Leitsatz (amtlich)

a) Die Satzung kann für Aufsichtsratswahlen durch die Hauptversammlung eine qualifizierte Mehrheit vorschreiben.

b) Zur Auslegung einer Satzungsklausel, nach der Hauptversammlungsbeschlüsse, sofern nicht zwingende gesetzliche Vorschriften oder die Satzung etwas anderes bestimmen, mit einfacher Stimmen- und Kapitalmehrheit gefaßt werden.

c) Hat in der Hauptversammlung der Vorsitzende zu Unrecht verkündet, ein Antrag sei wegen Fehlens der erforderlichen Stimmenmehrheit abgelehnt, so kann die hiergegen gerichtete Anfechtungsklage mit dem Antrag auf Feststellung eines zustimmenden Beschlusses verbunden werden.

 

Normenkette

AktG §§ 101-102, 133, 179, 248

 

Verfahrensgang

OLG Karlsruhe (Urteil vom 02.02.1978)

LG Freiburg i. Br. (Urteil vom 18.10.1976)

 

Tenor

Die Revisionen der Beklagten und ihrer Streithelferin Marie-Luise L. gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe – 4. Zivilsenat in Freiburg – vom 2. Februar 1978 werden zurückgewiesen.

Auf die Revision der Klägerin werden das vorbezeichnete Urteil sowie das Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Freiburg vom 18. Oktober 1976 aufgehoben, soweit der Feststellungsantrag der Klägerin zu § 9 Satz 2 der Satzung abgewiesen wurde und der Klägerin mehr als die nachstehend angegebenen Kosten auferlegt worden sind.

Es wird festgestellt, daß in der Hauptversammlung der Beklagten vom 25. Mai 1976 zu Tagesordnungspunkt 7 a beschlossen worden ist, § 9 Satz 2 der Satzung der Beklagten zu ändern und ihm folgenden Wortlaut zu geben:

„Die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder erfolgt jährlich in der Hauptversammlung, die über das abgelaufene Geschäftsjahr beschließt.”

Die weitergehende Revision der Klägerin wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt 8/9 der Kosten des Rechtsstreits. Von den Kosten der beiden ersten Rechtszüge werden je 1/27 der Beklagten und ihren beiden Streithelfern auferlegt. Die Beklagte und die Streithelferin L. tragen außerdem je 2/45 und der Streithelfer Dr. S. 1/45 der Kosten der Revisionsinstanz.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die beklagte Aktiengesellschaft, die eine Brauerei betreibt, war ursprünglich ein reines Familienunternehmen. Seit 1972 gehören etwa 51 % des Grundkapitals von 2,8 Mio. DM der klagenden Brauerei und etwa 49 % der Gruppe Ernst Meyer. Der Streit der Parteien betrifft folgende Satzungsbestimmungen:

㤠9 Satz 2

Die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder erfolgt auf die nach § 102 AktG zulässige Zeit.

§ 19

Die Beschlüsse der Hauptversammlung werden, sofern nicht zwingende gesetzliche Vorschriften oder die Satzung etwas anderes bestimmen, mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefaßt. Bedürfen die Beschlüsse nach dem Gesetz daneben einer Mehrheit des bei der Beschlußfassung vertretenen Grundkapitallss, so genügt die einfache Mehrheit des vertretenen Grundkapitals, soweit nicht eine andere Mehrheit gesetzlich zwingend vorgeschrieben ist.

§ 20

Wahlen zum Aufsichtsrat bedürfen einer Mehrheit von 2/3 der abgegebenen Stimmen.”

In der auf den 25. Mai 1976 einberufenen Hauptversammlung der Beklagten wurde beantragt, die Satzung wie folgt zu ändern:

  1. 㤠9 Satz 2 wird durch folgende Bestimmung ersetzt:

    ‚Die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder erfolgt jährlich in der Hauptversammlung, die über das abgelaufene Geschäftsjahr beschließt.’

  2. § 20 der Satzung entfällt ersatzlos.”

Für die Anträge stimmte die Klägerin mit 1.432 Stimmen und einem Aktienbesitz im Nennwert von 1.432.000 DM, gegen sie wurden 1.364 Stimmen abgegeben, die 1.364.000 DM Nennkapital vertraten. Daraufhin erklärte der Vorsitzende beide Anträge für abgelehnt, weil die nach der Satzung erforderliche Stimmenmehrheit von 2/3 nicht erreicht sei. Hiergegen erhob der Vertreter der Klägerin Widerspruch zur Niederschrift; er beantragte zu protokollieren, daß § 9 Satz 2 und § 20 der Satzung antragsgemäß geändert seien.

Die Klägerin ist der Ansicht, § 20 der Satzung sei nichtig, weil er entgegen grundlegenden Ordnungsprinzipien des Aktienrechts die Aufsichtsratswahlen unzulässig erschwere. Jedenfalls sei die Vorschrift aufgehoben, da die Hauptversammlung sie nach § 19 der Satzung mit einfacher Mehrheit habe ändern können. Dasselbe gelte für § 9 Satz 2 der Satzung. Die Klägerin hat beantragt festzustellen, daß § 20 der Satzung nichtig sei, hilfsweise den Hauptversammlungsbeschluß vom 25. Mai 1976, die Streichung der Vorschrift abzulehnen, für nichtig zu erklären und festzustellen, daß der Streichungsantrag angenommen worden sei. Desgleichen hat sie beantragt, den Beschluß, die beantragte Änderung des § 9 Satz 2 ebenfalls abzulehnen, für nichtig zu erklären und festzustellen, daß die Hauptversammlung die Änderung, wie beantragt, beschlossen habe.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat ihr insoweit stattgegeben, als der Beschluß, die Änderung des § 9 Satz 2 abzulehnen, für nichtig erklärt worden ist; im übrigen hat es die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien sowie die Streithelferin der Beklagten Revision eingelegt. Die Klägerin verfolgt ihre Anträge zu § 9 Satz 2 und § 20 der Satzung, soweit sie damit keinen Erfolg hatte, weiter, während die Beklagte und ihre Streitgehilfin die volle Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erreichen möchten.

 

Entscheidungsgründe

I. Erfolglos wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, § 20 der Satzung der Beklagten sei durch § 133 AktG gedeckt und von dem mit der Klage angefochtenen Hauptversammlungsbeschluß vom 25. Mai 1976 unberührt geblieben.

1. Nach § 133 Abs. 1 AktG kann die Satzung für Beschlüsse der Hauptversammlung eine größere als die gesetzlich vorgeschriebene einfache Stimmenmehrheit oder andere Erfordernisse vorschreiben. Für Wahlen erweitert § 133 Abs. 2 AktG diese Möglichkeit einer Abweichung vom Gesetz dahin, daß auch erleichternde Stimmregelungen erlaubt sind. Daß andererseits eine Erschwerung der gesetzlichen Voraussetzungen etwa durch das Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit überall dort unzulässig sein solle, wo die Hauptversammlung, wie bei der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern, zur Beschlußfassung verpflichtet sei (Barz, Großkomm. AktG 3. Aufl. § 133 Anm. 9), ist diesen Vorschriften nicht zu entnehmen; das gilt jedenfalls insoweit, als das Gesetz nicht (wie z.B. in § 103 Abs. 2 Satz 2 AktG) für bestimmte Fälle die einfache Mehrheit ausdrücklich genügen läßt (so zutreffend Zöllner in Köln. Komm. z. AktG § 133 Anm. 87 m.w.N.). Es mag sein, daß dem Verlangen einer erhöhten Mehrheit in der Satzung dann Bedenken entgegenstehen können, wenn es der Gesellschaft die Erfüllung im öffentlichen Interesse gelegener Pflichten unmöglich machen könnte (Baumbach/Hueck, AktG 13. Aufl. § 133 Rn. 4). Davon kann hier aber keine Rede sein.

Die von der Klägerin bekämpfte Satzungsbestimmung erschwert die Wahlen zum Aufsichtsrat keineswegs so stark, daß deren Zustandekommen, wie die Revision meint, unter gewöhnlichen Verhältnissen nicht gewährleistet und deshalb die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft überhaupt in Frage gestellt wäre; das gilt unabhängig von der Amtsdauer der Gewählten. Die Forderung nach einer 2/3 Mehrheit für bestimmte Wahlen ist nicht ungewöhnlich und in der Regel auch erfüllbar. Sie setzt bei einer Aufsichtsratswahl nur voraus, daß rivalisierende Aktionärsgruppen gegebenenfalls bereit sind, Personalwünsche im Interesse des Unternehmens bis zu einem gewissen Grade zurückzustellen, um die notwendige Organbestellung nicht an solchen Sonderwünschen scheitern zu lassen. Der hierdurch bedingte Zwang zur Einigung, der im allgemeinen darauf hinauslaufen wird, daß auch Minderheiten im Aufsichtsrat vertreten sind, kann, wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, zu angemessenen Lösungen beitragen und vor allem eine ausgewogenere Besetzung des Aufsichtsrats gewährleisten; er dient damit einem durchaus schutzwürdigen Zweck. Davon, daß eine solche Einigung im allgemeinen möglich ist, ging auch der „Grundsatzvertrag” vom 11. September 1972 zwischen der Klägerin und der Aktionärsgruppe Ernst Meyer aus, den die Klägerin allerdings zum 25. Mai 1976 gekündigt hat. Läßt sie sich ausnahmsweise einmal nicht erzielen (was auch nach der gesetzlichen Regelung bei Stimmengleichheit vorkommen kann), so eröffnen die §§ 85, 104 AktG die Möglichkeit einer gerichtlichen Ergänzung des Aufsichtsrats und, wenn nötig, auch des Vorstands. Von dieser Notlösung hat die Beklagte unstreitig einmal im Jahre 1972 Gebrauch machen müssen. Daß § 20 der Satzung in den langen Jahren seiner Geltung auch sonst noch zu ernstlichen Schwierigkeiten geführt habe, ist nicht vorgetragen.

2. Dem Berufungsgericht ist auch darin zuzustimmen, daß die Hauptversammlung der Beklagten am 25. Mai 1976 § 20 der Satzung nicht mit einfacher Mehrheit aufheben konnte und deshalb der Vorsitzende mit Recht zur Niederschrift erklärt hat, der Aufhebungsantrag sei abgelehnt.

a) Zwar geht das Berufungsgericht mit Recht davon aus, daß § 19 der Satzung mit seinen Stimmerleichterungen gerade auch Satzungsänderungen im Auge hat. Darauf weist (anders als im Fall des Senatsurteils v. 28.11.74 – II ZR 176/72, LM AktG 1965 § 179 Nr. 1) deutlich Satz 2 dieser Bestimmung hin, der bei einer gesetzlich vorgeschriebenen Kapitalmehrheit im Rahmen des Zulässigen die einfache Kapitalmehrheit ausreichend sein läßt und damit unverkennbar auf Satzungsänderungen zugeschnitten ist, zu denen auch die Kapitalerhöhung (§ 182 Abs. 1, § 207 Abs. 2 AktG) zu rechnen ist (vgl. Barz a.a.O. § 133 Anm. 10). Denn diese bilden, abgesehen von § 221 Abs. 1 AktG (Schuldverschreibungen), den Hauptfall, in dem das Gesetz eine qualifizierte Kapitalmehrheit vorsieht, der Satzung aber sowohl nach oben als auch nach unten abzuweichen gestattet (§ 179 Abs. 2 AktG; vgl. andererseits z.B. § 52 Abs. 5 oder § 293 Abs. 1 AktG).

b) Die damit geschaffene Möglichkeit, die Satzung unter erleichterten Bedingungen zu ändern, erstreckt sich jedoch nicht auf § 20 der Satzung. Dabei kann auf sich beruhen, inwieweit eine allgemeine Regel anzuerkennen ist, wonach Satzungsvorschriften, die bestimmte Hauptversammlungsbeschlüsse einer qualifizierten Mehrheit unterwerfen, nur mit derselben Mehrheit wieder beseitigt werden können; die Frage wird im aktienrechtlichen Schrifttum vorwiegend im Hinblick auf eine – hier nicht vorliegende – Erschwerung von Satzungsänderungen erörtert und bejaht (vgl. Wiedemann in Großkomm. AktG 3. Aufl. § 179 Anm. 6 b; Zöllner a.a.O. § 179 Anm. 36). Mit Recht hat es das Berufungsgericht in erster Linie als eine Frage der Auslegung betrachtet, ob hier der in § 19 der Satzung aufgestellte Grundsatz, daß für Hauptversammlungsbeschlüsse die einfache Mehrheit sowohl der abgegebenen Stimmen als auch des vertretenen Grundkapitals genügen soll, auch eine Aufhebung des § 20 mit einfacher Mehrheit ermöglicht, und es hat zutreffend diese Frage verneint.

Der Wortlaut des § 19 gibt hierüber keinen eindeutigen Aufschluß. Immerhin spricht der Vorbehalt: „sofern nicht zwingende gesetzliche Vorschriften oder die Satzung etwas anderes bestimmen” eher dafür, daß die der Hauptversammlung eingeräumte erleichterte Beschlußfassung nicht auch die Befugnis einschließen soll, den unmittelbar folgenden § 20 der Satzung mit einfacher Mehrheit zu streichen. Denn § 20 ist die einzige Satzungsklausel, die für bestimmte Hauptversammlungsbeschlüsse ausdrücklich „etwas anderes”, nämlich eine höhere als die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen, vorschreibt. Vor allem aber widerstreitet die Auffassung der Klägern, § 20 stehe zur Verfügung der mit einfacher Mehrheit beschließenden Hauptversammlung, nach den zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts dem Zweck der Vorschrift. Diese dient nach ihrem objektiven, für jedermann aus sich heraus erkennbaren und damit maßgeblichen Gehalt (Urt.d. Sen. v. 28.11.74 a.a.O. zu 2 c a. E.) eindeutig dem Schutz der Minderheit. Sie hindert eine mit einer Stimmenzahl von mehr als 50 %, aber weniger als 2/3 in der Hauptversammlung vertretene Aktionärsgruppe daran, den Aufsichtsrat (wenn man von den Arbeitnehmervertretern absieht) ausschließlich mit Kandidaten ihrer Wahl zu besetzen und so praktisch die gesamte Verwaltung zu beherrschen, und gibt einer genügend starken Minderheit die Möglichkeit durchzusetzen, daß auch von ihr ausgesuchte Personen mitberücksichtigt werden. Dieser Schutz wäre entwertet, wenn die Hauptversammlung ihn jederzeit mit einfacher Mehrheit dadurch zunichte machen könnte, daß sie § 20 der Satzung aufzuheben beschließt.

c) Es erübrigt sich hiernach, auf die zusätzlichen Erwägungen des Berufungsgerichts zum besonderen Charakter der Beklagten als Familiengesellschaft einzugehen, gegen die mit Rücksicht darauf, daß dies in der Satzung keinen klaren Ausdruck gefunden hat, die Revision mit Recht Bedenken anmeldet (vgl. Urt. v. 28.11.74 a.a.O.; v. 24.1.74 – II ZR 65/727 LM GmbHG § 47 Nr. 21 zu 2).

d) Die Ansicht der Revision, die vom Berufungsgericht vertretene Satzungsauslegung sichere dem Minderheitsaktionär einen unangemessenen und übermäßigen Einfluß, da er aufgrund einer unentziehbaren Sperrminorität im Aufsichtsrat gegenüber dem Mehrheitsaktionär überrepräsentiert wäre, ist nicht richtig. § 20 soll nach seinem Sinn und Zweck der Minderheit lediglich die Mitberücksichtigung im Aufsichtsrat, aber keine übermäßige Repräsentation gewährleisten.

3. Mit Recht haben daher die Vorinstanzen die Anträge der Klägerin abgewiesen, soweit sie sich gegen den vom Vorsitzenden festgestellten Hauptversammlungsbeschluß zu § 20 der Satzung richten.

II. 1. Zu § 9 Satz 2 der Satzung meint das Berufungsgericht, die Hauptversammlung habe diese Bestimmung, anders als § 20, gemäß § 19 der Satzung mit einfacher Mehrheit ändern können. Diese Auffassung hält den Revisionangriffen der Beklagten und ihrer Streithelferin stand.

Zutreffend weist das Berufungsgericht darauf hin, daß schon der Wortlaut und der äußere Aufbau der Satzung gegen die Ansicht der Beklagten sprechen, das Erfordernis einer 2/3 Mehrheit für Aufsichtsratswahlen nach § 20 müsse auch für eine Änderung der an ganz anderer Stelle in § 9 Satz 2 geregelten Amtszeit gelten. Lediglich die Tatsache, daß beide Vorschriften die Wahlen zum Aufsichtsrat betreffen, begründet noch keinen so engen Sachzusammenhang, daß es geboten wäre, im Wege ergänzender Auslegung die Mehrheitsregelung des § 20 auch auf § 9 Satz 2 auszudehnen. Vor allem ist dem Berufungsgericht darin zuzustimmen, daß der für § 20 maßgebende Gedanke des Minderheitenschutzes für § 9 Satz 2 nicht die gleiche Rolle spielt. Zwar tritt der von § 20 ausgehende „Zwang zum Kompromiß” infolge der Neuregelung der Amtszeit erheblich häufiger als bisher auf; die Zusammensetzung des Aufsichtsrats ist entsprechend weniger stabil. Aber abgesehen davon, daß die Forderung noch einer 2/3 Mehrheit für Änderungen des § 9 Satz 2 auch geringere Verkürzungen der Amtszeit, z.B. auf drei Jahre, ohne ersichtliche Notwendigkeit gegenüber sonstigen Satzungsänderungen erschweren würde, treffen die Folgen der nunmehr beschlossenen Neufassung Mehrheits- und Minderheitsaktionär in grundsätzlich gleicher Weise. Auch die Mehrheit muß sich, solange sie über weniger als 2/3 der Stimmen verfügt, nunmehr jedes Jahr neu darum bemühen, für ihre Kandidaten die Zustimmung der Minderheit zu erlangen. Daß dies die Aufsichtsratswahl im allgemeinen noch nicht unmöglich macht, wurde schon ausgeführt.

Da die neue ebenso wie die alte Fassung des § 9 Satz 2 die Amtszeit der Aufsichtsratsmitglieder generell festlegt, besteht nach wie vor auch nicht die von der Beklagten beschworene Gefahr, daß die Mehrheitsgesellschafterin die Bestellungsdauer der einzelnen Mitglieder beliebig zu Lasten der Minderheit manipulieren könnte. Auch nach der Verkürzung der Amtszeit behalten die beiden umstrittenen Satzungsbestimmungen ihre selbständige Bedeutung.

2. Die Feststellung des Versammlungsleiters, auch der Änderungsantrag zu § 9 Satz 2 der Satzung sei abgelehnt, war demnach nicht richtig. Da sie gleichwohl verkündet und protokolliert worden ist, gilt die Ablehnung des Antrags als beschlossen, solange der so verkündete Beschluß nicht wirksam angefochten worden ist (RGZ 142, 123, 128; vgl. auch BGHZ 14, 25, 36 f). Das Berufungsgericht hat daher mit Recht die Anfechtungsklage als zulässig angesehen und ihr insoweit sachlich stattgegeben.

3. Den Antrag der Klägerin auf Feststellung, daß die Hauptversammlung entsprechend ihrem Antrag zu § 9 Satz 2 der Satzung beschlossen habe, hält das Berufungsgericht dagegen für unzulässig. Es hat sich damit der unter anderem vom Reichsgericht (RGZ 142, 123, 128 f) zuletzt vertretenen Auffassung angeschlossen, das Gesetz eröffne bei unrichtiger Beschlußfeststellung ausschließlich den Weg einer Anfechtungsklage, aber nicht zugleich den einer Klage auf Feststellung des wirklich Beschlossenen. In diesem Punkt kann ihm in Übereinstimmung mit der Revision der Klägerin nicht gefolgt werden.

a) Zwar könnte es auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen, daß einerseits der protokollierte Beschluß auf die Anfechtungsklage hin durch ein rechtsgestaltendes Urteil für nichtig erklärt, andererseits ein anderer gültiger Beschluß positiv festgestellt werden soll, obwohl tatsächlich nur ein einziger Beschluß vorliegt (R. Fischer, LM GmbHG Anm. zu § 53). Dieser Widerspruch löst sich aber zwangslos auf, wenn man bedenkt, daß es hier nicht darum geht, einen mangelhaften und deshalb wirksam angefochtenen Beschluß durch einen überhaupt nicht gefaßten anderen Beschluß zu ersetzen; vielmehr richtet sich die Anfechtungsklage lediglich gegen die unrichtige Feststellung eines in Wirklichkeit gar nicht so zustande gekommenen Beschlusses, wogegen die damit verbundene Feststellungsklage verbindlich klären soll, was in Wahrheit beschlossen worden ist. Mit der Beseitigung des „Scheinbeschlusses”, der nur bis zu einem rechtskräftigen Urteil nach § 248 AktG als gefaßt gilt, wird der Weg für die Feststellung des richtigen Beschlußergebnisses frei (Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963 S. 409 f; zum Meinungsstand allgemein vgl. daselbst S. 407 Fn. 38 m. Nachw.)

b) Für die Zulassung einer Feststellungsklage neben der Anfechtung eines unrichtig verkündeten Beschlusses spricht in Fällen wie dem vorliegenden ein unabweisbares Bedürfnis. Sie allein schafft erst den notwendigen Ausgleich zu der einem Versammlungsleiter aus Gründen der Rechtssicherheit eingeräumten Macht, das Beschlußergebnis mit vorläufiger Bestandskraft festzulegen (Zöllner, Stimmrechtsmacht S. 410). Ohne sie wäre ein Aktionär, dessen Antrag der Vorsitzende zu Unrecht als abgelehnt bezeichnet hat, weitgehend schutzlos, da ihm mit der Beseitigung der falschen Ergebnisfeststellung allein nicht geholfen wäre. Zwar könnte er, wenn er die nach § 122 AktG hierfür notwendige Stimmenzahl aufbringt, nach erfolgreicher Anfechtung der unrichtigen Beschlußfeststellung seinen Antrag in einer neuen Hauptversammlung wiederholen. Damit hätte er aber noch immer nicht die Gewähr einer verbindlich festgestellten zustimmenden Entscheidung, sei es, daß sich die Mehrheitsverhältnisse inzwischen verschoben haben, sei es, daß der Vorsitzende wiederum ein unrichtiges Ergebnis verkündet. Diese Gewähr kann ihm nur ein positives Feststellungsurteil geben.

c) Einem solchen Urteil steht nicht die Überlegung des Berufungsgerichts entgegen, im Aktiengesetz fänden sich keine Anhaltspunkte für die Möglichkeit einer neben die Anfechtungsklage tretenden Feststellungsklage. Die Zulässigkeit einer solchen Klage ergibt sich grundsätzlich aus § 256 ZPO und ist für den Fall der Nichtigkeit eines Beschlusses – ein Rechtsschutzinteresse vorausgesetzt (BGHZ 70, 384, 388) – neben der aktienrechtlichen Nichtigkeitsklage nach § 249 AktG allgemein anerkannt. Sie wäre hier nur dann zu verneinen, wenn die §§ 243 ff AktG eine Sonderregelung enthielten, mit deren Hilfe sich alle bei einer fehlerhaften Beschlußfeststellung auftretenden Probleme erschöpfend und allseits befriedigend lösen ließen. Das ist jedoch, wie ausgeführt, nicht der Fall.

Allerdings bietet § 256 ZPO allein keine Grundlage dafür, die Rechtskraft des Feststellungsurteils über die Prozeßparteien hinaus so auszudehnen, wie es § 248 AktG für das einer Anfechtungsklage stattgebende Urteil vorsieht. Es bestehen aber keine durchgreifenden Bedenken dagegen, in entsprechender Anwendung dieser Vorschrift die erweiterte Rechtskraftwirkung eines Urteils, das ein unrichtig verkündetes (negatives) Beschlußergebnis für nichtig erklärt, auch auf eine damit verbundene (positive) Feststellung des richtigen Ergebnisses zu erstrecken. Voraussetzung ist nur, daß die Feststellungsklage in derselben Frist erhoben und in demselben Prozeß behandelt wird, wie die Anfechtungsklage (Zöllner in Köln. Komm. z. AktG § 246 Anm. 26, 29 sowie Stimmrechtsmacht S. 414 Fn. 59; Schilling in Großkomm. AktG 3. Aufl. § 248 Anm. 3). Damit ist der Besorgnis des Reichsgerichts, eine zeitlich unbeschränkte Zulassung der Feststellungsklage könnte zu größter Rechtsunsicherheit führen (RGZ 142, 123, 128), insoweit genügend Rechnung getragen.

d) Kein Gewicht hat demgegenüber die Erwägung des Berufungsgerichts, einem anstelle des verkündeten Beschlusses gerichtlich festgestellten anderen Beschluß fehle die in § 130 AktG zwingend vorgeschriebene Beurkundung. Wie in vielen Fällen, so kann auch hier ein rechtskräftiges Urteil die gesetzlich vorgeschriebene Form ersetzen, ohne daß dadurch der Zweck der Formvorschrift beeinträchtigt wird. Es ist auch nicht notwendig, daß der Gesellschafter, der ein abweichendes Beschlußergebnis festgestellt wissen will, dieses Ergebnis ebenfalls protokollieren läßt (so Zöllner, Stimmrechtsmacht S. 411, 412). Denn abgesehen davon, daß ein solches Verlangen gegenüber einem Vorsitzenden, der das von ihm verkündete Ergebnis für richtig hält, nicht immer durchsetzbar sein wird, wäre es verwirrend und auch kaum sinnvoll, neben dem verkündeten und vorläufig maßgebenden Beschluß noch einen weiteren Beschluß zu protokollieren, der noch gar nicht verbindlich festgestellt ist. Als deutlicher Hinweis, daß die Gültigkeit des verkündeten Beschlußergebnisses umstritten und mit seiner Anfechtung zu rechnen ist, reicht es vielmehr aus, daß ein anfechtungswilliger Aktionär, wie es hier geschehen ist, gemäß § 245 Nr. 1 AktG Widerspruch zur Niederschrift erklärt und darüber hinaus die Erhebung der Feststellungsklage ebenso wie die der Anfechtungsklage in entsprechender Anwendung des § 246 Abs. 4 AktG unverzüglich in den Gesellschaftsblättern bekanntzumachen ist (Schilling a.a.O. § 248 Anm. 3).

e) Das vielleicht stärkste Bedenken gegen die Verbindung von Anfechtungs- und positiver Feststellungsklage geht schließlich dahin, der gerichtlich festzustellende „richtige” Beschluß könnte selbst wieder an einem Gesetzes- oder Satzungsverstoß leiden oder mißbräuchlich sein; dann müßten die Anfechtungsbefugten, insbesondere die Aktionäre (§ 245 AktG), Gelegenheit haben, diesen Mangel ihrerseits im Wege der Anfechtungsklage – mit entgegengesetztem Ziel – geltend zu machen (RGZ 142, 123, 129). Auch die damit aufgezeigten Schwierigkeiten sind jedoch nicht unüberwindbar. Zwar kann, solange der (unrichtig) verkündete ablehnende Beschluß in der Welt ist, von einem mit diesem Beschluß im Ergebnis einverstandenen Aktionär nicht erwartet werden, daß er gegen einen nach seiner Ansicht vielleicht gar nicht vorhandenen zustimmenden Beschluß, dessen verbindliche Feststellung, wenn überhaupt, dann erst in Zukunft zu erwarten ist, vorsorglich Widerspruch zu Protokoll erklärt und fristgerecht Anfechtungsklage erhebt (so aber Zöllner, Stimmrechtsmacht S. 412 f). Andererseits wäre es mit der Bedeutung eines entsprechend § 248 AktG über die Parteien hinaus wirkenden rechtskräftigen Feststellungsurteils und der Rechtssicherheit unvereinbar, wenn der gerichtlich festgestellte positive Beschluß wiederum angefochten und dann nachträglich vernichtet werden könnte.

Als eine allen Interessen gerecht werdende Lösung bietet sich hier aber die (streitgenössische) Nebenintervention auf seiten der verklagten Gesellschaft an, mit deren Hilfe Mängel eines Beschlusses, dessen Feststellung der Kläger wünscht, in demselben Prozeß einredeweise geltend gemacht werden können (Zöllner, Stimmrechtsmacht S. 414 f und in Kölner Komm. z. AktG § 248 Anm. 31; Schilling a.a.O. § 248 Anm. 3); ob der Vorstand, wenn er als Anfechtungsberechtigter (§ 245 Nr. 4 AktG) auf diese Weise eine positive Beschlußfeststellung verhindern will, gleichzeitig die Gesellschaft als Anfechtungsbeklagte mit vertreten darf (§ 246 Abs. 2 Satz 1 AktG) oder die Vertretung in entsprechender Anwendung des § 246 Abs. 2 Satz 3 AktG dem Aufsichtsrat allein überlassen muß, braucht hier nicht entschieden zu werden. Durch die Möglichkeit und Notwendigkeit, im Wege der Streithilfe auch die Anfechtbarkeit eines positiven Beschlußergebnisses zur Entscheidung zu stellen, ist gesichert, daß die gerichtliche Feststellung (oder deren Abweisung) in Verbindung mit der Vernichtung des ablehnenden Beschlusses endgültig Klarheit schafft und den Rechtsfrieden wieder herstellt.

4. Entgegen den Urteilen der Vorinstanzen ist daher auf die Revision der Klägerin auch deren Feststellungsantrag zu § 9 Satz 2 der Satzung stattzugeben.

 

Unterschriften

Stimpel, Fleck, Dr. Bauer, Bundschuh, Dr. Skibbe

 

Fundstellen

Haufe-Index 1778299

BGHZ

BGHZ, 191

NJW 1980, 1465

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