Entscheidungsstichwort (Thema)

Verjährungsbeginn für Schadensersatzansprüche gegen Steuerberater bei falschen Umsatzsteueranmeldungen

 

Leitsatz (amtlich)

Besteht der Schaden des Auftraggebers in vermeidbaren Umsatzsteuern infolge fehlerhafter Selbstveranlagung, beginnt die Verjährung des Ersatzanspruchs gegen den mitwirkenden Steuerberater mit der Einreichung der Steueranmeldung beim Finanzamt.

 

Normenkette

StBerG § 68; UStG § 18 Abs. 3

 

Verfahrensgang

OLG München (Urteil vom 29.08.2001; Aktenzeichen 3 U 2717/01)

LG Taunstein (Urteil vom 22.02.2001; Aktenzeichen 7 O 4010/00)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 3. Zivilsenats des OLG München v. 29.8.2001 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als in einer 31.701,50 DM nebst 4 v.H. Zinsen hieraus seit dem 5.4.2000 übersteigenden Höhe zu seinem Nachteil erkannt worden ist. Die weiter gehende Revision wird als unzulässig verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 7. Zivilkammer des LG Traunstein v. 22.2.2001 zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits fallen dem Kläger 3/4 und dem Beklagten 1/4 zur Last.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der als Kieferorthopäde niedergelassene Kläger wurde von dem Beklagten langjährig steuerlich beraten. Der Beklagte fertigte u.a. für den Kläger zwischen 1984 und 1995 Umsatzsteuererklärungen, in denen er Entgelte des Klägers aus der Überlassung kieferorthopädischer Hilfsmittel an Patienten als steuerpflichtig behandelte. Diese Behandlung hält der Kläger für fehlerhaft und meint, der Beklagte müsse den entstandenen Schaden, auch unter dem Gesichtspunkt unterlassener Hinweise, ersetzen. Der Beklagte hat sich hiergegen auf Verjährung berufen.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat mit Ausnahme eines Teils der Zinsen nach Antrag des Klägers erkannt. Die Revision hat diese Verurteilung für die Besteuerungszeiträume 1993 bis 1995 zunächst in einer Höhe von 31.701,50 DM nebst Zinsen hingenommen. Mit dem in mündlicher Verhandlung erweiterten Revisionsantrag verfolgt sie auch mit Bezug auf die neueren Schäden das Klagabweisungsziel vollen Umfanges weiter.

 

Entscheidungsgründe

A.

Die Revision ist unzulässig, soweit sie sich in mündlicher Verhandlung auch gegen die Verurteilung zum Schadensersatz gewendet hat, welche die Besteuerungszeiträume von 1993 bis 1995 betrifft. Die Revisionsanträge können zwar grundsätzlich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erweitert werden. Bewegt sich der weiter gehende Anspruch aber nicht mehr im Rahmen der bisher gegebenen Revisionsbegründung, so kann die Revision nach Ablauf der Begründungsfrist hierauf nicht mehr zulässig gestützt werden (BGHZ 12, 52 [67 f.]; BGH v. 10.5.1984 - BLw 2/83, BGHZ 91, 154 [159 f.] = MDR 1984, 841; Urt. v. 24.10.1984 - VIII ZR 140/83, MDR 1985, 667 = NJW 1985, 3079; v. 6.10.1987 - VI ZR 155/86, MDR 1988, 217 = BGHR ZPO a.F. § 559 Abs. 1 Antragserweiterung 1). So liegt der Fall hier.

Die Revisionsbegründung hat den Schaden des Klägers nicht als ein einheitliches Ganzes gewertet, welches aus einem bestimmten Verhalten des Beklagten entstanden ist. Sie hat jede der vom Beklagten für den Kläger vorbereiteten und eingereichten Jahresumsatzsteueranmeldungen als selbständige Schädigungshandlung aufgefasst. Das entspricht der Rechtslage; denn der andauernde Rechtsirrtum des Beklagten verband die jährlich wiederholten Pflichtverletzungen bei Abfassung und Einreichung der Umsatzsteuererklärungen des Klägers nicht zu einer einheitlichen Schädigungshandlung, die sich lediglich im Bereich der haftungsausfüllenden Kausalität weiterentwickelte. Die Revisionsbegründung hat daraus gefolgert, dass hieraus einzelne Schadensersatzansprüche des Klägers entstanden seien, die jeweils drei Jahre nach dem Zeitpunkt der Einreichung der Steueranmeldungen verjährten. Auch diese Folgerung ist rechtlich zutreffend (BGH, Urt. v. 15.10.1992 - IX ZR 43/92, MDR 1988, 217 = WM 1993, 251 [255]; v. 12.2.1998 - IX ZR 190/97, WM 1998, 786 [788]).

Die erweiterte Revision zieht demgegenüber eine Parallele zu dem Fall jährlich anwachsender Steuernachteile durch Nichtanerkennung von Darlehenszinsen als Betriebsausgaben in dem Senatsurteil v. 18.12.1997 (BGH, Urt. v. 18.12.1997 - IX ZR 180/96, WM 1998, 779 [780]). Dort war der Schaden als ein einheitliches Ganzes aus ein und derselben Pflichtverletzung des Steuerberaters bei der Ausgestaltung einer vorweggenommenen Erbfolge hervorgegangen. Diese Betrachtungsweise - übertragen auf den Streitfall - wird von der schriftlichen Revisionsbegründung nicht gedeckt. Sie steht mit ihr vielmehr ebenso im Widerspruch wie mit der hier rechtlich gebotenen Würdigung der Schädigungsvorgänge.

B.

Die Revision ist - soweit zulässig - begründet. Die vom Kläger aus den Besteuerungszeiträumen 1984 bis 1992 hergeleiteten Schäden sind verjährt. Der Beklagte darf sich hierauf auch berufen. Das Berufungsurteil ist deshalb im Umfang des zulässigen Revisionsangriffs zu ändern und die Berufung des Klägers insoweit zurückzuweisen (§ 565 Abs. 3 ZPO a.F.).

I.

Das Berufungsgericht hat dem Beklagten zu seiner Einrede entgegengehalten, dass er bei fortbestehendem Mandat zur Frage der Verjährung dem Kläger mit Schreiben v. 20.12.1999 einen falschen Hinweis erteilt habe. Diesem Schreiben waren "Empfehlungen der Bundessteuerberaterkammer zur Berufshaftpflichtversicherung (Stand: 1.6.1992)" beigefügt, in denen es unter Nr. 5.4 Abs. 2 hieß:

"Die Verjährung tritt nach der Rechtsprechung des BGH solange nicht ein, wie der Steuerberater seinen Mandanten nicht auf den gegen ihn bestehenden Schadensersatzanspruch hingewiesen hat. Diese Hinweis- und Belehrungspflicht besteht bis zum Mandatsende. Ihre Verletzung begründet einen neuen Schadensersatzanspruch (Sekundäranspruch)."

Nach Ansicht des Berufungsgerichts durfte sich der Kläger auf diese Rechtsauskunft verlassen. Der Beklagte verstoße deshalb gegen Treu und Glauben, wenn er sich gleichwohl auf Anspruchsverjährung berufe. Ob Verjährung eingetreten ist, haben beide Vorinstanzen offen gelassen.

Demgegenüber rügt die Revision, die Rechtsauskunft des Beklagten v. 20.12.1999 habe den Kläger von einer rechtzeitigen Verjährungsunterbrechung nur abhalten können, soweit diese noch möglich gewesen sei. Die aus den Besteuerungszeiträumen 1984 bis 1992 hergeleiteten Schäden seien jedoch spätestens Ende Februar 1997 verjährt gewesen. Für einen verjährungsrechtlichen Sekundäranspruch fehle die Grundlage, weil der Beklagte bis zur Primärverjährung keinen Anlass gehabt habe, über seine mögliche Haftpflicht zu belehren.

II.

Zutreffend geht die Revision davon aus, dass Klageansprüche wegen Pflichtverletzungen des Beklagten, die Besteuerungszeiträume vor 1993 betreffen, nach § 68 StBerG verjährt sind.

1. Die Umsatzsteuer ist vom Unternehmer nach § 18 Abs. 3 S. 1 UStG jährlich anzumelden. Die Anmeldung steht gem. § 168 S. 1 AO einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Regelmäßig beginnt die Verjährung des vertraglichen Ersatzanspruchs gegen den Steuerberater mit der Bekanntgabe eines schadensbegründenden Steuerbescheides; auf die Unanfechtbarkeit des Bescheides kommt es in diesem Zusammenhang nicht an (BGH v. 11.5.1995 - IX ZR 140/94, BGHZ 129, 386 [389] = BRAK 1995, 218 = MDR 1995, 1070). Besteht der Schaden des Auftraggebers in vermeidbaren Umsatzsteuern infolge fehlerhafter Selbstveranlagung, entspricht diesem Zeitpunkt die Einreichung der Umsatzsteueranmeldung beim Finanzamt (OLG Düsseldorf GI 1994, 212 [215]). Danach waren die von der Revision angegriffenen Schadensersatzansprüche des Klägers jedenfalls Ende Februar 1997 verjährt, weil die Umsatzsteuererklärung für 1992 ebenso wie die entsprechenden Erklärungen der Vorjahre nicht später als 14 Monate nach Ablauf des Besteuerungszeitraums bei dem Finanzamt eingereicht worden ist. Die dreijährige Verjährungsfrist des § 68 StBerG war mithin für den Besteuerungszeitraum 1992 und alle älteren Schäden spätestens mit Ablauf des 28.2.1997 verstrichen.

Die Umsatzsteuern der Jahre vor 1993 sind auch nicht in die 1997 durchgeführte Betriebsprüfung des Klägers einbezogen worden. Infolgedessen hat die Frage des Verjährungsbeginns bei etwaigen Umsatzsteuernachforderungen aus dem Ergebnis der Betriebsprüfung für den zulässigen Teil der Revision keine Bedeutung, selbst wenn hier der weiter zurückliegende Fehler des Beklagten und der daraus entstandene Schaden bereits aufgedeckt worden wäre (BGH, Urt. v. 6.6.1991 - IX ZR 195/90, MDR 1992, 135 = WM 1991, 1594 [1596 f.]). Der zulässige Teil der Revision ist auf Schadensersatzansprüche aus Umsatzsteuererklärungen vor dem Prüfungszeitraum beschränkt.

2. Mit Recht ist die Revision auch der Ansicht, dass ein verjährungsrechtlicher Sekundäranspruch gegen den Beklagten, der auch Steuerberater trifft (BGH v. 20.1.1982 - IVa ZR 314/80, BGHZ 83, 17 [22 ff.] = MDR 1982, 467; st.Rspr.), für den zulässigerweise angegriffenen Schädigungszeitraum (Besteuerungszeiträume vor 1993) nicht besteht.

Der Sekundäranspruch setzt eine neue, schuldhafte Pflichtverletzung des Steuerberaters voraus. Er kann nur entstehen, wenn diese weitere Pflichtwidrigkeit zu einer Zeit begangen wird, zu welcher der primäre Regressanspruch noch durchgesetzt werden kann, also insb. noch nicht verjährt ist (BGH v. 23.5.1985 - IX ZR 102/84, BGHZ 94, 380 [387 f.] = MDR 1985, 843; Urt. v. 9.12.1999 - IX ZR 129/99, MDR 2000, 481 m. Anm. Otten = WM 2000, 959 [960], unter I. 2.). Vor Ablauf der Primärverjährung hatte der Beklagte keinen Anlass, seine umsatzsteuerliche Beurteilung der Lieferung kieferorthopädischer Hilfsmittel an Patienten des Klägers zu überprüfen. Der Rechtsirrtum des Beklagten (BFH v. 23.10.1997 - V R 36/96, BStBl. II 1998, 584 = UR 1998, 275 und die einschlägigen Umsatzsteuerrichtlinien während der Mandatszeit) wirkte jährlich in den abgegebenen Umsatzsteuererklärungen fort. Diese Erklärungspraxis löste weitere Schäden und damit Primäransprüche des Klägers erst aus. Neue Anhaltspunkte dafür, dass die Umsatzsteuererklärungen des Klägers künftig anders abzufassen waren, hatte der Beklagte in dem für den zulässigen Teil der Revision interessierenden Zeitraum vor dem Eintritt der letzten Primärverjährung mit Ablauf des 28.2.1997 nicht. Von daher erschien auch seine zurückliegende Tätigkeit nicht im Lichte eines besonderen Haftungsrisikos, über das der Kläger aufzuklären war und - wenn dies versäumt wurde - der verjährungsrechtliche Sekundäranspruch entstehen konnte.

Dagegen wendet sich auch die Revisionserwiderung insoweit nicht; denn sie sieht den Anlass des Beklagten zur Überprüfung seines bisherigen Vorgehens erst in dem Verlauf der Betriebsprüfung des Klägers und dem Zeitpunkt der Schlussbesprechung am 17.6.1997. Zu diesem Zeitpunkt waren die Schadensersatzansprüche aus den Besteuerungszeiträumen vor 1993 verjährt.

III.

Das Berufungsurteil verletzt § 242 BGB, indem es dem Beklagten die Berufung auf die Verjährungseinrede versagt. Der Missbrauchseinwand des Gläubigers gegen die Verjährungseinrede ist nur dann berechtigt, wenn der Schuldner ihn in treuwidriger Weise von der rechtzeitigen Klagerhebung abgehalten hat (BGH, Urt. v. 14.2.1978 - X ZR 19/76, BGHZ 71, 86 [96;] Urt. v. 29.2.1996 - IX ZR 180/95, MDR 1996, 1073 = BRAK 1996, 220 = WM 1996, 1106 [1108]). Das Verhalten des Schuldners muss dafür ursächlich geworden sein, dass der Gläubiger die Verjährungsfrist nicht vor deren Ablauf unterbrochen hat (BAG v. 18.3.1997 - 9 AZR 130/96, NJW 1997, 3461 [3462]; BGH, Urt. v. 26.2.1985 - VI ZR 144/83, MDR 1985, 565 = NJW 1985, 1151 [1152]). Da die Verjährung bereits eingetreten war, als der Beklagte 1999 und fernmündlich möglicherweise auch bereits 1998 dem Kläger hierzu eine falsche Rechtsauskunft erteilte, kann der Missbrauchseinwand gegen die Verjährungseinrede des Beklagten nicht durchgreifen. Das hat das Berufungsgericht übersehen.

IV.

Soweit die Revision zulässig ist, stellt sich das Berufungsurteil auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 563 ZPO a.F.).

1. Die Revisionserwiderung verteidigt das Berufungsurteil im Kern damit, dass der Beklagte sowohl durch sein Schreiben v. 20.12.1999 als auch durch sein weiteres Verhalten bereits im Jahre 1998 auf die Erhebung der Verjährungseinrede wirksam und unbefristet verzichtet habe, soweit von einem vorherigen Verjährungseintritt auszugehen sei.

Mit diesem Deutungsversuch kann die Revisionserwiderung nicht durchdringen. Der Schuldner kann zwar nach Eintritt der Verjährung auf das mit der Einrede verbundene Leistungsverweigerungsrecht (§ 222 Abs. 1 BGB a.F.) verzichten (BGH v. 22.4.1982 - VII ZR 191/81, BGHZ 83, 382 [389] = MDR 1982, 842; Urt. v. 16.11.1995 - IX ZR 148/94, MDR 1996, 531 = BRAK 1996, 128 = WM 1996, 540 [542]). Der Kläger hat sich aber in den Tatsacheninstanzen stets nur auf die Rechtsmissbräuchlichkeit der Einrede berufen. Der fehlende Sachvortrag für einen Einredeverzicht kann in der Revisionsinstanz nicht nachgeholt werden.

Das Schreiben v. 20.12.1999 lässt auch keinen Verzichtswillen des Beklagten erkennen, sondern nur, dass er augenscheinlich den unrichtigen Inhalt des übersandten Merkblattes der Bundessteuerberaterkammer zur Verjährung der Ersatzansprüche gegen Berufsangehörige nicht erkannt hat.

2. Gegenstand der Revision ist auch der vom Standpunkt des Berufungsgerichts mit Recht bisher nicht beschiedene Hilfsanspruch der Klage. Dieser Anspruch stützt sich auf den Vorwurf, der Beklagte habe darauf hinweisen müssen, dass die anfallende Umsatzsteuer für gelieferte orthopädische Hilfsmittel den Patienten in Rechnung gestellt werden könne. Auch dieser Hilfsanspruch trägt indes das Berufungsurteil in seinem von der Revision zulässigerweise angegriffenen Umfang nicht.

Es kann dahinstehen, ob eine entsprechende Pflichtverletzung des Beklagten überhaupt schlüssig dargelegt ist. Denn auch ein Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten aus dem Vorwurf unterlassenen Hinweises auf die Abwälzbarkeit der abgeführten Umsatzsteuern wäre verjährt, weil die Schäden jeweils bereits mit Abschluss der Behandlungsverträge und Rechnungsübersendung an die Patienten entstanden waren. Die hiermit in Lauf gesetzten Verjährungsfristen des § 68 StBerG für die Behandlungs- und Besteuerungszeiträume des Klägers vor 1993 waren daher für den Hilfsanspruch sogar früher abgelaufen als für den Hauptanspruch der Klage.

 

Fundstellen

BFH/NV Beilage 2005, 405

BB 2005, 2491

DB 2005, 2406

DStZ 2005, 688

HFR 2005, 1120

WPg 2005, 1130

Inf 2005, 682

NWB 2005, 3514

BBK 2005, 845

BGHR 2005, 1441

StuB 2006, 168

WM 2005, 2106

ZIP 2005, 1877

MDR 2006, 21

VersR 2006, 556

GuT 2005, 234

NWB direkt 2005, 11

BBBW 2006, 169

BFH/NV-Beilage 2005, 405

NJOZ 2005, 4031

SJ 2005, 38

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