Entscheidungsstichwort (Thema)

Wettbewerbswidrige Firmenbezeichnung einer Steuerberatungsgesellschaft. Verwirkung von Ansprüchen aus dem Wettbewerbsrecht

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Verwendung der Bezeichnung „JUS” im Firmennamen einer Steuerberatungsgesellschaft verletzt § 43 Abs. 4, §§ 53, 57 StBerG sowie § 1 UWG.

2. Ansprüche aus § 1 UWG i. V. mit den Vorschriften des StBerG unterliegen grundsätzlich nicht der Verwirkung, da sie – neben der Sicherung der Wettbewerbsgleichheit innerhalb des Berufsstandes – dem Schutz der Allgemeinheit vor Irreführung dienen.

 

Normenkette

StBerG § 43 Abs. 4, §§ 53, 57; UWG §§ 1, 3; BGB § 242

 

Verfahrensgang

OLG Köln (Urteil vom 14.01.1983)

LG Köln (Urteil vom 18.05.1982)

 

Tenor

Auf die Rechtsmittel des Klägers werden das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 14. Januar 1983 aufgehoben und das Urteil der 31. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 18. Mai 1982 abgeändert.

Die Beklagte wird unter Androhung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 500.000,– DM, ersatzweise Ordnungshaft, oder von Ordnungshaft bis zu 6 Monaten verurteilt, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr die Bezeichnung „JUS-Steuerberatungsgesellschaft mbH” zu verwenden.

Der Beklagten wird eine Aufbrauchsfrist bis zum 31. Dezember 1985 gewährt.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

 

Tatbestand

Der Kläger ist ein eingetragener Verein, zu dessen satzungsgemäßen Aufgaben die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs gehört.

Die Beklagte betreibt unter der Firma JUS-Steuerberatungsgesellschaft mbH seit dem Jahre 1960 ein Steuerberatungsunternehmen. Sie ist unter dieser Firma seit dem 4. August 1960 im Handelsregister eingetragen.

Der Kläger hat behauptet, der Firmenbestandteil JUS erwecke bei einem nicht unerheblichen Teil des Verkehrs den Eindruck, bei der Beklagten könne neben der Steuerberatung auch eine (anderweitige) Rechtsberatung in Anspruch genommen werden; dies liege um so näher, als Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfer bzw. Steuerberater seit Anfang der 80er Jahre vermehrt gemeinsame Sozietäten gründeten. Die Beklagte verstoße daher mit der Führung ihrer Firma gegen § 3 UWG; außerdem stelle die Bezeichnung JUS eine berufswidrige Werbung im Hinblick auf § 43 Abs. 4 Satz 2 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) dar, so daß die Verwendung der Firma auch gegen § 1 UWG verstoße.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, es bei Vermeidung von näher bezeichneten Ordnungsmitteln zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr die Bezeichnung

„JUS-Steuerberatungsgesellschaft mbH”

zu verwenden.

Die Beklagte hat dagegen vorgetragen, für den flüchtigen Verbraucher, zumal soweit er die lateinische Sprache nicht kenne, könne JUS ein Phantasiebegriff sein, unter dem er sich überhaupt nichts vorstelle oder den er für eine Namensabgrenzung halte. Selbst wenn er jedoch die lateinische Bedeutung kenne, werde er durch den weiteren Namensbestandteil Steuerberatungsgesellschaft darüber informiert, auf welchem rechtlichen Teilbereich die Beklagte erlaubterweise beratend und vertretend tätig sei, nämlich auf dem Bereich des Steuerrechts.

Im übrigen seien etwaige Unterlassungsansprüche des Klägers verwirkt. Sie habe, da gegen ihre Namensführung durch die Industrie- und Handelskammer, das Registergericht, die Oberfinanzdirektion Fg und das Finanzministerium Baden-Württemberg in den Jahrzehnten der Benutzung keine Einwendung erhoben worden seien, guten Gewissens davon ausgehen können, daß sie eine den gesetzlichen Vorschriften entsprechende Firma führe. Diese nunmehr aufgeben zu müssen, würde für sie eine schwerwiegende Beeinträchtigung ihrer Tätigkeit bedeuten.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben.

Mit seiner Revision verfolgt der Kläger den Klageantrag weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

I. 1. Das Berufungsgericht hat in dem Firmenbestandteil „JUS” eine irreführende Angabe im Sinne des § 3 UWG sowie einen nach den Vorschriften des Steuerberatungsgesetzes unzulässigen Firmenzusatz gesehen, dessen Verwendung zugleich auch gegen § 1 UWG verstoße, jedoch den Unterlassungsanspruch mit der Begründung versagt, bei Abwägung der beteiligten Interessen der Allgemeinheit einerseits und der Beklagten andererseits sei ein schutzwürdiges Interesse des Klägers an der Durchsetzung des Klagezieles nicht anzuerkennen.

II. Diese Beurteilung hält im Ergebnis der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Allerdings ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht Verstöße der Beklagten gegen §§ 1 und 3 UWG angenommen hat.

Es begegnet im Hinblick auf die vielfältigen Verwendungsformen des Begriffs „JUS” und seiner als solche erkennbaren Abwandlungen und Wortzusammensetzungen im täglichen Leben keinen rechtlichen Bedenken, daß das Berufungsgericht von der Bekanntheit seines Sinngehalts zumindest in weiten Kreisen des Verkehrs ausgegangen ist. Auch die weitere Annahme des Berufungsgerichts, bei Kenntnis des Zusammenhangs zwischen dem Begriff „JUS” mit Recht bzw. Rechtswissenschaft könnten aus seiner Verwendung in der Firma einer Steuerberatungsgesellschaft leicht Schlüsse auf eine allgemeine oder auf eine besonders qualifizierte rechtswissenschaftliche Ausrichtung des so gekennzeichneten Unternehmens gezogen werden, widerspricht nicht der allgemeinen Lebenserfahrung. Das Berufungsgericht hätte auch noch eine weitere, in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes bereits wiederholt erörterte Möglichkeit des Verständnisses eines solchen Zusatzes in seine Erwägungen einbeziehen können, nämlich die der Annahme einer Spezialisierung der Steuerberatung auf Angehörige bestimmter – hier juristischer – Berufe (vgl. BGH 79, 390, 395, 396 – Apotheken-Steuerberatungsgesellschaft; BGH Urt. v. 13. 11. 1981 – I ZR 186/79 – Medico).

Es begegnet auch keinen revisionsrechtlichen Bedenken, daß das Berufungsgericht den Anteil derjenigen, die in der einen oder anderen Weise getäuscht werden können, als jedenfalls nicht ganz unerheblich beurteilt hat.

Die Revisionserwiderung sucht dies im wesentlichen dadurch in Frage zu stellen, daß sie die tatrichterliche Würdigung durch eine abweichende eigene ersetzt. Damit kann sie im Revisionsverfahren nicht gehört werden. Ihre weitere Rüge, das Berufungsgericht habe zu Unrecht eine hinreichende eigene Sachkunde zur Feststellung der Verletzungsform bejaht, trifft nicht zu, da die Richter des Berufungsgerichts nicht außerhalb der angesprochenen Verkehrskreise stehen; das Angebot einer Steuerberatung kann zwar als vornehmlich, aber keinesfalls als ausschließlich an Wirtschaftsunternehmen gerichtet angesehen werden.

Da die Angaben, die dem Begriff „JUS” bei dem näher dargelegten Verständnis entnommen werden können, – wie das Berufungsgericht festgestellt hat – objektiv unrichtig sind, weil die Beklagte weder eine allgemeine Rechtsberatung noch eine wissenschaftlich im Verhältnis zu ihren Konkurrenten besonders qualifizierte oder spezialisierte Steuerberatung betreibt, verstoßen sie gegen § 3 UWG.

Die Bestimmung des § 1 UWG hat das Berufungsgericht deshalb zu Recht als verletzt angesehen, weil die Verwendung des Firmenbestandteils „JUS” auch gegen Vorschriften des Steuerberatungsgesetzes verstößt, die der Sicherung der Wettbewerbsgleichheit der steuerberatenden Berufe sowie dem Schutz der Allgemeinheit vor Irreführung dienen und deren Mißachtung daher zugleich einen Verstoß gegen § 1 UWG darstellt, ohne daß es auf weitere Umstände ankommt (BGHZ 79, 392, 400 – Apotheken-Steuerberatungsgesellschaft). Bei dem genannten Sinngehalt verstößt die Verwendung, soweit es sich um die Inanspruchnahme besonderer Qualifikation für die steuerberatende Tätigkeit handelt, gegen die Verpflichtung der Beklagten, die nach § 53 StBerG vorgeschriebene Bezeichnung „Steuerberatungsgesellschaft” ohne andere, auf eine steuerberatende Tätigkeit hinweisende Bezeichnungen (§ 43 Abs. 4 StBerG) in ihre Firma aufzunehmen, und damit zugleich auch gegen das in der Bestimmung des § 57 Abs. 1 (i.V. mit § 72) StBerG ausgesprochene Verbot einer berufswidrigen Werbung (BGHZ 79, 392, 396 – Apotheken-Steuerberatungsgesellschaft; BGH Urt. v. 13. 11. 1981 – I ZR 2/80, GRUR 1982, 239, 240 = WRP 1982, 691 – Allgemeine Deutsche Steuerberatungsgesellschaft).

2. Rechtsfehlerhaft sind dagegen die Überlegungen, mit denen das Berufungsgericht Unterlassungsansprüche des Klägers aufgrund der festgestellten Verstöße unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung verneint hat.

Ansprüche aus § 3 UWG unterliegen grundsätzlich nicht der Verwirkung, da sie dem Schutz öffentlicher Interessen dienen (BGH, Urt. v. 7. 7. 1965 – Ib ZR 9/64 – GRUR 166, 267, 271 – White Horse, st. Rspr.); das gleiche gilt hinsichtlich der hier mit in Rede stehenden Ansprüche aus § 1 UWG i.V. mit Vorschriften des Steuerberatungsgesetzes, da auch letztere – neben der Sicherung der Wettbewerbsgleichheit innerhalb des Berufsstandes – dem Schutz der Allgemeinheit vor Irreführung dienen, wie sie sich aus der eine besondere Sachkompetenz in Anspruch nehmenden Berufsbezeichnung ergeben kann (BGH, Urt. v. 16. 1. 1981, GRUR 1981, 596, 599 = WRP 1981, 380 – Apotheken-Steuerberatungsgesellschaft, insoweit in BGHZ nicht abgedruckt). Der auf § 242 BGB beruhende Einwand der Verwirkung kann grundsätzlich nur gegenüber Ansprüchen erhoben werden, mit denen individuelle Interessen verfolgt werden nicht dagegen, wenn es um Belange der Allgemeinheit geht. Dann kann nur in Betracht kommen, daß infolge einer langen und unangefochtenen Benutzung einer an sich irreführenden Bezeichnung entweder die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 3 UWG oder anderer Irreführungstatbestände entfallen sind – was das Berufungsgericht hier rechtsfehlerfrei verneint hat – oder das Allgemeininteresse so weit geschwunden ist, daß es ausnahmsweise gegenüber besonderen Belangen, insbesondere einem zwischenzeitlich erworbenen rechtserheblichen Besitzstand, zurückzutreten hat. Auch davon kann im vorliegenden Fall – entgegen der vom Berufungsgericht und in der Revisionserwiderung vertretenen Auffassung – nicht ausgegangen werden.

Das in Frage stehende Interesse der Allgemeinheit, vor Irreführung bewahrt zu werden, ist grundsätzlich als vorrangig vor den Individualinteressen des irreführend Werbenden anzusehen (BGH, Urt. v. 11. 10. 1972 – I ZR 31/72, GRUR 1973, 532, 534 – Millionen Trinken; Urt. v. 17. 10. 1984 – I ZR 187/82, GRUR 1985, 140, 141 f = WRP 1985, 72 – Größtes Teppichhaus der Welt m.w.N.), so daß ein vom Verletzer erworbener Besitzstand in solchen Fällen regelmäßig nicht schutzwürdig ist (BGH Urt. v. 21. 5. 1975 – I ZR 43/74, GRUR 1975, 658, 660 – Sonnenhof m.w.N.; Urt. v. 10. 4. 1981 – I ZR 162/79, GRUR 1981, 666, 668 = WRP 1981, 518 – Ungarische Salami).

Die engen Voraussetzungen, unter denen ausnahmsweise eine Berücksichtigung der Individualinteressen in Betracht kommen und ein so gewonnener Besitzstand als schutzwürdig angesehen werden kann (vgl. BGH Urt. v. 15. 10. 1976 – I ZR 23/75, GRUR 1977, 159, 161 – Ostfriesische Teegesellschaft m.w.N.) hat das Berufungsgericht im vorliegenden Fall rechtsirrig als erfüllt angesehen. Es hätte weder von einer hinreichend geringen Gefahr der in Betracht kommenden Täuschung ausgehen noch dem Besitzstand der Beklagten besonderes Gewicht beimessen dürfen.

So durfte es die Irreführung des Verkehrs über besondere Sachkompetenzen des Angehörigen eines steuerberatenden Berufs nicht als unbedeutend hinstellen, da sie den Verkehr zu unrichtigen Zuwendungen veranlassen und gleichqualifizierte Mitbewerber wettbewerblich behindern kann. Auch wenn es meint, das Interesse der Allgemeinheit sei im Streitfall deshalb relativ gering, weil der ganz überwiegende Teil des angesprochenen Verkehrs der Bezeichnung „JUS” keine besondere Bedeutung beimesse und die Steuerberaterkammer die Firma der Beklagten bisher nicht beanstandet habe, rechtfertigt dies seine Beurteilung ebensowenig wie der unterstützende Hinweis der Revisionserwiderung auf die – mangels direkter Mandantenwerbung – geringe Außenwirkung des angegriffenen Firmenbestandteils. Der Schutz einer – nicht ganz unbeachtlichen – Minderheit wegen Irreführung liegt im öffentlichen Interesse. Ob und wie weit er im Einzelfall zurückzutreten hat, wenn er mit besonders gewichtigen und möglicherweise deshalb schutzwürdigen individuellen Interessen kollidiert, bedarf vorliegend keiner Vertiefung, da es an einem solchen Interesse auf Seiten der Beklagten fehlt. Von einem erheblichen Besitzstand, wie ihn das Berufungsgericht angenommen und zur Begründung des vorrangigen Interesses der Beklagten herangezogen hat, kann nach deren eigenem Sachvortrag nicht ausgegangen werden; denn nach ihrer – vom Berufungsgericht teilweise und unbeanstandet von den Parteien übernommenen – Behauptung hat sie unter ihrer Klientel rund 100 Dauermandanten, die zahlenmäßig etwa die Hälfte ihrer jährlichen Kundschaft darstellen. Diesen Kunden kann die Beklagte unschwer eine – verhältnismäßig geringfügige – Änderung ihrer Firma mitteilen und erklären, ohne daß dadurch eine Erschütterung der Vertrauensgrundlage zwischen ihr und den Kunden und damit ein Besitzstandsverlust einzutreten braucht. Hinsichtlich der Kunden, die erstmalig mit der Firma der Beklagten in Berührung kommen, kann ein schutzwürdiger Besitzstand an dieser Bezeichnung schon deshalb nicht anerkannt werden, weil gerade sie der Irreführungsgefahr in besonderem Maße ausgesetzt sind; und Kunden, die die Beklagte unter ihrer bisherigen Bezeichnung kennen, aber nur sporadisch in Anspruch nehmen, können bereits quantitativ zur Begründung eines den hier in Frage stehenden Maßstäben genügenden Besitzstandes nicht ausreichen.

III. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben. Da sich der Klageanspruch gemäß den auch vom Berufungsgericht als verletzt angesehenen Vorschriften der §§ 1 und 3 UWG auf Grund der bereits getroffenen Feststellungen als begründet erweist, ist die Beklagte unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils entsprechend dem Klageantrag zu verurteilen.

Da der Sachvortrag der Beklagten ein hinreichendes Interesse an der Gewährung einer Aufbrauchsfrist erkennen läßt und dieser eines entsprechenden Antrags nicht unbedingt bedarf (BGH, Urt. v. 11. 3. 1982 – I ZR 58/80, GRUR 1982, 420, 423 – BBC/DDC m.w.N.), war der Beklagten eine angemessene Aufbrauchsfrist bis zum 31. 12. 1985 zuzubilligen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

 

Fundstellen

GRUR 1985, 930

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