Leitsatz (amtlich)

›a) § 19 Abs. 1 VHB 74 ist eine überraschende Klausel im Sinne von § 3 AGBG.

b) Zur analogen Anwendung der §§ 95, 112, 119 VVG.

c) Dem Versicherer obliegt eine Belehrung des Versicherungsnehmers über ihm nachteilige Folgen einer rechtsanalogen Anwendung jedenfalls dann, wenn die zur Analogie herangezogenen Vorschriften Regelungen jeweils nur für eine bestimmte Art der Sachschadenversicherung enthalten.‹

 

Verfahrensgang

LG Düsseldorf

OLG Düsseldorf

 

Tatbestand

Die Klägerin, die Versicherungsschutz wegen eines Einbruchdiebstahls vom 20./22. Februar 1980 verlangt, hatte am 1. August 1971 bei der Beklagten eine verbundene Hausratsneuwertversicherung abgeschlossen, in der sie nach einem regulierten Einbruchsdiebstahl im Jahre 1977 die Versicherungssumme mit Wirkung vom 1. August 1979 auf 459.000,- DM erhöhte. Für einen Einbruchdiebstahl vom 23. September 1979 erbrachte die Beklagte eine Versicherungsleistung von 308.861,- DM (reiner Sachschaden), für den Einbruchdiebstahl vom 20./22. Februar 1980 leistete sie einen Teilbetrag von 103.368,- DM unter Hinweis auf § 19 Abs. 1 der Vertragsinhalt bildenden VHB 74. Diese Bestimmung lautet: "Vom Schadenstage an vermindert sich die Versicherungssumme für den Rest der Versicherungsperiode um den Betrag der Entschädigung. Für spätere Versicherungsperioden gelten wieder die ursprüngliche Versicherungssumme und Prämie, wenn sich nicht aus den Umständen etwas anderes ergibt."

Die Parteien streiten nur noch darum, ob die Beklagte geltend machen kann, durch die Regulierung des Einbruchdiebstahls vom 23. September 1979 sei die Versicherungssumme innerhalb der laufenden Versicherungsperiode um den Auszahlungsbetrag vermindert worden, so daß die ihrer Abrechnung zugrundegelegte Unterversicherung für den nächsten Schadensfall bestanden habe. Die Klägerin erachtet § 19 Abs. 1 VHB 74 wegen Verstoßes gegen das AGB - Gesetz für unwirksam und trägt vor, sie sei bei den Regulierungsgesprächen auch nicht auf die ihr unbekannte Bestimmung und die sich aus ihr ergebende zeitweilige Lücke im Versicherungsschutz hingewiesen worden. Die Beklagte behauptet, auf die Notwendigkeit einer Nachversicherung aufmerksam gemacht zu haben.

In erster Instanz sind der Klägerin die noch beanspruchten 187.811,- DM nebst Zinsen zuerkannt, auf die Berufung der Beklagten ist die Klage abgewiesen worden. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Versicherungsfälle vom 23. September 1979 und vom 20.22./ Februar 1980 fallen in die Versicherungsperiode vom 1. August 1979 bis 1. August 1980, so daß die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Anwendbarkeit des § 19 Abs. 1 VHB 74 vorliegen.

I. Die vertraglichen Beziehungen der Parteien sind zwar vor dem Inkrafttreten des AGB-Gesetzes begründet worden, die Erhöhung der Versicherungssumme in der verbundenen Hausratversicherung auf 459.000,- DM ist jedoch erst im Jahre 1979 erfolgt. Hierdurch wurde eine wesentliche sachliche Änderung, nämlich die Erweiterung der von der Beklagten im Versicherungsfall geschuldeten Leistung vereinbart mit der Folge, daß seitdem auf die dem geänderten Versicherungsvertrag zugrundegelegten VHB 74 das AGB-Gesetz Anwendung findet, da es sich seit der Vereinbarung der Erhöhung der Versicherungssumme nicht mehr um einen Altvertrag im Sinne des § 28 Abs. 1 AGBG handelt (vgl. Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, 4. Aufl. § 28 Anm. 1.2; Löwe/Graf v. Westphalen/Trinkner, AGBG, 2. Aufl. § 28 Rdn. 3 aa; Kötz in MK, 2. Aufl. § 28 Rdn. 1; Palandt/Heinrichs, 43. Aufl. § 28 Anm. 1).

1. Laut Versicherungsschein vom 11. Juli 1979 ist der Hausrat der Klägerin bei der Beklagten versichert gegen die Gefahren aus Feuer, Einbruch, Beraubung, Leitungswasser, Sturm und Glasbruch. gemäß § 19 Abs. 1 VHB 74 führt eine Versicherungsleistung der Beklagten in einer der versicherten Schadenssparten für den Rest der laufenden Versicherungsperiode zu einer Verminderung der Versicherungssumme für sämtliche im Rahmen der verbundenen Hausratversicherung versicherten Risiken, denn Satz 1 der Klausel lautet: "Vom Schadenstage an vermindert sich die Versicherungssumme für den Rest der Versicherungsperiode um den Betrag der Entschädigung." Diese eindeutige und damit für jeden Leser unmißverständliche Formulierung läßt keinen Raum für eine Auslegung dahin, daß die zeitweilige Verminderung der Versicherungssumme nur für die erneute Verwirklichung des gleichen versicherten Risikos gelten solle, für das in der laufenden Versicherungsperiode bereits einmal eine Entschädigung geleistet wurde (vgl. Prölss/Martin, VVG 23. Aufl. § 95 Anm. 1 a am Ende und Martin, Sachversicherungsrecht, P II Rdn. 11). Eine Zurückführung der Klausel auf diesen eingeschränkten Regelungsgehalt ginge über die Grenzen einer zulässigen Auslegung hinaus und muß am Verbot der geltungserhaltenden Reduktion AGB-gesetzwidriger Klauseln scheitern.

2. § 19 Abs. 1 VHB 74 entfernt sich in seiner gewollten Reichweite so weit von den gesetzlichen Vorbildern in der Feuerversicherung, § 95 Satz 1 VVG, in der Hagelversicherung, § 112 VVG, und der Tierversicherung, § 119 Satz 1 VVG, die jeweils nur ein- und dasselbe Schadensrisiko betreffen, daß der nur mit "Rechtsverhältnisse nach dem Versicherungsfall" überschriebenen Klausel, die keinen deutlich hervorgehobenen Hinweis auf die Möglichkeit und Notwendigkeit der Nachversicherung in der laufenden Versicherungsperiode für sämtliche versicherten Risiken ab Eintritt eines Versicherungsfalles enthält, ein echter Überraschungscharakter zukommt. Die kombinierte Hausratversicherung ist kein originärer Sachversicherungstyp, sondern eine von den Versicherern aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit geschaffene Versicherungsart, die sie Interessenten anzubieten pflegen, die ihren Hausrat gegen mehrere Risiken versichern möchten. Wer mit der ausdrücklichen Erklärung an einen Versicherer herantritt, er wolle seinen Hausrat gegen mehr als eines der versicherbaren Risiken versichern, erwartet nicht, daß ihm mit der daraufhin empfohlenen kombinierten Hausratversicherung eine Versicherungsart angeboten wird, die nach dem ihr zugrundegelegten Klauselwerk der Versicherer zu einer Verkürzung seiner Rechte führt, weil die Versicherer ihn im Rahmen der kombinierten Hausratversicherung so zu behandeln beabsichtigen, als habe er sich bei ihnen nur gegen ein einziges Risiko versichert. Die Verschlechterung seiner Position innerhalb einer kombinierten Hausratversicherung wird für ihn um so spürbarer, je mehr Risiken in die Versicherung einbezogen sind, während der Versicherungsnehmer irrig davon ausgeht, desto besser abgesichert zu sein, je mehr Risiken er mitversichern läßt. § 19 Abs. 1 VHB 74 ist in seiner Intention darauf angelegt, das Gegenseitigkeitsverhältnis der Leistungen zu beeinträchtigen. Nicht ohne Grund vertreten Prölss/Martin (aaO) die Auffassung, daß die §§ 19 VHB, 20 VGB in der kombinierten Hausrat- und Wohngebäudeversicherung an der Grenze der Analogiefähigkeit des § 95 VVG und damit auch der Vereinbarkeit mit § 9 AGBG liegen.

Jedenfalls entfernt sich eine Klausel in der Wortfassung des § 19 Abs. 1 VHB 74 von dem gesetzlichen Leitbild, nach dem nur in ein- und derselben Sparte eine Verminderung der Versicherungssumme durch eine Entschädigungsleistung eintreten kann (s. II), derart weit, daß sie für einen Versicherungsnehmer überraschend ist und sonach gemäß § 3 AGBG nicht Vertragsbestandteil werden kann.

II. Da sich in der vom 1. August 1979 bis 1. August 1980 laufenden Versicherungsperiode ein- und dasselbe Risiko zweimal verwirklicht hat, ist der Beklagten die Berufung auf einen teilweisen Verbrauch der Versicherungssumme vor Eintritt des späteren Versicherungsfalles dann nicht versagt, wenn das Versicherungsvertragsgesetz selbst dem Versicherer erlaubt, die Beschränkung der Versicherungssumme in der von der kombinierten Hausratversicherung mitumfaßten Einbruchdiebstahlsversicherung geltend zu machen.

1. In den Bestimmungen der drei im Versicherungsvertragsgesetz geregelten Arten der Sachversicherung (vgl. zur allein aus historischen Gegebenheiten zu erklärenden Lückenhaftigkeit dieser Materie Prölss/Martin, aaO Vorbem. 1 zu § 81; Martin, aaO A IV Rdn. 31), nämlich der Feuer-, der Hagel- und der Tierversicherung, ist jeweils eine Regelung über die Verminderung der Versicherungssumme in der laufenden Versicherungsperiode durch eine Entschädigungsleistung enthalten.

Die §§ 95 (Feuerversicherung) und 119 VVG (Tierversicherung) lauten übereinstimmend:

"Der Versicherer haftet nach dem Eintritt eines Versicherungsfalles für den durch einen späteren Versicherungsfall verursachten Schaden nur bis zur Höhe des Restbetrages der Versicherungssumme. Für die künftigen Versicherungsperioden gebührt ihm nur ein verhältnismäßiger Teil der Prämie."

§ 112 VVG hat dagegen folgenden Wortlaut:

Tritt nach Eintritt eines Versicherungsfalles in derselben Versicherungsperiode ein neuer Versicherungsfall ein, so haftet der Versicherer für den dadurch verursachten Schaden nur bis zur Höhe des Restbetrages der Versicherungssumme."

Der Vergleich der drei Bestimmungen ergibt, daß ihnen jedenfalls insoweit ein einheitliches gesetzgeberisches Prinzip zugrundeliegt, als in der laufenden Versicherungsperiode eine Entschädigungsleistung die Versicherungssumme mindert, mit der das jeweilige Schadensrisiko versichert ist. Das erlaubt eine analoge Anwendung dieses Grundsatzes auch auf andere zweige der Sachversicherung. Im Rahmen einer kombinierten Hausratversicherung führt dies dazu, daß durch die Entschädigungsleistung in einer Risikosparte nur die Versicherungssumme in dieser Sparte berührt wird, nicht dagegen die Versicherungssumme für die übrigen mitversicherten Risiken beeinträchtigt wird. Vielmehr ist für deren Verwirklichung innerhalb der laufenden Versicherungsperiode die Entschädigung unverändert bis zur Höhe der vertraglich vereinbarten Versicherungssumme zu gewähren.

2. Jedoch ist die Berufung auf die teilweise Aufzehrung der Versicherungssumme dem Versicherer in einer kombinierten Hausratversicherung im aufgezeigten Umfang nur erlaubt, wenn er nach Eintritt des ersten Versicherungsfalles den Versicherungsnehmer über die Auswirkungen der Entschädigungsleistung auf den Versicherungsschutz in der betreffenden Risikosparte während der laufenden Versicherungsperiode und die Möglichkeit einer Nachversicherung belehrt hat. Diese vertragliche Obliegenheit des Versicherers beruht auf dem unterschiedlichen versicherungsrechtlichen Kenntnisstand der Vertragspartner. Er erfordert in einem von Treu und Glauben geprägten Vertragsverhältnis, wie es der Versicherungsvertrag begründet, daß der überlegene Partner den anderen vor Schaden aus Unkenntnis des Versicherungsrechts bewahrt. Mit einem derartigen Hinweis wird dem Versicherer, der wegen der Schadensregulierung ohnehin in Kontakt mit seinem Versicherungsnehmer steht, nichts Unbilliges zugemutet. Die besondere Hinweisobliegenheit, die nur dort entstehen kann, wo andernfalls schützenswerte Belange des Versicherungsnehmers zu seinem Schaden ungewahrt blieben, ist nicht nur bei dem Eingreifen von Klauseln in allgemeinen Geschäftsbedingungen zu erfüllen, deren Inhalt für den Versicherungsnehmer Ungewöhnliches darstellt. Sie ist jedenfalls auch dann zu beachten , wenn dem Versicherungsnehmer nachteilige Folgen aus einer analogen Anwendung gesetzlicher Bestimmungen entstehen können. Für einen juristischen Laien, der die §§ 95, 112 und 119 VVG kennt, ist nämlich keineswegs offensichtlich, daß darin enthaltene Regelungen auf andere Typen der Sachversicherung analog anwendbar sein könnten.

3. Dafür, daß er die ihm obliegende Belehrung erteilt hat, ist der Versicherer beweispflichtig (vgl. BGH-Urteil vom 16.12.1967 - II ZR 73/65 - VersR 1967, 441, 443 und BGH-Urteil vom 30.11.1977 - IV ZR 42/75 - VersR 1978, 121). Demnach hat das Berufungsgericht die Beweislastverteilung nicht richtig gesehen. Daß es von einer abschließenden Beweiswürdigung abgesehen hat, nötigt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung.

4. Bei der neuerlichen Verhandlung und Entscheidung wird das Berufungsgericht berücksichtigen müssen, daß das Erstgericht nach Vernehmung der Zeugen Loevenich, Schiffer, von Gottberg und Meinhard sich nicht die Überzeugung verschaffen konnte, die Klägerin sei nach einem der vorausgegangenen Versicherungsfälle auf eine Einschränkung der Leistungspflicht der Beklagten für die Dauer der jeweils laufenden Versicherungsperiode mit der gebotenen Deutlichkeit hingewiesen worden. Es hat das bekundete Vorgehen des Schadensachverständigen von Gottberg hierfür als nicht ausreichend erachtet und ist der Aussage des Zeugen Meinhard, er habe nach dem Hinweis des Zeugen von Gottberg seinerseits die Klägerin auf das Erfordernis der Nachversicherung aufmerksam gemacht, mit Rücksicht auf seine unpräzisen und widersprüchlichen Angaben nicht gefolgt.

Ein nur in die allgemeine Unterhaltung eingestreuter Hinweis des für die Erteilung einer Belehrung gar nicht zuständigen Sachverständigen könnte in der Tat keine ordnungsgemäße Erteilung der der Beklagten obliegenden Belehrung darstellen. Sollte das Berufungsgericht Zweifel an der Beweiswürdigung des Erstgerichts haben, etwa weil es die Glaubwürdigkeit der vernommenen Zeugen anders beurteilen will oder die protokollierten Aussagen anders versteht als das Erstgericht, so ist es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes gehalten, die Zeugen selbst nochmals zu hören (vgl. BGH-Urteil vom 7.7.1981 - VI ZR 48/80 - NJW 1982, 109; Senatsurteil vom 14.10.1981 - IVa ZR 152/80 - NJW 1982, 1052, jeweils mit weiteren Nachweisen; ferner BGH-Urteil vom 3.4.1984 - VI ZR 195/82 - VersR 1984, 582).

 

Fundstellen

Haufe-Index 2992753

NJW 1985, 971

DRsp II(228)132c-e

MDR 1985, 558

DRsp-ROM Nr. 1992/4676

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