Entscheidungsstichwort (Thema)

Versandhandel. Versendungskauf. Gattungsschuld. Übergabe an Transportperson. Konkretisierung. Verlust auf dem Versandweg. Befreiung von der Leistungspflicht. Leistungsort. Erfüllungsort

 

Leitsatz (amtlich)

Auch bei Geschäften im Versandhandel übernimmt der Verkäufer grundsätzlich keine Bringschuld. Handelt es sich um eine Gattungsschuld, beschränkt sich deshalb mit der Übergabe an die Transportperson die Schuld des Verkäufers i. S. v. § 243 Abs. 2 BGB auf die übergebene Sache. Geht die verkaufte Sache auf dem Versandweg verloren, so wird der Verkäufer gem. § 275 Abs. 1 BGB a. F. von seiner Verpflichtung zur Leistung frei.

 

Normenkette

BGB § 275 Abs. 1a. F, § 269

 

Verfahrensgang

LG München I (Urteil vom 27.08.2002)

AG München

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil der 20. Zivilkammer des LG München I v. 27.8.2002 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Am 6.6.2001 bestellte der Kläger bei der Beklagten, die in M. u. a. einen Versandhandel mit elektronischen Geräten betreibt, per e-mail einen Camcorder DV Panasonic NV-DS 38 EG zum Preis von 1.999 DM. Der Kaufpreis wurde von der eingeschalteten Kreditbank bezahlt. Am 28.6.2001 übergab die Beklagte die ordnungsgemäß adressierte Sendung einem Paketdienst zum Versand an den Kläger. Der Kläger behauptet, er habe die Kamera bis jetzt nicht erhalten. Den im vorliegenden Rechtsstreit von der Beklagten vorgelegten Ablieferungsbeleg v. 29.6.2001 habe er nicht unterschrieben; bei der Unterschrift ("M. U.") handele es sich um eine Fälschung.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Übergabe eines Camcorders des bezeichneten Typs und zur Verschaffung des Eigentums an der Kamera. Die Beklagte macht geltend, mit der Übergabe der Sendung an den Paketdienst habe sie, da eine Schickschuld vorliege und § 447 BGB anzuwenden sei, das ihrerseits zur Erfüllung Erforderliche getan. Der Kläger habe das Paket auch erhalten; die Unterschrift auf dem Ablieferungsbeleg stamme von ihm.

Das AG hat die Klage abgewiesen, das LG hat die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel in vollem Umfang weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

In seiner den Anforderungen des § 540 ZPO gerade noch genügenden Entscheidung ist das LG davon ausgegangen, dass es sich im vorliegenden Fall um einen Versendungskauf i. S. d. § 447 BGB handele und die Beklagte deshalb mit der Übergabe des Camcorders an den Paketdienst am 28.6.2001 ihren Verpflichtungen aus dem Kaufvertrag Genüge getan habe. Die Vorschrift des § 447 BGB sei auch für moderne Vertriebsformen anzuwenden, da der Gesetzgeber trotz kritischer Stimmen im Schrifttum die Reform des Kaufrechts nicht zum Anlass genommen habe, für diese Vertriebsformen etwas anderes zu regeln.

II.

Die Entscheidung des LG hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.

1. Das Berufungsgericht hat die Revision gem. § 543 Abs. 2 Ziff. 2 ZPO offensichtlich deshalb zugelassen, weil es eine Klärung der Rechtsfrage für geboten gehalten hat, ob auch nach der Reform des Kaufrechts die Bestimmung des § 447 BGB "für moderne Vertriebsformen gelten kann und soll". Diese Frage bedarf jedoch für Fälle der vorliegenden Art keiner höchstrichterlichen Klärung, da der Gesetzgeber sie durch die Einfügung des § 474 Abs. 2 BGB bereits beantwortet hat. Nach dieser Vorschrift ist die Anwendung des § 447 BGB auf Verbrauchsgüterkaufverträge - zwingend (§ 475 Abs. 1 BGB) - ausgeschlossen. Dass eine Fallgestaltung, wie sie hier gegeben ist, einen Verbrauchsgüterkauf darstellt, steht nach der gesetzlichen Definition des § 474 Abs. 1 S. 1, 1. Hs. BGB außer Frage. Obwohl demnach die vom Berufungsgericht formulierte Revisionszulassung ins Leere geht, ist das Revisionsgericht hieran gebunden (§ 543 Abs. 2 S. 2 ZPO).

2. Die Begründung für die Zulassung der Revision lässt erkennen, dass das Berufungsgericht das Kaufrecht bereits in seiner neuen, am 1.1.2002 in Kraft getretenen Fassung anwenden wollte. Das ist zwar rechtsfehlerhaft, weil im vorliegenden Fall die Bestimmungen noch in ihrer bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung maßgeblich sind (Art. 229 § 5 S. 1 EGBGB). Da § 447 BGB aber unverändert geblieben ist und das LG die neue Ausschlussvorschrift des § 474 Abs. 2 BGB übersehen hat, bleibt der Rechtsirrtum auch insoweit ohne Folgen, als es auf die Vorschrift - vorbehaltlich der nachfolgenden Ausführungen - ankommt .

3. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Recht angenommen, dass die Beklagte auch dann, wenn der Kläger den Camcorder nicht erhalten hat und dieser auf dem Versandweg auf ungeklärte Weise verschwunden sein sollte, nicht gem. § 433 Abs. 1 BGB zur Lieferung einer anderen Kamera des gleichen Typs verpflichtet ist.

a) Auf die Frage, ob nach der für den Versendungskauf geltenden speziellen Bestimmung des § 447 Abs. 1 BGB die Gefahr auf den Kläger übergegangen war, kommt es insofern allerdings nicht an. Die Lieferpflicht der Beklagten ist nämlich bei einer nach der Übergabe an den Paketdienst eingetretenen Unauffindbarkeit des übergebenen Camcorders bereits nach der allgemeinen Vorschrift des § 275 BGB a. F. entfallen. Danach wird der Schuldner von der Verpflichtung zur Leistung frei, so weit die Leistung infolge eines nach der Entstehung des Schuldverhältnisses eintretenden Umstandes, den er nicht zu vertreten hat, unmöglich wird. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt; insbesondere ist nichts dafür vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass die Beklagte bei der Auswahl des mit der Versendung der Kamera beauftragten Paketdienstes ihre Sorgfaltspflichten verletzt hat. Der Befreiung von der Leistungspflicht steht des Weiteren nicht entgegen, dass mit der Bestellung des Camcorders eine Gattungsschuld vereinbart wurde (§ 279 BGB a. F.). Mit der Auswahl eines konkreten Gerätes und dessen Übergabe an den Paketdienst durch die Beklagte beschränkte sich nach § 243 Abs. 2 BGB das Schuldverhältnis auf den übergebenen Camcorder. Die Beklagte hat mit der Übergabe des Gerätes an die Spedition das im Sinne dieser Vorschrift zur Bewirkung der geschuldeten Leistung ihrerseits Erforderliche getan, wie sich auch aus § 447 Abs. 1 BGB ergibt; Leistungsort für die von der Beklagten zur Bewirkung der Leistung vorzunehmenden Handlungen war ihr Geschäftssitz (§ 269 Abs. 1 und 3 BGB).

b) Leistungsort für die dem Verkäufer obliegende Verpflichtung zur Übergabe der Kaufsache an den Käufer und zur Verschaffung des Eigentums an ihr (§ 433 Abs. 1 S. 1 BGB a. F.) ist im Zweifel der (Wohn-) Sitz des Verkäufers; allerdings gilt dies nur, wenn ein (anderer) Ort für die Leistung weder von den Beteiligten bestimmt noch aus den Umständen, insbesondere aus der Natur des Schuldverhältnisses, zu entnehmen ist (§ 269 Abs. 1 BGB). Dass die Parteien ausdrücklich oder stillschweigend einen vom Sitz der Beklagten abweichenden Erfüllungsort für die Lieferung der Kamera vereinbart haben, macht der Kläger nicht geltend und ist auch sonst nicht zu erkennen. Aus den Umständen, etwa aus der Natur des vorliegenden Kaufvertrages, ergibt sich gleichfalls nichts Derartiges. Dass es im Versandhandel typischerweise Aufgabe des Verkäufers ist, die Versendung der Kaufsache - auf eigene oder fremde Kosten - zu veranlassen, begründet für sich allein nicht die Annahme, der Empfangsort solle auch Leistungsort (Erfüllungsort) für die Lieferpflicht des Verkäufers sein (arg. § 269 Abs. 3 BGB). Es bleibt daher bei der Vermutung des § 269 Abs. 1 BGB, wonach der Sitz der Beklagten Erfüllungsort für die ihr obliegenden Verkäuferpflichten war (ebenso Bamberger/Roth/Grüneberg, § 269 Rz. 10, 33; Soergel/Wolf, 12. Aufl., § 269 Rz. 16; Krüger in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 269 Rz. 20; a.A. OLG Stuttgart v. 23.10.1998 - 2 U 89/98, MDR 1999, 469 = OLGReport Stuttgart 1999, 17 = NJW-RR 1999, 1576; Palandt/Heinrichs, 62. Aufl., § 269 Rz. 12).

c) Ob die Beklagte, wie sie behauptet, ihren Kunden auch die Abholung der Ware in ihren Filialgeschäften ermöglicht, kann dahinstehen (vgl. BGH, Urt. v. 5.12.1990 - VIII ZR 75/90, MDR 1991, 525 = NJW 1991, 915 zur Versendung an einen anderen Ort als den Erfüllungsort). Selbst wenn sie die Ware ausschließlich im Versandhandel vertreibt, ändert dies nichts daran, dass in der Bestellung des Kunden zumindest die schlüssige Erklärung enthalten ist, die Kaufsache solle ihm an seine Wohnanschrift oder eine andere angegebene Versandadresse geliefert werden.

d) Aus § 447 BGB ergibt sich nichts anderes. Diese Vorschrift weist das mit der Versendung verbundene Risiko des zufälligen Untergangs oder der zufälligen Beschädigung der Sache dem Käufer zu, wenn der Verkäufer die verkaufte Sache auf Verlangen des Käufers an einen anderen Ort als den Erfüllungsort versendet. In diesem Fall geht die Gegenleistungsgefahr auf den Käufer über, sobald der Verkäufer die Sache der mit der Versendung beauftragten Person übergibt (vgl. aber nach neuem Recht für den Verbrauchsgüterkauf § 474 Abs. 2 BGB). Der nach § 269 BGB zu bestimmende Leistungsort wird von der Regelung des § 447 Abs. 1 BGB nicht berührt. Der Tatbestand des § 447 Abs. 1 BGB setzt vielmehr voraus, dass der Ort der vom Verkäufer vorzunehmenden Leistungshandlung (Leistungsort) und der Ort, an dem der Leistungserfolg eintritt, auseinander fallen (Soergel/Huber, BGB, 12. Aufl., § 447 Rz. 14; Bamberger/Roth/Faust, BGB, § 447 Rz. 5).

4. Auf die Frage, ob der Paketdienst, wie die Beklagte vorgetragen hat, die Sendung tatsächlich dem Kläger übergeben und dieser den Ablieferungsbeleg unterschrieben hat, kommt es nach alledem nicht mehr an. Die (erneute) Lieferung einer Kamera des gekauften Typs kann der Kläger nicht verlangen. Seine Revision ist daher zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 986470

DB 2003, 2487

BGHR 2003, 1382

EBE/BGH 2003, 331

CR 2004, 51

EWiR 2004, 9

JurBüro 2004, 218

WM 2003, 2153

ZIP 2003, 2080

JA 2004, 91

JuS 2004, 77

RÜ 2004, 30

RdW 2003, 654

ZGS 2003, 438

JT 2004, 114

LL 2003, 840

LMK 2003, 204

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