Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 22. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 20. November 1997 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darum, ob der Kläger von der Beklagten die für den Fall der Berufsunfähigkeit von mindestens 50% zugesagte Rente ab 1. Mai 1992 bis zum 1. Juli 2008 (Vertragsende) beanspruchen kann.

Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine Lebensversicherung, in die ab dem 1. Oktober 1984 eine Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung eingeschlossen ist. Letzterer liegen Bedingungen zugrunde, die hinsichtlich des Eintritts des Versicherungsfalles den Musterbedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung aus dem Jahre 1975 (VerBAV 1975, 2) entsprechen. Die dem Kläger zugesagte Jahresrente belief sich (nach Erhöhungen) im Jahre 1992 auf 21.699 DM.

Am 4. Februar 1992 stürzte der Kläger beim Abbau eines Gerüstes und erlitt einen großen Defekt der Drehmanschette am linken Schultergelenk, der zu Bewegungseinschränkungen im linken Schulter- und Armbereich führte. Am 25. Januar 1994 wurde beim Kläger des weiteren nach einer Kernspintomographie ein Bandscheibenvorfall im Halswirbelsäulenbereich nachgewiesen.

Der Kläger hat behauptet, er sei infolge des Unfalls seit Mai 1992 zu mindestens 50% berufsunfähig. Mit dem von ihm mit nur einem Gehilfen betriebenen Unternehmen führe er vor allem Dachdeckerarbeiten aus; daneben erledige er Innenausbauarbeiten, etwa den Einbau von Fenstern oder von Gipskartonplatten. Seine Tätigkeit bestehe zu 95% aus körperlicher Arbeit auf Baustellen. Er könne sie nur noch unter starken Schmerzen weiterhin verrichten. Büroarbeiten oder Tätigkeiten „zu ebener Erde” fielen in seinem Betrieb nur in sehr geringem Umfange an; eine Umorganisation seines Betriebes komme demgemäß nicht in Betracht.

Die Beklagte hat den Eintritt bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit bestritten und dazu insbesondere auch darauf hingewiesen, daß der Kläger auch im Vertrieb von Wintergärten tätig sei.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Mit seiner Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Das Berufungsgericht nimmt an, der Kläger habe den Eintritt bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit – also einer solchen von mindestens 50% – nicht bewiesen. Das gelte schon mit Blick auf die vom Kläger vor seinem Unfall am 4. Februar 1992 – und damit vor dem behaupteten Eintritt von Berufsunfähigkeit – ausgeübten Tätigkeiten. Zwar sei für die Arbeit des Klägers als Dachdecker Berufsunfähigkeit von 50% oder, beziehe man die Bandscheibenveränderungen im Halswirbelsäulenbereich ein, eine solche von 60% feststellbar. Berücksichtige man aber zudem die Arbeiten, die der Kläger im Wintergartenvertrieb ausübe, lasse sich nicht ausschließen, daß der Grad der Berufsunfähigkeit unter 50% liege. Der Kläger persönlich habe bei seiner Anhörung angegeben, er sei bis in das Jahr 1993 hinein mit seiner – inzwischen von ihm geschiedenen – Ehefrau im Wintergartenvertrieb tätig gewesen. Er habe bei interessierten Bauherren das Aufmaß genommen, während sich seine Ehefrau um die kaufmännische Abwicklung gekümmert habe. Schon durch diese neben den Dachdeckerarbeiten ausgeübte Mitarbeit im Wintergartenvertrieb könne dem Kläger die Fortführung seiner bisherigen Tätigkeit in einem Umfange möglich sein, der die Annahme bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit nicht zulasse. Das gelte insbesondere auch deshalb, weil der Kläger trotz einer ihm bereits zuvor erteilten Auflage zu seiner Tätigkeit auf dem Gebiet des Wintergartenvertriebs nichts vorgetragen habe.

2. Diese Erwägungen halten den auf §§ 139, 278 Abs. 3 ZPO gestützten Angriffen der Revision nicht stand.

a) Allerdings trifft es zu, daß der Kläger auf die Auflage des Berufungsgerichts, die vor dem Unfall im Februar 1992 ausgeübte Tätigkeit im einzelnen zu beschreiben und zum Nachweis Rechnungen und Umsatzsteuererklärungen beizubringen, zum Wintergartenvertrieb zwar eine Umsatzsteuererklärung für das Jahr 1991 vorgelegt, zu den hierbei ausgeübten Tätigkeiten jedoch zunächst keine näheren Angaben gemacht hat. Der Kläger hat aber schließlich mit Schriftsatz vom 14. Oktober 1997 sein Vorbringen dahin ergänzt, daß der Wintergartenvertrieb zwar auf seinen Namen gemeldet, tatsächlich aber von seiner Ehefrau geführt worden sei; er selbst habe sich nur um den Dachreparaturbetrieb gekümmert.

Nach dem Vortrag des Klägers bis zu dessen Anhörung durch das Berufungsgericht war demgemäß davon auszugehen, daß der Kläger im Wintergartenvertrieb keine regelmäßige Arbeit als Teil seiner früheren Berufstätigkeit geleistet hat, seine Berufsausübung vielmehr durch die Dachdecker- und sonstigen Baustellenarbeiten bestimmt worden ist. Für die Frage, ob und inwieweit der Kläger in der Lage geblieben ist, die so gekennzeichnete Tätigkeit auch nach seinem Unfall weiterhin auszuüben, kam es deshalb – legt man seinen Vortrag zugrunde – auf den Wintergartenvertrieb zunächst nicht an.

b) Die Angaben des Klägers bei seiner Anhörung durch das Berufungsgericht widerstreiten diesem Vortrag nicht. Danach sei die Montage der Wintergärten von der Lieferfirma ausgeführt worden. Der Kläger habe nur das Aufmaß genommen, während die kaufmännische Abwicklung allein bei seiner früheren Ehefrau gelegen habe; er sei mit Dachdeckerarbeiten ausgelastet gewesen.

Auch aus diesen Angaben ergibt sich – insbesondere vor dem Hintergrund des bisherigen Vorbringens – nicht, daß die frühere Berufstätigkeit des Klägers in einem für die Frage der Berufsunfähigkeit beachtlichen Teilbereich durch Tätigkeiten im Wintergartenvertrieb ausgefüllt worden ist. Dafür reicht allein die nach Häufigkeit und Arbeitsaufwand nicht erläuterte Angabe, das Aufmaß genommen zu haben, nicht aus. Daß insbesondere der Kläger in dieser Aufgabe – ob rechtlich zutreffend oder nicht – keine solche gesehen hat, die sich als selbständiger und nach dem Aufwand relevanter Teilbereich seiner vor dem Unfall ausgeübten Tätigkeit darstellte, ergibt sich mit Deutlichkeit aus seiner Bemerkung, er sei mit den Dachdeckerarbeiten ausgelastet gewesen.

c) Wenn das Berufungsgericht demgegenüber der Angabe des Klägers, im Wintergartenvertrieb das Aufmaß genommen zu haben, eine für die Frage seiner Berufsunfähigkeit im zuletzt ausgeübten Beruf entscheidende Bedeutung beimessen wollte, war es – zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung – gehalten, den Kläger darauf hinzuweisen (§§ 139, 278 Abs. 3 ZPO) und ihm Gelegenheit zu geben, seine Angaben zu dieser Tätigkeit im Hinblick auf Häufigkeit und Arbeitsaufwand zu ergänzen. Das gilt hier in besonderem Maße, weil der Kläger persönlich „zur Aufklärung des Sachverhalts” geladen und angehört worden ist. Er konnte und durfte demgemäß davon ausgehen, das Gericht werde ihm die zur gebotenen Sachaufklärung notwendigen Hinweise geben, ihm Gelegenheit einräumen, seinen bislang – aus Sicht des Gerichts – noch unzureichenden Tatsachenvortrag zu vervollständigen.

Ein solcher Hinweis war hier auch nicht deshalb entbehrlich, weil nach dem Vortrag des Klägers im Wintergartenvertrieb im Jahre 1991 ein Umsatz von etwa 41.000 DM erzielt worden ist. Denn der erzielte Umsatz bildet keinen ausreichenden Anknüpfungspunkt für das Ausmaß der vom Kläger insoweit ausgeübten Tätigkeit. Der Umsatz kann auch durch den Vertrieb nur eines Wintergartens erzielt worden sein, der Kläger das Aufmaß also nur in einem Falle genommen haben. Jedenfalls aber war – wenn das Berufungsgericht vom Umsatz auf einen für die Frage der Berufsunfähigkeit relevanten Tätigkeitsbereich des Klägers im Wintergartenvertrieb schließen wollte – auch insoweit ein Hinweis an den persönlich anwesenden Kläger geboten, um ihm eine nähere Darlegung zu ermöglichen.

Insgesamt konnte der Kläger bei der hier gegebenen Sachlage nicht davon ausgehen, das Berufungsgericht werde schon wegen unzureichender Darlegung der Tätigkeiten im Bereich des Wintergartenvertriebs und trotz der bislang vorliegenden sachverständigen Beurteilung seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen den Nachweis der Berufsnfähigkeit nicht als geführt ansehen.

d) Der Verstoß des Berufungsgerichts gegen seine Hinweispflicht (§§ 139, 278 Abs. 3 ZPO) führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Bei seiner anderweiten Verhandlung wird das Berufungsgericht näher aufzuklären haben, welchen Anteil die Tätigkeit des Klägers im Wintergartenvertrieb an dem vom Kläger insgesamt wahrgenommenen Aufgabenbereich hatte. Erst danach kann – unter Berücksichtigung etwaiger Umorganisationsmöglichkeiten – beurteilt werden, ob der Kläger auch bei Berücksichtigung dieser Tätigkeit noch in der Lage ist, seine bislang ausgeübten beruflichen Tätigkeiten in einem bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ausschließenden Umfange wahrzunehmen.

 

Unterschriften

Dr. Schmitz, Römer, Terno, Seiffert, Ambrosius

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 13.01.1999 durch Wermes Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 541278

NJW-RR 1999, 605

NVersZ 1999, 215

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