Entscheidungsstichwort (Thema)

Ersatz von Reparaturaufwand. Wiederbeschaffungswert. Tatsächliche Reparaturkosten. Wirtschaftlichkeitsgebot. Abweichung von Vorgaben Gutachter

 

Leitsatz (amtlich)

Zu den Voraussetzungen für den Ersatz von Reparaturaufwand bis zu 30 % über dem Wiederbeschaffungswert.

 

Normenkette

BGB § 249 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Urteil vom 14.01.2011; Aktenzeichen 306 S 140/09)

AG Hamburg-St. Georg (Urteil vom 16.10.2009; Aktenzeichen 919 C 144/09)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 6. Zivilkammer des LG Hamburg vom 14.1.2011 aufgehoben.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des AG Hamburg-St. Georg vom 16.10.2009 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren hat der Kläger zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Der Kläger macht gegen den beklagten Haftpflichtversicherer restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall geltend. Die volle Einstandspflicht der Beklagten ist unstreitig. Die Parteien streiten darum, wie der Fahrzeugschaden abzurechnen ist. Die vom Sachverständigen ermittelten Bruttoreparaturkosten von 3.254,02 EUR übersteigen den Wiederbeschaffungswert von 2.150 EUR steuerneutral um 51 %. Der Kläger hat sein Fahrzeug selbst repariert. Er hat die Zahlung von 130 % des Wiederbeschaffungswerts (2.795 EUR), hilfsweise der gutachterlich ausgewiesenen Nettoreparaturkosten (2.734,47 EUR) verlangt, zumindest Erstattung der unterhalb der 130 %-Grenze liegenden konkreten Reparaturkosten. Die Beklagte hat vorprozessual lediglich 850 EUR gezahlt.

Rz. 2

Das AG hat den Wiederbeschaffungsaufwand zugrunde gelegt und die Beklagte u.a. verurteilt, an den Kläger 680 EUR zu zahlen. Das ist der Differenzbetrag zwischen dem gutachterlich ausgewiesenen Restwert (620 EUR) und dem von der Beklagten bei der Berechnung des Zahlbetrages zugrunde gelegten Restwert (1.300 EUR). Wegen des weiteren geltend gemachten Fahrzeugschadens hat das AG die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht die Beklagte verurteilt, an den Kläger auf den Fahrzeugschaden 1.871,70 EUR zu zahlen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der Entscheidung des AG.

 

Entscheidungsgründe

I.

Rz. 3

Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Frage, ob der Geschädigte Ersatz der Reparaturkosten verlangen könne, wenn es ihm gelinge, die Kosten entgegen der Einschätzung des Sachverständigen innerhalb der 130 %-Grenze zu halten, sei dahin zu beantworten, dass auf die tatsächlichen Reparaturkosten jedenfalls dann abzustellen sei, wenn diese schon vor Durchführung der Reparatur feststünden und die tatsächlich durchgeführte Reparatur mit allenfalls geringen unwesentlichen Ausnahmen den Vorgaben des zuvor eingeholten Gutachtens entspreche. Dies sei hier der Fall. Um eine Aufspaltung der Reparaturkosten in einen wirtschaftlich vernünftigen und einen unvernünftigen Teil gehe es ebenso wenig wie um eine Vermengung zwischen fiktiver und konkreter Abrechnung. Dem Kläger sei es gelungen, die vom Sachverständigen für erforderlich gehaltene Reparatur billiger zu gestalten, weil wegen der Eigenreparatur auf die Arbeitskosten keine Mehrwertsteuer angefallen sei und zudem der Kläger als Arbeitnehmer eines Kfz-Reparaturbetriebs die benötigten Ersatzteile preiswerter bekommen habe. Unter Berücksichtigung der Nettoreparaturkosten laut Gutachten (2.734,47 EUR) und der erzielten Einsparungen (205,40 EUR) sowie der tatsächlich angefallenen Mehrwertsteuer (192,63 EUR) ergebe sich ein Betrag i.H.v. 2.721,70 EUR (127 % des Wiederbeschaffungswerts).

II.

Rz. 4

Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

Rz. 5

Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats kann der Ersatz des Reparaturaufwands bis zu 30 % über dem Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs nur verlangt werden, wenn die Reparatur fachgerecht und in einem Umfang durchgeführt wird, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht hat (BGH, Urt. v. 15.2.2005 - VI ZR 70/04, BGHZ 162, 161, 167 ff.; v. 10.7.2007 - VI ZR 258/06, VersR 2007, 1244 Rz. 7).

Rz. 6

Inzwischen hat der Senat entschieden, dass jedenfalls in dem Fall, in dem zwar die vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten über der 130 %-Grenze liegen, es dem Geschädigten aber - auch unter Verwendung von Gebrauchtteilen - gelungen ist, eine nach Auffassung des sachverständig beratenen Berufungsgerichts fachgerechte und den Vorgaben des Gutachtens entsprechende Reparatur durchzuführen, deren Kosten den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen, dem Geschädigten aus dem Gesichtspunkt des Wirtschaftlichkeitsgebots eine Abrechnung der konkret angefallenen Reparaturkosten nicht verwehrt werden kann (BGH, Urt. v. 14.12.2010 - VI ZR 231/09, VersR 2011, 282 Rz. 13). Der Senat hat ferner entschieden, dass der Geschädigte, der sein beschädigtes Kraftfahrzeug instand gesetzt hat, obwohl ein Sachverständiger die voraussichtlichen Kosten der Reparatur auf einen den Wiederbeschaffungswert um mehr als 30 % übersteigenden Betrag geschätzt hat, den Ersatz von Reparaturkosten nur dann verlangen kann, wenn er nachweist, dass die tatsächlich durchgeführte Reparatur, sofern diese fachgerecht und den Vorgaben des Gutachtens entsprechend ausgeführt worden ist, wirtschaftlich nicht unvernünftig war, was der tatrichterlichen Beurteilung (§ 287 ZPO) unterliegt (BGH, Urt. v. 8.2.2011 - VI ZR 79/10, VersR 2011, 547 Rz. 8).

Rz. 7

Danach ist regelmäßig die Erstattung von Reparaturkosten über dem Wiederbeschaffungswert nicht gerechtfertigt, wenn der Geschädigte sein Kraftfahrzeug nicht vollständig und fachgerecht nach den Vorgaben des Sachverständigen in Stand setzt (vgl. BGH, Urt. v. 15.2.2005 - VI ZR 70/04, BGHZ 162, 161, 168; v. 10.7.2007 - VI ZR 258/06, a.a.O., Rz. 8).

Rz. 8

So liegt es im Streitfall. Das Berufungsgericht geht selbst davon aus, dass die vom Kläger durchgeführte Reparatur von den Vorgaben des Gutachtens abweicht. Der hintere Querträger wurde nicht ausgetauscht, sondern instand gesetzt, hinter der Stoßfängerverkleidung verblieb eine Delle und die Heckstoßfängerverkleidung wurde nicht richtig eingepasst.

Rz. 9

Bei dieser Sachlage kann ein Anspruch auf Ersatz der über dem Wiederbeschaffungswert liegenden Reparaturkosten nicht bejaht werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2847941

NJW 2012, 52

EBE/BGH 2011, 403

JurBüro 2012, 218

ZAP 2012, 158

DAR 2012, 139

MDR 2012, 21

NZV 2012, 219

VRS 2012, 263

VersR 2012, 75

ZfS 2012, 141

NJW-Spezial 2012, 10

VRA 2012, 1

VRR 2012, 105

VRR 2012, 2

r+s 2012, 101

DS 2012, 43

Verkehrsjurist 2012, 24

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge