Leitsatz (amtlich)

Hat allein eine Unrechtsmaßnahme der DDR dazu geführt, daß der Erbe eines Begünstigten aus der Bodenreform die Nachfolge in die Neubauernstelle nicht antreten konnte, schließt dies Ansprüche des Fiskus wegen des Grundstücks aus der Bodenreform nicht nur gegen den von der Unrechtsmaßnahme Betroffenen, sondern gegen alle aus Art. 233 § 11 Abs. 2 Nr. 2 Fall 1 EGBGB Mitberechtigten an dem Grundstück aus.

 

Normenkette

EGBGB 1986 Art. 233 § 12 Abs. 2 Nr. 2

 

Verfahrensgang

Thüringer OLG (Urteil vom 20.12.1995)

LG Meiningen (Urteil vom 07.06.1995)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten zu 1 wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 20. Dezember 1995 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten zu 1 erkannt wurde.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Meiningen vom 7. Juni 1995 wird insgesamt zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um Ansprüche des klagenden Freistaats Thüringen (im folgenden Kläger) wegen eines Grundstücks aus der Bodenreform.

Als Eigentümer des landwirtschaftlich genutzten, im Grundbuch als Bodenreformland gekennzeichneten Grundstücks war bei Ablauf des 15. März 1990 Bernhard M. im Grundbuch eingetragen. Er war am 15. April 1983 verstorben. Er wurde von seinen beiden Kindern, den Beklagten, beerbt.

Beide Beklagten waren bei Ablauf des 15. März 1990 aus dem Berufsleben ausgeschieden und insgesamt weniger als zehn Jahre in der Landwirtschaft der DDR tätig gewesen. Der Beklagte zu 2 hatte seine Tätigkeit auf dem Hof seines Vaters 1954 aufgeben müssen, als er wegen eines Wirtschaftsvergehens zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde 1958 erreichte die Bundesrepublik seine Entlassung aus der Haft nach Westdeutschland im Wege des sog. Freikaufs. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands wurde er vollständig rehabilitiert, das seiner Strafe zugrundeliegende Urteil wurde aufgehoben.

Durch Vertrag vom 21. September 1992 verkauften die Beklagten das von ihrem Vater herrührende Grundstück zum Preis von 61.210 DM, ließen es an die Käuferin auf und beantragten und bewilligten zu ihren Gunsten die Eintragung einer Vormerkung.

Das Grundbuchamt verfügte am 5. März 1993 die Übermittlung einer Abschrift des Vertrages vom 21. September 1992 an den Kläger. Am 10. März 1993 wurde die Vormerkung antragsgemäß eingetragen. Am 20. September 1993 unterrichtete das Grundbuchamt den Kläger von der beantragten Eintragung der Käuferin in das Grundbuch. Am 23. September 1993 erhob der Kläger Widerspruch. Am 25. November 1993 wurde die Käuferin als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen, zugleich erfolgte mit Vorrang vor ihrer Eintragung die Eintragung einer Vormerkung zur Sicherung des Auflassungsanspruchs des Klägers.

Der Kläger hat die Verurteilung der Beklagten zur Auflassung des Grundstücks, hilfsweise zur Zahlung des Betrages von 61.210 DM, begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Mit seiner Berufung hat der Kläger seine Anträge weiterverfolgt. Das Berufungsgericht hat die Berufung gegenüber beiden Beklagten zurückgewiesen, soweit der Kläger die Auflassung des Grundstücks verlangt. Das hilfsweise gestellte Zahlungsbegehren hat es gegenüber dem Beklagten zu 2 zurückgewiesen, gegenüber der Beklagten zu 1 hat es diesem in Höhe von 30.605 DM stattgegeben. Hiergegen wendet sich die zugelassene Revision der Beklagten zu 1, mit der sie die vollständige Abweisung der Klage begehrt.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Unstreitig sei es zur beabsichtigten Übergabe des Hofes vom Vater der Beklagten auf den Beklagten zu 2 nur wegen dessen zu Unrecht erfolgter Verurteilung nicht gekommen. Ohne diese wäre er im Sinne von Art. 233 § 12 Abs. 3 2. Alt. EGBGB zuteilungsfähig gewesen. Das von der DDR an ihm begangene Unrecht schließe Ansprüche des Klägers gegen den Beklagten zu 2 aus. Dies gelte nicht im Verhältnis zur Beklagten zu 1. Durch die Eintragung der Erwerberin als Eigentümerin im Grundbuch sei die Beklagte zu 1 zur Auflassung des Grundstücks unvermögend geworden. Die zugunsten des Klägers eingetragene Vormerkung ändere hieran nichts, weil dem Eigentumserwerb der Käuferin aufgrund der zu deren Gunsten eingetragenen Vormerkung der Vorrang vor dem vorgemerkten Anspruch des Klägers zukomme. Da die Beklagte zu 1 nicht zuteilungsfähig im Sinne von Art. 1233 § 12 Abs. 3 2. Alt. EGBGB sei, habe sie den Wert ihres Miteigentums an dem Grundstück dem Kläger zu erstatten.

Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

II.

Dem Kläger ist die Geltendmachung fehlender Zuteilungsfähigkeit des Beklagten zu 2 gemäß § 242 BGB verwehrt. Dies steht auch einer Inanspruchnahme der Beklagten zu 1 entgegen.

Die Beklagten sind mit Inkrafttreten des 2. VermRÄndG am 22. Juli 1992 gemäß Art. 233 § 11 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt. EGBGB Eigentümer des Grundstücks geworden. Das Eigentum hatte grundsätzlich nur bei ihnen zu verbleiben, wenn ihnen kein besser Berechtigter im Sinne von Art. 233 § 12 Abs. 2 EGBGB vorging. Besser Berechtigter kann gemäß Art. 233 § 12 Abs. 2 Nr. 2 lit. c EGBGB der Fiskus des Bundeslandes ein, in dem das Grundstück belegen ist.

Im Auflassungsanspruch des Fiskus aus Art. 233 § 12 Abs. 2 Nr. 2 lit. c EGBGB setzt sich die nach den Besitzwechselverordnungen der DDR vom 7. August 1975 (GBl I, 629) und 7. Januar 1988 (GBl I, 25) unterlassene Rückführung von Grundstücken in den Bodenfonds fort (Senatsurt. v. 16. Februar 1996, V ZR 208/94, WM 1996, 1194, 1196, für BGHZ 132, 71 vorgesehen). Die Nachzeichnung der Zuteilungsgrundsätze der Besitzwechselverordnungen durch Art. 233 § 12 Abs. 2, 3 EGBGB schließt den Erwerbsanspruch des Fiskus insgesamt aus, sofern ihm auch nur ein besser Berechtigter im Sinne von Art. 233 § 12 Abs. 2 Nr. 2 lit. a, b EGBGB vorgeht (Senatsurt. v. 21. Juli 1996, V ZR 284/93, Umdruck S. 5/6, zur Veröffentlichung vorgesehen). Soweit allein Unrechtsmaßnahmen der DDR dazu geführt haben, daß der Erbe eines Berechtigten aus der Bodenreform die Nachfolge in das Grundstück nicht antreten konnte, steht dies nicht nur der Inanspruchnahme des Erben, sondern auch anderer nach Art. 233 § 11 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt. EGBGB Berechtigter entgegen. Andernfalls würde das nach Art. 233 § 12 Abs. 2 Nr. 2 lit. c EGBGB berechtigte Bundesland aus Unrechtsmaßnahmen der DDR Vorteile ziehen: Ohne die Unrechtsmaßnahme der DDR käme ein Anspruch des Klägers nicht in Betracht.

Die Inanspruchnahme des Beklagten zu 2 durch den Kläger ist als treuwidrig ausgeschlossen. Treuwidriges Verhalten kann unter besonderen Umständen auch in der Einnahme eines Rechtsstandpunkts liegen, die mit früherem Verhalten in unlösbarem Widerspruch steht (vgl. BGHZ 50, 191, 196; BGH, Urteile v. 28. Juni 1956, III ZR 321/54, LM BGB § 242 [Cd] Nr. 40 und 2. April 1987, III ZR 76/85, WM 1987, 1084, 1085). Das setzt nicht notwendig voraus, daß sich das frühere und jetzige im Widerspruch hierzu stehende Verhalten innerhalb ein und desselben Schuldverhältnisses vollzieht oder daß durch das frühere Verhalten schutzwürdiges Vertrauen begründet wurde (BGHZ 130, 371, 375). Die Organe und Länder der Bundesrepublik Deutschland sind in besonderer Weise an die Grundsätze rechtsstaatlichen Verhaltens gebunden und zum Eintritt für diese gehalten (vgl. Art. 1 Abs. 3 GG). Demgemäß hat die Bundesrepublik Deutschland in der politischen und ideologischen Auseinandersetzung mit der DDR jahrzehntelang die Unrechtsmaßnahmen der DDR angeprangert. Die Aufhebung der vermögensrechtlichen Folgen dieser Maßnahmen wurde schon in Vorbereitung der Wiedervereinigung Deutschlands auf der Grundlage des noch von der DDR erlassenen Vermögensgesetzes begonnen. Dieses Ziel ist im Anschluß an die Wiedervereinigung von der Bundesrepublik weiterverfolgt worden, das Vermögensgesetz wurde vielfach ergänzt. In entsprechender Weise wurde die noch von der DDR begonnene Rehabilitierung von strafrechtlichen Unrechtsmaßnahmen in der DDR Betroffener begonnen, durch die Bundesrepublik Deutschland wurde sie auf der Grundlage des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes vom 29. Oktober 1992 (BGBl I, 1814) fortgesetzt. Auf der Grundlage des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes vom 23. Juni 1994 (BGBl I, 1311) hat der Ausgleich von Benachteiligungen durch unrechtmäßiges Verwaltungshandeln der DDR Betroffener zu erfolgen. Mit diesem Ziel umfassenden Ausgleichs von Unrechtsmaßnahmen der DDR steht die Geltendmachung eines vermögensrechtlichen Anspruchs durch eine öffentliche Stelle der Bundesrepublik Deutschland in unlösbarem Widerspruch, der in einer Unrechtsmaßnahme seine Grundlage findet.

Der Ausschluß einer Inanspruchnahme des Beklagten zu 2 läßt diesen besser berechtigt im Sinne von Art. 233 § 12 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB als den Kläger sein. Damit entfällt nach der in Art. 233 § 12 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB bestimmten Rangfolge jeder Anspruch des Klägers wegen des Grundstücks.

 

Unterschriften

Hagen, Lambert-Lang, Tropf, Krüger, Klein

 

Fundstellen

Haufe-Index 1128853

NJW 1997, 1502

BGHR

Nachschlagewerk BGH

MDR 1997, 543

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