Verfahrensgang

OLG München (Urteil vom 04.12.1989)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 4. Dezember 1989 aufgehoben, soweit ihre Berufung zurückgewiesen und über die Kosten entschieden worden ist.

In diesem Umfang wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Parteien streiten noch über die Höhe des Pflichtteils der Mutter des jetzigen Klägers nach ihrem am 3. November 1985 verstorbenen Sohn, dem Bruder des Beklagten zu 2) Lorenz H. (Erblasser).

Der Erblasser hatte vier Geschwister, er war nicht verheiratet und hinterließ keine eigenen Nachkommen. Aufgrund Testaments vom 16. November 1984 wurde er von der Beklagten zu 1), der jetzt 12 Jahre alten Tochter seines Bruders Konrad, allein beerbt. Bis zur Volljährigkeit der Erbin besteht Testamentsvollstreckung; Testamentsvollstrecker ist der Vater der Erbin, der Beklagte zu 2).

Mit der Klage verlangte die Mutter des Erblassers ihren Pflichtteil in Höhe von einem Viertel des Wertes des Nachlasses. Zum Nachlaß des Sohnes gehörte außer einem Grundstück in M. im Wert von 110.000 DM und Inventar im Wert von 86.240 DM der 11,6910 ha große Grundbesitz in F., den die (schon damals verwitwete) Mutter auf den Erblasser aufgrund notariellen Übergabevertrages vom 12. Januar 1967 gegen einen Austrag für sie und eine Ausstattung für den Beklagten zu 2) übertragen hatte. 11,4460 ha von diesem Grundbesitz in F. benötigte die Flughafen München GmbH im Zusammenhang mit der Errichtung des Flughafens München II. Aufgrund notariellen Vertrages vom 5. Mai 1986 tauschten die Beklagten und die Flughafengesellschaft dieses Gelände gegen einen rund 4 ha großen Grundbesitz in M. und eine Auszahlung von 3.349.958,95 DM. Dabei wurde der eingetauschte Grundbesitz des Erblassers einschließlich der dort befindlichen Bodenvorräte (Kies) ausdrücklich mit 3.621.237 DM bewertet. Aufgrund dessen hat die Mutter den gesamten Nachlaß ihres Sohnes Lorenz zum Todestag mit 3.986.240 DM bewertet und ihren Pflichtteil auf insgesamt 996.580 DM beziffert. Unter Abzug einer Zahlung von 84.156 DM hat sie insoweit beantragt, die Beklagte zu 1) zur Zahlung von 912.404 DM nebst Zinsen und den Beklagten zu 2) zur Duldung der Zwangsvollstreckung zu verurteilen. Landgericht und Oberlandesgericht haben den Pflichtteilsanspruch nur in Höhe von 649.060 DM nebst Zinsen für begründet gehalten, demgemäß nur zur Zahlung von 564.904 DM nebst Zinsen und zu entsprechender Duldung der Zwangsvollstreckung verurteilt. Die Revision verfolgt den Zahlungs- und den Duldungsanspruch wegen des aberkannten Pflichtteils von weiteren 347.500 DM nebst Zinsen weiter.

Im Laufe des Revisionsverfahrens ist die Mutter verstorben und von ihren vier Söhnen Johann, Ludwig, Franz und dem Beklagten zu 2) kraft Gesetzes beerbt worden. Franz setzt den Rechtsstreit auf der Klägerseite alleine fort.

 

Entscheidungsgründe

Die Fortsetzung des Rechtsstreits durch nur einen von mehreren Miterben der früheren Klägerin ist rechtlich unbedenklich (§ 2039 BGB, vgl. BGHZ 14, 251; 23, 207).

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, soweit die Berufung der früheren Klägerin zurückgewiesen worden ist.

Bei der Bewertung des an die Flughafen München GmbH übereigneten Grundbesitzes legt das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit dem Landgericht und dem von diesem beauftragten Sachverständigen nicht die Zahlen zugrunde, die in dem Tauschvertrag vom 5. Mai 1986 angeführt sind. Statt dessen gehen beide Vorinstanzen von dem „gemeinen wahren oder inneren Wert” aus, den sie nach Abzug der dinglichen Belastungen mit 2.400.000 DM ansetzen. Dabei legt das Berufungsgericht Wert auf den Umstand, daß nur ein einziger Anbieter vorhanden gewesen sei, nämlich die Flughafengesellschaft. Diese habe möglichst rasch in den Besitz der Grundstücke kommen wollen und sei daher bereit gewesen, auch mehr zu zahlen, als dem inneren Wert entsprochen habe. Der innere Wert könne auch niedriger sein als der tatsächlich erzielte Erlös. In dem Urteil des Landgerichts heißt es dazu weiter, der Verkaufsmarkt im Zusammenhang mit der Errichtung des Flughafens München II sei ein vorübergehender Sondermarkt gewesen, der nicht den inneren Wert der Grundstücke widerspiegele und somit auch nicht zum Maßstab herangezogen werden könne.

Den hiergegen gerichteten Angriffen der Revision der Klägerseite kann der Erfolg nicht versagt werden.

Das Pflichtteilsrecht gewährleistet dem Pflichtteilsberechtigten einen Geldanspruch in Höhe der Hälfte des Wertes seines gesetzlichen Erbteils (§ 2303 Abs. 1 Satz 2 BGB). Für die Bemessung des Anspruchs stellt § 2311 Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Bestand und den Wert des Nachlasses zur Zeit des Erbfalles ab. Entsprechend dem Grundgedanken des Gesetzes (BGHZ 14, 368, 376) ist der Pflichtteilsberechtigte demnach wirtschaftlich so zu stellen, als sei der Nachlaß beim Tode des Erblassers in Geld umgesetzt worden.

Abzustellen ist demgemäß auf den sogenannten gemeinen Wert, der dem Verkaufswert entspricht (BGHZ 14, 376). Deshalb hat der Senat ausgesprochen, daß der Tatrichter sich bei der Bewertung eines Unternehmens, das etwa ein Jahr nach dem Bewertungsstichtag verkauft worden ist, an dem Verkaufserlös orientieren darf, wenn wesentliche Veränderungen des Marktes in der Zwischenzeit nicht ersichtlich sind (Urteil vom 17.3.1982 – IVa ZR 27/81 – LM BGB § 2311 Nr. 14). Dementsprechend hätte auch im vorliegenden Fall der Erlös berücksichtigt werden müssen, den die Beklagten aus der Veräußerung des Grundbesitzes an die Flughafengesellschaft etwa sechs Monate nach dem Erbfall erzielt haben.

Wenn das Berufungsgericht demgegenüber auf den „wahren oder inneren” Wert abstellen will, dann kann der Senat das nicht billigen. Der „wahre innere Wert” ist eine Denkfigur, mit deren Hilfe der Bundesgerichtshof bei außergewöhnlichen Preisverhältnissen unter Ausnahmebedingungen (Stopp-Preise; Chruschtschow-Ultimatum und Berliner Grundstückspreise) unangemessenen Ergebnissen im Interesse der Pflichtteilsberechtigten entgegenzuwirken versucht hat (BGHZ 13, 45, 47; BGH, Urteil vom 31.5.1965 – III ZR 214/63 – NJW 1965, 1589; aber BGHZ 13, 378, 392). Einer Herabsetzung eines festgestellten Verkaufswertes auf einen darunterliegenden fiktiven „inneren” Wert zum Nachteil von Pflichtteilsberechtigten ist der Senat jedoch entgegengetreten (Urteil vom 22.10.1986 – IVa ZR 143/85 – NJW 1987, 1260, 1262 unter C II, insoweit nicht abgedruckt in BGHZ 98, 382). Im vorliegenden Fall gilt nichts anderes.

Ausnahmebedingungen, die es rechtfertigen könnten, im erbrechtlichen Bewertungsrecht die (relativ) gesicherte Ebene tatsächlich erzielter Verkaufserlöse zu verlassen, liegen überdies nicht vor. Es liegt auf der Hand, daß der Grundstücksbedarf für das Großprojekt Flughafen München II die Grundstückspreise im E. und Umgebung in die Höhe getrieben und auch sonst preissteigernde Auswirkungen gehabt hat und noch haben kann. Das ist aber kein Grund, den Pflichtteilsberechtigten von dem Vorteil auszuschließen, der dem betreffenden Grundstückserben infolgedessen mit dem Tode des Erblassers zugefallen ist.

Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird zu prüfen sein, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der tatsächlich erzielte Erlös mit Rücksicht auf die Entwicklung der Grundstückspreise seit dem Erbfall – auch im Hinblick auf den Grundstücksbedarf der Flughafengesellschaft – zu korrigieren ist.

 

Unterschriften

Bundschuh, Dr. Schmidt-Kessel, Dr. Zopfs, Dr. Ritter, Römer

 

Fundstellen

Haufe-Index 1130995

NJW-RR 1991, 900

WM 1991, 1553

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