Entscheidungsstichwort (Thema)

GmbH. Gesellschafter-Geschäftsführer. Haftung. Existenzvernichtender Eingriff. Entzug von Gesellschaftsmitteln. Betriebsfremde Zwecke. Zum Nachteil der Gesellschaftsgläubiger. Existenzvernichtungshaftung. Verzugszinsen. Insolvenz der Gesellschaft. Fälligkeit des Rückgewährsanspruches. Prozeßzinsen ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Verzusgzinsen ab Entzug der Gesellschaftsmittel

 

Leitsatz (amtlich)

Werden der Gesellschaft unter dem Gesichtspunkt des existenzvernichtenden Eingriffs Geldbeträge entzogen, so hat der rechtswidrig handelnde Gesellschafter Verzugszinsen ab der Entziehung zu entrichten.

 

Normenkette

BGB §§ 826, 286 Abs. 2 Nr. 4

 

Verfahrensgang

OLG Hamm (Urteil vom 16.05.2006; Aktenzeichen 27 U 190/05)

LG Siegen (Urteil vom 25.10.2005; Aktenzeichen 6 O 139/05)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 27. Zivilsenats des OLG Hamm vom 16.5.2006 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht zum Nachteil des Klägers erkannt hat.

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des LG Siegen vom 25.10.2005 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 70.000 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 21.000 EUR seit 4.9.2004, aus weiteren 23.000 EUR seit 8.9.2004, aus weiteren 15.500 EUR seit 10.9.2004 und aus weiteren 10.500 EUR seit 11.9.2004 zu zahlen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

[1] Der Beklagte war alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der B. GmbH (fortan: Schuldnerin). Er überwies in vier Teilbeträgen am 3., 7., 8. und 10.9.2004 aus dem Vermögen der Schuldnerin insgesamt 70.000 EUR auf seines eigenes Bankkonto. Am 20.9.2004 stellte er für die Schuldnerin Eigenantrag. Über das Vermögen der Schuldnerin wurde am 21.1.2005 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.

[2] Der Kläger forderte den Beklagten mit Schriftsatz vom 6.4.2005 unter Fristsetzung auf den 21.4.2005 zur Rückzahlung der Hauptsumme auf und begehrte zugleich Verzugszinsen ab dem jeweiligen Folgetag der einzelnen Überweisungen. Das LG hat der Klage im Hauptanspruch stattgegeben und Verzugszinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.4.2005 zuerkannt. Auf die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers hat das OLG unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels Zinsen in der geltend gemachten Höhe ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuerkannt. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen ursprünglichen Zinsanspruch i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz weiter.

 

Entscheidungsgründe

[3] Die Revision ist begründet.

I.

[4] Das Berufungsgericht, dessen Urteil in NZI 2006, 642 veröffentlicht ist, hat ausgeführt, der Kläger könne Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus § 819 Abs. 1, § 818 Abs. 4, §§ 291, 288 BGB verlangen. Die Verzinsung beginne erst am Tag der Insolvenzeröffnung, mithin dem 21.1.2005. Auf den Zeitpunkt der Vornahme der anfechtbaren Rechtshandlung könne nicht abgestellt werden, weil nach § 291 BGB die Verzinsung mit der Fälligkeit des Anfechtungsanspruchs beginne und dieser Anspruch frühestens mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehe und fällig werde. Weitergehende Zinsansprüche bestünden nicht. § 849 BGB beziehe sich nur auf die Verzinsung des zu ersetzenden Betrages bei Entziehung oder Beschädigung einer Sache. Die "Entziehung" i.S.d. § 849 BGB beschränke sich lediglich auf Fälle der Vorenthaltung eines körperlichen Gegenstandes. Auf das Abheben von Geldforderungen (Buchgeld) könne diese Bestimmung nicht angewendet werden.

II.

[5] Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

[6] 1. Im Ausgangspunkt hat das Berufungsgericht zu Recht angenommen, dass hinsichtlich der geltend gemachten Zinsforderung die Vorschrift des § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO anzuwenden ist und dem Kläger ab der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Prozesszinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zustehen.

[7] a) Der Senat hat mit der nach Erlass des Berufungsurteils ergangenen Entscheidung vom 1.2.2007 (IX ZR 96/04, ZIP 2007, 488, z.V.b. in BGHZ 171, 38) ausgeführt, dass § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO eine Rechtsfolgenverweisung auf § 819 Abs. 1 BGB enthält, so dass der Anfechtungsgegner unmittelbar der verschärften Haftung des § 819 Abs. 1 BGB unterworfen ist. Er wird damit insoweit einem bösgläubigen Bereicherungsschuldner gleichgestellt. Mit dieser Anknüpfung ist der Herausgabeanspruch als rechtshängiger Anspruch zu behandeln, was, wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, zur Anwendung der Regel über die Zahlung von Prozesszinsen führt. Danach ist bei einer fälligen Geldschuld gem. § 291 Satz 1 BGB die Vorschrift des § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB entsprechend anzuwenden (BGH, a.a.O., S. 489, z.V.b. in BGHZ 171, 38, 43).

[8] b) Der Rückgewähranspruch wird mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig. Das Anfechtungsrecht setzt tatbestandsmäßig die Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraus. Der entsprechende Anspruch kann nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden (vgl. BGHZ 83, 102, 105). Daher entsteht das Anfechtungsrecht erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (BGHZ 15, 333, 337; 113, 98, 105; 130, 38, 40). Zugleich wird damit der Rückgewähranspruch fällig, weil nach neuerem Verständnis die Insolvenzanfechtung keiner gesonderten Erklärung bedarf (BGHZ 135, 140, 151; BGH, Urt. v. 11.12.2003 - IX ZR 336/01, ZIP 2004, 671, 672; Urt. v. 1.2.2007 - IX ZR 96/04, a.a.O., z.V.b. in BGHZ 171, 38, 44). Prozesszinsen können daher erst ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens begehrt werden (§ 291 Satz 1 Halbs. 2 BGB).

[9] 2. Die Ansicht des Berufungsgerichts, vor Insolvenzeröffnung schulde der Beklagte überhaupt keine Zinsen, ist unzutreffend. Der Beklagte ist der Schuldnerin ab dem Zeitpunkt der jeweiligen Überweisung der einzelnen Beträge auf sein Konto gem. § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB zur Zinsleistung verpflichtet, weil die gegen ihn bestehende Forderung auf einer unerlaubten Handlung beruht (§ 826 BGB).

[10] a) Bei der Haftung wegen Existenzvernichtung handelt es sich nach der von dem BGH durch das Urteil vom 16.7.2007 (II ZR 3/04, NJW 2007, 2689, z.V.b. in BGHZ) entwickelten grundlegenden Neukonzeption nicht um eine Durchgriffshaftung zugunsten der Gesellschaftsgläubiger, sondern um einen originären Anspruch der GmbH gegen einen Gesellschafter, der seine Grundlage in § 826 BGB findet. Für die Beurteilung, ob ein existenzvernichtender Eingriff vorliegt, kann auch nach der Umgestaltung der Existensvernichtungshaftung in eine reine Innenhaftung die bisherige Rechtsprechung herangezogen werden (BGH, Urt. v. 16.7.2007, a.a.O., S. 2690 f.). Mithin liegt eine Existenzvernichtung vor, wenn der Gesellschafter auf die Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens keine angemessene Rücksicht nimmt, indem er der Gesellschaft durch offene oder verdeckte Entnahmen ohne angemessenen Ausgleich Vermögenswerte entzieht, die sie zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten benötigt, und sie dadurch in die Insolvenz führt oder eine bereits bestehende Insolvenz vertieft (BGH, Urt. v. 13.12.2004 - II ZR 256/02, ZIP 2005, 250 f.; v. 16.7.2007, a.a.O.). Der existenzvernichtende Eingriff ist sittenwidrig, weil die Gesellschaft dadurch um Vermögen gebracht wird, das sie zur vorrangigen Befriedigung ihrer Gläubiger benötigt (BGH, Urt. v. 16.7.2007, a.a.O., S. 2692).

[11] b) Nach diesen Maßstäben ist der Beklagte der Schuldnerin gem. § 826 BGB wegen Existenzvernichtung zur Schadensersatzleistung verpflichtet.

[12] Der Beklagte hat im Insolvenzverfahren selbst eingeräumt, dass die Schuldnerin bereits in dem Zeitpunkt überschuldet war, als er die ihn begünstigenden Zahlungen beschlossen und veranlass hat. Die - wie der vereinbarte Vorrang gegenüber sonstigen Verbindlichkeiten der Gesellschaft belegt - gerade auch für den Fall einer Krise vorgesehene zusätzliche Vergütung des Beklagten war jedenfalls unzulässig, weil der Schuldnerin als Gegenleistung keine Vorteile zugeflossen waren (vgl. BGHSt 50, 331, 337 "Mannesmann"), sondern der Beklagte das Unternehmen vielmehr in die Insolvenz geführt hatte. Da folglich die Insolvenz der Schuldnerin vertieft wurde, liegt in den von einem einheitlichen Willensentschluss des Beklagten getragenen Zahlungen eine Existenzvernichtung. Der von § 826 BGB vorausgesetzte Vorsatz ist über die Schädigung der Schuldnerin hinaus auch im Blick auf das Merkmal der Sittenwidrigkeit gegeben: Denn dem Beklagten waren die Tatsachen - der betriebsfremden Zwecken dienende Entzug von Gesellschaftsmitteln zum Nachteil der Gesellschaftsgläubiger - bekannt, aus denen das Verdikt der Sittenwidrigkeit hergeleitet wird (BGH, Urt. v. 16.7.2007, a.a.O., S. 2692).

[13] c) Mit der rechtswidrigen Entziehung der ihm nicht zustehenden Geldbeträge ist der Beklagte gem. § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB unmittelbar in Verzug geraten (vgl. OLG Kiel SeuffArch Bd. 59 Nr. 259; Ernst in MünchKomm/BGB, 5. Aufl., § 286 Rz. 69; Palandt/Heinrichs, BGB, 67. Aufl., § 286 Rz. 25). Dem Kläger steht demnach der geltend gemachte Zinssatz i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinsatz aus § 286, § 288 Abs. 1 BGB bereits ab dem begehrten Zeitpunkt zu. Auf die Bestimmung des § 849 BGB, die auch auf die Entziehung von Geld anwendbar ist (vgl. BGHZ 8, 288, 298; BGH, Urt. v. 26.11.2007 - II ZR 167/06; Wagner in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 849 Rz. 5; Palandt/Sprau, BGB, a.a.O., § 849 Rz. 1; Staudinger/Vieweg, BGB, 13. Bearb. 2002 § 849 Rz. 4), muss daher nicht näher eingegangen werden. Gleiches gilt für die Frage, ob der geltend gemachte Zinsanspruch zudem unter dem Gesichtspunkt gezogener Nutzungen (§ 987 Abs. 1 BGB) oder schuldhaft nicht gezogener Nutzungen (§ 987 Abs. 2 BGB) (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 20.12.2001 - IX ZR 401/99, NJW 2002, 1050, 1052, insoweit in BGHZ 149, 326 nicht abgedruckt; Urt. v. 1.2.2007 - IX ZR 96/04, a.a.O., S. 490; z.V. b. in BGHZ 171, 38, 45; G. Fischer, KTS 2007, 267, 281) begründet ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1934797

BB 2008, 453

BB 2008, 637

DB 2008, 520

WPg 2008, 312

NWB 2008, 918

BGHR 2008, 568

EBE/BGH 2008, 75

GmbH-StB 2008, 106

NJW-RR 2008, 918

DNotI-Report 2008, 102

EWiR 2008, 433

StuB 2008, 613

WM 2008, 449

ZIP 2008, 455

DZWir 2008, 172

MDR 2008, 591

NZI 2008, 238

NZI 2008, 40

ZInsO 2008, 276

NJW-Spezial 2008, 207

NotBZ 2008, 193

ZBB 2008, 122

IDGmbH 2008, 9

SJ 2008, 39

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