Entscheidungsstichwort (Thema)

Wann besteht eine Unvereinbarkeit einer Arbeitnehmertätigkeit mit dem Berufsbild des Steuerberaters

 

Leitsatz (amtlich)

Zum Merkmal der „Arbeitnehmer”-Tätigkeit.

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine Arbeitnehmertätigkeit i. S. des § 57 Abs. 4 Nr. 2 StBerG ist nach strengen Maßstäben zu beurteilen. Eine Tätigkeit als Vorstandsmitglied einer gemeinnützigen Genossenschaft (Kontrolle der Buchhaltung), die auf zwei Tage in der Woche in den Abendstunden begrenzt ist, genügt hierzu nicht. Sie tangiert nicht offensichtlich die Unabhängigkeit der Berufsausübung eines Steuerberaters.

 

Normenkette

StBerG § 57 Abs. 2, 4 Nr. 2

 

Verfahrensgang

OLG Hamburg (Urteil vom 05.03.1986; Aktenzeichen StO 1/86)

 

Tatbestand

I. Der Betroffene wurde nach vorausgegangener Tätigkeit als Steuerbevollmächtigter im Jahre 1980 zum Steuerberater bestellt. Er betreibt mit zwei Berufskollegen eine Gemeinschaftspraxis in der Form einer Steuerberatungsgesellschaft. Seit dem 24. Januar 1982 gehört er dem Vorstand der H. Baugenossenschaft e.G./Gemeinnütziges Wohnungsunternehmen an. Dieser besteht aus drei Personen. In der Satzung der Genossenschaft ist bestimmt, daß der Vorstand die Genossenschaft unter eigener Verantwortung leitet und nur die im Gesetz und in der Satzung festgelegten Beschränkungen zu beachten hat. Vertreten wird die Genossenschaft durch einen der Vorstandsmitglieder zusammen mit einem der beiden anderen Mitglieder oder mit einem Prokuristen. Der Steuerberater ist „in erster Linie für die Kontrolle der Buchhaltung” zuständig. Diese Beschäftigung übt er jeweils montags und mittwochs ab 17.30 Uhr bis höchstens 19.30 Uhr aus. Im Anschluß daran nimmt er ein bis zweimal monatlich Vorstandssitzungen wahr. Als Entschädigung erhält er jährlich 15.660,– DM. Die beiden anderen Vorstandsmitglieder – eines ist hauptamtlich, das andere nebenamtlich tätig – beziehen etwa fünf- bzw. zweimal soviel. Im Gegensatz zu ihm haben sie Anspruch auf soziale Leistungen der Genossenschaft. Zugunsten des Steuerberaters ist keine Urlaubsregelung getroffen. Das Finanzamt hat sein Entgelt als Einkunft aus selbständiger Tätigkeit anerkannt.

Dem Steuerberater wird in der Anschuldigungsschrift zur Last gelegt, durch die Wahrnehmung seiner Aufgaben als Vorstandsmitglied der genannten Genossenschaft habe er schuldhaft gegen die Berufspflicht verstoßen, sich jeder Tätigkeit zu enthalten, die mit dem Beruf eines Steuerberaters unvereinbar ist; er sei „einer gewerblichen und arbeitnehmerähnlichen Tätigkeit nachgegangen” (§ 57 Abs. 1, 2 und Nrn. 1 und 2 StGB). Die Kammer für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen beim Landgericht hat ihn von dem Vorwurf freigesprochen. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hat der Senat für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg dieses Urteil aufgehoben und gegen ihn wegen Berufspflichtverletzung eine Warnung ausgesprochen.

Das Berufungsgericht vertritt die Ansicht, der Betroffene habe durch seine Handlungsweise gegen § 57 Abs. 2 und Abs. 4 Nr. 2 StBerG verstoßen. Als Vorstandsmitglied übe er „jedenfalls eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit” aus. Aufgrund des mit der Genossenschaft eingegangenen Vertragsverhältnisses sei er „intern” verpflichtet, die komplette Buchführung zu überwachen und zu leiten. Er nehme an den Vorstandssitzungen teil und habe dort mitzustimmen. Für seine Tätigkeit erhalte er eine Entschädigung. Somit sei er in die Genossenschaft eingebunden, auch wenn er seine Tätigkeit nur außerhalb der Bürostunden „eingeschränkt” ausübe. Diese „Einschränkung” ändere nichts daran, daß er „Dritten gegenüber nach außen voll als Vorstandsmitglied in Erscheinung” trete und daß ihnen gegenüber „die interne Beschränkung seiner Befugnis” gemäß § 27 Abs. 2 GenG keine Wirkung habe. Unerheblich sei, daß es sich bei der Genossenschaft um eine gemeinnützige Wohnungsbaugenossenschaft handele; denn sie betätige sich gewerblich. In diesem Bereich bestehe die Gefahr, daß der Steuerberater die bei seiner beratenden Tätigkeit erworbenen Kenntnisse verwerte und konkurrenzfähig für die Genossenschaft einsetze. Eine solche unter Umständen einen Interessenkonflikt auslösende Tätigkeit solle aber durch § 57 Abs. 4 StBerG verhindert werden.

Das Oberlandesgericht hat die Revision zugelassen, weil es von grundsätzlicher Bedeutung sei, ob die Tätigkeit als Vorstandsmitglied einer gemeinnützigen Baugenossenschaft als arbeitnehmerähnlich anzusehen sei, wenn sie sich auf eine interne Überwachung der Buchführung beschränke, ohne daß dies nach außen kenntlich in Erscheinung trete.

 

Entscheidungsgründe

II. Der Steuerberater rügt mit seiner gegen dieses Urteil eingelegten Revision Verletzung sachlichen Rechts.

Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 129 Abs. 1 Nr. 3 StBerG) und auch begründet.

Wie sich aus den vom Oberlandesgericht angewendeten Vorschriften des Steuerberatungsgesetzes sowie der Formulierung jener Grundsatzfrage ergibt, hat es seine Entscheidung nicht auf das Verbot einer gewerblichen Tätigkeit (§ 57 Abs. 4 Nr. 1 StBerG), sondern auf den Gesichtspunkt der arbeitnehmerähnlichen Tätigkeit gestützt. Teilweise enthält das Urteil allerdings auch Ausführungen, denen im Hinblick auf die Untersagung der gewerblichen Tätigkeit Bedeutung zukommen könnte. Das Revisionsgericht sieht sich jedoch nicht in der Lage, seine Prüfung darauf zu beschränken, ob diese Darlegungen für sich allein das angefochtene Urteil im Ergebnis rechtfertigen. Angesichts der für das Berufungsgericht maßgeblichen Begründung kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon ausgegangen werden, daß es auch ohne sie die Verwarnung ausgesprochen hätte.

Die vom Oberlandesgericht als maßgeblich erachtete Begründung des angefochtenen Urteils beruht auf – den Steuerberater benachteiligenden – Rechtsfehlern.

1. Sie entbehrt einer ausreichenden Würdigung aller Umstände. Ferner erweisen sich einige Ausführungen als unklar.

Im Rahmen der rechtlichen Prüfung bleibt unbeachtet, daß der Steuerberater nicht in die Urlaubsregelung der Genossenschaft eingebunden ist und auch nicht an deren sozialen Leistungen teil hat. Insbesondere aber setzt sich das Oberlandesgericht nicht damit auseinander, daß er seine Tätigkeit „nur außerhalb der Bürostunden eingeschränkt ausübt”. Es übergeht diesen Umstand mit der Begründung, „diese Einschränkung” ändere nichts daran, daß er „nach außen” voll als Vorstandsmitglied in Erscheinung trete und deshalb „die interne Beschränkung seiner Befugnis” keine Wirkung habe. Welche „Einschränkung” bzw. „interne Beschränkung” gemeint ist, läßt sich dem Urteil nicht mit Sicherheit entnehmen. In Betracht kommen die zeitliche oder – worauf die Formulierung in der Grundsatzfrage hindeuten könnte – die sachliche Begrenzung oder auch beide. Abgesehen von dieser Unklarheit geht die Argumentation des Oberlandesgerichts für die Bedeutungslosigkeit jenes Umstandes fehl. Es stützt sich auf einen Gesichtspunkt, dem im Zusammenhang mit einer Arbeitnehmertätigkeit kein Gewicht zukommt, sondern allein für die Frage, ob sich der Steuerberater gewerblich betätigt hat (vgl. u.a. BGHZ 40, 194; 68, 397, 399; BGH NJW 1971, 2074, EGE XIV, 78).

Das Verbot arbeitnehmerischer Betätigung beruht auf der Überlegung, daß die Abhängigkeit von einem Arbeitgeber nicht mit der bei einem Steuerberater vorausgesetzten Unabhängigkeit (§ 32 Abs. 2, § 57 Abs. 1 StBerG) vereinbar ist. Wie der BFH in seinem Urteil vom 5. September 1978 – VII R 50/77 – (BStBl. II 1979, 202, 205) dargelegt hat, liegt es im Wesen der Tätigkeit eines Arbeitnehmers, daß er in der Regel zeitlich und örtlich so gebunden ist, daß er infolge der ihm vorgegebenen Gestaltung seiner Arbeit Aufgaben außerhalb seines Arbeitsverhältnisses nicht mehr ohne Rücksichtnahme auf die Verpflichtungen aus diesem Verhältnis wahrnehmen kann. Das würde bei einem Steuerberater in einem solchen Fall bedeuten, daß er die Interessen seiner Mandanten denen seines Arbeitgebers nachordnen müßte. Derartige Folgen auszuschließen, bezwecken die Unvereinbarkeitsbestimmungen des § 57 Abs. 2 und 4 Nr. 2 StBerG. Ohne Bedeutung ist insoweit, ob und inwieweit die Arbeitnehmertätigkeit der betreffenden Person nach außen in Erscheinung tritt. Denn dies beeinflußt für sich nicht die persönliche Unabhängigkeit.

2. Vor allem aber hat sich das Berufungsgericht durch seine unzutreffende Argumentation den Weg zur Behandlung der Frage versperrt, ob jene zeitliche und sachliche Beschränkung der vom Steuerberater übernommenen Nebenbeschäftigung der Annahme einer „Arbeitnehmer”-Tätigkeit i.S. des § 57 Abs. 4 Nr. 2 StBerG entgegensteht.

Das Oberlandesgericht hat selbst nicht auf eine solche Tätigkeit, sondern auf eine „arbeitnehmerähnliche” Tätigkeit abgestellt. Das Steuerberatungsgesetz verwendet diesen Begriff nicht. Er ist dem Arbeitsrecht entnommen. Darauf, ob der Betroffene arbeitsrechtlich als Arbeitnehmer einzuordnen wäre, kommt es indes nicht an. Der in zahlreichen Gesetzen enthaltene Begriff „Arbeitnehmer” hat keinen einheitlichen Inhalt. Es bedarf daher seiner jeweiligen Auslegung entsprechend der Zweckbestimmung der Vorschrift, in der er verwendet wird. Das schließt nicht aus, daß bei dieser Interpretation Gesichtspunkte mitberücksichtigt werden, die im Arbeits- oder Sozialrecht eine Rolle spielen. Maßgeblich ist jedoch die Funktion des angewendeten Einzelgesetzes.

Seine wesentliche Prägung erfährt das Arbeitnehmermerkmal i.S. des § 57 Abs. 4 Nr. 2 StBerG durch die Charakterisierung des in dieser Vorschrift umschriebenen Tatbestandes als eines gesetzlichen Beispiels der Unvereinbarkeit mit dem Beruf eines Steuerberaters (§ 57 Abs. 2 StBerG). Vorstehend wurde bereits darauf hingewiesen, daß eine solche Unvereinbarkeit der Arbeitnehmertätigkeit deshalb besteht, weil durch sie die bei einem Steuerberater vorausgesetzte Unabhängigkeit beeinträchtigt wird. Dieser Gesichtspunkt erweist sich nicht allein als der gesetzliche Grund für die in § 57 Abs. 4 Nr. 2 StBerG getroffene Regelung. Aus ihm sind auch Folgerungen für die Inhaltsbestimmung des Arbeitnehmerbegriffs zu ziehen.

Dessen bedarf es umso mehr, als sich bei einer zu weiten Auslegung dieses Begriffs im Hinblick auf die Widerrufsvorschrift des § 46 Abs. 2 Nr. 2 StBerG rechtsstaatliche Bedenken wegen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ergeben könnten. Nach dieser Bestimmung des Steuerberatungsgesetzes „ist” die Bestellung zu widerrufen, wenn der Steuerberater eine Tätigkeit als Arbeitnehmer ausübt, die mit seinem Beruf nicht vereinbar ist. Da gemäß § 57 Abs. 4 Nr. 2 StBerG jede Arbeitnehmertätigkeit als unvereinbar gilt mit Ausnahme bestimmter im Gesetz genannter Fälle, können mit jener Einschränkung nur diese Ausnahmefälle gemeint sein. Danach wäre in den sonstigen Fällen stets die Bestellung zu widerrufen, ohne Rücksicht auf das Ausmaß der arbeitnehmerischen Nebenbetätigung, also selbst dann, wenn es sich um eine auf ganz wenige Stunden begrenzte Beschäftigung handelt, die vom Steuerberater während seiner Freizeit ausgeübt wird und durch die seine hauptberuflichen Belange in keiner Weise tangiert werden. Zwar läßt § 48 Abs. 1 Nr. 3 StBerG die Wiederherstellung zu. Jedoch müßte zuerst einmal der Widerrufspflicht entsprochen werden. Davon abgesehen, setzt die Wiederbestellung voraus, daß die für den Widerruf maßgeblich gewesenen Gründe nicht mehr bestehen.

Im Gegensatz zu dem genannten § 46 Abs. 2 StBerG enthält die Bundesrechtsanwaltsordnung in ihrem § 15 Nr. 2 nur eine Kannbestimmung. – Nach ihr „kann” die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zurückgenommen werden, wenn der Rechtsanwalt eine Tätigkeit ausübt, die mit dem Beruf eines Rechtsanwalts oder mit dem Ansehen der Rechtsanwaltschaft nicht vereinbar ist. Die für sie zuständigen Berufsgerichte haben das Vorliegen dieser Voraussetzung in allen Fällen verneint, in denen der Rechtsanwalt durch die Arbeitnehmertätigkeit rechtlich und tatsächlich nicht gehindert wurde, den Anwaltsberuf in einem nennenswerten Umfang und mit der gebotenen Sorgfalt auszuüben (u.a. BGH, Beschl. v. 11. Mai 1981 – AnwZ (B) 1/81).

Im Steuerberatungsgesetz a.F. vom 16. August 1961 (BGBl. I S. 1301) war ebenfalls eine weniger strenge Regelung getroffen. Sein § 14 Abs. 1 gestattete die „Zurücknahme” der Bestellung nur dann, wenn der Steuerberater „seine Tätigkeit nicht mehr unabhängig ausübt”. Hier wurde also auf den entscheidenden Grund abgestellt. In der amtlichen Begründung Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Steuerberater und Steuerbevollmächtigten (BT Drucks. III/128, S. 24) heißt es, Steuerberater zählten zu den freien Berufen; ein solcher Beruf erfordere, daß er „hauptberuflich” ausgeübt werde; die Kompliziertheit des Steuerrechts mache es im Interesse des ratsuchenden Publikums notwendig, daß der Steuerberater seine Arbeitskraft „ganz oder überwiegend” der Steuerberatung widme. Danach sollte also eine Nebenbeschäftigung als Arbeitnehmer nicht grundsätzlich, wie es das nunmehr geltende Recht vorsieht, die „Zurücknahme” der Bestellung auslösen.

Sowohl die aufgezeigte Zweckbestimmung des § 57 Abs. 4 Nr. 2 StBerG n.F. als auch die rechtsstaatlichen Überlegungen geben Anlaß zu einer engen Auslegung des hier verwendeten Arbeitnehmerbegriffs. Das Oberlandesgericht München hat bereits in seinem Beschluß vom 26. März 1965 – StO 1/64 – (abgedruckt bei Klöcker/Mittelsteiner/Späth, Handbuch der Steuerberatung, Gr. 12 (2) Nr. 10) zu Recht ausgeführt, ausschlaggebend sei der Umfang der persönlichen Abhängigkeit, der nur durch eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles festgestellt werden könne.

3. Das angefochtene Urteil muß aus den dargelegten Gründen aufgehoben werden. Ein Eingehen auf das Vorbringen des Beschwerdeführers zu anderen Fragen erübrigt sich daher. Der Senat weist jedoch darauf hin, daß entgegen der Ansicht des Betroffenen die gesetzliche Festlegung von Berufspflichten in Generalklauseln verfassungsrechtlich zulässig ist. Es entspricht der herkömmlichen Struktur allen Standesrechts, daß die Berufspflichten der Standesangehörigen nicht in einzelnen Tatbeständen erschöpfend umschrieben werden können (BVerfGE 45, 346, 351).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1974795

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