinen Auffassung muss auch die Beendigung des Anwaltsdienstvertrages innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB erfolgen (KG, Urt. v. 18.8.2005 - 8 U 251/04, juris Rz. 133; OLG Frankfurt NJW 2016, 1599 Rz. 16; Mennemeyer in Fahrendorf/Mennemeyer, Die Haftung des Rechtsanwalts, 9. Aufl., Kap. 1 Rz. 233).

Rz. 16

bb) Im Streitfall wurde die zweiwöchige Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt. Maßgeblich für die Einhaltung der sich nach §§ 187, 188 BGB berechnenden Frist von zwei Wochen ist der Zugang der Kündigungserklärung bei dem Empfänger (BAG, Urt. v. 9.3.1978 - 2 AZR 529/76, NJW 1978, 2168; Henssler in MünchKomm/BGB, a.a.O., § 626 Rz. 321; Fuchs/Plum in Bamberger/Roth/Hau/Poseck, a.a.O., § 626 Rz. 60). Die Kündigung der Klägerin beruhte auf dem Vorfall vom 25.1.2017, so dass die Kündigungsfrist am 8.2.2017 endete. Das Kündigungsschreiben der Klägerin vom 10.2.2017, das den Beklagten zudem erst am 13.2.2017 erreichte, war mithin verspätet.

Rz. 17

4. Da sich die Klage sonach als unbegründet erweist, war dem auf § 717 Abs. 2 ZPO gestützten, im Wege der Widerklage verfolgten Feststellungsantrag, stattzugeben. Der Beklagte hat im Streitfall zur Abwendung der Zwangsvollstreckung eine Sicherheitsleistung hinterlegt. Angesichts des gegenwärtig nicht abschließend beurteilbaren Schadensverlaufs ist ein Feststellungsantrag eröffnet (vgl. Münzberg in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 717 Rz. 44).

 

Fundstellen

Haufe-Index 13973996

DB 2020, 2071

DStR 2020, 2215

DStRE 2021, 248

NJW 2020, 2538

NJW 2020, 9

NWB 2020, 2369

NZG 2020, 6

WM 2021, 2307

ZAP 2020, 846

ZIP 2020, 1867

AnwBl 2020, 558

JZ 2020, 568

JuS 2021, 175

MDR 2020, 1216

VersR 2020, 1189

NJW-Spezial 2020, 703

BRAK-Mitt. 2020, 271

Mitt. 2020, 528

Verkehrsjurist 2020, 21

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