Entscheidungsstichwort (Thema)

Pfändungsschutz bei Sozialleistungen, die auf ein Girokonto der Ehefrau des Berechtigten überwiesen werden

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Sozialleistung, die auf ein Girokonto der Ehefrau des Berechtigten überwiesen wird, für das dieser lediglich Bankvollmacht hat, wird durch die Pfändungsschutzvorschrift des § 55 Abs. 1 SGB-AT nicht vor einer Verrechnung bzw. Aufrechnung mit Schulden der Kontoinhaberin gegenüber dem Kreditinstitut geschützt.

 

Normenkette

BGB § 812 Abs. 1 S. 1 2. Alt.; SGB I § 55 Abs. 1; BGB § 394; ZPO § 811 Nr. 8

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 18. Februar 1987 aufgehoben.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Verden vom 2. September 1986 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten beider Rechtsmittelverfahren.

 

Tatbestand

Der Kläger verlangt von der verklagten V. bank aus eigenem und abgetretenem Recht seiner Ehefrau die Auszahlung einer Rentennachzahlung im Betrage von 26.345,30 DM nebst Zinsen.

Dem Kläger wurde durch Bescheid der G.- und L. genossenschaft vom 13. August 1985 ab 18. Juli 1979 eine Dauerrente wegen eines Arbeitsunfalls, der zur Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10 % führte, bewilligt. Bis 30. September 1985 ergab sich ein Nachzahlungsanspruch in Höhe des Klagbetrages. Die Nachzahlung wurde entsprechend den Angaben des Klägers gegenüber der Berufsgenossenschaft auf ein Girokonto der Ehefrau des Klägers bei der Beklagten im beleglosen Datenträgeraustausch überwiesen. Der Kläger, der kein eigenes Girokonto besaß, hatte Vollmacht über das Konto seiner Frau.

Die Beklagte schrieb den überwiesenen Betrag am 27. August 1985 dem Konto der Ehefrau des Klägers, das einen Sollsaldo von 198,83 DM aufwies, gut. Laut Kontoauszug betrug der neue Kontostand 26.153,47 DM. Dieses Guthaben buchte die Beklagte auf ein gekündigtes Darlehenskonto der Ehefrau um und verrechnete es in voller Höhe mit der Darlehensschuld. Dies teilte die Beklagte der Ehefrau des Klägers mit Schreiben vom 29. August 1985 mit. Dieses Schreiben und den Kontoauszug erhielt der Kläger am 30. August 1985. Mit Schreiben vom 2. September 1985 forderte die Ehefrau des Klägers die Beklagte auf, den "offensichtlich versehentlich" eingegangenen Betrag an die G.- und L. genossenschaft zurückzuüberweisen. Als die Beklagte darauf nicht reagierte, forderte der Kläger mit Anwaltsschreiben vom 10. September 1985 die Beklagte unter Hinweis auf die Unpfändbarkeit auf, die Nachzahlung auf das Konto seines Anwalts zu überweisen. Die Beklagte verweigert die Auszahlung des Rentenbetrages.

Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte habe gegen die Forderung aus der Gutschrift der Rentennachzahlung nicht mit eigenen Forderungen gegen seine Ehefrau aufrechnen dürfen, da sie gemäß § 55 SGB-Allgemeiner Teil (AT) unpfändbar sei. Im übrigen habe sich die Beklagte schadensersatzpflichtig gemacht, weil die Weisung der Ehefrau, die Nachzahlung an die Berufsgenossenschaft zurückzuüberweisen, nicht befolgt worden sei. Außerdem hätte die Beklagte die Überweisung wegen Namensverschiedenheit von Überweisungsempfänger und Kontoinhaber nicht ausführen dürfen.

Die Beklagte meint, der Pfändungsschutz des § 55 SGB-AT greife nicht ein, weil der Kläger nicht Inhaber des Kontos sei, auf das die Nachzahlung überwiesen wurde. Hilfsweise rechnet die Beklagte mit titulierten Forderungen gegen den Kläger und seine Ehefrau in Höhe von je 30.000,00 DM nebst Zinsen auf.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; das Berufungsgericht hat ihr bis auf einen Teil der Zinsforderung stattgegeben.

Mit der zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Kläger beantragt, verfolgt die Beklagte ihren Klagabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet und führt zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

I.

Das Berufungsgericht sieht die Anspruchsgrundlage für die Klageforderung in § 812 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative BGB (Eingriffskondiktion). Die Beklagte habe durch die Verrechnung des materiell-rechtlich für den Kläger bestimmten Überweisungsbetrages in eine Rechtsposition, zumindest aber in eine gesicherte tatsächliche Erwerbsaussicht des Klägers eingegriffen und sich damit unmittelbar auf Kosten des Klägers die Befriedigung ihrer gegen die Ehefrau gerichteten Forderung verschafft ohne darauf einen Anspruch zu haben. Von einer tatsächlichen Erwerbsaussicht des Klägers könne deshalb ausgegangen werden, weil er Kontovollmacht und deswegen die Möglichkeit gehabt habe, den überwiesenen Betrag abzuheben und zu verbrauchen. Rechtlich sei diese Erwerbsaussicht durch § 55 Abs. 1 SGB-AT und § 394 BGB abgesichert gewesen. Wenn § 55 SGB-AT vom Konto des "Berechtigten" spreche, sei nicht die formelle Kontoinhaberschaft gemeint. Der sozialpolitische Zweck dieser Vorschrift, daß der Empfänger von Sozialleistungen sieben Tage lang ungehindert darüber solle verfügen dürfen, werde nur erreicht, wenn man es genügen lasse, daß die Sozialleistung auf ein Konto gelange, über das der Begünstigte - aufgrund welcher Rechtsstellung auch immer - verfügungsbefugt sei. Dies müsse zumindest dann gelten, wenn es sich - wie hier - um die durch Bankvollmacht nach außen dokumentierte Verfügungsbefugnis über das Konto des Ehegatten handle, mit dem der Begünstigte auch tatsächlich zusammenlebe. Ein Konto, das zwar auf den Namen eines Ehegatten laute, für das der andere aber Vollmacht habe, werde im allgemeinen als Konto der Eheleute betrachtet. Die Beklagte habe deshalb das aus der Überweisung der Rentennachzahlung stammende Guthaben zu Unrecht mit ihrer Forderung gegen die Ehefrau des Klägers berechnet und sich dadurch den Wert der Nachzahlung zugeführt. Deshalb sei sie zur Auszahlung an den Kläger verpflichtet. Die Hilfsaufrechnung dringe nicht durch, weil sie eine unzulässige Rechtsausübung darstelle. Gegen diese Ausführungen bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken.

II.

Ansprüche des Klägers aus eigenem Recht

1.

Der die Entscheidung des Berufungsgerichts tragende Gesichtspunkt ist die Erwägung, daß die Beklagte durch § 55 Abs. 1 SGB-AT für die Dauer von sieben Tagen nach der Gutschrift des Nachzahlungsbetrages gehindert gewesen sei, die dadurch entstandene Guthabenforderung mit ihrer Forderung gegen die Ehefrau des Klägers zu verrechnen. Das Berufungsgericht hat dabei verkannt, daß es sich bei § 55 SGB-AT um eine Pfändungsschutzvorschrift handelt, die sich nur gegen Vollstreckungsmaßnahmen von Gläubigern der Empfänger von Sozialleistungen richtet. Nach dieser Vorschrift ist, wenn eine Geldleistung (Sozialleistung) auf das Konto des Berechtigten überwiesen wird, die Forderung, die durch die Gutschrift entsteht, für die Dauer von sieben Tagen seit der Gutschrift der Überweisung unpfändbar. Eine Pfändung des Guthabens gilt als mit der Maßgabe ausgesprochen, daß sie das Guthaben in Höhe der Sozialleistung während der sieben Tage nicht erfaßt. § 55 Abs. 4 SGB-AT erweitert den Pfändungsschutz für Empfänger laufender Geldleistungen und für Bargeld. Die Bestimmung des § 55 SGB-AT schließt in Anlehnung an die allgemeine Vorschrift des § 811 Nr. 8 ZPO die Regelungslücke zwischen den Pfändungsschutzvorschriften der §§ 811 f. ZPO einerseits und der §§ 850 f. ZPO, § 54 SGB-AT andererseits, indem der Pfändungsschutz von Forderungen gegen den Leistungsträger gemäß § 54 SGB-AT auch auf Forderungen gegen Geldinstitute, die infolge der Gutschrift einer Sozialleistung entstehen, erstreckt wird (Heinze in Bochumer Komm. z. Sozialgesetzbuch, Allg. Teil, § 55 Rdnr. 1). Es kann deshalb kein Zweifel daran bestehen, daß es sich bei dieser Vorschrift um eine Vollstreckungsschutzbestimmung handelt, die unmittelbar nur eingreift, wenn es sich um (Zwangsvollstreckungs-)Maßnahmen von Gläubigern des Empfängers einer Sozialleistung handelt.

Nach herrschender Auffassung steht § 55 Abs. 1 SGB-AT auch einer kontokorrentmäßigen Verrechnung bzw. Aufrechnung durch die Bank entgegen, weil gemäß § 394 BGB die Aufrechnung ausgeschlossen ist, soweit eine Forderung der Pfändung nicht unterworfen ist (Liesecke, WM 1975, 323; Münzberg in Stein-Jonas, ZPO 20. Aufl. § 850 i Rdnr. 121; Hauck/Haines, Sozialgesetzbuch Allg. Teil, K § 55 Rdnr. 10; Heinze a.a.O. Rdnr. 11, 12; v. Maydell in Burdenski/v. Maydell/Schellhorn, SGB-AT § 55 Rdnr. 27; Canaris, Bankvertragsrecht 2. Bearb. Rdnr. 200; Hess. VGH Kassel, WM 1985, 1357 mit Anmerkungen v. Maydell, EWiR § 55 SGB-AT 1/86, 98 und Benckendorff, WuB IV A. § 387 BGB 1.86; OVG Lüneburg, WM 1987, 172 mit Anmerkung Reiser, WuB IV A. § 394 BGB 1.87; a. A. OVG Münster, NJW 1987, 90; Terpitz, BB 1976, 1564 und BB 1969, 999 f.). Dies kann aber auch nur gelten für die Verrechnung und Aufrechnung mit Forderungen, die der Bank gegen den Empfänger der Sozialleistung zustehen. Im vorliegenden Falle hat die Beklagte gegen die Forderung, die durch die Gutschrift der Sozialleistung auf dem Konto entstanden ist, mit Forderungen aufgerechnet, die ihr gegen die Ehefrau des Klägers zustanden. Sie war insoweit nicht Gläubigerin des Klägers. Die Unzulässigkeit der Aufrechnung ergibt sich vielmehr, wenn die Forderung aus der Gutschrift der Sozialleistung dem Kläger gegen die Beklagte zustehen würde, unmittelbar aus § 398 BGB, weil es an dem Erfordernis der Gegenseitigkeit fehlen würde. In diesem Falle stünde dem Kläger ein vertraglicher Anspruch auf Auszahlung der Rentennachzahlung zu. Würde es sich um eine Zwangsvollstreckung handeln, stünde dem Kläger, unter der Voraussetzung, daß er Inhaber der Forderung aus der Gutschrift wäre, die Klage aus § 771 ZPO zu, wenn ein Gläubiger seiner Ehefrau die Forderung pfänden würde. Sowohl für die unmittelbare als auch die entsprechende Anwendung von § 55 SGB-AT, der Pfändungsschutz gegen an sich berechtigte Vollstreckungsmaßnahmen gewährt, ist in Fällen der vorliegenden Art, in denen es sich unterstelltermaßen um unberechtigte Eingriffe Dritter handelt, kein Raum.

2.

Der Kläger könnte aus eigenem Recht Ansprüche auf die Guthabenforderung geltend machen, wenn er Inhaber des von seiner Ehefrau errichteten Kontos geworden wäre. Dies wäre der Fall, wenn es sich um ein sogenanntes Fremdkonto gehandelt hätte, bei dem die Einlageforderung dem Kläger als Kontoinhaber zugestanden hätte, während die Ehefrau lediglich verfügungsberechtigt gewesen wäre. Für die Frage, wer der Bank gegenüber berechtigter Kontoinhaber geworden ist, ist maßgebend, wer bei der Kontoerrichtung als Forderungsberechtigter auftritt oder bezeichnet wird. Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles ist somit zu prüfen, wer nach dem erkennbaren Willen des die Kontoeröffnung beantragenden Kunden Gläubiger der Bank sein sollte (BGHZ 21, 150; Sen. Urt. v. 22.09.1975 - II ZR 51/74, WM 1975, 1200). Nach der Feststellung des Berufungsgerichts wurde das Konto, auf das die Rentennachzahlung überwiesen wurde, allein zugunsten der Ehefrau des Klägers eingerichtet. Ein Fremdkonto scheidet damit aus. Alleinige Kontoinhaberin war die Ehefrau des Klägers. Ihr stand deshalb auch die durch die Überweisung der Rentennachzahlung entstandene Einlageforderung zu. Auch ein Gemeinschaftskonto in der Form eines Und- oder Oder-Kontos liegt nicht vor, da der Kläger nicht Mitinhaber, sondern nur Bevollmächtigter war. Das Konto der Ehefrau des Klägers war ferner kein Treuhandkonto, das dem Kläger unter besonderen Umständen das Recht geben könnte, die Auszahlung des Guthabens von der Beklagten zu verlangen. Ein solches Konto scheidet schon deswegen aus, weil das Girokonto der Ehefrau des Klägers nicht ausschließlich für Vermögenswerte bestimmt war, die der Ehefrau nur treuhänderisch zustanden (BGHZ 61, 72, 78). Auch wenn zwischen den Ehegatten hinsichtlich der Rentennachzahlung ein uneigennütziges Treuhandverhältnis bestanden hätte, könnte der Kläger daraus gegenüber der Beklagten keine Rechte herleiten. Die gelegentliche Abwicklung eines Treuhandverhältnisses über das Eigenkonto des Treuhänders macht dieses nicht zu einem Treuhandkonto. Formell und materiell berechtigt bleibt vielmehr auch in diesem Falle der Kontoinhaber.

Dem Kläger steht sonach kein Recht an der Einlageforderung auf dem Konto seiner Ehefrau zu. Inhaberin dieser Forderung war vielmehr die Ehefrau als Kontoinhaberin. Dieser aber steht der Pfändungsschutz gemäß § 55 SGB-AT nicht zu. Daher konnte die Beklagte wirksam verrechnen.

Dieses Ergebnis steht im Einklang mit der nahezu einhelligen Auffassung des Schrifttums, daß der Pfändungsschutz des § 55 SGB-AT nur für ein Eigen- oder ein Gemeinschaftskonto, dessen Mitinhaber der Berechtigte der Sozialleistung ist, besteht, nicht aber für das Konto Dritter, etwa von Verwandten oder Ehegatten (vgl. Liesecke, WM 1975, 232; Terpitz, BB 1976, 1565; Hauck/Haines a.a.O. Rdnr. 3; v. Maydell a.a.O. Rdnr. 14; Schroeter in Aye/Bley/Göbelmann/Schroeter, Sozialgesetzbuch/Sozialversicherung, Gesamtkommentar, § 55 SGB-AT I Anm. 3; Canaris, a.a.O. Rdnr. 194 zur Rechtslage bei § 850 k ZPO; unklar Heinze a.a.O. Rdnr. 3).

3.

Die Nichtanwendbarkeit von § 55 SGB-AT auf Sozialleistungen, die auf Drittkonten überwiesen wurden, würde es allerdings nicht ausschließen, daß im Einzelfall bei Vorliegen besonderer Umstände nach Treu und Glauben in der Vorenthaltung der Sozialleistung gegenüber dem Berechtigten eine unzulässige Rechtsausübung liegen kann. Dies ist vor allem dann in Betracht zu ziehen, wenn dadurch die mit der Sozialleistung bezweckte Sicherung des Lebensunterhalts des Berechtigten nicht mehr gewährleistet ist. Dafür gibt der Klagevortrag allerdings keinerlei Anhaltspunkte.

III.

Dem Kläger stehen auch aus abgetretenem Recht seiner Ehefrau als Kontoinhaberin keine Ansprüche gegen die Beklagte zu.

1.

Ein Schadensersatzanspruch läßt sich nicht daraus herleiten, daß die Beklagte den Überweisungsbetrag dem Konto der Ehefrau gutgeschrieben hat, obwohl als Empfänger der Kläger angegeben gewesen sei. Die Überweisung auf das Konto der Ehefrau entsprach der Weisung, die der Kläger der Berufsgenossenschaft erteilt hatte. Empfängerin der Überweisung sollte nach dem Willen des Klägers seine Ehefrau sein. Der Überweisungsauftrag wurde somit im Ergebnis richtig ausgeführt, auch wenn auf ihm als Empfänger der Kläger angegeben gewesen sein sollte.

2.

Die Ehefrau des Klägers hatte keinen Anspruch auf Ausführung ihrer Weisung, den überwiesenen Betrag wieder an die Berufsgenossenschaft zurückzuüberweisen. Da die Beklagte berechtigt war, die Gutschrift mit ihrer Forderung gegen die Ehefrau des Klägers zu verrechnen und dabei nichts mehr übrig blieb, war die Beklagte nicht verpflichtet, die Rücküberweisung auszuführen.

 

Unterschriften

Dr. Kellermann

Dr. Bauer

Bundschuh

Brandes

Dr. Hesselberger

 

Fundstellen

NJW 1988, 709

ZIP 1987, 1523

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