Leitsatz (amtlich)

a) Zu den Voraussetzungen einer Bindung des Berufungsgerichts an die erstinstanzlich auf Grund eines Sachverständigengutachtens getroffenen Feststellungen.

b) Verlangt der Geschädigte den zur Wiederherstellung erforderlichen Geldbetrag i. S. d. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB (fiktiv) auf Basis eines Sachverständigengutachtens, das eine bestimmte Art einer ordnungsgemäßen Reparatur vorsieht, so kann er grundsätzlich nur für die erforderliche Dauer dieser Reparatur Ersatz der Kosten für die Anmietung eines Ersatzfahrzeuges beanspruchen.

 

Normenkette

ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 1; BGB § 249 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Stade (Urteil vom 24.09.2002)

AG Stade

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des LG Stade v. 24.9.2002 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger macht (restliche) Reparatur- und Mietwagenkosten aus einem Verkehrsunfall v. 30.10.2000 gegen den Beklagten zu 1 als Fahrer und gegen die Beklagte zu 2 als Haftpflichtversicherer des anderen unfallbeteiligten Kraftfahrzeuges geltend. Er bezifferte zunächst die Reparaturkosten auf Grund eines privaten Sachverständigengutachtens v. 31.10.2000 auf 2.972,60 DM, wobei für die Dauer der Reparatur drei Tage veranschlagt waren. Die Beklagte zu 2 zahlte an den Kläger die in seinem Privatgutachten angegebenen Reparaturkosten. Danach ließ der Kläger an dem Fahrzeug Reparaturarbeiten vornehmen. Die hiermit beauftragte Kfz-Werkstatt vertrat nach Einleitung der Arbeiten die Auffassung, die hintere linke Tür, welche der Kläger als gebrauchtes Teil selbst beschafft hatte, könne nicht eingepasst werden. Der mit einer erneuten Begutachtung durch den Kläger beauftragte Privatsachverständige gelangte daraufhin in einem Nachtragsgutachten v. 16.11.2000 zu dem Ergebnis, das bei dem Unfall beschädigte Seitenteil des Fahrzeuges sei mit einem zusätzlichen Reparaturaufwand i. H. v. 3.520,65 DM zu erneuern. Die Reparatur des Fahrzeuges wurde von der vom Kläger beauftragten Kfz-Werkstatt gleichwohl ohne Erneuerung des Seitenteils unter Einbeziehung von "Eigenleistungen" des Klägers zum Preis von 1.022,89 DM durchgeführt.

Der Kläger macht geltend, es seien Mängel verblieben, weil die hintere Tür sich nur schlecht öffnen lasse und an der Seitenwand links eine Lichtbeule verblieben sei. Mit seiner Klage hat er die vom Privatsachverständigen bezifferten zusätzlichen Reparaturkosten von 3.520,65 DM sowie Erstattung der Kosten für die Anmietung eines Ersatzfahrzeuges für die Dauer der tatsächlichen Reparatur v. 14.11.bis 23.11.2000i. H. v. 2.686,56 DM sowie eine Unkostenpauschale von 40 DM verlangt. Das AG hat dem Kläger nach Einholung eines Sachverständigengutachtens, wonach eine Reparatur ohne Erneuerung des Seitenteils in vier Tagen möglich gewesen sei, lediglich für diese Zeit einen Betrag von 610,50 Euro als Ersatz für Mietwagenkosten zuerkannt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Gegen das Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und zunächst beantragt, die Beklagten zur Zahlung der restlichen erstinstanzlich geltend gemachten Mietwagenkosten i. H. v. 763,12 Euro zu verurteilen. Danach hat er (innerhalb der Berufungsbegründungsfrist) die Berufung wegen der restlichen Reparaturkosten um 3.520,65 DM (= 1.820,53 Euro) nebst Zinsen erweitert. Das LG hat nach Übertragung der Sache auf den Einzelrichter die Berufung des Klägers mit Ausnahme der Zuerkennung einer Unkostenpauschale von 20,45 EUR sowie von Zinsen aus dem vom AG ausgeurteilten Betrag zurückgewiesen und die Revision zum BGH zugelassen, weil die Frage der Zulässigkeit einer kombinierten Geltendmachung von zugleich fiktiven und konkreten Schadenspositionen im Zusammenhang mit der Abrechnung auf Gutachtenbasis nach vorläufiger Prüfung bislang nicht Gegenstand einer Entscheidung des obersten Gerichts gewesen und darüber hinaus von grundsätzlicher Bedeutung sei. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren - soweit vom Berufungsgericht zu seinem Nachteil erkannt worden ist - weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht hat hinsichtlich der geltend gemachten Reparaturkosten nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO n. F. eine Bindung an die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen angenommen. Dieser Grundsatz erfahre lediglich dann eine Ausnahme, wenn konkrete Anhaltspunkte vernünftige Zweifel an der Richtigkeit oder der Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Tatsachen zu wecken geeignet seien. Dies sei jedoch hier nicht der Fall. Der vom AG bestellte Sachverständige habe entgegen der entsprechenden Behauptung des Klägers ausgeführt, dass die nach durchgeführter Reparatur noch festgestellten Mängel auf den vom Kläger gewählten Reparaturweg zurückzuführen seien. Die vom Kläger selbst beschaffte gebrauchte Tür sei nur mangelhaft eingepasst worden. Die verbliebene Lichtbeule sei auf mangelhaft durchgeführte Spachtel- und Finisharbeiten zurückzuführen auf Grund eines unvollständigen Spachtelüberganges. Berücksichtige man den Umstand, dass die Arbeiten gerade nicht in einer Vertragswerkstatt durchgeführt worden seien, die Reparaturkosten in ganz erheblichem Umfang unter der zuvor vom Privatgutachter des Klägers berechneten Höhe blieben und schließlich auch noch gebrauchte Teile Verwendung gefunden hätten, könne nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass eine Behebung auch der Letzten noch vorhandenen Mängel durch eine Vertragswerkstatt bei Verwendung von Originalteilen und ordnungsgemäßer Spachtelung nicht möglich gewesen wäre und aus diesem Grund das komplette hintere Seitenteil hätte ausgetauscht werden müssen. Daneben stehe dem Kläger gegen die Beklagten auch kein Anspruch auf Mietwagenkosten in einer dem zuerkannten Betrag von 610,40 Euro übersteigenden Höhe zu. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass der Kläger nicht die tatsächlich angefallenen Reparaturkosten begehre, sondern vielmehr auf Gutachtenbasis abrechne. Wenn sich der Kläger aber für die Abrechnung auf fiktiver Basis entscheide und davon absehe, sein Fahrzeug entsprechend dem zu Grunde liegenden Gutachten wieder sach- und fachgerecht instand setzen zu lassen, dann sei er an diese Entscheidung gebunden. Es stehe dem Kläger nicht frei, hinsichtlich der einzelnen Schadenspositionen zwischen fiktiven und tatsächlich angefallenen Kosten zu wechseln und so das für ihn jeweils günstigste Ergebnis in Anrechnung zu bringen.

II.

Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis mit Recht dem Kläger über die bereits gezahlten bzw. zuerkannten Beträge hinaus weiter gehende Ansprüche auf Schadensersatz wegen Reparatur- und Mietwagenkosten versagt.

1. Die Annahme des Berufungsgerichts, es sei nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die erstinstanzliche Tatsachenfeststellung über die Möglichkeit einer mangelfreien Reparatur ohne Einbau eines neuen Seitenteils gebunden, lässt entgegen der Auffassung der Revision keinen Rechtsfehler erkennen.

Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zu Grunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Zweifel im Sinne dieser Vorschrift liegen schon dann vor, wenn aus Sicht des Berufungsgerichts eine gewisse - nicht notwendig überwiegende - Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt (vgl. die Begründung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 14/6036, 159). Dies gilt grundsätzlich auch für Tatsachenfeststellungen, die auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens getroffen worden sind. Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit des Gutachtens können sich aus dem Gutachten oder der Person des Gutachters ergeben, insbesondere wenn das Gutachten in sich widersprüchlich oder unvollständig ist, wenn der Sachverständige erkennbar nicht sachkundig war, sich die Tatsachengrundlage durch zulässigen neuen Sachvortrag geändert hat oder wenn es neue wissenschaftliche Erkenntnismöglichkeiten zur Beantwortung der Sachverständigenfrage gibt (vgl. Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl., § 529 Rz. 9). Anhaltspunkte hierfür werden von der Revision im vorliegenden Fall nicht aufgezeigt.

b) Soweit die Revision meint, die entsprechenden Feststellungen seien bereits deshalb nicht verfahrensfehlerfrei getroffen worden, weil das Gutachten nicht von dem vom AG beauftragten Sachverständigen, sondern von einem Mitarbeiter seines Büros erstellt worden sei, wird übersehen, dass das AG in seinem Beweisbeschluss lediglich das "Büro" des Sachverständigen beauftragt hat. Ob eine Ernennung des Sachverständigen in dieser allgemeinen Form nach § 404 ZPO zulässig ist, kann im vorliegenden Fall letztlich dahinstehen. Denn der Inhaber des Sachverständigenbüros hat nach der entsprechenden Beauftragung dem Gericht den Mitarbeiter seines Büros benannt, welcher das Gutachten erstellen und einer eventuellen Gerichtsverhandlung beiwohnen werde. Nachdem weder seitens des Gerichts noch seitens der Parteien, denen dies zur Kenntnis gebracht wurde, hiergegen Einwände erhoben worden sind, war damit die Person des Sachverständigen zum Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens hinreichend bestimmt.

c) Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Feststellungen des AG ergeben sich entgegen der Auffassung der Revision auch nicht aus den vom Kläger inhaltlich gegen das Gutachten erhobenen Bedenken. Das Gutachten ist weder in sich widersprüchlich noch unvollständig, noch haben sich die Tatsachengrundlagen geändert. Der Kläger hat lediglich seine auf das Nachtragsgutachten des Privatsachverständigen gestützte Behauptung aufrechterhalten, dass zu einer ordnungsgemäßen Reparatur eine Erneuerung des Seitenteils erforderlich sei. Hierüber hatte sich jedoch das erstinstanzliche Gericht auf Grund des von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens eine gegenteilige Überzeugung gebildet. Allein der Umstand, dass der Kläger das vom Gericht eingeholte Sachverständigengutachten nicht für überzeugend hält, vermag bei dieser Sachlage konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an seiner Richtigkeit und Vollständigkeit nicht zu ersetzen. Geändert hatte sich hier lediglich die Beurteilung des vom Kläger beauftragten Privatsachverständigen hinsichtlich der Erforderlichkeit einer Erneuerung des Seitenteils. Dieser - zum Zeitpunkt der Einholung des gerichtlichen Gutachtens bereits bekannte - Meinungswandel nötigte jedoch das Berufungsgericht bereits deshalb nicht zur Ergänzung der Beweisaufnahme, weil dadurch keine Fehler oder Widersprüche im gerichtlichen Gutachten aufgezeigt werden. Schließlich begegnet es auch keinen rechtlichen Bedenken, dass es das Berufungsgericht nach den Ausführungen des erstinstanzlich beauftragten Sachverständigen als plausibel angesehen hat, dass die nach durchgeführter Reparatur noch festgestellten Mängel auf den vom Kläger gewählten, weitaus billigeren als von seinem eigenen Sachverständigen bezeichneten Reparaturweg unter Verwendung einer gebrauchten Tür zurückzuführen seien und deshalb nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden könne, dass eine erneute Beweisaufnahme zu einem anderen Ergebnis führen werde. Dies ist auf der Grundlage des eingeholten Sachverständigengutachtens eine zulässige tatrichterliche Würdigung, die - mangels von der Revision aufgezeigter Verfahrensfehler - revisionsrechtlicher Überprüfung entzogen ist.

2. Das Berufungsgericht ist schließlich auch mit Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass dem Kläger über dem ihm zuerkannten Betrag hinaus kein Schadensersatzanspruch hinsichtlich weiterer Mietwagenkosten zusteht. Die vom Einzelrichter im Zusammenhang mit der Revisionszulassung als rechtsgrundsätzlich erachtete Frage einer Kombination von fiktiver und konkreter Schadensabrechnung bedarf in dieser Allgemeinheit im vorliegenden Fall keiner abschließenden Beurteilung. Jedenfalls unter den Umständen des vorliegenden Falles muss sich der Kläger hinsichtlich der Dauer der Schadensbehebung an der seiner ursprünglichen Schadensabrechnung zu Grunde liegenden Art der Reparatur festhalten lassen, welche ihm die Beklagte zu 2 bezahlt hat und die nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts nach vier Tagen zu einer ordnungsgemäßen Wiederherstellung des Fahrzeugs geführt hätte. Die Mietwagenkosten für die Dauer der von ihm tatsächlich durchgeführten Reparatur kann er schon deshalb nicht verlangen, weil er damit eine andere, billigere Art der Wiederherstellung gewählt hat, deren Kosten er gerade nicht geltend macht. Verlangt der Geschädigte den zur Wiederherstellung erforderlichen Geldbetrag i. S. d. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB (fiktiv) auf Basis eines Sachverständigengutachtens, das eine bestimmte Art einer ordnungsgemäßen Reparatur vorsieht, so kann er grundsätzlich nur für die erforderliche Dauer dieser Reparatur Ersatz der Kosten für die Anmietung eines Ersatzfahrzeuges beanspruchen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1050043

NJW 2003, 3480

BGHR 2004, 17

BauR 2003, 1942

FamRZ 2004, 23

IBR 2004, 169

MDR 2003, 1414

NZV 2003, 569

VRS 2004, 27

VersR 2004, 1575

ZfS 2003, 591

BrBp 2004, 259

RdW 2003, 744

VRA 2004, 7

DS 2004, 19

ProzRB 2004, 67

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