Leitsatz (amtlich)

Zur Bestimmtheit eines Unterlassungsantrags, der auslegungsbedürftige Begriffe wie „unmißverständlich”, „unüberhörbar” und „unübersehbar” enthält.

Werden exklusive Parfums und Kosmetika in Verpackungen vertrieben, bei denen eine Beschädigung durch Beseitigung der Kontrollnummer des Herstellers abgedeckt worden ist, kann eine Irreführung der Verbraucher wegen Fehlens eines aufklärenden Hinweises nicht ohne Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Art und Weise, wie die Beschädigung kaschiert ist, angenommen werden.

 

Normenkette

ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2; UWG § 3

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 2/6 O 167/95)

OLG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 6 U 162/95)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 7. November 1996 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin vertreibt aufgrund eines ausschließlichen weltweiten Vertriebsrechts Parfum- und Kosmetikartikel unter den Marken „LAURA BIAGIOTTI ROMA”, „LAURA BIAGIOTTI VENEZIA” und „BOSS/HUGO BOSS”. Sie beliefert nur ausgewählte Fachgeschäfte und Warenhäuser. Um den Vertriebsweg ihrer Artikel gegebenenfalls nachvollziehen zu können, versieht die Klägerin deren Verpackungen mit einer Kontrollnummer.

Die Beklagte, ein Schweizer Versandhandelsunternehmen, das nicht zu den von der Klägerin ausgewählten Vertriebsunternehmen gehört, bietet mit bundesweit verteilten Versandkatalogen die genannten Markenartikel an. Auf Bestellungen, die anhand des Versandkatalogs „Herbst/Winter '94” vorgenommen worden waren, lieferte die Beklagte u.a. Artikel der Marke „BOSS/HUGO BOSS” aus. Bei einer der Packungen (125 ml After Shave, Anlage AS 3) war auf der Seitenfläche der Verpackung zur Beseitigung der Kontrollnummer ein Feld in der Größe von etwa 3,5 × 0,6 cm herausgeschnitten. Die Beschädigung war mit einem schwarzen Band überklebt.

Bei einer anderen Packung (50 ml Eau de Toilette, Anlage AS 4) war die Kontrollnummer auf der Rückseite des Umkartons durch Ausschneiden eines Feldes in der Größe von etwa 2,5 × 0,4 cm entfernt worden. In diesem Fall war die Beschädigung mit einem weißen Papierlabel überklebt worden.

Anders als spätere Versandkataloge der Beklagten enthielt der Katalog „Herbst/Winter '94” keinen Hinweis auf mögliche Beschädigungen der Verpackungen.

Erstmals mit ihrem Versandkatalog „Frühling '95” warb die Beklagte auch für Ladengeschäfte der I. GmbH in Deutschland, in denen auch Parfum- und Kosmetikartikel der Klägerin erhältlich sind und bezeichnete diese dabei als „Ihre A. -Parfümerien”.

Die Klägerin ist der Ansicht, daß die Beklagte gegen § 3 UWG verstoße, wenn sie Parfum- und Kosmetikartikel der Klägerin vertreibe, ohne auf die Beschädigung infolge der Entfernung der Kontrollnummern hinzuweisen.

Sie hat beantragt,

  1. die Beklagte unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs die von der Klägerin vertriebenen Parfum- und/oder Kosmetikprodukte der Serie „LAURA BIAGIOTTI ROMA” und „BOSS/HUGO BOSS” zu bewerben, anzubieten und/oder in Verkehr zu bringen, bei denen an der Seitenfront der Verpackung eine Fläche von ca. 3,5 × 0,6 cm und/oder auf der Rückseite der Verpackung von ca. 2,5 × 0,4 cm herausgeschnitten oder sonst zerstört ist – gleichgültig, ob die hierdurch entstehende Beschädigung durch Überkleben, Schwärzen oder in sonstiger Weise abgedeckt ist –, sofern die angesprochenen Verkehrskreise bei Werbung und Vertrieb dieser Ware nicht zugleich unmißverständlich und unübersehbar bzw. unüberhörbar auf die Beschädigung hingewiesen werden;
  2. die Beklagte weiter zu verurteilen, ihr Auskunft darüber zu erteilen, welche Mengen an beschädigten „LAURA BIAGIOTTI ROMA”–, „LAURA BIAGIOTTI VENEZIA”- und „BOSS/HUGO BOSS”-Produkten (gegliedert nach Art der Produkte) sie ab 10. Dezember 1994 vertrieben hat;
  3. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die unter Ziffer 1 aufgeführten Handlungen seit 10. Dezember 1994 entstanden ist und noch entstehen wird.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat dabei auch die Einrede der Verjährung erhoben.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben.

Mit ihrer Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

I. Entgegen der Ansicht der Revision ist das Berufungsgericht allerdings zu Recht davon ausgegangen, daß der Unterlassungsantrag ausreichend bestimmt ist.

Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO darf ein Verbotsantrag nicht derart undeutlich gefaßt sein, daß der Streitgegenstand und der Umfang der Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis des Gerichts nicht mehr klar umrissen sind, sich der Beklagte deshalb nicht erschöpfend verteidigen kann und im Ergebnis dem Vollstreckungsgericht die Entscheidung darüber überlassen bleibt, was dem Beklagten verboten ist (st. Rspr.; vgl. zuletzt BGH, Urt. v. 5.6.1997 - I ZR 69/95, GRUR 1998, 489, 491 = WRP 1998, 42 - Unbestimmter Unterlassungsantrag III; Urt. v. 30.10.1997 - I ZR 142/95, NJWE-WettbR 1998, 169, 170, jeweils m.w.N.). Dementsprechend sind Klageanträge, die auslegungsbedürftige Formulierungen enthalten wie „eindeutig”, „angemessen” oder „unübersehbar” in der Regel unbestimmt und damit unzulässig (vgl. BGH, Urt. v. 11.10.1990 - I ZR 35/89, GRUR 1991, 254, 256 = WRP 1991, 216 - Unbestimmter Unterlassungsantrag I; BGH NJWE-WettbR 1998, 169, 170; GroßkommUWG/Jacobs, Vor § 13 Abschn. D Rdn. 99; Melullis, Handbuch des Wettbewerbsprozesses, 2. Aufl., Rdn. 321 f.). Im vorliegenden Fall ist der Klageantrag jedoch trotz der Verwendung der Begriffe „unmißverständlich”, „unübersehbar” und „unüberhörbar” bestimmt. Davon ist der Senat bereits in der Entscheidung „Beschädigte Verpackung I” (Urt. v. 20.2.1992 - I ZR 32/90, GRUR 1992, 406 = WRP 1992, 469) bei einem insoweit gleichlautenden Unterlassungsantrag ohne weiteres ausgegangen.

Der Antrag umschreibt den Verbotstatbestand ausreichend genau. Der mit „sofern” eingeleitete Nebensatz schränkt das begehrte Verbot im vorliegenden Fall nicht ein; er soll lediglich klarstellen, daß die Bewerbung, das Angebot und das Inverkehrbringen von Parfum- und Kosmetikartikeln der genannten Produktserien in Verpackungen, die in der näher bezeichneten Weise beschädigt sind, nicht als solche – als in jedem Fall wettbewerbswidrig – verboten werden sollen, sondern nur im Hinblick darauf, daß diese bei Fehlen einer Aufklärung der Verbraucher über die Beschädigung der Ware irreführend seien (vgl. dazu auch BGH, Urt. v. 5.5.1988 - I ZR 179/86, GRUR 1988, 826, 827 = WRP 1988, 725 - Entfernung von Kontrollnummern II). Da sich hier die Bedeutung des mit „sofern” eingeleiteten Zusatzes in dieser Klarstellung erschöpft, wird die Bestimmtheit des Antrags nicht dadurch berührt, daß die darin verwendeten Begriffe „unmißverständlich”, „unübersehbar” und „unüberhörbar” für sich genommen unbestimmt sind (vgl. zu dieser Problematik auch BGH, Urt. v. 21.6.1967 - Ib ZR 159/64, GRUR 1968, 200, 203 = WRP 1967, 440 - Acrylglas; Urt. v. 27.2.1997 - I ZR 5/95, GRUR 1997, 933, 934 - EP; vgl. weiter Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 20. Aufl., Einl. UWG Rdn. 463 f.; GroßkommUWG/Jacobs, Vor § 13 Abschn. D Rdn. 108 f., 140 ff.; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, 7. Aufl., Kap. 51 Rdn. 21 ff., jeweils m.w.N.). Im Fall der Verurteilung der Beklagten nach dem Klageantrag wäre es ihre Sache, einen Weg zu finden, wie sie das als Irreführung beanstandete Verhalten in Zukunft durch Aufklärung des Verbrauchers vermeidet (vgl. BGHZ 123, 330, 336 - Folgeverträge I, m.w.N.). Eine Aufklärung des Verbrauchers muß unmißverständlich, unübersehbar oder unüberhörbar sein. Wenn darauf durch Aufnahme dieser Begriffe in den hier gestellten Antrag hingewiesen wird, ist dies für die Bestimmtheit des Klageantrags unschädlich.

II. Das Berufungsgericht hat die Klage auch als begründet angesehen. Das Angebot der Parfum- und Kosmetikartikel in dem Versandkatalog der Beklagten „Herbst/Winter '94” sei irreführend im Sinne des § 3 UWG, weil nicht darauf hingewiesen worden sei, daß die Verpackung möglicherweise zum Zweck der Entfernung der Kontrollnummer beschädigt worden sei. Bei solchen Artikeln spiele die Verpackung die Rolle des „schmückenden Beiwerks”. Verbraucher, die Wert auf eine tadellose Verpackung legten, etwa weil sie die Ware als Geschenk verwenden wollten, würden in relevanter Weise getäuscht, wenn sie bestellte Artikel ohne vorherigen aufklärenden Hinweis in einer beschädigten Verpackung erhielten. Die Wiederholungsgefahr bestehe fort. Der Anspruch sei auch nicht verjährt.

Wegen des begangenen Wettbewerbsverstoßes sei ferner der Anspruch der Klägerin auf Auskunftserteilung und Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten begründet.

Ein Unterlassungsanspruch gegen Irreführungen bei telefonischen Bestellungen oder beim Vertrieb in den von der I. GmbH betriebenen Ladengeschäften, für die die Beklagte als Mitstörerin hafte, sei zumindest unter dem Gesichtspunkt der Erstbegehungsgefahr gegeben. Nach dem Unterlassungsantrag werde von der Beklagten nicht verlangt, bei der Auslieferung der Ware auch dann über eine mögliche Beschädigung der Verpackung aufzuklären, wenn sie bereits in ihrer Werbung einen ausreichenden Hinweis gegeben habe. Ein Dekodierungshinweis beim „Vertrieb” dürfte somit nur dann erforderlich sein, wenn eine Bestellung telefonisch aufgegeben werde oder der Kunde die Ware in einem Ladengeschäft der I. GmbH persönlich erwerbe.

III. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Verurteilung der Beklagten nach dem Klageantrag kann nicht aufrechterhalten werden, weil sie aufgrund ihrer Verallgemeinerung auch rechtlich zulässige Handlungen untersagt.

1. Es ist allerdings anerkannt, daß bei einem wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsantrag und dementsprechend bei der Verurteilung im Interesse eines hinreichenden Rechtsschutzes gewisse Verallgemeinerungen gestattet sind, sofern auch in dieser Form das Charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck kommt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urt. v. 25.6.1992 - I ZR 136/90, GRUR 1992, 858, 859 f. = WRP 1992, 768 - Clementinen; Urt. v. 9.5.1996 - I ZR 107/94, GRUR 1996, 800, 802 = WRP 1996, 899 - EDV-Geräte). Dem liegt die Erwägung zugrunde, daß eine in bestimmter Form begangene Verletzungshandlung nicht nur die Wiederholung der genau identischen Verletzungsform vermuten läßt, sondern auch eine Vermutung für die Begehung zwar leicht abgewandelter, aber in ihrem Kern gleicher Handlungen begründet. Ein Unterlassungsantrag wird jedoch (teilweise) unbegründet, wenn er durch eine zu weite Verallgemeinerung über den bestehenden Anspruch hinausgeht, insbesondere wenn er auch Handlungen einbezieht, die nicht wettbewerbswidrig sind (vgl. BGHZ 126, 287, 295 f. - Rotes Kreuz; BGH, Urt. v. 10.12.1998 - I ZR 141/96, WRP 1999, 421, 423 f. - Vorratslücken, m.w.N.). So liegt der Fall hier.

2. Das mit dem Klageantrag angegriffene Verhalten kann nicht unabhängig von den Umständen des Einzelfalls, zu denen das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen hat, als Irreführung der Verbraucher im Sinne des § 3 UWG angesehen werden.

a) Das Berufungsgericht hat nicht ausreichend beachtet, daß der Unterlassungsanspruch nicht auf eine Irreführung durch positives Tun, sondern darauf gestützt ist, daß nicht darüber aufgeklärt worden ist, daß Kontrollnummern auf den Verpackungen der beworbenen Parfum- und Kosmetikartikel möglicherweise entfernt worden sind. Das Verschweigen einer Tatsache kann jedoch nur dann als eine irreführende Angabe im Sinne des § 3 UWG angesehen werden, wenn den Werbenden eine Aufklärungspflicht trifft. Eine solche Pflicht besteht, sofern sie nicht schon aus Gesetz, Vertrag oder vorangegangenem Tun begründet ist, im Wettbewerb nicht schlechthin. Denn der Verkehr erwartet nicht ohne weiteres die Offenlegung aller – auch der weniger vorteilhaften – Eigenschaften einer Ware oder Leistung. Die Pflicht zur Aufklärung besteht jedoch in den Fällen, in denen das Publikum bei Unterbleiben des Hinweises in einem wesentlichen Punkt, der den Kaufentschluß zu beeinflussen geeignet ist, getäuscht würde (vgl. BGH, Urt. v. 3.12.1998 - I ZR 63/96, Umdr. S. 6 f. - Auslaufmodelle I, m.w.N.). Allerdings müssen auch die Interessen des Werbenden beachtet werden: Seine wettbewerbsrechtliche Aufklärungspflicht bezieht sich nicht auf jede Einzelheit der geschäftlichen Verhältnisse. Vielmehr besteht aus dem Gesichtspunkt des § 3 UWG eine Verpflichtung, negative Eigenschaften des eigenen Angebots in der Werbung offenzulegen, nur insoweit, als dies zum Schutz des Verbrauchers auch unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Werbenden unerläßlich ist (vgl. BGH, Urt. v. 3.12.1998 - I ZR 63/96, Umdr. S. 7 f. - Auslaufmodelle I, m.w.N.).

b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann hier eine Aufklärungspflicht der Beklagten nicht in jedem Fall, in dem eine Verpackungsbeschädigung der im Antrag genannten Art stattgefunden hat, bejaht werden. Es kann nach der Lebenserfahrung auch bei exklusiven Parfums und Kosmetika nicht davon ausgegangen werden, daß mögliche Veränderungen an den Verpackungen, wie sie Gegenstand des Klageantrags sind, ohne Rücksicht darauf, wie sie vorgenommen wurden, für einen noch hinreichend großen Teil der Verbraucher so bedeutsam für den Kaufentschluß sind, daß eine vorherige Aufklärung darüber geboten ist.

Der Unterlassungsantrag der Klägerin verlangt von der Beklagten uneingeschränkt, ihre Kunden darüber aufzuklären, daß die Verpackungen der angebotenen Parfum- und Kosmetikartikel möglicherweise durch Ausschneiden oder anderweitige Beseitigung der Kontrollnummern beschädigt sind. Der Antrag erfaßt daher auch solche Fälle, in denen die Beschädigung durch Überkleben, Schwärzen oder in sonstiger Weise so abgedeckt ist, daß sie für den nicht sachkundigen Verbraucher gar nicht mehr oder jedenfalls kaum erkennbar ist. Daß dies möglich ist – gerade auch bei verhältnismäßig kleinen Flächen wie im vorliegenden Fall (etwa 3,5 × 0,6 cm und etwa 2,5 × 0,4 cm) –, zeigen auch Verpackungen, die im Verfahren vorgelegt worden sind.

Würde es aber an einer sichtbaren Veränderung der Verpackung fehlen, die noch von einem hinreichend großen Teil der Verbraucher als Beeinträchtigung ihres Aussehens beurteilt wird, wäre die an der Verpackung vorgenommene Manipulation für den Kaufentschluß im allgemeinen nicht so bedeutend, daß darüber aufgeklärt werden müßte.

Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, daß für diejenigen, die Parfum- und Kosmetikartikel für den eigenen Gebrauch erwerben, nur in seltenen Fällen bedeutsam ist, ob die Verpackung unverändert geblieben ist; dies jedenfalls so lange, als Manipulationen geschickt verdeckt sind. Eine relevante Irreführung durch Vertrieb von Waren, an deren Verpackung zur Beseitigung der Kontrollnummern Veränderungen stattgefunden haben, scheidet auch bei solchen Verbrauchern aus, die zwar Wert auf eine tadellose Verpackung legen, insbesondere weil sie die Ware verschenken wollen, aber wissen, daß der Vertrieb solcher Produkte Unternehmen wie der Beklagten, die nicht in die Vertriebssysteme der Hersteller eingebunden sind, nur möglich ist, wenn sie ihre Bezugsquellen durch Beseitigen der Kontrollnummern verschleiern. Solche Verbraucher rechnen mit einer Beschädigung der Verpackung und erwarten lediglich, daß diese gegebenenfalls so abgedeckt ist, daß sie nicht auffällt.

Die verbleibenden Verbrauchergruppen, die Wert auf eine einwandfreie Verpackung legen, werden sich in weitem Umfang nicht getäuscht sehen, wenn sie Ware erhalten, an deren Verpackung etwaige Manipulationen nicht ohne besondere Sachkunde erkennbar sind. Danach verbleiben nach der Lebenserfahrung nur noch verhältnismäßig wenige Verbraucher, aus deren Sicht Parfum- und Kosmetikartikel mit einer Beschädigung der Verpackung, die durch Entfernung der Kontrollnummer entstanden ist, auch bei sehr geschickter Abdeckung der Beschädigung mängelbehaftet sind, weil die Manipulation vielleicht doch erkannt werden könnte.

Eine ausdrückliche Aufklärung dieser kleinen Verbrauchergruppe über – sei es auch noch so geschickt kaschierte – Verpackungsbeschädigungen ist aber bei Berücksichtigung auch der Interessen der Beklagten als Werbender wettbewerbsrechtlich nicht geboten. Soweit den Senatsentscheidungen „Beschädigte Verpackung I” (GRUR 1992, 406) und „Beschädigte Verpackung II” (Urt. v. 27.4.1995 - I ZR 11/93, GRUR 1995, 608 = WRP 1995, 603) eine andere Beurteilung zu entnehmen ist, wird daran nicht festgehalten.

IV. Auf Umstände, aus denen sich ergeben könnte, daß die Beklagte die Klägerin wettbewerbswidrig im Sinne des § 1 UWG in der Aufrechterhaltung eines schutzwürdigen Vertriebsbindungssystems behindert, wenn sie Kontrollnummern der Klägerin in der beanstandeten Weise entfernt, sind die Klageanträge nicht gestützt; insoweit würde es sich auch um einen eigenen Streitgegenstand handeln.

V. Dem Senat ist im Streitfall eine abschließende Entscheidung verwehrt.

1. Eine Abweisung der Klage kommt bei dem gegenwärtigen Verfahrensstand nicht in Betracht, weil es der Klägerin erkennbar auch darum geht zu unterbinden, daß die Beklagte ihre Parfum- und Kosmetikprodukte ohne aufklärenden Hinweis bewirbt, anbietet oder in Verkehr bringt, wenn die Verpackung gerade in der Art und Weise manipuliert worden ist wie in den Fällen, die dem Verfahren zugrunde liegen. Ein entsprechender – gegen die konkreten Verletzungsformen gerichteter – Antrag ist als ein Minus in dem umfassenden Unterlassungsantrag enthalten. Ohnehin muß den Parteien im Hinblick auf die neuen rechtlichen Gesichtspunkte Gelegenheit gegeben werden, ergänzend vorzutragen; der Klägerin muß ermöglicht werden, ihre Anträge den veränderten Gegebenheiten anzupassen (vgl. BGH, Urt. v. 5.6.1997 - I ZR 69/95, GRUR 1998, 489, 492 = WRP 1998, 42 - Unbestimmter Unterlassungsantrag III, m.w.N.). Feststellungen, die es dem Senat erlauben würden, die Verurteilung der Beklagten hinsichtlich der konkret beanstandeten Handlungen teilweise aufrechtzuerhalten, hat das Berufungsgericht nicht getroffen.

2. Der Unterlassungsantrag ist, soweit er sich gegen Verletzungshandlungen der konkret beanstandeten Art richtet, auch nicht aus anderen Gründen abweisungsreif.

a) Entgegen der Ansicht der Revision kann – falls eine wettbewerbswidrige Handlung festgestellt werden sollte – nicht allein deshalb vom Wegfall der Wiederholungsgefahr ausgegangen werden, weil die Beklagte in späteren Katalogen Hinweise auf mögliche Beschädigungen der Verpackungen aufgenommen hat. Nach ständiger Rechtsprechung kann die Wiederholungsgefahr, für die nach einem Wettbewerbsverstoß eine tatsächliche Vermutung spricht, grundsätzlich nur durch eine strafbewehrte Unterlassungserklärung beseitigt werden (vgl. BGH, Beschl. v. 16.11.1995 - I ZR 229/93, GRUR 1997, 379, 380 = WRP 1996, 284 - Wegfall der Wiederholungsgefahr II; Urt. v. 19.6.1997 - I ZR 46/95, GRUR 1997, 929, 930 = WRP 1997, 1062 - Herstellergarantie).

b) Entgegen der Ansicht der Revision ist die Klage nicht schon deshalb als rechtsmißbräuchlich abzuweisen, weil ihr Testbestellungen von Mitarbeiterinnen der anwaltschaftlichen Vertreter der Klägerin zugrunde liegen, die dabei den Testcharakter der Bestellungen verschleiert haben. Testkäufe sind ein weithin unentbehrliches Mittel zur Überprüfung des Wettbewerbsverhaltens von Mitbewerbern; für ihren Erfolg ist es unvermeidlich, den Zweck zu verbergen (vgl. BGHZ 43, 359, 367 - Warnschild). Es ist wettbewerbsrechtlich grundsätzlich auch unbedenklich, wenn Testkäufe nicht von dem Wettbewerber selbst, sondern von seinem anwaltschaftlichen Vertreter durchgeführt werden. Etwas anderes könnte gelten, wenn ein Testkauf nur dazu dienen soll (insbesondere bei Fehlen hinreichender Anhaltspunkte für eine bereits begangene oder bevorstehende Rechtsverletzung), den Mitbewerber „hereinzulegen”, um ihn mit einem Wettbewerbsprozeß überziehen zu können (vgl. BGHZ 117, 264, 269 f. - Nicola u.a., m.w.N.). Von einem solchen Verhalten der Klägerin kann hier jedoch keine Rede sein.

c) Nach der zutreffenden Beurteilung des Berufungsgerichts ist ein etwaiger Unterlassungsanspruch nicht verjährt.

3. Bei der Entscheidung, ob in Fällen der vorliegenden Art wegen der Beseitigung von Kontrollnummern ein Unterlassungsanspruch aus § 3 UWG gegeben ist, wird gegebenenfalls eine Interessenabwägung stattfinden müssen, wenn die Klägerin die Kontrollnummern auf den Verpackungen ihrer Produkte zu von der Rechtsordnung mißbilligten Zwecken einsetzen sollte, insbesondere dazu, die Märkte zwischen Mitgliedstaaten künstlich abzuschotten (vgl. dazu auch EuGH, Urt. v. 11.11.1997 - Rs. C 349/95, Slg. 1997, I-6227 = GRUR Int. 1998, 145, 147 f. Tz. 37 ff. - Loendersloot/Ballantine; vgl. weiter BGH GRUR 1992, 406, 408 - Beschädigte Verpackung I; BGH, Urt. v. 15.7.1999 - I ZR 14/97, Umdr. S. 9 - Entfernung der Herstellungsnummer).

Sollte im weiteren Verfahren von einem Wettbewerbsverstoß der Beklagten auszugehen sein, wird im Hinblick auf die erhobenen Ansprüche auf Schadensersatzleistung und Auskunftserteilung beachtet werden müssen, daß es bisher an Vorbringen und Feststellungen dazu fehlt, inwieweit die Klägerin geschädigt worden sein könnte, wenn die Beklagte ihre Produkte in Verpackungen wie den konkret beanstandeten ohne aufklärenden Hinweis beworben und vertrieben hat.

VI. Auf die Revision der Beklagten war danach das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

 

Unterschriften

Erdmann, Mees, v. Ungern-Sternberg, Starck, Pokrant

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 15.07.1999 durch Führinger Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 538546

DB 1999, 1853

NJW 1999, 3638

BGHR

GRUR 1999, 1017

Nachschlagewerk BGH

MDR 2000, 343

WRP 1999, 1035

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