Leitsatz (amtlich)

Zu der Frage einer Vertragsanpassung nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage beim Kauf eines Rückübertragungsanspruchs.

 

Normenkette

BGB § 242

 

Verfahrensgang

LG Hannover

OLG Celle

 

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 16. April 1999 aufgehoben und das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 6. August 1998 wie folgt abgeändert:

Unter Aufhebung des Versäumnisurteils der 2. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 11. Dezember 1997 wird der Beklagte verurteilt, an die Klägerin 425.000 DM nebst 4 % Zinsen seit 29. August 1997 zu zahlen.

Die Widerklage wird abgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der Kosten, die durch die Säumnis der Klägerin entstanden sind und die diese selbst trägt.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Bundesrepublik Deutschland war Eigentümerin eines mit einem Ferienheim bebauten Grundstücks in A.. Die Klägerin hatte insoweit einen Rückübertragungsanspruch gemäß §§ 1 und 6 VermG. Wegen eines zu Zeiten der ehemaligen DDR errichteten Anbaus an das Ferienheim verlangte die Oberfinanzdirektion R. in Vertretung der Bundesrepublik Deutschland von der Klägerin einen Wertausgleich in Höhe von 850.000 DM, der bei Rückübertragung des Grundstücks auf die Klägerin oder dessen Verkauf an einen Dritten fällig sein sollte. Nach verschiedenen vergeblichen Verkaufsbemühungen der Oberfinanzdirektion R. teilte die Klägerin dieser mit Schreiben vom 18. November 1993 unter anderem folgendes mit:

„… das Angebot der Fa. A. über den Verkauf in Höhe von 1.610.000 DM findet mein Einverständnis.

Ich möchte nach dem jahrelangen hin und her abschließend an die Fa. A. verkaufen. Mit der prozentualen Aufteilung des Kaufvertrages 750.000 DM für mich, 850.000 DM für den Bund bin ich einverstanden. …

Abschließend bleibt zu erwähnen, daß meine nervliche Verfassung für weitere Verhandlungen nicht mehr vorhanden ist und ich weitere Verhandlungen nur noch über einen Rechtsbeistand führen werde.”

Die Oberfinanzdirektion R. erstellte daraufhin den Entwurf eines notariellen Grundstückskaufvertrages. Dieser sah neben der Bundesrepublik Deutschland als Verkäuferin und der Firma A. als Käuferin auch eine Beteiligung der Klägerin vor. Der Kaufpreis von (1.610.000 DM zuzüglich 15 % Mehrwertsteuer =) 1.851.500 DM sollte in der Weise aufgeteilt werden, daß die Klägerin 754.000 DM und die Bundesrepublik Deutschland 856.000 DM sowie die gesamte Mehrwertsteuer, insgesamt mithin 1.097.500 DM erhalten sollten. Der Vertrag kam nicht zustande. Einen entsprechenden Vertragsentwurf erstellte die Oberfinanzdirektion R. auch für den Verkauf des Grundstücks an den Beklagten. Statt dieses Grundstückskaufvertrages schlossen die Parteien ohne Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland am 1. Dezember 1993 einen notariellen Kaufvertrag über den Rückübertragungsanspruch der Klägerin, der unter anderem folgende Regelungen enthält:

㤠1

(4) Die Erschienene zu 1, Frau H. (= Klägerin), ist nach Angabe Anspruchsberechtigte im Sinne der §§ 1 und 6 VermG …, ihr Anspruch richtet sich auf den Grund und Boden sowie den alten Gebäudekomplex. …

§ 2

(1) Frau H. … tritt hiermit im Rahmen eines Kaufvertrages an Herrn M. (= Beklagter) … ihren Anspruch im Sinne des § 1 und 6 des VermG … mit sofortiger dinglicher Wirkung zum heutigen Tage ab. Herr M. nimmt die Abtretung hiermit an.

§ 3

(1) Der vereinbarte Kaufpreis für den abgetretenen Anspruch beträgt DM 780.000 … Er ist sofort zur Zahlung zinslos fällig und zahlbar auf das amtliche Notaranderkonto des amtierenden Notars … .

Der Notar wird unwiderruflich angewiesen, den Teilbetrag von DM 100.000 unverzüglich nach Vorlage des Buchungsbelegs zu überweisen auf das Konto der Verkäuferin. … Der Restbetrag von DM 680.000 ist von Monat zu Monat festzulegen. Die Zinsen stehen der Verkäuferin zu. Er ist auszuzahlen nebst Zinsen auf das vorgenannte Konto, sobald dem Notar der bestandskräftige Rückübertragungsbescheid vorgelegt wird.

§ 5

(5) Der Notar hat vorsorglich darauf hingewiesen, daß der heutige Abtretungsvertrag von dem Regelungsvorschlag abweicht, den die OFD R. entwurfsweise den Beteiligten unterbreitet hat. Die Beteiligten, insbesondere der Käufer, nimmt ausdrücklich alle hiermit verbundenen Risiken in Kauf einschließlich der Versagung des Rückübertragungsbescheides und einer anderweitigen Veräußerung des Grundbesitzes seitens des Verfügungsberechtigten. …”

Mit anwaltlichem Schreiben vom 2. April 1996 ließ der Beklagte der Oberfinanzdirektion R. mitteilen, „daß zum Zwecke der Abwicklung der Angelegenheit der auf Sie entfallende Differenzbetrag von DM 850.000 an Sie gezahlt wird”. Dazu kam es nicht. Durch Bescheid vom 17. Juli 1996 übertrug das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen M. – V. das in Rede stehende Grundstück nebst aufstehenden Gebäuden auf den Beklagten. Zugleich stellte es fest, daß Ausgleichsansprüche nicht bestehen.

In dem vorliegenden Rechtsstreit nimmt die Klägerin den Beklagten im Wege der Teilklage wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage des notariellen Vertrages vom 1. Dezember 1993 auf Zahlung von 425.000 DM nebst Prozeßzinsen in Anspruch. Sie macht geltend, der Kaufpreis für den Rückübertragungsanspruch habe nur 780.000 DM betragen, weil bei Abschluß des Vertrages gemeinsame Vorstellung beider Parteien gewesen sei, daß der Rückübertragungsanspruch mit einem Ausgleichsanspruch der Bundesrepublik Deutschland in Höhe von 850.000 DM belastet sei. Diese gemeinsame Geschäftsgrundlage sei durch die Feststellung des Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen M. – V. in dessen Bescheid vom .17. Juli 1996, daß Ausgleichsansprüche nicht bestehen, weggefallen. Danach sei der notarielle Vertrag vom 1. Dezember 1993 in der Weise anzupassen, daß der Beklagte die 850.000 DM, die er gemäß dem anwaltlichen Schreiben vom 2. April 1996 an die Bundesrepublik Deutschland zu zahlen bereit gewesen sei, an sie, die Klägerin, zahlen müsse. Der Beklagte wendet ein, nach § 5 Abs. 5 des notariellen Vertrages habe es seinem „Risiko” überlassen bleiben sollen, sich wegen des Ausgleichsanspruchs mit der Oberfinanzdirektion R. auseinanderzusetzen.

Das Landgericht hat die Klage durch Versäumnisurteil abgewiesen. Hiergegen hat die Klägerin Einspruch eingelegt. Das Landgericht hat das Versäumnisurteil aufrechterhalten. Zugleich hat es auf die Widerklage des Beklagten festgestellt, daß der Klägerin aus dem notariellen Vertrag vom 1. Dezember 1993 über den von dem Beklagten an sie gezahlten Kaufpreis von 780.000 DM und dem mit der Klage geltend gemachten Betrag von 425.000 DM hinaus keine weiteren Zahlungsansprüche zustehen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihre Klage auf Zahlung eines Teilbetrages von 425.000 DM nebst Prozeßzinsen sowie auf Abweisung der Widerklage weiter.

 

Entscheidungsgründe

I. Das Berufungsgericht hat, soweit in der Revisionsinstanz noch von Interesse, im wesentlichen ausgeführt:

Der geltend gemachte Zahlungsanspruch ergebe sich nicht aus den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Die Voraussetzungen hierfür lägen nicht vor. Die Parteien hätten bei Abschluß des notariellen Vertrages vom 1. Dezember 1993 die Rechtslage nicht falsch beurteilt. Es hätten sich auch keine Umstände unerwartet geändert, die im Vertrag keine Regelung gefunden hätten. Die Klägerin habe den Vertrag in Kenntnis des abweichenden Vertragsentwurfs der Oberfinanzdirektion R. geschlossen. Daß der Bundesrepublik Deutschland nach dem Rückübertragungsbescheid vom 17. Juli 1996 keine Ausgleichsansprüche zustünden, stelle keinen Umstand dar, den die Parteien bei Abschluß des Vertrages falsch beurteilt hätten, und sei auch keine unerwartete Änderung, die im Vertrag keine Regelung gefunden habe. Die Parteien hätten den zu DDR-Zeiten errichteten Anbau ausdrücklich nicht zum Gegenstand ihres notariellen Vertrages gemacht. Zudem seien dem Beklagten nach § 5 Abs. 5 ausdrücklich alle mit der Abweichung vom Regelungsvorschlag der Oberfinanzdirektion R. verbundenen Risiken zugewiesen worden. Daß die Klägerin mit dem Anbau und den damit verbundenen Ausgleichsansprüchen nichts zu tun haben wollte, ergebe sich auch aus dem Hinweis in ihrem Schreiben vom 18. November 1993, ihre „nervliche Verfassung sei für weitere Verhandlungen nicht mehr vorhanden”. Dem Wortlaut des notariellen Vertrages vom 1. Dezember 1993 und den weiteren Umständen lasse sich deswegen bereits entnehmen, daß die Parteien die hier vorliegenden Vertragsgestaltung gewählt hätten, um der Klägerin weitere Auseinandersetzungen mit der Oberfinanzdirektion R. und das mit dem im Raum stehenden Ausgleichsanspruch verbundene Risiko zu ersparen.

Der Zahlungsanspruch der Klägerin scheitere auch an der fehlenden Erheblichkeit der Störung der Geschäftsgrundlage. Entscheidend sei insoweit die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien. Hier hätten die Parteien in § 5 Abs. 5 des Vertrages ausdrücklich eine Risikoverteilung dahin getroffen, daß der Beklagte als Käufer alle Risiken in Kauf nehme. Das Risiko der Verhandlungen mit der Oberfinanzdirektion R. über den Ausgleichsanspruch sei in § 5 Abs. 5 des notariellen Vertrages ausdrücklich allein dem Beklagten zugewiesen worden. Daher stünde dem Beklagten auch allein die entsprechende Chance zu.

Die – zulässige – Feststellungswiderklage des Beklagten sei begründet, da der Klägerin nach den vorstehenden Ausführungen über die bereits vom Beklagten bezahlten 780.000 DM hinaus keine weiteren Zahlungsansprüche aus dem notariellen Vertrag vom 1. Dezember 1993 zustünden.

II. Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist der von der Klägerin mit ihrer Klage gegen den Beklagten geltend gemachte Teilanspruch auf Zahlung von 425.000 DM aus dem Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage herzuleiten.

a) Geschäftsgrundlage sind, wie auch das Berufungsgericht nicht verkannt hat, nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die nicht zum Vertragsinhalt erhobenen, aber bei Vertragsschluß bestehenden gemeinsamen Vorstellungen der Vertragsparteien oder die dem Geschäftspartner erkennbaren oder von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen einer Vertragspartei vom Fortbestand oder dem künftigen Eintritt bestimmter Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf dieser Vorstellung aufbaut (zuletzt z.B. BGHZ 129, 236, 252; 129, 297, 309; 131, 209, 214; 135, 333, 338, jew. m.w.Nachw.). Fehlt diese Grundlage oder ändert sie sich derart, daß der betroffenen Partei das Festhalten an der vereinbarten Regelung nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht zuzumuten ist, ist der Vertrag grundsätzlich den veränderten Verhältnissen anzupassen (z.B. BGHZ 109, 224, 229; 129, 297, 309; 135, 333, 339, jew. m.w.Nachw.).

b) Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts war bei Abschluß des notariellen Vertrages vom 1. Dezember 1993 gemeinsame Geschäftsgrundlage der Parteien, daß der an den Beklagten verkaufte und abgetretene Rückübertragungsanspruch der Klägerin wegen des zu Zeiten der ehemaligen DDR errichteten Anbaus an das Ferienheim mit dem von der Oberfinanzdirektion R. geltend gemachten Ausgleichsanspruch der Bundesrepublik Deutschland in Höhe von 850.000 DM belastet war. Die Parteien waren übereinstimmend dem Irrtum erlegen, der Beklagte erlange durch die Abtretung des Rückübertragungsanspruchs, wirtschaftlich gesehen, lediglich den Wert von Grund und Boden sowie des alten Gebäudekomplexes und müsse sich den Anbau erst durch Erfüllung eines Ausgleichsanspruchs der Bundesrepublik Deutschland „erkaufen”.

Ob ein bestimmter Umstand Geschäftsgrundlage ist, unterliegt zwar der tatrichterlichen Beurteilung, die – wie die tatrichterliche Vertragsauslegung selbst (vgl. insoweit zuletzt z.B. BGHZ 131, 136, 138 m.w.Nachw.) – nur dann nicht bindend ist, wenn gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt sind. So ist es aber hier.

aa) Das Berufungsgericht hat mehrere wesentliche Umstände nicht berücksichtigt, die eindeutig belegen, daß die Parteien bei Abschluß des notariellen Vertrages von einem Ausgleichsanspruch der Bundesrepublik Deutschland in Höhe von 850.000 DM ausgegangen sind. So hat die Klägerin der Oberfinanzdirektion R. am 18. November 1993 geschrieben, daß sie „mit der prozentualen Aufteilung des Kaufvertrages (gemeint ist ersichtlich: des Kaufpreises) 750.000 DM für mich, 850.000 DM für den Bund … einverstanden” sei. Dementsprechend hat der von der Oberfinanzdirektion R. entworfene notarielle Grundstückskaufvertrag, der auch bei dem geplanten Verkauf des Grundstücks an den Beklagten Anwendung finden sollte, vorgesehen, daß von dem Kaufpreis in Höhe von 1.851.500 DM einschließlich Mehrwertsteuer die Klägerin nur 754.000 DM, die Bundesrepublik Deutschland jedoch 856.000 DM zuzüglich der gesamten Mehrwertsteuer, insgesamt mithin 1.097.500 DM erhalten sollten. Damit im Grundsatz übereinstimmend haben die Parteien im notariellen Vertrag vom 1. Dezember 1993 als Kaufpreis für den nach § 1 Abs. 4 „auf den Grund und Boden sowie den alten Gebäudekomplex” gerichteten Rückübertragungsanspruch lediglich 780.000 DM vereinbart. Noch kurz vor Erlaß des Rückübertragungsbescheides vom 17. Juli 1996 ließ der Beklagte der Oberfinanzdirektion R. durch anwaltliches Schreiben vom 2. April 1996 mitteilen, „daß zum Zwecke der Abwicklung der Angelegenheit der auf Sie entfallende Differenzbetrag von DM 850.000 an Sie gezahlt wird”.

bb) Aus dem notariellen Vertrag der Parteien selbst und den sonstigen Begleitumständen ergibt sich entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nichts anderes.

Das gilt zunächst insoweit, als die Parteien nicht mit der Bundesrepublik Deutschland den von der Oberfinanzdirektion R. entworfenen Grundstückskaufvertrag geschlossen haben, wonach die Bundesrepublik Deutschland von dem Kaufpreis in Höhe von 1.851.500 DM einschließlich Mehrwertsteuer 856.000 DM sowie die gesamte Mehrwertsteuer, insgesamt mithin 1.097.500 DM erhalten sollte. Die Ausführungen des Berufungsgerichts lassen nicht erkennen, weshalb das ausschließen sollte, daß die Parteien bei Abschluß des notariellen Vertrages vom 1. Dezember 1993 übereinstimmend von einem Ausgleichsanspruch der Bundesrepublik Deutschland in der genannten Höhe ausgegangen sind. Vielmehr dürfte die Ablehnung des Vertragsentwurfs der Oberfinanzdirektion R. auf der Überlegung des Beklagten beruhen, daß er durch die statt dessen gewählte Vertragsgestaltung – da der Ausgleichsanspruch der Bundesrepublik Deutschland nicht der Mehrwertsteuer unterlag – trotz des von 754.000 DM auf 780.000 DM erhöhten Anteils der Klägerin insgesamt 215.500 DM an Mehrwertsteuer (1.851.500 DM – 780.000 DM – 856.000 DM) sparen könne und der Ausgleichsanspruch der Bundesrepublik Deutschland von 856.000 DM bzw. 850.000 DM zudem erst später, nämlich bei Erlaß des Rückübertragungsbescheides fällig werde.

Zu Unrecht beruft sich das Berufungsgericht ferner darauf, daß der Rückübertragungsanspruch der Klägerin nach § 1 Abs. 4 des Vertrages der Parteien „auf den Grund und Boden sowie den alten Gebäudekomplex” gerichtet war. Auch das spricht nicht dagegen, daß die Parteien übereinstimmend von einem Ausgleichsanspruch der Bundesrepublik Deutschland für den Anbau ausgegangen sind, sondern läßt lediglich erkennen, daß sie diesen Anspruch unberührt lassen wollten. Wie bereits das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen M. – V. in seinem Bescheid vom 17. Juli 1996 ausgeführt hat, ist die Beschreibung des Rückübertragungsanspruchs in § 1 Abs. 4 im übrigen rechtlich unzutreffend, weil auch der zu DDR-Zeiten errichtete Anbau gemäß § 94 Abs. 1 BGB wesentlicher Bestandteil des Grundstücks ist und sich deswegen das Eigentum an dem Grundstück gemäß § 946 BGB auf den Anbau erstreckt. Entgegen der gemeinsamen Vorstellung der Parteien erwarb der Beklagte durch die Abtretung einen Anspruch gegen die Bundesrepublik Deutschland auf Übereignung des Grundstücks mit allen vorhandenen Baulichkeiten, mithin einschließlich des Anbaus.

Auch die Risikoklausel in § 5 Abs. 5 des notariellen Vertrages steht der hier angenommenen Geschäftsgrundlage nicht entgegen. Das ist schon deswegen nicht der Fall, weil der Ausgleichsanspruch im Hinblick darauf, daß die Parteien lediglich einen Kaufpreis von 780.000 DM vereinbart haben, überhaupt kein „Risiko” für den Beklagten darstellte. Diese Bestimmung wurde, wie ihrem Wortlaut zu entnehmen ist, im Hinblick darauf eingefügt, daß die Bundesrepublik Deutschland entgegen dem ursprünglichen Vorschlag der Oberfinanzdirektion R. nicht an dem Vertragsschluß beteiligt wurde. Damit hatte der Beklagte als Käufer die Durchsetzung des Rückübertragungsanspruchs und des weiteren das Risiko übernommen, daß das Grundstück von der verfügungsberechtigten Bundesrepublik Deutschland anderweitig veräußert werden würde. Hingegen handelte es sich bei dem Ausgleichsanspruch aus der damaligen Sicht der Parteien um eine feststehende Größe, wie das Schreiben der Anwälte der Beklagten vom 2. April 1996 an die Oberfinanzdirektion R. belegt. Eine Chance, den Rückübertragungsanspruch durch Verhandlungsgeschick gegenüber der Oberfinanzdirektion R. herabzusetzen oder gar ganz in Fortfall zu bringen, haben die Parteien dem Beklagten danach nicht einräumen wollen, so daß die Schlußfolgerung des Berufungsgerichts, wegen des übernommenen Risikos stehe dem Beklagten auch allein die entsprechende Chance zu, nicht haltbar ist.

Schließlich kann entgegen der Annahme des Berufungsgerichts keine Rede davon sein, daß aus dem Schreiben der Klägerin vom 18. November 1993 hervorgehe, die Parteien hätten die hier vorliegende Vertragskonstruktion gewählt, um der Klägerin weitere Auseinandersetzungen mit der Oberfinanzdirektion R. und das mit dem im Raum stehenden Ausgleichsanspruch verbundene Risiko zu ersparen. Weder war für die Klägerin mit dem Ausgleichsanspruch ein Risiko verbunden, noch hatte sie deswegen mit der Oberfinanzdirektion R. eine Auseinandersetzung. Vielmehr hatte sie den Ausgleichsanspruch, wie aus ihrem Schreiben vom 18. November 1993 hervorgeht, unbeanstandet hingenommen. Wenn es in dem Schreiben der Klägerin weiter heißt, daß ihre „nervliche Verfassung für weitere Verhandlungen nicht mehr vorhanden” sei, so betrifft das lediglich die vorausgehenden vergeblichen Bemühungen der Oberfinanzdirektion R., das Grundstück zu einem höheren Preis zu verkaufen. Darüber hinaus hat das Berufungsgericht das Schreiben nur unvollständig gewürdigt, indem es den zweiten Satzteil unberücksichtigt gelassen hat, wonach die Klägerin durchaus noch zu weiteren Verhandlungen, allerdings nur über einen Rechtsbeistand, bereit war.

c) Die gemeinsame Vorstellung der Parteien bei Abschluß des notariellen Vertrages vom 1. Dezember 1993, daß der Rückübertragungsanspruch der Klägerin mit einem Ausgleichsanspruch der Bundesrepublik Deutschland in Höhe von 850.000 DM belastet sei, hat sich nicht verwirklicht, weil das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen M. – V. in seinem Rückübertragungsbescheid vom 17. Juli 1996 einen solchen Ausgleichsanspruch bestandskräftig verneint hat.

d) Dadurch, daß der Beklagte den Erwartungen der Parteien zuwider keinem Ausgleichsanspruch der Bundesrepublik Deutschland ausgesetzt war, ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts auch die Ausgewogenheit der beiderseitigen Leistungen erheblich beeinträchtigt. Im Ergebnis hat der Beklagte das betreffende Grundstück anstatt für (780.000 + 850.000 DM =) 1.630.000 DM für nur 780.000 DM erhalten. Das geht zu Lasten der Klägerin, die sich wegen des vermeintlichen Ausgleichsanspruchs der Bundesrepublik Deutschland mit einem Kaufpreis von lediglich 780.000 DM für den Rückübertragungsanspruch, der in Wahrheit den vollen wirtschaftlichen Wert des Grundstücks erfaßte, zufriedengegeben hat. Angesichts dessen ist der Klägerin ein unverändertes Festhalten an dem notariellen Vertrag vom 1. Dezember 1993 nach Treu und Glauben nicht zuzumuten.

Dem läßt sich nicht entgegenhalten, die Frage eines Bestehens des Ausgleichsanspruchs liege in der vertraglichen Risikosphäre der Klägerin (vgl. BGHZ 74, 370, 373). Wie bereits oben (unter b bb) ausgeführt, besagt die Risikoklausel des § 5 Abs. 5 des notariellen Vertrages der Parteien zu der Chance von Verhandlungen über den Ausgleichsanspruch der Bundesrepublik Deutschland nichts. Die Annahme des Berufungsgerichts, das „Risiko” der Verhandlungen mit der Oberfinanzdirektion R. über den Ausgleichsanspruch sei in § 5 Abs. 5 des Vertrages ausdrücklich allein dem Beklagten zugewiesen worden, so daß ihm auch die entsprechende Chance zustehe, entbehrt jeder Grundlage im Wortlaut der Klausel und in den Vorstellungen der Parteien. Im übrigen wird weder in der Revisionserwiderung näherer Vortrag aufgezeigt noch ist sonst ersichtlich, daß der Beklagte mit der Oberfinanzdirektion R. über den Ausgleichsanspruch verhandelt hat. Vielmehr hat er dieser noch kurz vor Erlaß des Rückübertragungsbescheides vom 17. Juli 1996 durch anwaltliches Schreiben vom 2. April 1996 seine Zahlungsbereitschaft über den vollen Betrag von 850.000 DM erklärt.

e) Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus einem anderen Grunde als richtig dar. Ohne Erfolg weist die Revisionserwiderung darauf hin, daß der Wegfall der Geschäftsgrundlage eines Austauschvertrages wie des hier in Rede stehenden Vertrages der Parteien nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich dann nicht mehr geltend gemacht werden kann, wenn der Vertrag beiderseits vollständig erfüllt worden ist (zuletzt z.B. BGHZ 131, 209, 216 m.w.Nachw.). Dieser Gesichtspunkt kommt bei dem – hier gegebenen – gemeinsamen Irrtum der Vertragsparteien über den Eintritt eines zukünftigen Ereignisses nicht zum Tragen (BGHZ 74, 370 ff.; 131, 209, 217; vgl. ferner BGHZ 113, 310, 314 f.).

f) Die nach alledem gebotene Anpassung des Vertrages wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage kann der erkennende Senat selbst vornehmen. Weitere tatsächliche Feststellungen zu den maßgeblichen Umständen sind nicht zu erwarten. Entgegen der Darstellung der Revisionserwiderung ist die Frage des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in den Vorinstanzen eingehend behandelt worden.

Unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen ist der notarielle Vertrag der Parteien den veränderten Umständen in der Weise anzupassen, daß der Beklagte den auf den vermeintlichen Ausgleichsanspruch der Bundesrepublik Deutschland entfallenden Betrag von 850.000 DM zusätzlich zu dem vereinbarten Kaufpreis von 780.000 DM an die Klägerin zu zahlen hat. Wie sich aufgrund des Rückübertragungsbescheides vom 17. Juli 1996 nachträglich herausgestellt hat, hat die Klägerin dem Beklagten entgegen der gemeinsamen Vorstellung beider Parteien bei Abschluß des notariellen Vertrages vom 1. Dezember 1993 einen unbelasteten Rückübertragungsanspruch abgetreten. Unerheblich ist, welchen Wert dieser Anspruch bzw. das betreffende Grundstück bei Abschluß des Vertrages tatsächlich hatte. Maßgeblich ist vielmehr, welcher Wert ihm nach den Vorstellungen der Parteien zukam. Das ist nicht der vereinbarte Kaufpreis von 780.000 DM. Dieser beruhte auf der – unzutreffenden – Vorstellung der Parteien, daß der Rückübertragungsanspruch mit einem Ausgleichsanspruch der Bundesrepublik Deutschland in Höhe von 850.000 DM belastet sei. Vielmehr betrug der Wert des unbelasteten Rückübertragungsanspruchs nach den Vorstellungen der Parteien (780.000 DM + 850.000 DM =) 1.630.000 DM. Demgemäß war der Beklagte ausweislich des Schreibens seiner Anwälte vom 2. April 1996 bis zuletzt bereit, für den Erwerb des Grundstücks über den mit der Klägerin vereinbarten Kaufpreis von 780.000 DM hinaus auch den von der Oberfinanzdirektion R. für die Bundesrepublik Deutschland verlangten Wertausgleich in Höhe von 850.000 DM zu zahlen. Hätten die Parteien gewußt, daß der Beklagte keinen Wertausgleich an die Bundesrepublik Deutschland zu zahlen hatte, hätten sie für die Abtretung des Rückübertragungsanspruches der Klägerin einen um 850.000 DM höheren Kaufpreis vereinbart (vgl. BGHZ 74, 370, 376). Das ergibt sich schon aus dem Umstand, daß der Beklagte, wie dargetan, bereit war, für das Grundstück mit allen Baulichkeiten insgesamt 1.630.000 DM netto zu zahlen. Nach alledem hat die Klägerin, die sich lediglich wegen des vermeintlichen Ausgleichsanspruchs mit dem vereinbarten Kaufpreis von 780.000 DM zufriedengegeben hat, für die Abtretung ihres unbelasteten Rückübertragungsanspruchs 850.000 DM zu wenig erhalten. Durch eine entsprechende Zuzahlung des Beklagten wird die Ausgewogenheit der beiderseitigen Leistungen wiederhergestellt. Die Klägerin erhält damit insgesamt den Geldbetrag, der nach den Vorstellungen der Parteien dem Wert des Rückübertragungsanspruchs ohne Ausgleichsverpflichtung bei Abschluß des notariellen Vertrages vom 1. Dezember 1993 entsprach (vgl. OLG Nürnberg NJW 1996, 1479). Aus der Sicht des Beklagten ist es dagegen letztlich gleich, ob er den Betrag von 850.000 DM wie ursprünglich vorgesehen an die Bundesrepublik Deutschland oder nach Wegfall des vermeintlichen Ausgleichsanspruchs nunmehr an die Klägerin entrichtet. Unabhängig davon hat er das Grundstück zu dem von ihm von vornherein einkalkulierten Preis von 1.630.000 DM erlangt.

Hat die Klägerin mithin gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung weiterer 850.000 DM, ist ihr der mit der Klage geltend gemachte Teilbetrag von 425.000 DM nicht zu versagen.

2. Ferner hat das Berufungsgericht, wie schon das Landgericht, die Feststellungswiderklage des Beklagten zu Unrecht für begründet erachtet. Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, daß die Klägerin von dem Beklagten über den von diesem gezahlten Kaufpreis von 780.000 DM und den mit der Klage geltend gemachten Teilbetrag von 425.000 DM hinaus Zahlung weiterer 425.000 DM verlangen kann.

 

Unterschriften

Dr. Deppert, Dr. Hübsch, Ball, Wiechers, Dr. Wolst

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 15.11.2000 durch Zöller, Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 507856

NJW 2001, 1204

BGHR 2001, 103

BGHR

Nachschlagewerk BGH

WM 2001, 523

NJ 2001, 370

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