Entscheidungsstichwort (Thema)

Widerruf eines Darlehensvertrags. Widerrufsregelungen für Verbraucherverträge. Anwendbarkeit auf Haustürgeschäfte nach 01.08.2002. OLG-Vertretungsänderungsgesetz

 

Leitsatz (amtlich)

Die durch das OLG-Vertretungsänderungsgesetz vom 23.7.2002 eingeführten Widerrufsregelungen für Verbraucherverträge sind nur anwendbar auf Haustürgeschäfte, die nach dem 1.8.2002 abgeschlossen worden sind, und auf andere Schuldverhältnisse, die nach dem 1.11.2002 entstanden sind. Art. 229 § 9 EGBGB (Überleitungsvorschrift zum OLG-Vertretungsänderungsgesetz vom 23.7.2002) ist lex specialis zu Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB (Überleitungsvorschrift zum Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26.11.2001).

 

Normenkette

EGBGB Art. 229 § 5 S. 2; BGB (in der seit dem 1.8.2002 geltenden Fassung) § 9 a.F., § 312 a.F., § 355 a.F., § 495 Abs. 1 a.F.

 

Verfahrensgang

OLG München (Urteil vom 03.02.2005; Aktenzeichen 19 U 4873/04)

LG München I (Entscheidung vom 22.07.2004; Aktenzeichen 28 O 1761/04)

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 19. Zivilsenats des OLG München vom 3.2.2005 wird auf Kosten der Kläger zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

[1]Die Parteien streiten über die Wirksamkeit des Widerrufs eines Darlehensvertrages.

[2]Die Kläger unterschrieben am 26.4.1996 nach Vermittlung durch einen "Finanz-Coach", der sie ihrem Vortrag zufolge in ihrer Wohnung aufgesucht hatte, eine an die Rechtsvorgängerin der beklagten Bank (im Folgenden: Beklagte) gerichtete formularmäßige Erklärung, in der sie den Wunsch nach einer Immobilien-Finanzierung zu im Einzelnen bezeichneten Konditionen äußerten. Am 17.5.1996 schlossen sie einen notariellen Kaufvertrag über eine Eigentumswohnung. Zur teilweisen Finanzierung dieses Kaufs gewährte die Beklagte den Klägern durch Vertrag vom 30.5./10.6.1996 im Wesentlichen zu den in der Erklärung vom 26.4.1996 genannten Konditionen ein Darlehen über 186.500 DM, das durch eine Grundschuld gesichert wurde. Die Tilgung des Darlehens war gegen Abtretung der Ansprüche aus mehreren Lebensversicherungen bis zum 30.6.2025 ausgesetzt. Am 30.5.2003 widerriefen die Kläger den Darlehensvertrag, der keine Belehrung über ein Widerrufsrecht enthielt, nach dem Haustürwiderrufsgesetz.

[3]Die Klage auf Abtretung eines Teilbetrages der Grundschuld Zug-um-Zug gegen Rückzahlung des Darlehens ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

[4]Die unbeschränkt zulässige Revision ist unbegründet.

[5]I.

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Kläger seien an den mit der Beklagten geschlossenen Darlehensvertrag gebunden. Ein Widerruf des Vertrages gem. § 495 Abs. 1 BGB n.F. oder gem. §§ 312, 355 BGB n.F. sei nicht möglich, da diese Widerrufsrechte auf einen Vertrag aus dem Jahr 1996 nicht anwendbar seien. Die Kläger könnten den Darlehensvertrag auch nicht nach § 1 HWiG widerrufen, weil die Haustürsituation am 26.4.1996, insb. wegen der Zäsur der notariellen Beurkundung am 17.5.1996, für die Unterzeichnung des Darlehensvertrages am 30.5.1996 nicht ursächlich gewesen sei. Das Verhalten des "Finanz-Coach" sei der Beklagten auch nicht zurechenbar.

[6]II.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung stand.

[7]1. Das Berufungsgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass den Klägern gem. Art. 229 § 9 Abs. 1 Satz 1 EGBGB kein Widerrufsrecht nach § 495 Abs. 1 BGB n.F. oder nach §§ 312, 355 BGB n.F. zusteht.

[8]a) Entgegen der Ansicht der Revision ist Art. 229 § 9 EGBGB, die Überleitungsvorschrift zum OLG-Vertretungsänderungsgesetz vom 23.7.2002 (BGBl. I 2002, 2850) eine Spezialregelung im Verhältnis zu Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB, einer Überleitungsvorschrift zum Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26.11.2001 (BGBl. I 2001, 3138; Mansel in AnwKomm/BGB, EGBGB Art. 229 § 5 Rz. 63; Palandt/Heinrichs, BGB 65. Aufl. EGBGB Art. 229 § 9 Rz. 2). Dies folgt bereits aus dem allgemeinen Grundsatz, dass späteres Recht früherem vorgeht. Darüber hinaus enthält Art. 229 § 9 Abs. 1 Satz 1 EGBGB die ausdrückliche Bestimmung, dass die Neuregelungen nur für nach dem 1.8.2002 geschlossene Haustürgeschäfte und für nach dem 1.11.2002 entstandene andere Schuldverhältnisse gelten. Der Gesetzgeber ist ausdrücklich davon ausgegangen, dass die inhaltlichen Änderungen für Verbraucherverträge auf vor Inkrafttreten des OLG-Vertretungsänderungsgesetzes entstandene Schuldverhältnisse keine Anwendung finden sollen (vgl. BT-Drucks. 14/9266, 50).

[9]Entgegen der Ansicht der Revision findet sich in Art. 229 § 9 Abs. 1 Satz 1 EGBGB kein Hinweis, dass früher erlassene Übergangsvorschriften vorgehen sollen. Insbesondere lässt sich ein Vorrang des Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB nicht einer anderweitigen Bestimmung i.S.d. Art. 229 § 9 Abs. 1 Satz 1 EGBGB entnehmen. Mit diesem Vorbehalt nimmt Art. 229 § 9 Abs. 1 Satz 1 EGBGB nicht auf Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB, sondern auf die Stufung des Inkrafttretens einiger Änderungen des OLG-Vertretungsänderungsgesetzes gem. § 506 Abs. 2 und 3 BGB in der bis zum 30.6.2005 geltenden Fassung Bezug (Löwisch, in: Staudinger, BGB Neubearb. 2003 EGBGB Art. 229 § 9 Rz. 3).

[10]b) Entgegen der Auffassung der Revision hat Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB auch nicht als Sonderregelung für Dauerschuldverhältnisse, die vom 1.1.2003 an einheitliches Recht gewährleisten soll, Vorrang vor Art. 229 § 9 Abs. 1 EGBGB. Bei der Frage der Widerruflichkeit von Darlehensverträgen handelt es sich um eine Frage des Vertragsschlusses. Zutreffend weist das Berufungsgericht darauf hin, dass eine Anwendung des neuen Rechts auf alte Verträge einer Vertragspartei ein Widerrufsrecht zusprechen würde, das sie nach der alten Rechtslage nicht hatte. Neue Widerrufsrechte sollten indes durch das Überleitungsrecht nicht geschaffen werden und sind mit der insoweit eindeutigen Regelung in Art. 229 § 9 EGBGB nicht vereinbar. Danach sind die neuen Widerrufsregelungen der § 495 Abs. 1 BGB, §§ 312, 355 BGB in der seit dem 1.8.2002 geltenden Fassung nur auf Haustürgeschäfte, die nach dem 1.8.2002 abgeschlossen worden sind, und auf andere Schuldverhältnisse, die nach dem 1.11.2002 entstanden sind, anwendbar.

[11]c) Auch die von der Revision unter Berufung auf Löwisch (in: Staudinger BGB Neubearb. 2003 EGBGB Art. 229 § 9 Rz. 7) und Schmidt-Kessel (ZGS 2002, 311, 318 f.) gegen eine Anwendung des Art. 229 § 9 Abs. 1 EGBGB angeführten Argumente tragen nicht.

[12]aa) Unzutreffend ist zunächst der Einwand, durch eine Anwendung des Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB werde vermieden, dass § 355 Abs. 3 BGB in seiner alten, gemeinschaftsrechtswidrigen Fassung auf Altverträge zur Anwendung gelange. Der Vorrang des Art. 229 § 9 EGBGB hat nicht die Geltung des § 355 Abs. 3 BGB a.F. zur Folge. Nach Art. 229 § 9 Abs. 1 Satz 2 EGBGB ist § 355 Abs. 3 BGB in seiner europarechtskonformen Neufassung auf alle nach dem 31.12.2001 geschlossenen Haustürgeschäfte anzuwenden. Für die vor diesem Zeitpunkt geschlossenen Haustürgeschäfte gilt nicht § 355 Abs. 3 BGB a.F., sondern gem. Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB das Haustürwiderrufsgesetz.

[13]bb) Aus der durch Änderung des § 355 Abs. 2 BGB eröffneten Nachbelehrungsmöglichkeit, die unter den Voraussetzungen des Art. 229 § 9 Abs. 2 EGBGB auch für Altverträge gilt, lässt sich eine Geltung der neuen Widerrufsrechte für Altverträge ebenfalls nicht herleiten. Diese Nachbelehrungsmöglichkeit hat gerade unter der Geltung des durch den Senat (BGH, Urt. v. 9.4.2002 - XI ZR 91/99, BGHZ 150, 248, 253 ff. = BGHReport 2002, 595 m. Anm. Kemper = MDR 2002, 893) europarechtskonform ausgelegten alten Rechts Bedeutung, da Altverträge bei unterlassener Widerrufsbelehrung unbegrenzt widerruflich sein können.

[14]2. Rechtlich nicht zu beanstanden ist auch, dass das Berufungsgericht einen Widerruf des Darlehensvertrages gem. § 1 Abs. 1 HWiG verneint hat, weil die Verhandlungen in der Haustürsituation am 26.4.1996 für die auf den Abschluss des Darlehensvertrages gerichtete Willenserklärung vom 30.5.1996 nicht kausal geworden seien.

[15]Zwar setzt § 1 Abs. 1 HWiG nicht den Abschluss eines Vertrages in einer Haustürsituation voraus. Es genügt eine Haustürsituation bei der Vertragsanbahnung, die für den späteren Vertragsschluss ursächlich war. Auch wird ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der mündlichen Verhandlung gem. § 1 Abs. 1 HWiG und der Vertragserklärung nicht gefordert. Bei zunehmendem zeitlichen Abstand wird aber die Indizwirkung für die Kausalität entfallen (BGH, Urt. v. 16.1.1996 - XI ZR 116/95, BGHZ 131, 385, 392 = MDR 1996, 456 m.w.N.). Ob sich der Darlehensnehmer auch bei einem größeren zeitlichen Abstand zwischen der mündlichen Verhandlung und dem Vertragsschluss durch einen Verstoß gegen § 1 HWiG in einer Lage befindet, in der er in seiner Entschließungsfreiheit beeinträchtigt ist (BGH, Urt. v. 26.10.1993 - XI ZR 42/93, BGHZ 123, 380, 393 = MDR 1994, 248 m.w.N.), ist eine Frage der Würdigung des Einzelfalls (BGH, Urt. v. 21.1.2003 - XI ZR 125/02, BGHReport 2003, 388 = MDR 2003, 466 = WM 2003, 483, 484; v. 18.3.2003 - XI ZR 188/02, BGHReport 2003, 747 = MDR 2003, 819 = WM 2003, 918, 921; v. 20.5.2003 - XI ZR 248/02, BGHReport 2003, 961 = MDR 2003, 1190 = WM 2003, 1370, 1372). Dass das Berufungsgericht bei seiner Würdigung die zwischen der Haustürsituation und dem Abschluss des Darlehensvertrages erfolgte notarielle Beurkundung des Kaufvertrages berücksichtigt hat, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BGH, Urt. v. 20.5.2003 - XI ZR 248/02, BGHReport 2003, 961 = MDR 2003, 1190 = WM 2003, 1370, 1372). Hingegen musste das Berufungsgericht dem Umstand, dass die Erklärung, die die Kläger am 26.4.1996 unterschrieben haben, im Wesentlichen dieselben Kreditkonditionen enthielt wie der spätere Darlehensvertrag, keine entscheidende Bedeutung beimessen, weil die Erklärung vom 26.4.1996 noch nicht die auf den Abschluss des Darlehensvertrages gerichtete Willenserklärung darstellte (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 26.10.1993 - XI ZR 42/93, BGHZ 123, 380, 392 f. = MDR 1994, 248).

[16]Mangels Kausalität der Haustürsituation kommt es auf die Zurechenbarkeit des Verhaltens des "Finanz-Coach" nicht an.

[17]III.

Die Revision war demnach als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1600341

BB 2006, 2269

NJW 2006, 3349

BGHR 2006, 1454

EWiR 2007, 173

JurBüro 2007, 103

NZM 2006, 909

WM 2006, 1995

WuB 2007, 1

ZIP 2006, 1942

ZfIR 2006, 865

MDR 2007, 97

VersR 2007, 503

WuM 2006, 641

ZBB 2006, 475

ZGS 2006, 423

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