Leitsatz (amtlich)

Der Begriff des wichtigen Grundes zur außerordentlichen Kündigung im Sinne des § 89 b Abs. 3 Nr. 2 HGB stimmt inhaltlich mit dem Begriff des wichtigen Grundes im Sinne des § 89 a Abs. 1 Satz 1 HGB überein (Bestätigung von BGH, Urt. v. 21. November 1960 – VII ZR 235/59, VersR 1961, 52; Urt. v. 11. Juli 1975 – I ZR 142/74, WM 1975, 1111; Urt. v. 21. März 1985 – I ZR 177/82, WM 1985, 982; Urt. v. 25. November 1998 – VIII ZR 221/97, WM 1999, 391).

 

Normenkette

HGB §§ 89a, 89b

 

Verfahrensgang

OLG Bamberg

LG Hof

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg vom 17. März 1999 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an einen anderen Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um einen Ausgleichsanspruch, den der Kläger nach Beendigung einer Handelsvertretertätigkeit für den Beklagten geltend macht.

Der Beklagte war Inhaber eines Verlages, der periodisch erscheinende „Ratgeber für Bauwillige” und „Umweltkarten” für bestimmte Regionen in den neuen Bundesländern herausgab. Die Broschüren wurden bei Behörden, Banken und Unternehmen als kostenloses Informationsmaterial ausgelegt. Seinen Verdienst erzielte der Beklagte durch den Abdruck von Werbeanzeigen in den von ihm herausgegebenen Broschüren. Aufträge für derartige Werbeanzeigen wurden von Handelsvertretern hereingeholt, die im Auftrag des Beklagten in der jeweiligen Region ansässige Unternehmen aufsuchten.

Eine derartige Handelsvertretertätigkeit für den Beklagten nahm der Kläger Ende 1990 im Bezirk R./S./W. auf. Am 5. April 1991 schlossen die Parteien hierüber einen Handelsvertretervertrag. Dieser sieht unter Nummer 8 für beide Seiten eine Kündigungsfrist von vier Wochen vor.

Mitte Mai 1992 übernahm der Kläger zusätzlich als Handelsvertreter den Vertrieb von Saunaanlagen der Firma T.. Im Herbst 1992 unterbreitete der Beklagte seinen Handelsvertretern einen neuen Vertragsentwurf, der unter anderem folgende neue Bestimmungen enthielt:

Nr. 5 Absatz 2:

Für jede Nebentätigkeit ist die Genehmigung des Verlages bzw. Verlagsbeauftragten schriftlich einzuholen unter Bekanntgabe der entsprechenden Firma und des Zeitaufwandes.

Nr. 10:

Kündigung: Für beide Seiten vier Wochen in Schriftform. Der Vertrag kann von jedem Vertragspartner aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden. Als wichtiger Punkt gilt u.a., wenn ein Vertragspartner seinen Verpflichtungen nicht nachkommt … .

Der Kläger unterzeichnete den geänderten Vertrag am 28. Dezember 1992.

Im Laufe des Jahres 1993 kam es zu Unstimmigkeiten zwischen den Parteien wegen rückläufiger Umsätze aufgrund der Vermittlungstätigkeit des Klägers. Mit Schreiben vom 4. und 30. Juni 1993 beanstandeten der Beklagte bzw. dessen Mitarbeiter K., daß der Kläger das Umsatzsoll in bezug auf den „Ratgeber für Bauwillige” für das Gebiet der Insel R. um 30.000 DM verfehlt habe. Zur Beibringung der noch fehlenden Anzeigenaufträge setzte der Beklagte dem Kläger eine „letzte Frist” bis 15. August 1993. Nach weiterem Schriftwechsel richtete der Beklagte am 10. August 1993 folgendes Schreiben an den Kläger:

„Ihre Nebentätigkeit hat den Umfang Ihrer Tätigkeit für unseren Verlag stark eingeschränkt.

Wir kündigen aus betriebsbedingten Gründen das Handelsvertreterverhältnis ordentlich, gemäß Vertrag, zum 15.9.1993.”

Der Kläger begehrt Handelsvertreterausgleich gemäß § 89b HGB, den er mit Anwaltsschreiben vom 20. Juli 1994 geltend gemacht hat. Er ist der Auffassung, der Beklagte könne die Kündigung nicht auf einen wichtigen Grund im Sinne des § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB stützen. Seine Nebentätigkeit für die Firma T. habe der Beklagte gekannt und gebilligt; der Umsatzrückgang sei nicht auf diese Nebentätigkeit, sondern auf eine Sättigung des Marktes zurückzuführen.

Demgegenüber vertritt der Beklagte die Auffassung, das Verhalten des Klägers stelle einen von diesem verschuldeten wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung dar, der nach § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB den Ausgleichsanspruch ausschließe. Der Kläger habe bereits ab November 1992 seine Aktivitäten für die Verlagsvertretung eingeschränkt, ab Anfang 1993 einen einzigen Auftrag für die „Umweltkarte” für das Gebiet G. vermittelt und sei anschließend nur noch für den „Ratgeber” für das Gebiet der Insel R. tätig geworden. Ab Mitte Juli 1993 habe er seine Tätigkeit für den Verlag völlig eingestellt.

Das Landgericht hat dem Kläger einen Ausgleichsanspruch in Höhe von 22.245 DM nebst Zinsen zuerkannt, das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

I. Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob die Anspruchsvoraussetzungen des § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 HGB erfüllt sind. Es hält den Ausschlußtatbestand des § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB für gegeben und stützt die Klageabweisung hilfsweise darauf, daß die Zubilligung eines Ausgleichsanspruchs gemäß § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 HGB unbillig wäre. Dazu hat es im einzelnen ausgeführt:

Für die Kündigung des Handelsvertreterverhältnisses durch den Beklagten liege ein wichtiger Grund im Sinne des § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB vor. Ein solcher bestehe zwar nicht schon in der Tätigkeit des Klägers für die Firma T., denn diese sei nach dem ursprünglichen Vertrag weder verboten noch genehmigungspflichtig gewesen; sie sei dem Beklagten bei Abschluß des Änderungsvertrages bekannt gewesen und von ihm zumindest geduldet worden. Ein wichtiger Grund zur Kündigung des Vertragsverhältnisses sei jedoch die bereits ab Januar 1993 stark zurückgegangene Tätigkeit des Klägers für den Beklagten. Der Kläger sei der Behauptung, er habe in den Jahren 1991 und 1992 zwölf Objekte intensiv bearbeitet, im Jahre 1993 dagegen nur noch Restarbeiten für die „Umweltkarte” G. ausgeführt und im übrigen allein den „Ratgeber” für das Gebiet der Insel R. bearbeitet und auch diese Tätigkeit nur noch zum Teil und mit erheblichen Verzögerungen ausgeführt, nicht substantiiert entgegengetreten. Dadurch habe der Kläger seine vertraglichen Verpflichtungen bereits ab Anfang 1993 erheblich und trotz der Abmahnungen des Beklagten zunehmend bis zu einer fast völligen Einstellung jeder Tätigkeit ab Juli 1993 verletzt.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der ihr folgenden Kommentarliteratur sei allerdings zweifelhaft, ob dieses Verhalten den Begriff des wichtigen Grundes im Sinne des § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB ausfülle. Nach dieser Auffassung decke sich der dort verwendete Begriff des wichtigen Grundes inhaltlich mit dem des wichtigen Grundes im Sinne des § 89a Abs. 1 Satz 1 HGB. Entscheidend sei demnach, ob dem kündigenden Teil die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zu dessen Ablauf oder zumindest bis zu dem Zeitpunkt, zu welchem es durch ordentliche Kündigung beendet werden könne, zuzumuten sei. Danach wäre der Beklagte „wohl kaum” berechtigt gewesen, das Vertragsverhältnis noch im August 1993 außerordentlich zu kündigen, da die vertraglich vereinbarte Kündigungsfrist nur vier Wochen betragen und der Beklagte die offensichtliche und trotz seiner Abmahnungen sogar noch fortwährende Verringerung der Tätigkeit des Klägers mehr als ein halbes Jahr nicht zum Anlaß einer außerordentlichen Kündigung genommen habe.

Der vorliegende Fall zeige indessen, daß eine inhaltsgleiche Interpretation des sowohl in § 89a als auch in § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB verwendeten Begriffs des wichtigen Grundes nicht richtig sein könne. Beide Vorschriften verfolgten nämlich gänzlich unterschiedliche Zwecke und Ziele. § 89a HGB sei allein auf die Zukunft des Unternehmens ausgerichtet. Insoweit sei es folgerichtig, entscheidend darauf abzustellen, wie lange das Vertragsverhältnis ohne außerordentliche Kündigung noch fortbestehen würde. Dies habe jedoch zur Folge, daß je nach der Dauer dieses Zeitraums sehr unterschiedliche Anforderungen an das Gewicht der Umstände zu stellen seien, auf die der Unternehmer die Kündigung stütze. Sei die Frist noch sehr lang, könnten schon weniger gewichtige Umstände ausreichen, während bei einer ohnehin kurzen Restlaufzeit oder Kündigungsfrist gravierende Umstände gegeben sein müßten, um eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses auch für nur kurze Zeit als unzumutbar erscheinen zu lassen.

§ 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB solle demgegenüber die Belange des Handelsvertreters im Hinblick auf seine für das Unternehmen erbrachte Leistung wahren. Hier gehe es nicht darum, wie sich der wichtige Grund in Zukunft auf das Unternehmen auswirken werde. Maßgebend sei vielmehr, ob es dem Unternehmer nach Vertragsbeendigung angesichts dieses Grundes zuzumuten sei, dem Vertreter auch noch einen Ausgleichsbetrag zu zahlen. Dementsprechend müsse der wichtige Grund im Sinne des § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB „in grundlegender Abweichung von § 89a HGB” nicht nur in der Person des Vertreters liegen, sondern von diesem auch verschuldet sein. Darüber hinaus müsse von entscheidender Bedeutung sein, wie schwer dieser vom Vertreter verschuldete Umstand im Verhältnis zu seiner für das Unternehmen bisher erbrachten Leistung zu gewichten sei. Auf die Frist bis zur Beendigung des Vertrages könne es dabei nicht ankommen.

Angesichts dieser grundlegenden Unterschiede der Ziele und Zwecke der beiden Vorschriften könne dem Umstand, daß beide im Gesetz aufeinanderfolgten, keine entscheidende Bedeutung beigemessen werden. Zwischen beiden Vorschriften bestehe auch kein so enger Sachzusammenhang, daß der Begriff des wichtigen Grundes in beiden Vorschriften inhaltsgleich verstanden werden müßte. Verfehlt sei es ferner, § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB als eine durch das subjektive Merkmal des Verschuldens charakterisierte Qualifizierung der Kündigungsgründe des § 89a HGB zu interpretieren. Denn nach der Rechtsprechung könne selbst bei einem erheblich schuldhaften vertragswidrigen Verhalten des Vertreters ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung zu verneinen sein, wenn das Vertragsverhältnis mit kurzer Frist ende oder durch ordentliche Kündigung beendet werden könne.

Schließlich setze § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB unstrittig nicht voraus, daß der Unternehmer das Vertragsverhältnis außerordentlich gekündigt habe. Diese Entscheidung des Gesetzgebers dürfe nicht durch eine inhaltsgleiche Interpretation des Begriffs des wichtigen Grundes in beiden Vorschriften dahin eingeschränkt werden, daß dennoch nur ein auch für eine außerordentliche Kündigung ausreichender Grund als wichtiger Grund im Sinne des § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB angesehen werde. Kündige der Unternehmer dennoch nur ordentlich, so müsse bei einem solchen Verständnis des Begriffs zunächst fingiert werden, daß dem Unternehmer die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses auch nur bis zum Wirksamwerden der ausgesprochenen ordentlichen Kündigung „eigentlich” nicht zuzumuten gewesen sei, und dem Unternehmer sodann auch noch unterstellt werden, daß er entweder sich dieser Unzumutbarkeit nicht bewußt gewesen sei oder aber trotz Empfindens der Unzumutbarkeit das Vertragsverhältnis dennoch nur ordentlich gekündigt habe. Eine Gesetzesinterpretation, die derartige Fiktionen und Unterstellungen zu Hilfe nehmen müsse, könne nicht richtig sein. Dies zeige auch der vorliegende Fall sehr deutlich. Dem Beklagten könne nicht unterstellt werden, daß er sich bei Ausspruch der ordentlichen Kündigung nicht der Möglichkeit bewußt gewesen wäre, das Vertragsverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich zu kündigen, zumal eine außerordentliche Kündigung im Vertrag ausdrücklich für den Fall vorgesehen sei, daß ein Vertragspartner seinen Verpflichtungen nicht nachkomme. Wenn der Beklagte von dieser Möglichkeit gleichwohl keinen Gebrauch gemacht habe, verbiete sich die Fiktion, ihm sei die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses auch nur bis zum Wirksamwerden der ordentlichen Kündigung eigentlich unzumutbar gewesen. Dies rechtfertige jedoch keineswegs den Schluß, daß ihm auch die Zahlung eines Ausgleichsbetrages zuzumuten sei.

Entgegen der Auffassung des Bundesgerichtshofs bestehe auch ein Bedürfnis für eine unterschiedliche, nach den jeweiligen Zwecken und Zielen der beiden Vorschriften ausgerichtete Auslegung des Begriffs des wichtigen Grundes. Speziell in den Fällen, in denen das Vertragsverhältnis ohnehin nur noch kurze Zeit laufen würde, die Frist für eine ordentliche Kündigung kurz oder die Vertragsverletzung beendet und eine Wiederholung nicht zu befürchten sei, führe die inhaltsgleiche Interpretation zu Fehlentscheidungen. Die „Billigkeitsklausel” des § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 HGB tauge dafür nicht als Korrektiv. Nach ihrer systematischen Stellung im Gesetz diene sie lediglich dazu, Unbilligkeiten zu vermeiden, die schon dadurch entstehen könnten, daß ein Ausgleichsanspruch allein nach den in § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 HGB festgelegten Kriterien zu bejahen wäre. Sie zur Auslegung der in § 89b Abs. 3 HGB aufgeführten Ausschlußgründe oder als generelles Korrektiv heranzuziehen, widerspreche der Systematik des Gesetzes. Billigkeitsklauseln hätten ebenso wie § 242 BGB generell nicht die Funktion, Unstimmigkeiten, die sich aus einer system- und sinnwidrigen Interpretation der spezifischen Vorschriften ergeben würden, zu kompensieren.

Interpretiere man den Begriff des wichtigen Grundes in § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB nach dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift, so könne auch ohne Heranziehung der Billigkeitsklausel des § 89b Abs. 1 Nr. 3 HGB kein Zweifel bestehen, daß die schon Anfang 1993 einsetzende und dann trotz der Abmahnung zunehmende vertragswidrige Untätigkeit des Klägers für den Beklagten ein wichtiger Grund gewesen sei, das Vertragsverhältnis zu beenden.

Ein Ausgleichsanspruch stünde dem Kläger aber auch dann nicht zu, wenn ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung im Sinne des § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB zu verneinen wäre. In diesem Fall wäre ein Ausgleichsanspruch nämlich nach § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 HGB als unbillig anzusehen. Angesichts der Gründe, die zur Annahme eines wichtigen Grundes führten, erscheine bei Abwägung des Verhaltens des Klägers über ein halbes Jahr lang, der guten Provisionszahlung während des Vertragsverhältnisses und des beim Beklagten eingetretenen Schadens auch ein geminderter Ausgleichsanspruch des Klägers unbillig.

II. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht stand.

1. Dem Berufungsgericht kann nicht gefolgt werden, soweit es den Begriff des wichtigen Grundes zur außerordentlichen Kündigung im Sinne des § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB anders interpretieren will, als er im Rahmen des § 89a Abs. 1 Satz 1 HGB zu verstehen ist. Wie auch das Berufungsgericht nicht verkennt, hat der Bundesgerichtshof bereits mehrfach entschieden, daß eine unterschiedliche Interpretation des Begriffs des wichtigen Grundes im Sinne der §§ 89a und 89b HGB nicht in Betracht kommt (grundlegend BGH, Urteil vom 21. November 1960 – VII ZR 235/59, VersR 1961, 52 unter II 2; Urteil vom 11. Juli 1975 – I ZR 142/74, WM 1975, 1111 unter II; Urteil vom 21. März 1985 – I ZR 177/82, WM 1985, 982 unter II 1; Urteil vom 25. November 1998 – VIII ZR 221/97, WM 1999, 391 unter II 3 a). Auch das Schrifttum ist einhellig dieser Auffassung (Küstner/v. Manteuffel, Handbuch des gesamten Außendienstrechts, Band 1, 2. Aufl., Rdnr. 1715; Küstner/v. Manteuffel/Evers, Handbuch des gesamten Außendienstrechts, Band 2, 6. Aufl., Rdnr. 1107; Staub/Brüggemann, HGB, 4. Aufl., Rdnr. 98; Hopt, Handelsvertreterrecht, 2. Aufl., Rdnr. 65; Schröder, Recht der Handelsvertreter, 5. Aufl., Rdnr. 31; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer, HGB, 2. Aufl., Rdnr. 90; v. Hoyningen-Huene in MünchKomm-HGB, Rdnr. 178, jeweils zu § 89b).

a) Gegen die vom Berufungsgericht befürwortete Differenzierung spricht bereits der enge räumliche und sachliche Zusammenhang der beiden Vorschriften, in denen der Gesetzgeber den Begriff des wichtigen Grundes verwendet (BGH, Urteil vom 21. November 1960 aaO unter II 2 a). Beide Bestimmungen sind durch dasselbe Gesetz (vom 6.8.1953, BGBl. I S. 771) in das Handelsgesetzbuch eingefügt worden. Unter diesen Umständen ist auszuschließen, daß der Gesetzgeber dem Begriff des wichtigen Grundes unterschiedliche Bedeutungen hat beilegen wollen.

b) Für eine unterschiedliche Auslegung desselben Begriffs in beiden Vorschriften besteht auch kein Bedürfnis (BGH, Urteil vom 21. November 1960 aaO unter II 2 b). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können schuldhafte Vertragsverstöße des Handelsvertreters, auch wenn sie nicht ausreichen, einen wichtigen Grund zur Kündigung im Sinne der §§ 89a Abs. 1 Satz 1, 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB abzugeben, im Rahmen der Billigkeitserwägung nach § 89b Abs. 1 Nr. 3 HGB zu berücksichtigen sein (BGHZ 29, 275, 277; Urteil vom 21. Mai 1975 – I ZR 141/74, WM 1975, 856 unter II 4; Urteil vom 17. Oktober 1984 – I ZR 95/82, WM 1985, 469 unter II 2; Urteil vom 29. März 1990 – I ZR 2/89, WM 1990, 1496 unter 3 d). Das genügt, um die berechtigten Interessen des Geschäftsherrn zu wahren (BGH, Urteil vom 21. November 1960 aaO unter II 2 b).

c) Die aus der Gesetzessystematik hergeleiteten Bedenken, die das Berufungsgericht gegen eine solche Lösung ins Feld führt, teilt der erkennende Senat nicht. Es geht nicht darum, § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 HGB zur Auslegung der in § 89b Abs. 3 HGB aufgeführten Ausschlußgründe oder als „generelles Korrektiv” heranzuziehen. Für die Auslegung der Ausschlußtatbestände bedarf es keines Rückgriffs auf die Regelung des § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 HGB. Die Systematik des § 89b HGB kann und soll auch nicht verhindern, daß das Gericht in Fällen, in denen nach den tatsächlichen Gegebenheiten ein Ausschluß des Ausgleichsanspruchs nach § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB in Betracht kommt, an erster Stelle den Ausschlußtatbestand prüft und das unter diesem Gesichtspunkt zu beurteilende Verhalten des Handelsvertreters, wenn es zur Bejahung eines wichtigen Grundes zur außerordentlichen Kündigung wegen schuldhaften Verhaltens nicht ausreicht, bei der dann anzustellenden Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen des § 89b Abs. 1 Satz 1 HGB im Rahmen der Billigkeitskontrolle nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 unter dem Gesichtspunkt würdigt, ob und in welchem Maße die Billigkeit eine Verminderung des zuvor rechnerisch ermittelten Ausgleichsbetrages – im äußersten Falle auf Null – gebietet. Soweit der Bundesgerichtshof auf die Systematik des § 89b HGB hingewiesen und die Einhaltung der sich daraus ergebenden Prüfungsreihenfolge gefordert hat, ging es um mit der hier erörterten Frage nicht vergleichbare Fälle, in denen der Tatrichter, anstatt den Ausgleichsanspruch zunächst auf der Grundlage der Unternehmervorteile (§ 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HGB) und Provisionsverluste (§ 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HGB) zu ermitteln, allein aufgrund von Billigkeitserwägungen nach § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 HGB einen Ausgleichsanspruch bejaht oder verneint oder den Ausgleichshöchstbetrag des § 89b Abs. 2 HGB zum Ausgangspunkt der Berechnung gemacht hatte (BGHZ 43, 154, 156 f.; 55, 45, 54 f.; BGH, Urteil vom 27. Februar 1981 – I ZR 39/79, WM 1981, 817 unter II 2; Urteil vom 17. Oktober 1984 aaO unter II 1; Urteil vom 15. Oktober 1992 – I ZR 173/91, WM 1993, 392 unter II 1), oder um die – zu verneinende – Frage, ob der nach § 89b Abs. 2 HGB ermittelte Höchstbetrag des Ausgleichsanspruchs gemäß § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 HGB aus Billigkeitsgründen herabgesetzt werden kann (BGH, Urteil vom 25. November 1998 aaO unter III). Demgegenüber wird ein Verhalten des Handelsvertreters, das zur Beendigung des Vertragsverhältnisses geführt hat, ohne die Qualität eines wichtigen Grundes zur außerordentlichen Kündigung zu erreichen, an der gesetzessystematisch richtigen Stelle berücksichtigt, wenn das Gericht im Anschluß an die Prüfung des Ausschlußtatbestandes des § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB im Rahmen der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen nach § 89b Abs. 1 Satz 1 HGB bei der Billigkeitskontrolle des zuvor ermittelten rechnerischen Ausgleichsbetrages auf dieses Verhalten zurückkommt.

d) Der Begriff des wichtigen Grundes kann in § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB auch deswegen nicht zu Ungunsten des Vertreters anders (weiter) aufgefaßt werden als in § 89a HGB, weil das Gesetz umgekehrt ausdrücklich bestimmt, daß nicht einmal jeder wichtige Grund, der nach § 89a HGB zur fristlosen Kündigung berechtigt, den Vertreter auch seines Ausgleichsanspruchs beraubt, eine solche Wirkung vielmehr nur vom Vertreter selbst verschuldete Gründe haben (BGH, Urteil vom 21. November 1960 aaO unter II 2 c). Auch die hiergegen vorgebrachten Einwände des Berufungsgerichts vermögen nicht zu überzeugen.

Die Gesetzesfassung läßt keinen Zweifel daran, daß der Ausschluß des Ausgleichsanspruchs nach § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB einen qualifizierten Fall des wichtigen Grundes im Sinne des § 89a HGB voraussetzt, indem der Ausschlußtatbestand verlangt, daß der wichtige Grund in einem schuldhaften Verhalten des Handelsvertreters besteht. Mit dem daraus erkennbaren Willen des Gesetzgebers, den Ausschluß des Ausgleichsanspruchs an engere Voraussetzungen zu binden als die Zulässigkeit einer außerordentlichen Kündigung, wäre es nicht zu vereinbaren, den Ausschlußtatbestand des § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB als erfüllt anzusehen, obwohl nicht einmal die Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund nach § 89a HGB erfüllt sind. Daß bei diesem Verständnis des Verhältnisses des Ausschlußtatbestandes nach § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB zum Kündigungstatbestand des § 89a Abs. 1 Satz 1 HGB unter Umständen selbst ein erhebliches schuldhaft vertragswidriges Verhalten des Handelsvertreters nicht zum Ausschluß seines Ausgleichsanspruchs nach § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB führt, ist notwendige Folge dessen, daß der Gesetzgeber mit der Regelung des § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB den Ausschluß des Ausgleichsanspruchs nur für den Fall vorgesehen hat, daß das schuldhafte Verhalten des Vertreters zugleich einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung im Sinne des § 89a HGB darstellt; dies ist im übrigen unproblematisch, weil ein solches Verhalten des Vertreters, wie dargelegt, im Rahmen der Billigkeitskontrolle nach § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 HGB anspruchsmindernd berücksichtigt werden kann.

e) Die unterschiedlichen Ziele und Zwecke, denen einerseits die Kündigungsregelung in § 89a Abs. 1 Satz 1 HGB, andererseits der Ausschlußtatbestand des § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB dienen, rechtfertigen entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts gleichfalls keine unterschiedliche Deutung des in beiden Vorschriften verwendeten Begriffs des wichtigen Grundes. Zweifelhaft erscheint bereits die These des Berufungsgerichts, § 89a HGB sei „auf die Zukunft des Unternehmens ausgerichtet”. Der Normzweck des § 89a Abs. 1 HGB besteht darin, eine Möglichkeit zur sofortigen einseitigen Beendigung des Vertragsverhältnisses für den Fall zu schaffen, daß einer Vertragspartei – nicht allein dem Unternehmer – die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht mehr zuzumuten ist. Nicht die Zukunft des Unternehmens, sondern die Dauer der Bindung an den Vertrag, die der durch den wichtigen Grund betroffene Teil ohne die Möglichkeit der außerordentlichen Kündigung noch durchstehen müßte, ist das für die Frage der Zumutbarkeit und damit für das Vorliegen eines wichtigen Grundes mitentscheidende Kriterium. Von diesem Ansatz her gesehen ist es aber nicht unstimmig, wenn der Gesetzgeber in § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB einen Ausschluß des Ausgleichsanspruchs nur für die Fälle vorgesehen hat, in denen ein schuldhaftes Verhalten des Vertreters so schwer wiegt, daß dem Unternehmer ein Festhalten am Vertrag bis zum Ablauf der Vertragsdauer oder der Frist für eine ordentliche Kündigung nicht zumutbar ist.

Richtig ist, daß unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit der Fortsetzung des Vertragsverhältnisses an die Intensität der Vertragsstörung um so höhere Anforderungen zu stellen sind, je kürzer die Frist bemessen ist, innerhalb derer das Vertragsverhältnis abläuft oder durch ordentliche Kündigung beendet werden kann. Auch dieser Gesichtspunkt nötigt indessen nicht zu einer von § 89a HGB abweichenden Interpretation des Begriffs des wichtigen Grundes im Sinne des § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB. Es mag sein, daß die Ausschlußregelung des § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB in Fällen mit sehr kurzer oder sehr langer Restlaufzeit bzw. Kündigungsfrist zu Ergebnissen führt, die nicht in jeder Hinsicht einleuchten, weil Vertragsverstöße gleicher Art und Schwere im einen Fall einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen und damit den Ausgleichsanspruch ausschließen, im anderen Fall dagegen nicht. Gleichwohl ist die Entscheidung des Gesetzgebers hinzunehmen, schuldhafte Vertragsverletzungen des Handelsvertreters nur dann mit dem Verlust des Ausgleichsanspruchs zu ahnden, wenn auch die Fortsetzung des Handelsvertreterverhältnisses im konkreten Falle für den Unternehmer unzumutbar ist.

Die vom Berufungsgericht aufgezeigten Schwierigkeiten, die Frage der Zumutbarkeit einer Fortsetzung des Vertragsverhältnisses zuverlässig zu beurteilen, wenn der Unternehmer eine schuldhafte Vertragsverletzung des Vertreters nicht zum Anlaß für eine außerordentliche Kündigung genommen, sondern sich – wie im Streitfall der Beklagte – mit dem Ausspruch einer ordentlichen Kündigung begnügt hat, erscheinen nicht unüberwindlich. Gibt der Unternehmer beim Ausspruch der Kündigung zu erkennen, daß er „eigentlich” die Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund für gegeben hält und sich nur vorsichtshalber mit dem Ausspruch einer ordentlichen Kündigung begnügt, so wird sich die Frage, ob ihm die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses objektiv zuzumuten war, regelmäßig ohne die vom Berufungsgericht für erforderlich gehaltenen Fiktionen und Unterstellungen beantworten lassen. Kündigt der Unternehmer dagegen ordentlich, ohne zum Ausdruck zu bringen, daß er eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses „eigentlich” für unzumutbar hält, oder spricht er – wie im Streitfall – eine ordentliche Kündigung erst geraume Zeit nach Bekanntwerden des vertragswidrigen Verhaltens des Handelsvertreters aus, so gibt er damit regelmäßig zu erkennen, daß er den Vertragsverstoß des Vertreters nicht als so schwerwiegend empfunden hat, daß ihm die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unzumutbar erschiene (vgl. BGH, Urteil vom 14. April 1983 – I ZR 37/81, WM 1983, 820 unter II 2; Urteil vom 15. Dezember 1993 – VIII ZR 157/92, WM 1994, 645 unter II 1 m.w.Nachw.).

f) Der Auffassung des Berufungsgerichts kann schließlich deshalb nicht gefolgt werden, weil sie darauf hinausläuft, die gesetzlichen Ausschlußtatbestände des § 89b Abs. 3 HGB inhaltlich zum Nachteil des Handelsvertreters zu erweitern. Das Berufungsgericht will darauf abstellen, ob dem Unternehmer wegen eines vorausgegangenen Fehlverhaltens des Handelsvertreters die Zahlung eines Ausgleichsbetrages unzumutbar ist (BU 25 2. Abs., 28 1. Abs., 30 1. Abs.). Mit diesem Ansatz verläßt das Berufungsgericht den Rahmen der gesetzlich geregelten Ausschlußgründe, indem es die Frage der Zumutbarkeit entgegen § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB nicht auf die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses, sondern auf die Zahlung eines Ausgleichs bezieht. Das Berufungsgericht setzt sich damit in Widerspruch zu der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, daß die Ausschlußtatbestände des § 89b Abs. 3 HGB eine abschließende Regelung darstellen, die wegen ihres Ausnahmecharakters eng auszulegen ist (BGHZ 45, 385, 387; 52, 12, 14; 129, 290, 294; BGH, Urteil vom 14. April 1988 – I ZR 122/86, WM 1988, 1207 unter II 2; Urteil vom 10. Dezember 1997 – VIII ZR 329/96, WM 1998, 725 unter II 2 c). Auch in diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß die Belange des Unternehmers durch die nach § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 HGB zugelassenen Billigkeitserwägungen ausreichend gewahrt sind.

2. Auch die Hilfsbegründung des Berufungsgerichts trägt die Klageabweisung nicht. Die insoweit sehr knapp gefaßten Entscheidungsgründe lassen nicht erkennen, ob das Berufungsgericht alle im Rahmen der Billigkeitskontrolle nach § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 HGB maßgeblichen Umstände berücksichtigt und in eine umfassende Abwägung einbezogen hat und von welchen Erwägungen es sich dabei im einzelnen hat leiten lassen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund sich die „gute Provisionszahlung während des Vertragsverhältnisses” bei der Billigkeitsabwägung zum Nachteil des Klägers auswirken soll. Dem Berufungsurteil ist auch nichts dafür zu entnehmen, daß dem Beklagten ein Schaden entstanden sei, weil er „die Druckwerke” nicht fristgerecht habe herausbringen können und dadurch andere Inserenten verloren habe, daß dafür ein – schuldhaftes – Verhalten des Klägers ursächlich gewesen sein könnte und in welcher Höhe dem Beklagten ein solcher Schaden entstanden sein soll.

III. Das Berufungsurteil kann somit keinen Bestand haben. Eine abschließende Entscheidung in der Sache kann der erkennende Senat mangels Entscheidungsreife nicht treffen. Die Sache war daher unter Aufhebung des Berufungsurteils an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Dabei hat der Senat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.

 

Unterschriften

Dr. Deppert, Dr. Zülch, Dr. Hübsch, Ball, Wiechers

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 16.02.2000 durch Mayer, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

DB 2000, 1610

NJW 2000, 1866

EBE/BGH 2000, 109

EWiR 2000, 445

Nachschlagewerk BGH

WM 2000, 882

ZIP 2000, 618

MDR 2000, 651

VersR 2000, 582

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