Leitsatz (amtlich)

›Bei schweren Verletzungen kann ein Anspruch auf Feststellung der Ersatzpflicht für künftigen - auch immateriellen - Schaden nur dann verneint werden, wenn aus der Sicht des Geschädigten bei verständiger Beurteilung kein Grund bestehen kann, mit Spätfolgen wenigstens zu rechnen.‹

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main

LG Darmstadt

 

Tatbestand

Der Kläger verlangt vom Beklagten Schadensersatz nach einem Badeunfall.

Die Parteien, beide damals 22 Jahre alt, verbrachten als Mitglieder der B. Kerweburschen zusammen mit weiteren 10 Angehörigen dieser Vereinigung das Wochenende vom 9. bis 11. Juni 1989 im Freizeitpark "Silbersee" der Gemeinde F. Während des dortigen Aufenthalts tranken die jungen Männer Alkohol. Am Vormittag des 10. Juni 1989 begannen sie damit, sich wechselseitig von dem Badesteg des Sees in das Wasser zu stoßen. Zwischen 14.30 und 15.00 Uhr stand der Kläger mit zwei Kameraden am Rand des Badestegs. Von dort wurde er durch einen Stoß von hinten zusammen mit den beiden anderen in das an dieser Stelle nicht tiefe Wasser geschubst. Der Kläger stieß mit dem Kopf auf den Seegrund, er erlitt eine sofortige komplette Querschnittslähmung mit Blasen- und Mastdarmlähmung. Nach stationärer Behandlung bis zum 29. Januar 1990 wurde der Kläger in der Folgezeit mit einer Erwerbsminderung von 100% vom erlernten Beruf des Feinmechanikers zum Holzblasinstrumentenbauer umgeschult. Er benötigt für alle Dinge des täglichen Lebens eine Hilfsperson und ist auf Dauer auf einen Rollstuhl angewiesen. Das Haus seiner Eltern, in dem er lebt, wurde behindertengerecht um gebaut.

Mit der Behauptung, der Stoß in das Wasser sei durch den Beklagten erfolgt, hat der Kläger von diesem die Zahlung eines Schmerzensgeldkapitals von 150.000 DM und einer monatlichen Schmerzensgeldrente von 500 DM sowie den Ersatz materieller Schäden verlangt; des weiteren hat er die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für materiellen und immateriellen Zukunftsschaden begehrt.

Das Landgericht hat der Klage mit Abstrichen beim materiellen Schaden stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat unter Zurückweisung der Berufung des Klägers auf das Rechtsmittel des Beklagten die Klage in vollem Umfang abgewiesen, weil entweder von einer stillschweigenden Einwilligung des Klägers in die Verhaltensweise des Beklagten auszugehen sei oder aber zumindest die Grundsatze des Handelns auf eigene Gefahr einem Schadensersatzanspruch entgegenstünden. Dieses Urteil hat der erkennende Senat auf die Revision des Klägers mit Urteil vom 21. Februar 1995 - VI ZR 19/94 - VersR 1995, 583 ff. aufgehoben und die Sache zur weiteren Aufklärung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Hierauf hat das Berufungsgericht durch das nunmehr angefochtene Grund- und Teilurteil unter Abweisung der Klage im übrigen den Beklagten zur Zahlung von 6.833, 33 DM sowie eines Schmerzensgeldes von 150.000 DM, jeweils nebst 4 % Zinsen seit dem 16. August 1989, und einer Schmerzensgeldrente von monatlich 500 DM ab 1. Juni 1996 verurteilt, ferner hat es den Zahlungsantrag auf Ersatz der weiteren materiellen Schäden dem Grunde nach zur Hälfte für gerechtfertigt erklärt und die Verpflichtung des Beklagten festgestellt, dem Kläger zukünftigen materiellen Schaden zu 50 % zu ersetzen. Der Beklagte hat seine Revision gegen dieses Urteil zurückgenommen. Die Revision des Klägers, mit der die Abweisung des Zahlungsantrags in Höhe von 201,29 DM und der Erlaß des Grundurteils über die Zahlungsklage nicht angegriffen werden, hat der erkennende Senat nur angenommen, so Feststellung der Ersatzpflicht für immateriellen Zukunftsschaden richtet.

 

Entscheidungsgründe

I. Das Berufungsgericht hält den hier allein noch zu beurteilenden Anspruch des Klägers auf Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten hinsichtlich immateriellen Zukunftsschadens für unbegründet. Ein solcher Anspruch setze voraus, daß Verletzungsfolgen in Betracht kämen, mit deren Eintritt nicht sicher gerechnet werden könne. Hiervon könne jedoch nicht ausgegangen werden. Der gesundheitliche Zustand des Klägers habe sich so stabilisiert, daß weder mit nachhaltigen Besserungen noch mit Verschlechterungen zu rechnen sei, zumal sich die üblichen Gefahren einer Querschnittslähmung bisher nicht realisiert hatten und ihnen in Zukunft mit geeigneten Übungen begegnet werden könne. Im übrigen weiche die Rechtskraft eines Schmerzensgeldurteils, wenn neue erhebliche Beeinträchtigungen aufträten, die objektiv bei Urteilsfällung nicht erkennbar und vorhersehbar gewesen seien.

II. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht stand.

Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats setzt der Erlaß eines Feststellungsurteils lediglich voraus, daß aus dem festzustellenden Rechtsverhältnis mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Ansprüche entstanden sind oder entstehen können. Nach diesem Grundsatz kommt im Streitfall ein Anspruch auf Ersatz künftigen immateriellen Schadens entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts in Betracht Zwar hat das Berufungsgericht mit dem Hinweis, der Zustand des Klägers habe sich so stabilisiert, daß weder mit nachhaltigen Besserungen noch mit Verschlechterungen zu rechnen sei, ersichtlich die Möglichkeit eines weiteren immateriellen Schadens ausschließen wollen. Indessen kann bei so schweren Verletzungen, wie der Kläger sie unstreitig erlitten hat, der Feststellungsanspruch nur dann verneint werden, wenn aus der Sicht des Geschädigten bei verständiger Beurteilung kein Grund bestehen kann, mit Spätfolgen wenigstens zu rechnen (vgl. Senatsurteil vom 11. Juni 1989 - VI ZR 234/88 - VersR 1989, 1055).

Die Ausführungen des Berufungsgerichts lassen denn auch erkennen, daß es sich grundsätzlich der mit einer Querschnittslähmung üblicherweise verbundenen Gefahren wie etwa Muskelschwund oder Pneumonie bewußt war. Solche Möglichkeiten einer Verschlechterung im Gesundheitszustand des Klägers können zumindest aus dessen Sicht nicht von der Hand gewiesen werden, auch wenn sie sich bisher nicht realisiert haben. Soweit das Berufungsgericht meint, der Gefahr solcher Verschlechterungen könne in Zukunft mit geeigneten Übungen begegnet werden, macht die Revision zu recht geltend, daß es zum einen zweifelhaft sei, ob der Kläger gesundheitsbedingt auf Dauer in der Lage sein werde, die vom Berufungsgericht für zweckmäßig erachteten Übungen vorzunehmen, und daß er im übrigen im Hinblick auf die lähmungsbedingten Blasen- und Darmstörungen schon jetzt ständig der Gefahr von Infektionen u.ä. ausgesetzt sei. Sie verweist hierzu auf den Vortrag des Klägers im zweiten Rechtszug. mit welchem derart schwerwiegende Möglichkeiten einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes aufgezeigt worden sind, daß bei ihrer Verwirklichung ein Anspruch auf Ersatz weiteren immateriellen Schadens begründet sein kann.

Bei dieser Sachlage kann die Abweisung des Anspruchs auf Feststellung der Ersatzpflicht für immateriellen Zukunftsschaden keinen Bestand haben. Sie wird auch nicht von dem Hinweis des Berufungsgerichts auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats getragen, wonach später eintretende Verletzungsfolgen, die bei Bemessung eines Schmerzensgeldes im Urteil noch nicht berücksichtigt werden konnten, der Zubilligung eines weiteren Schmerzensgeldes nicht entgegenstehen (Senatsurteil vom 7. Februar 1995 - VI ZR 201/94 - VersR 1995, 471, 472). Dies betrifft lediglich die Frage, wie weit in solchen Fällen die Rechtskraft der ursprünglichen Entscheidung über das Schmerzensgeld reicht. Die oben dargelegten Grundsätze über die Voraussetzungen eines Feststellungsanspruchs bei schweren Verletzungen werden hiervon nicht berührt.

III. Da zum Feststellungsbegehren des Klägers weitere tat sachliche Feststellungen nicht zu treffen sind, konnte der Senat in der Sache abschließend selbst entscheiden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Der Feststellungsausspruch des Landgerichts zum immateriellen Zukunftsschaden des Klägers war mit der aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Einschränkung zu bestätigen, die dem feststehenden Mitverschuldensanteil des Klägers von 50 % Rechnung trägt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993484

NJW 1998, 160

BGHR ZPO § 256 Abs. 1 Feststellungsinteresse 43

MDR 1997, 1052

NZV 1997, 476

VersR 1997, 1508

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