Verfahrensgang

OLG Hamm (Urteil vom 03.05.1995; Aktenzeichen 3 U 68/94)

LG Münster (Urteil vom 06.01.1994; Aktenzeichen 11 O 240/92)

 

Tatbestand

Die Klägerin zu 1 a) war mit einer Zwillingsschwangerschaft (errechneter Geburtstermin 5. Juli 1990) Patientin des früheren Zweitbeklagten, der Belegarzt in einem von der Erstbeklagten getragenen Krankenhaus ist. Dort wird u.a. eine gynäkologische Belegstation unterhalten. Am 22. Mai 1990 wurde die Klägerin nach einer Untersuchung, die vorzeitige Wehen ergab, auf Veranlassung des Zweitbeklagten gegen 11.30 Uhr in diese Belegstation aufgenommen und dort mittels Tokolyse-Tropf behandelt. Zeitweise fanden CTG-Aufzeichnungen statt. Während der folgenden Nacht waren auf der Belegabteilung weder ein Arzt noch eine Hebamme zugegen. Nachdem die Nachtschwester den Zweitbeklagten mindestens zweimal - zunächst wegen Erbrechens und sodann wegen von der Patientin gemeldeter Wehen - angerufen hatte, verständigte sie gegen 5.49 Uhr die frühere Drittbeklagte, die als Beleghebamme Bereitschaftsdienst hatte. Auf deren Veranlassung bat sie gegen 5.51 Uhr telefonisch den Zweitbeklagten, ins Krankenhaus zu kommen, wo dieser und die Drittbeklagte kurz nach 6.00 Uhr eintrafen. Die Geburt der Zwillinge erfolgte spontan um 6.50 Uhr und 6.53 Uhr. Während beim erstgeborenen Kind, dem Kläger zu 2), zunächst keine neurologischen Auffälligkeiten eingetreten sind, kam es beim zweiten Kind als Folge einer Hirnblutung zur Ausbildung eines Wasserkopfes und am 9. September 1990 zum Tod durch Hirnversagen.

Mit der Klage haben die Klägerin zu 1 a) und ihr Ehemann, der Kläger zu 1 b), als Erben des verstorbenen Kindes von den Beklagten die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes - nach ihrer Vorstellung mindestens 20.000 DM verlangt. Der Kläger zu 2) hat die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für alle künftigen Schaden aus dem Geburtsgeschehen begehrt. Die Klägerin zu 3) hat als gesetzlicher Krankenversicherer Ersatz gezahlter Krankenkosten in Höhe von 30.643,47 DM und die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für künftige Aufwendungen verlangt. Die Kläger haben der Beklagten zu 1) Organisations- und Überwachungsverschulden und den Beklagten zu 2) und 3) Behandlungsfehler vorgeworfen. Sie haben behauptet, hier durch sei es zu dem Tod des zweitgeborenen Kindes und der Gefahr künftiger Schäden des Klägers zu 2) gekommen.

Das Landgericht hat die Klagen in vollem Umfang abgewiesen. Auf die Berufungen der Kläger hat das Oberlandesgericht unter Zurückweisung der Rechtsmittel im übrigen die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 20.000 DM verurteilt und gegenüber diesen Beklagten den Feststellungsanträgen der Kläger zu 2) und 3) stattgegeben sowie den Zahlungsantrag der Klägerin zu 3) für dem Grunde nach berechtigt erklärt. Zur Entscheidung über die Höhe des Anspruchs und die Kosten des Berufungsverfahrens hat es die Sache an das Landgericht zurückverwiesen. Gegen dieses Urteil hat nur die Erstbeklagte Revision eingelegt, mit der sie Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erstrebt.

 

Entscheidungsgründe

I. Das Berufungsgericht hat nach sachverständiger Beratung eine Haftung des Zweitbeklagten für die geltend gemachten Schaden bejaht, weil ihm im Zusammenhang mit der Geburt eine Reihe von Behandlungsfehlern unterlaufen seien, die zumindest in ihrer Gesamtschau als grob zu bewerten seien. Der Erstbeklagten falle ein Organisations- und Überwachungsverschulden im Hinblick auf die unzureichende Beobachtung und Kontrolle von Patientinnen mit Risikoschwangerschaft zur Last. Zwar treffe im Rahmen eines gespaltenen Krankenhausvertrages (Modell Belegkrankenhaus) den Krankenhausträger grundsätzlich keine Haftung für die eigenen Fehler des selbst liquidierenden Arztes bei der Erbringung der von ihm persönlich geschuldeten ärztlichen Leistungen. Er müsse lediglich die erforderliche ärztliche und nichtärztliche Assistenz verschaffen und den notwendigen technischen Apparat bereitstellen. Dieser Pflicht habe die Erstbeklagte insofern genügt, als Arzt und Hebamme in Rufbereitschaft bereitgestanden hatten und auch zwei CTG-Geräte vorhanden gewesen seien. Es sei grundsätzlich Sache des selbst liquidierenden Belegarztes, wie er die von ihm allein geschuldete medizinische Betreuung und Versorgung organisiere, zumal dem Krankenhausträger im Notfall auch die erforderliche medizinisch-fachliche Kompetenz fehle, um ärztliche Anordnungen beurteilen zu können.

Das könne jedoch nicht gelten, wenn organisatorische Anordnungen des Arztes dazu führten, daß eigenes Personal des Krankenhausträgers mit Aufgaben befaßt werde, zu deren Erfüllung es erkennbar nicht die erforderliche fachliche Qualifikation besitze. Nach dem Vortrag des Zweitbeklagten, dem die Erstbeklagte nicht konkret widersprochen habe, sei es die übliche Regelung gewesen, daß nächtliche CTG-Beurteilungen zunächst allein durch die Nachtschwester erfolgten und diese erst dann Arzt oder Hebamme verständigte, wenn sie Auffälligkeiten festgestellt zu haben glaubte. So sei es auch hier gehandhabt worden, so daß die unzureichende CTG-Kontrolle der Klägerin nicht auf einer falschen medizinischen Einschätzung des Zweitbeklagten beruhe, für welche die Erstbeklagte nicht einzustehen habe, sondern auf einer unzulänglichen Organisation der nächtlichen Betreuung durch die Erstbeklagte. Der Hinweis des Zweitbeklagten, dies sei wegen der Überlastung von Ärzten und Hebammen auch in anderen Krankenhäusern so üblich, könne die Erstbeklagte nicht entlasten. Diese habe nach ihrem eigenen Vortrag gewußt, daß die Nachtschwester die Kurvenverläufe des CTG nicht richtig deuten könne und hierzu auch nicht befugt sei. Da die Erstbeklagte aufgrund vertraglicher Nebenpflichten gehalten sei, erkennbar drohende Gefahren von im Belegkrankenhaus aufgenommenen Patienten abzuwenden, müsse sie jedenfalls im Organisationsbereich der stationären Behandlung den Arzt hinsichtlich der Grundzüge der diesem obliegenden Organisationsaufgaben überwachen. Deshalb hätte sie dafür sorgen müssen, daß entweder Arzt oder Hebamme auch nachts im Krankenhaus seien, wenn die Beurteilung eines CTG erforderlich sei, oder daß nachts keine Patienten aufgenommen würden, bei denen eine CTG-Kontrolle erforderlich sei oder werden könne. Selbst wenn die Erstbeklagte keine konkrete Kenntnis von der organisatorischen Praxis in der betreffenden Belegstation gehabt habe, entlaste sie das nicht, weil sie sich im Rahmen der Kontroll- und Aufsichtspflichten über ihr Pflegepersonal vergewissern müsse, da Schwestern nicht durch Anordnungen des Arztes mit Aufgaben befaßt würden, die außerhalb ihrer fachlichen Kompetenz lägen.

Das Organisations- und Überwachungsversäumnis der Erstbeklagten sei als grober Fehler zu bewerten, weil die fehlerhafte Organisation bei ausreichender Beaufsichtigung des eigenen Personals von der Erstbeklagten leicht zu entdecken und abzustellen gewesen sei und das geübte Verfahren der nächtlichen CTG-Beurteilung durch die Schwester ein erkennbar erhebliches Gefahrenpotential für die Patientin mit sich gebracht habe. Das führe ebenso wie beim Zweitbeklagten zu einer Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalität der Pflichtverletzung für den eingetretenen Schaden.

II. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision jedenfalls im Ergebnis stand.

1. Die Revision rügt in erster Linie, das Berufungsgericht habe den Umfang der Organisationspflicht der Erstbeklagten verkannt.

a) Zutreffend und insoweit von der Revision unbeanstandet geht das Berufungsgericht davon aus, daß das von der Erstbeklagten getragene Krankenhaus hinsichtlich der gynäkologischen Belegstation als sog. Belegkrankenhaus anzusehen ist und deshalb grundsätzlich nicht für Fehler des Belegarztes haftet. Dies beruht, wie der erkennende Senat zu letzt im Urteil vom 14. Februar 1995 (BGHZ 129, 6, 13 f., vgl. auch Senatsurteile BGHZ 95, 63, 70 und vom 14. Juli 1992 - VI ZR 214/91 - VersR 1992, 1263 f. sowie BGH, Urteil vom 29. März 1990 - I ZR 76/88 - NJW 1990, 2317 f.) dargelegt hat, auf der Erwägung, daß die ärztlichen Leistungen nicht zu den Vertragsaufgaben des Belegkrankenhauses gehören und folglich dessen Träger nach den für den sog. gespaltenen Krankenhausvertrag entwickelten Regeln (hierzu Senatsurteil BGHZ 121, 107, 111 ff. m.w.N.) nicht für Fehler des Arztes einzustehen braucht, die diesem bei Erbringung der von ihm selbst geschuldeten ärztlichen Leistungen unterlaufen.

b) Indessen kann diese haftungsrechtliche Unterscheidung zwischen Belegarzt und Belegkrankenhaus nicht dazu führen, das Belegkrankenhaus von der Haftung für eigene Fehler freizustellen, wenn ihm innerhalb seines Verantwortungsbereichs schuldhaft Versäumnisse unterlaufen sind, die zu einer Schädigung des Patienten geführt haben.

Das Berufungsgericht hat ein solches Versäumnis bei der Organisations- und Überwachungspflicht des Belegkrankenhauses für sein eigenes Personal darin gesehen, daß es nicht gegen die Handhabung des Zweitbeklagten eingeschritten sei, CTG-Beurteilungen der Nachtschwester zu überlassen, die erst dann den Belegarzt oder die Beleghebamme verständigen sollte, wenn sie Auffälligkeiten festzustellen glaubte. Hiergegen wendet sich die Revision im Ergebnis ohne Erfolg.

aa) Richtig ist zunächst der Ansatz des Berufungsgerichts, daß die pflegerische Betreuung zu den Vertragsaufgaben des Belegkrankenhauses gehört und dieses insoweit eine eigene Verantwortung für das von ihm eingesetzte Pflegepersonal trägt (Senatsurteil BGHZ 89, 263, 271). Dieser Verantwortung des Belegkrankenhauses wird die Revision mit ihrer Auffassung, es handele sich bei dem Vertrag zwischen Belegkrankenhaus und Patient lediglich um einen "Beherbergungsvertrag besonderer Art", nicht gerecht. Zwar entspricht es der oben skizzierten Eigenart des Belegkrankenhauses wie auch dem von der Erstbeklagten vorgelegten Belegarztvertrag mit dem Zweitbeklagten vom 23. September 1987 (dort § 4 Abs. 1 Satz 2 und § 7), daß die fachliche medizinische Behandlung und Betreuung allein Sache des Belegarztes ist, der auch zu Weisungen gegenüber dem ihm vom Belegkrankenhaus zur Durchführung seiner ärztlichen Tätigkeit bereitgestellten Personal berechtigt ist. Diese vertraglichen Regelungen betreffen indes nur die Beziehungen zwischen Belegarzt und Krankenhaus, während vorliegend die Pflichten des Belegkrankenhauses gegenüber dem Patienten zu beurteilen sind.

Dabei geht es im Streitfall nicht um Fehler des Personals bei der Pflegetätigkeit, für welche das Belegkrankenhaus ohne weiteres einzustehen hatte (Senatsurteil vom 7. Februar 1956 - VI ZR 302/54 - VersR 1956, 221 f. sowie OLG Stuttgart, NJW 1993, 2384 ff.). Vielmehr stellt sich die Frage, ob das Belegkrankenhaus es zu verantworten hat, wenn durch die Handhabung des Nachtdienstes auf der Belegstation dem Pflegepersonal vom Belegarzt Aufgaben außerhalb des pflegerischen Bereichs zugewiesen oder überlassen werden, die die pflegerische Kompetenz übersteigen. Insoweit geht das Berufungsgericht in Einklang mit den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen zutreffend davon aus, daß es sich bei der Auswertung des CTG nicht um eine pflegerische, sondern um eine medizinische Tätigkeit handelt, die grundsätzlich dem Arzt oder der Hebamme obliegt und für welche jedenfalls die Nachtschwester nicht die erforderliche Qualifikation besaß.

Die Revision zieht das nicht in Zweifel, meint aber, die Haftung für diesen kompetenzüberschreitenden Einsatz der Nachtschwester treffe nur den Belegarzt, der dieser gegenüber weisungsbefugt gewesen sei. Dabei verkennt sie jedoch zum einen, daß das Weisungsrecht des Belegarztes nach § 7 des Belegarztvertrags bei interessengerechter Auslegung nur Weisungen bezüglich derjenigen Tätigkeit betreffen kann, für welche das Personal vom Belegkrankenhaus bereitgestellt worden ist, mithin also im Bereich der pflegerischen Tätigkeit, eine Befugnis des Arztes, dem Pflegepersonal eigene medizinische Aufgaben zuzuweisen, kann hieraus nicht hergeleitet werden. Im übrigen hat das Berufungsgericht für den vorliegenden Fall keine konkreten Weisungen des Erstbeklagten an die Nachtschwester betreffend die nächtliche Auswertung des CTG festgestellt, sondern dem Belegkrankenhaus zur Last gelegt, daß es nicht gegen eine Handhabung des nächtlichen Dienstes auf der Belegstation eingeschritten sei, durch welche in Fallen der vorliegenden Art die Betreuung von Patienten allein der Nachtschwester überlassen werde.

Die Revision wendet sich nicht gegen die tatrichterliche Feststellung, es habe der üblichen Regelung entsprochen, daß nächtliche CTG-Beurteilungen zunächst allein durch die Nachtschwester erfolgten und diese erst dann Arzt oder Hebamme verständigte, wenn sie Auffälligkeiten festzustellen glaubte. Sie meint unter Hinweis auf die medizinische Kompetenz des Belegarztes lediglich, das Belegkrankenhaus habe gegen diese Handhabung nicht einschreiten und sich entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch nicht vergewissern müssen, daß Schwestern nicht durch ärztliche Anordnung mit Aufgaben außerhalb ihrer fachlichen Kompetenz befaßt würden.

Entsprach jedoch nach den tatrichterlichen Feststellungen dieser Ablauf des nächtlichen Dienstes auf der gynäkologischen Belegstation der dort üblichen Regelung bzw. Handhabung, so betrifft das entgegen der Auffassung der Revision nicht ausschließlich die ärztliche Tätigkeit, sondern berührt auch die Verantwortlichkeit der Erstbeklagten.

bb) Der erkennende Senat hat im Urteil vom 14. Februar 1995 - aaO. - die Frage aufgeworfen, wie weit die Organisationspflicht eines Belegkrankenhauses hinsichtlich der Bereitstellung von ärztlichem und nichtärztlichem Personal reicht, brauchte sie jedoch nicht zu entscheiden, weil im damaligen Fall mit der Anwesenheit von Bereitschaftsarzt und Hebamme bei der Entbindung der Einsatz von entsprechend qualifiziertem Personal organisatorisch sichergestellt war.

Auch der vorliegende Fall nötigt nicht zu einer abschließenden Beurteilung dieser Frage. Wenngleich das Berufungsgericht kein Versäumnis der Erstbeklagten darin gesehen hat, daß Arzt und Hebamme lediglich in Rufbereitschaft standen, hat es doch die konkrete Handhabung unter dem Blickpunkt einer geordneten Krankenhausorganisation für unzureichend erachtet. Das hält im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand.

Bei einer derartigen Ausgestaltung des Nachtdienstes war nämlich die ordnungsgemäße Versorgung der Patientin auch von seiten des Belegkrankenhauses nicht in der erforderlichen Weise sichergestellt. Soll nämlich einerseits die Nachtschwester bei Auffälligkeiten des CTG den Arzt verständigen, kann sie aber andererseits solche Auffälligkeiten mangels fachlicher Ausbildung nicht zuverlässig erkennen, so liegt auf der Hand, daß die Rufbereitschaft des Belegarztes jedenfalls dann nicht ausreichen kann, wenn ihre Auslösung von der Auswertung eines CTG durch die fachlich nicht kompetente Nachtschwester abhängt.

Unter diesem Blickpunkt hat das Berufungsgericht mit Recht ein entscheidendes Defizit auf Seiten der Erstbeklagten darin gesehen, daß es nach der üblichen Handhabung der nur für den allgemeinen Pflegebereich ausgebildeten Nachtschwester überlassen war, die Entscheidung über die Hinzuziehung des Belegarztes zu treffen, obwohl sie jedenfalls im Hinblick auf die Auswertung des CTG gar nicht erkennen konnte, wann die Situation kritisch wurde und ärztliches Erscheinen geboten war. Deshalb hatte das Belegkrankenhaus durch organisatorische Maßnahmen sicherstellen müssen, daß sein Pflegepersonal nicht mit derartigen Aufgaben befaßt wurde, und jedenfalls in geeigneter Weise gegen einen solchen Mißstand einschreiten müssen. Das hatte sich dahin ausgewirkt, daß der Belegarzt für eine den medizinischen Anforderungen entsprechende Regelung des Nachtdienstes und der Rufbereitschaft auf der Belegstation und in diesem Rahmen auch für die Überwachung des CTG durch eine entsprechend ausgebildete Person hätte sorgen müssen, ohne insoweit das Pflegepersonal einsetzen zu können.

cc) Soweit das Berufungsgericht allerdings meint, das Belegkrankenhaus hatte bei nicht ständiger geburtshilflicher Präsenz von Arzt oder Hebamme nachts keine Patienten aufnehmen dürfen, bei denen eine CTG-Kontrolle erforderlich war oder werden konnte, stellt sich diese Frage im Streitfall nicht, da die Aufnahme der Klägerin zu 1 a) am Vormittag erfolgt ist. Auch hat der medizinische Sachverständige es vorliegend für vertretbar gehalten, daß die Klägerin zu 1 a) in ein Belegkrankenhaus mit der von der Erstbeklagten im einzelnen dargelegten personellen und technischen Ausstattung aufgenommen und nicht an ein besonderes geburtshilfliches Zentrum verwiesen worden ist. Da das Berufungsgericht einen Fehler der Erstbeklagten lediglich im organisatorischen Bereich gesehen hat, ohne im übrigen ihre Ausstattung zu beanstanden, stellt es entgegen der Auffassung der Revision auch keinen Verfahrensfehler nach § 286 ZPO dar, daß es sich mit dem Vortrag der Erstbeklagten zu ihrer personellen und technischen Ausstattung nicht im einzelnen befaßt hat.

c) Mit zutreffenden Erwägungen hat das Berufungsgericht die Versäumnisse der Erstbeklagten für schuldhaft erachtet, weil sie sich selbst dann, wenn sie keine konkrete Kenntnis von den Vorgängen in der betreffenden Belegstation gehabt haben sollte, im Rahmen der Kontroll- und Aufsichtspflichten über ihr Pflegepersonal hätte vergewissern müssen, daß Schwestern nicht mit ärztlichen Aufgaben befaßt würden. Nach den verfahrensfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts, daß die Handhabung des Nachtdienstes der üblichen Regelung entsprochen habe, kann namlich von einer längeren Dauer dieses Zustands ausgegangen werden. Dann liegt jedoch auf der Hand, daß die Erstbeklagte bei pflichtgemäßer Überwachung ihres Personals hiervon ohne weiteres Kenntnis erhalten konnte und gegen dessen kompetenzüberschreitenden Einsatz einschreiten mußte.

2. Erfolglos wendet sich die Revision auch dagegen, da das Berufungsgericht das Organisations- und Überwachungsversäumnis der Erstbeklagten als groben Fehler bewertet hat und deshalb zu einer Umkehr der Beweislast für den Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden gelangt ist.

a) Die Revision hält schon vom Ansatz her die vom erkennenden Senat entwickelten Grundsätze zur Beweiserleichterung bei groben ärztlichen Fehlern (vgl. Senatsurteil vom 4. Oktober 1994 - VI ZR 205/93 - VersR 1995, 46 m. zahlr. Nachw.) für nicht anwendbar auf den vorliegenden Fall, weil diese Beweislastregeln nur für das Arzt/Patientenverhältnis entwickelt worden seien.

Indessen können Beweiserleichterungen für den Kausalitätsbeweis nicht nur bei groben Behandlungsfehlern, sondern in gleicher Weise bei Organisationsfehlern in Betracht kommen (vgl. Senatsurteil vom 1. Februar 1994 - VI ZR 65/93 - VersR 1994, 562 m.w.N.). Auch ein Verstoß des Krankenhausträgers gegen die ihm obliegenden Organisationspflichten kann sich im Einzelfall als grober Fehler darstellen, wenn hierdurch wie bei groben ärztlichen Fehlern das Spektrum der Schadensursachen derart verbreitert oder verschoben worden ist, daß dem Patienten billigerweise die Beweisführung nicht mehr zugemutet werden kann (vgl. Senatsurteil BGHZ 85, 212, 216 f.). Infolgedessen kommt es nach den vom erkennenden Senat entwickelten Kriterien (zusammengefaßt im Senatsurteil vom 4. Oktober 1994 - aaO.) darauf an, ob die Versäumnisse der Erstbeklagten derart schwerwiegend waren, daß sie dem Träger eines Belegkrankenhauses schlechterdings nicht unterlaufen durften und ob durch sie die Aufklärung des Sachverhalts für den Patienten unzumutbar erschwert worden ist. Unter diesen Blickpunkten hält die tatrichterliche Bewertung der Versäumnisse der Erstbeklagten als grob revisionsrechtlicher Nachprüfung stand. Das Berufungsgericht hat hierzu ausgeführt, das auf der Belegstation geübte Verfahren habe einerseits ein erkennbar erhebliches Gefahrenpotential für die Patientin dargestellt, sei jedoch andererseits bei ausreichender Beaufsichtigung des eigenen Personals von der Erstbeklagten leicht zu entdecken und abzustellen gewesen. Hiernach hält sich die Beurteilung des Fehlers als grob im Rahmen des tatrichterlichen Ermessens (vgl. hierzu auch OLG Stuttgart, NJW 1993, 2384, 2386 f.).

b) Bei dieser Sachlage oblag den Klägern entgegen der Auffassung der Revision nicht der Beweis dafür, daß der Organisationsfehler für den Tod des zweitgeborenen und eine mögliche gesundheitliche Schädigung des erstgeborenen Kindes ursächlich war.

Die von der Revision in diesem Zusammenhang erhobenen Verfahrensrügen hat der erkennende Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet (§ 565 a ZPO). Von einer Begründung wird insoweit abgesehen.

Nach alledem war die Revision zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993401

NJW 1996, 2429

LM BGB § 823 (Aa) Nr. 165

BGHR BGB § 823 Abs. 1 Arzthaftung 104

MDR 1996, 1016

MedR 1996, 466

NJWE-VHR 1996, 168

VersR 1996, 976

PflR 1997, 59

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