Leitsatz (amtlich)

›a) Enthält eine Notarurkunde handschriftliche Änderungen am Rande des Textes ohne daß die Einfügung vom Notar entsprechend § 30 Abs. 3 DONot NRW gesondert unterzeichnet ist, entfällt insoweit die Beweiskraft der Urkunde nach § 415 Abs. 1 ZPO und das Gericht hat darüber nach freier Überzeugung zu entscheiden.

b) Zur Frage der Kenntnis von einem Rechtsmangel (hier: Wohnungsbesetzungsrecht).‹

 

Tatbestand

Mit notariellem Vertrag vom 14. August 1987 kauften die Kläger von den Beklagten eine mit öffentlichen Mitteln geförderte Eigentumswohnung, an der bis 1991 ein Wohnungsbesetzungsrecht zugunsten des Landes N. bestand. Eingangs des zu den Grundakten gereichten Notarvertrages ist der Notar als Urkundsperson genannt, obwohl der Vertrag vor seinem Vertreter geschlossen wurde. Seite 6 enthält über dem maschinenschriftlichen Text fünf Zeilen eines handschriftlich zugefügten Hinweises auf das Besetzungsrecht. Die Kläger lehnten mit Anwaltsschreiben vom 9. August 1990 die Erfüllung des Vertrages ab. Nachdem die Beklagten ihrer Aufforderung vom 28. Juni 1990, das Recht bis 10. Juli 1990 löschen zu lassen, nicht nachgekommen waren, forderten sie Schadensersatz. Sie haben das Wohnungseigentum im Verlauf des Rechtsstreits verkauft.

Die Parteien streiten u.a. darüber, ob den Käufern das Wohnungsbesetzungsrecht vor oder bei Vertragsschluß bekanntgegeben worden ist. Die Kläger fordern nunmehr, nachdem ihnen durch Teilanerkenntnisurteil ein geringfügiger Betrag zugesprochen worden ist, im Wege der Teilklage 58. 525, 62 DM nebst gestaffelten Zinsen - zum Teil aus einer höheren Summe - als Schadensersatz; außerdem verlangen sie Freistellung von übernommenen Darlehensverbindlichkeiten. Das Landgericht hat die über den anerkannten Betrag hinausgehende Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Beklagten zur Zahlung von (weiteren) 8. 398, 80 DM nebst Zinsen verurteilt und die weitergehende Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Mit ihrer Revision erstreben die Beklagten die Zurückweisung der Berufung; die Kläger beantragen Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

I. Das Berufungsgericht hält den Kaufvertrag für wirksam; die Beurkundungsmängel des Vertrages (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 BeurkG) seien jedenfalls durch Eintragung nach § 313 Satz 2 BGB geheilt worden. Die Beklagten hafteten nach §§ 434, 440 BGB den Klägern auf Schadensersatz, da sie den in dem Wohnungsbesetzungsrecht liegenden Rechtsmangel trotz Fristsetzung nicht beseitigt hätten. Den Beklagten als Verkäufern sei der Nachweis nicht gelungen, daß die Kläger das Besetzungsrecht bei Vertragsschluß gekannt hätten. Da der beurkundende Notarvertreter die handschriftliche Randbemerkung nicht unterzeichnet habe, sei die Urkunde nach § 419 ZPO in freier Beweiswürdigung zu werten. Das Berufungsgericht sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht überzeugt, daß der Hinweis auf das Wohnungsbesetzungsrecht schon anläßlich der Beurkundung im Beisein der Kläger erteilt worden sei. Der Hinweis würde den Klägern aber auch keine hinreichende Kenntnis von dem Rechtsmangel vermittelt haben; denn es sei weder die Mietpreisbindung noch die von der heute üblichen Vertragsgestaltung abweichende Verpflichtung des Vermieters zur Tragung der Schönheitsreparaturen erwähnt worden. Soweit der Schaden zur Höhe noch zu ermitteln sei, werde der Rechtsstreit an das Landgericht zurückverwiesen.

II. Dies hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

1. Ohne Erfolg bekämpft die Revision allerdings den Standpunkt des Berufungsgerichts, daß der wegen Verstoßes gegen § 9 Abs. 1 Nr. 1 BeurkG, § 313 Satz 1 BGB formnichtige Vertrag durch Umschreibung des Eigentums im Grundbuch geheilt worden sei (§ 313 Satz 2 BGB): Die Heilung setze eine formgültige und rechtswirksam erklärte Auflassung voraus, an der es hier, da sie in derselben fehlerhaften Urkunde enthalten sei, ebenfalls fehle. Dies ist schon deshalb nicht richtig, weil die Auflassung nicht der Form des Verpflichtungsgeschäfts (§ 925 BGB; vgl. auch § 20 GBO) bedarf.

Selbst die Unwirksamkeit einer Beurkundung würde daher grundsätzlich nicht die Rechtswirksamkeit der Auflassung (Senatsurt. v. 25. Oktober 1991, V ZR 169/90, BGHR BeurkG § 7 Auflassung 1 und BGHZ 22, 312 ff; 315) berühren.

2. Ohne Erfolg rügt die Revision auch, daß das Berufungsgericht gemeint habe, über die Beweiskraft der notariellen Urkunde sei hier wegen der handschriftlichen Einschaltung des Notarvertreters in freier Beweiswürdigung nach § 419 ZPO zu befinden. Die einer notariellen Urkunde durch § 415 ZPO zugewiesene volle Beweiskraft über den beurkundeten Vorgang wird gemäß § 419 ZPO eingeschränkt, sofern eine solche Urkunde Durchstreichungen und Einschaltungen enthält, die nicht ihrerseits unter Beobachtung der gesetzlichen Form beurkundet worden sind (Senatsurt. v. 22. Februar 1956, V ZR 114/54, BB 1956, 542; Hartmann in Baumbach/Lauterbach, ZPO 52. Aufl. § 419 Rdn. 3). Das war hier nicht der Fall. Die auf Blatt 6 der Notarurkunde über dem maschinenschriftlichen Text handschriftlich zugefügten fünf Zeilen stellen einen Zusatz bzw. eine Änderung im Sinne des § 30 Abs. 3 der Dienstordnung für Notare (DONot für das Land N., AV v. 25. Januar 1985 [JMBl S. 35]) dar. Sie waren von dem Notar besonders zu unterzeichnen (§ 30 Abs. 3 Satz 1 DONot); denn es handelte sich nicht nur um eine geringfügige Änderung, und sie ist auch nicht am Schlusse der Urkunde vor den Unterschriften vermerkt worden. Daß dieser erhebliche Zusatz nicht am seitlichen, sondern am oberen Rande des Urkundenblattes angebracht worden ist, ändert nichts. Entscheidend für die Notwendigkeit einer Unterzeichnung des "am Rande vermerkten" Zusatzes durch den beurkundenden Notar ist nämlich, daß bei der Zufügung am Rand - anders als bei einer Zufügung am Schlusse der Urkunde vor den Unterschriften - Zweifel über den Zeitpunkt der Zufügung vor Verlesung und Unterzeichnung der Urkunde ausgeschlossen werden sollen. Hat der Notar die Vorschrift, wie hier, nicht beachtet, liegt darin nicht lediglich eine folgenlose Verletzung dieser Sollvorschrift. Der Senat hat vielmehr in der bereits zitierten Entscheidung vom 22. Februar 1956 auch entschieden, daß bei Verletzung einer Sollvorschrift nur noch eine Beurkundung vorliegt, über deren Beweiskraft das Gericht nach freier Überzeugung im Sinne des § 419 ZPO zu entscheiden hat. Diese Rechtsauffassung hat Zustimmung gefunden (vgl. z.B. Hartmann aaO.; Seybold/Hornig, BNotO 5. Aufl., Anl. I § 30 Rdn. 6; vgl. auch Schreiber in MünchKomm-ZPO § 420 Rdn. 3 Fn. 12). Damit hat der Zusatz nicht die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit für sich, ohne daß es darauf ankäme, wann er zugefügt worden ist.

3. a) Das Berufungsgericht hat damit zu Recht die Einschaltung im Notarvertrag frei gewürdigt. Die Würdigung der erhobenen Beweise ist dabei dem Tatrichter vorbehalten und kann vom Revisionsgericht nur auf das Vorliegen von Rechtsfehlern überprüft werden. Solche liegen hier jedoch vor. Fehlt der Urkunde wegen Verletzung von § 30 Abs. 3 Satz 1 DONot die Richtigkeitsvermutung, läßt dies allein nicht den Schluß zu, die Hinzufügung sei eine Fälschung (des Notarvertreters). Auch die sonstigen hier zu bemängelnden Formfehler und Auslassungen reichen dazu nicht aus. Das Berufungsgericht stützt sich u.a. darauf, daß insoweit im - formularmäßigen - Eingang und Text der Urkunde stets vom "Notar" die Rede sei, obwohl der Notarvertreter die Beurkundung vorgenommen habe; auch sei in § 2 sachlich unzutreffend festgehalten, daß der Notar bei der Einsicht in das Grundbuch festgestellt habe, in Abteilung II seien keine Eintragungen vorhanden. Daß bei einer unsorgfältig errichteten Urkunde vorgedruckter Text - ersichtlich versehentlich - nicht gestrichen wurde, obwohl er einem handschriftlichen Zusatz entgegensteht, rechtfertigt nicht die Schlußfolgerung des Berufungsgerichts, dies beseitige jegliche (auch nur indizielle) Beweiskraft des handschriftlichen Zusatzes. Dies gilt um so mehr, als die Sachverhaltsalternative - Anbringung des Zusatzes erst nach der Beurkundung - die Unterstellung einer Urkundenverfälschung durch den Notarvertreter bedeutet. Zu Recht rügt die Revision in diesem Zusammenhang, daß das Berufungsgericht sich nicht mit der Tatsache befaßt hat, daß die Notarurkunde mit dem Zusatz bereits am nächsten, der Beurkundung folgenden, Werktag, am Montag, dem 17. August 1987 ausgefertigt und mit einem Anschreiben dem Grundbuchamt vom Notarvertreter übersandt worden ist (Grundakten 47 und 54). Eine plausible Erklärung für eine Fälschung der Urkunde in so engem zeitlichen Ablauf ist nicht erkennbar, zumal an demselben Tage das Besetzungsrecht unstreitig in der Bankurkunde genannt wird.

b) Zu Recht bemängelt die Revision in diesem Zusammenhang auch, daß das Berufungsgericht nicht den auch durch Parteivernehmung der Kläger angetretenen Beweis darüber erhoben hat, der Beklagte zu 1 habe die Kläger vor der Beurkundung auf das Wohnungsbesetzungsrecht und darauf hingewiesen, daß sie die Wohnung deshalb nicht selbst beziehen könnten. Dieser Vortrag ist zwar bereits in der Klagebeantwortung gebracht und unter Beweis gestellt worden; die Beklagten hatten jedoch in erster Instanz obsiegt, weil das Gericht ihren Vortrag als bewiesen angesehen hat. Sie haben sich danach zulässigerweise in ihrer Berufungserwiderung auf ihren Vortrag erster Instanz bezogen (vgl. z.B. BGHZ 103, 284, 296 m.N.). Der Hinweis der Revisionserwiderung auf BGHZ 35, 103, 106 verkennt, daß es dort um Beweisantritte der Berufungsführer ging, deren Klage in erster Instanz abgewiesen worden war.

Anders als die Revisionserwiderung meint, ist das Beweisangebot auch hinreichend bestimmt. Aus dem Sachzusammenhang ergibt sich nämlich, daß die Beklagten mit dem Beweis durch Parteivernehmung diejenige der Kläger gemeint haben. Abgesehen davon, daß bei einer angebotenen Parteivernehmung regelmäßig die des Gegners gemeint ist, sofern nicht ein besonderer Zusatz auf die eigene Parteivernehmung hinweist, ist hier eine Behauptung nur des Beklagten zu 1 gegenüber beiden Klägern in das Wissen der Partei gestellt worden. Die Beklagte zu 2 wäre dafür als Partei gar nicht in Betracht gekommen.

4. Die Einholung des Beweises war auch nicht deshalb entbehrlich, weil, wie das Berufungsgericht hilfsweise erwägt, die Kläger durch eine Mitteilung von dem Wohnungsbesetzungsrecht ohnehin keine hinreichende Kenntnis von dem Rechtsmangel erhalten hätten. Das Berufungsgericht begründet die fehlende Kenntnis von dem Rechtsmangel allein damit, die Kläger seien nicht zusätzlich auf die Pflicht zur Tragung der Schönheitsreparaturen und die Mietpreisbindung hingewiesen worden, die nach seinen Feststellungen Inhalt des Besetzungsrechtes sind. Es hat dabei jedoch nicht in seine Erwägungen einbezogen, daß der handschriftliche Zusatz im Notarvertrag das Besetzungsrecht auch dahin erläutert, daß die Wohnung mit öffentlichen Mitteln gefördert worden sei; auch hat es nicht bedacht, daß den Klägern der Vertrag mit den Mietern, insbesondere die Höhe der eingehenden Miete, bekannt war und ihren Finanzierungsüberlegungen sogar zugrunde lag. Es kann danach dahinstehen, ob die Bekanntgabe des Rechtsmangels als solchen nicht schon ausreichend gewesen wäre. Denn den Klägern waren zugleich die maßgeblichen Tatsachen bekannt gegeben worden, aus denen das Berufungsgericht eine Erweiterung des Inhalts des Rechts folgert. Haben sich die Kläger danach entweder keine Gedanken über die Einzelheiten des Besetzungsrechts gemacht oder sich über die rechtliche oder gar nur die wirtschaftliche Tragweite des ihnen bekannt gegebenen Mangels geirrt (vgl. dazu BGH, Urt. v. 20. Dezember 1978, VIII ZR 114/77, NJW 1979, 713, 714), können sie daraus keine Gewährleistungsansprüche herleiten (BGHZ 13, 341, 344). Soweit die Revisionerwiderung darauf verweist, daß ein Irrtum über den Umfang eines an sich bekannten Rechts die Kenntnis ausschließe, treffen die dazu genannten Beispiele den vorliegenden Fall nicht. Hier haben die Kläger gerade kein Mehr an Verpflichtungen übernehmen müssen, als ihnen bekannt gegeben wurde. Sie kannten den Rechtsmangel und den Grund dafür. Der Sinn eines durch Zahlung öffentlicher Mittel "erkauften" Besetzungsrechts liegt gerade nicht nur darin, daß der Berechtigte den Mieter benennen kann; der wesentliche - im übrigen allgemein bekannte - Sinn der Förderung von Wohnraum mit öffentlichen Mitteln liegt vielmehr gleichermaßen darin, daß dieses Recht zu einem häufig unter vergleichbaren Marktpreisen liegenden Mietpreis ausgeübt werden kann (vgl. § 8 WoBindG). Die Mietpreisbindung ist danach keine weitere, sondern im Gegenteil eine immanente Belastung eines Besetzungsrechts, das auf der Förderung des Wohnungsbaus mit öffentlichen Mitteln beruht. Anders als das Berufungsgericht meint, könnte es zudem kein (weiterer) aus dem Wohnungsbesetzungsrecht fließender Rechtsmangel sein, daß die Schönheitsreparaturen vom Eigentümer zu tragen sind; denn dies entspricht der Gesetzeslage und kann danach weder ein Rechtsnachteil noch gar ein Rechtsmangel sein. Das wäre den Klägern zudem nicht einmal wirtschaftlich nachteilig, da die für die Schönheitsreparaturen notwendigen Kosten in die Kostenmiete einfließen, mithin, wenn sie vom Vermieter zu tragen sind, den zulässigen Mietzins erhöhen (§ 8 a WoBindG i.V. mit § 28 Abs. 4 der II. VO über wohnungswirtschaftliche Berechnungen).

5. Die Sache ist daher an das Berufungsgericht zur Überprüfung und Beweiserhebung zurückzuverweisen. Die Kläger werden gegebenenfalls auf ihre weiteren Vorwürfe gegen die Beklagten zurückkommen können. Die Beklagten werden bei der erneuten Verhandlung Gelegenheit haben, auf ihre Rügen zu dem den Klägern durch den Verkauf der Wohnung entstandenen Schaden zurückzukommen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993263

BB 1994, 1316

NJW 1994, 2768

BGHR BGB § 439 Abs. 1 Kenntnis 1

BGHR ZPO § 419 Beweiskraft 4

DRsp IV(415)227Nr. 10

WM 1994, 1342

DNotZ 1995, 28

MDR 1994, 912

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