Verfahrensgang

OLG Köln (Urteil vom 18.01.1978)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 18. Januar 1978 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Revision fallen der Beklagten zur Last.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger stieß am 7. Januar 1966 morgens gegen 8.00 Uhr, als er mit seinem Moped auf der Hauptstraße der Ortschaft K. fuhr, mit einem bei dem beklagten Versicherer gegen Haftpflicht versicherten Lastkraftwagen zusammen, als dieser aus einer untergeordneten Straße in die Hauptstraße einbog. Er erlitt schwere Verletzungen, die einen Dauerschaden zur Folge hatten.

Am 25. Januar 1966 ließ der Kläger durch seinen Anwalt an die Beklagte schreiben. Nach Schilderung des Unfallhergangs führte dieser u.a. wörtlich aus:

„Unser Mandant erlitt neben Sachschaden durch den Unfall einen Schädelbasisbruch, eine schwere Platzwunde über dem rechten Auge, vielleicht sogar eine Augenverletzung sowie weitere Kopfverletzungen. Der rechte Oberschenkel wurde ausgekugelt. Hinzu kommen Prellungen am ganzen Körper und am rechten Arm sowie ein schwerer Unfallschock … Wir bitten um Ihre Mitteilung, ob Sie Ihre Eintrittspflicht dem Grunde nach anerkennen.”

In der Folgezeit wurde der Schriftwechsel zwischen der Beklagten und dem Bevollmächtigten des Klägers fortgesetzt. So erbat jene unter dem 1. Oktober 1969 eine nochmalige Spezifizierung des geltend gemachten Schadens, um die Verrechnung einer á-Konto-Zahlung vornehmen zu können. Mit Schreiben vom 4. Februar 1972 teilte sie mit, daß die Kostenaufstellung der Berufsgenossenschaft eingegangen sei; sie forderte des weiteren den Kläger zur Vorlage einer Verdienstbescheinigung auf, die ihr am 13. April 1973 übersandt wurde. Am 3. Juli 1973 lehnte sie weitere Leistungen ab und berief sich auf zwischenzeitlich eingetretene Verjährung.

Der Kläger machte daraufhin Ende Mai 1975 mit der vorliegenden Klage neben einem Sachschaden seinen Verdienstausfall einschließlich seines Rentenschadens und ein angemessenes Schmerzensgeld geltend und begehrte die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz künftigen Schadens.

Das Landgericht hat die Beklagte dem Grunde nach für verpflichtet erklärt, dem Kläger den restlichen Verdienstausfall für die Zeit vom Unfalltag bis zum 31. Mai 1975 sowie die Sachschäden zu ersetzen und an die zuständige Landesversicherungsanstalt zu Gunsten des Klägers für die Zeit vom 7. Januar 1966 bis 31. Dezember 1974 die wegen des unfallbedingten Verdienstausfalls nicht geleisteten Beiträge zur Rentenversicherung zu zahlen; ferner hat es dem Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 15.000 DM zugesprochen und antragsgemäß die Verpflichtung zum Ersatz des Zukunftsschadens festgestellt.

Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Mit der Revision begehrt diese weiterhin wegen angeblichen Mitverschuldens des Klägers Herabsetzung ihrer Haftung auf 80 % sowie Abweisung der Klage, soweit mit ihr Schmerzensgeld und Ersatz des Rentenschadens begehrt wird.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht geht von dem alleinigen Verschulden des Lastkraftwagenfahrers aus und verneint eine dem Kläger zuzurechnende Betriebsgefahr des Mopeds.

Dies hält den Angriffen der Revision stand.

1. Soweit die Revision Verletzung des § 286 ZPO rügt, weil das Berufungsgericht sowohl zu der Frage, ob der Kläger sein Moped bei der herrschenden Dämmerung noch hätte beleuchten müssen, wie auch dazu, ob er nicht rechts gefahren sei, den von der Beklagten angebotenen Sachverständigenbeweis nicht erhoben hat, hat sie keinen Erfolg. Davon, dies im Einzelnen zu begründen, sieht der Senat gemäß § 565 a ZPO ab.

2. Das Berufungsgericht hat auch zu Recht dem Kläger nicht als Mitverschulden (§ 254 BGB) angelastet, daß er keinen Schutzhelm trug.

a) Zunächst ist schon die Auffassung der Beklagten unzutreffend, dieser Umstand könnte geeignet sein, den Ersatzanspruch des Klägers insgesamt quotenmäßig zu verkürzen. Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 30. Januar 1979 (VI ZR 144/77 = VersR 1979, 369) bemerkt hat, käme allenfalls eine Minderung der Ansprüche auf Ersatz derjenigen Schäden in Betracht, für deren Entstehen oder Ausmaß das Nichttragen eines Schutzhelms nachweislich ursächlich geworden war.

b) Im übrigen hat der Senat in der genannten Entscheidung grundsätzlich zu der Frage Stellung genommen, von welchem Zeitpunkt an einem Mopedfahrer ein Mitverschulden wegen Nichttragens eines Schutzhelms angelastet werden darf. Auf diese Ausführungen wird Bezug genommen. Aus ihnen folgt, daß, abgestellt auf den Unfallzeitpunkt im Streitfall (Anfang 1966), den Kläger eine Mitverantwortung für durch das Nichttragen eines Schutzhelms verursachte bzw. verstärkte Unfallfolgen nicht angelastet werden darf.

II.

Die Revision meint, die Ansprüche des Klägers auf Zahlung von Schmerzensgeld und Nachentrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen seien trotz § 3 Nr. 3 Satz 3 PflVersG bereits vor Klageerhebung verjährt gewesen. Sie stützt diese Auffassung mit dem Hinweis, die Schadensanmeldung des Klägers habe diese beiden Ansprüche entgegen der Annahme im Berufungsurteil nicht umfaßt, so daß insoweit eine Verjährungshemmung nicht eingetreten sei.

Dem kann nicht gefolgt werden. Vielmehr trifft die rechtliche Würdigung des Berufungsgerichts zu, die sich auf den Wortlaut der Anmeldung und auf das eigene Verhalten der Beklagten stützt.

1. Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 21. Dezember 1971 (VI ZR 137/70 = VersR 1972, 271, 273) unter Hinweis auf die Parallele zu § 12 Abs. 2 VVG zur Frage des notwendigen Inhalts einer Anmeldung im Sinne von § 3 Nr. 3 Satz 3 PflVersG Stellung genommen und den dabei herausgestellten Grundsatz zuletzt im Urteil vom 17. Januar 1978 (VI ZR 116/76 = VersR 1978, 423) bestätigt. Es hat desweiteren in seinem gleichzeitig mit vorliegender Entscheidung verkündeten Urteil in der Sache VI ZR 192/78 (zur Aufnahme in BGHZ vorgesehen) Grundsätzliches zum notwendigen Inhalt einer solchen Anmeldung ausgeführt; im einzelnen kann darauf hier Bezug genommen werden.

Dort ist näher ausgeführt, es sei nach dem Sinn der im Zuge der Einführung der Direktklage im Jahre 1965 geschaffenen Regelung nicht zu fordern, daß der Geschädigte bei der Anmeldung seines Anspruchs beim Versicherer bereits die einzelnen Ansprüche benennt und gar – wenigstens teilweise – beziffert. Es genügt vielmehr, den Versicherer darüber zu unterrichten, daß gegen ihn aus einem bestimmten Ereignis Ersatzansprüche erhoben werden (so vor allem schon Senatsurteil vom 17. Januar 1978 a.a.O.; Prölss/Martin, VVG 21. Aufl. § 3 Nr. 3 PflVersG Anm. 1 b).

2. Dem wird jedoch die Anmeldung gerecht, die der Kläger unter dem 25. Januar 1966 durch seinen damaligen Anwalt an die Beklagte erstatten ließ.

Die darin geschilderten erheblichen Verletzungen, u.a. Schädelbasisbruch, konnten die Beklagte – worauf das Berufungsgericht zu Recht hinweist – nicht in Zweifel darüber lassen, daß sowohl mit der Geltendmachung eines nicht unbedeutenden Schmerzensgeldanspruchs wie auch eines einen längeren Zeitraum umfassenden Verdienstausfalls und dadurch möglicherweise bedingten Rentenausfallschadens zu rechnen war. In diesem Zusammenhang weist das Berufungsgericht zutreffend auf ein Schreiben der Beklagten vom 1. Oktober 1969 hin, in welchem diese selbst von dem Bestehen eines Schmerzensgeldanspruchs ausgeht, einen solchen daher als von den schwebenden und auf die Anmeldung zurückgehenden Verhandlungen umfaßt betrachtet.

Zu Unrecht beruft sich die Revision für ihre gegenteilige Auffassung auf das Senatsurteil vom 14. Dezember 1976 (VI ZR 1/76 = VersR 1977, 335). Diese Entscheidung erörtert die Frage der Beendigung einer durch eine Schadensanmeldung eingetretenen Verjährungshemmung, sagt jedoch nichts zu deren notwendigem Inhalt. Im übrigen widerspräche es den Interessen der Unfallgeschädigten, die durch die Einführung der Direktklage und den in § 3 Nr. 3 PflVersG neu geregelten Verjährungsablauf besser gestellt werden sollten (vgl. BGHZ 67, 138, 142), von ihnen schon in der Anmeldung eine genaue Angabe der einzelnen Ansprüche zu verlangen, um sich den Vorteil der Verjährungshemmung umfassend zu verschaffen. Diese Unzumutbarkeit wird übrigens dadurch verdeutlicht, daß nach § 3 Nr. 7 PflVG vom Geschädigten eine Anmeldung des Schadensereignisses innerhalb von zwei Wochen gefordert wird, obwohl innerhalb dieser kurzen Frist in den meisten Fällen noch kein Überblick über das endgültige Schadensausmaß zu gewinnen ist. Gerade deshalb muß auch der Rentenausfallschaden als von der Anmeldung mit umfaßt angesehen werden, weil sein Eintritt wegen der die Zeit des Verdienstausfalls bestimmenden Verletzungen zunächst lediglich – und zwar auch für die Beklagte erkennbar – möglich, aber noch nicht sicher war.

3. Die Beklagte geht selbst davon aus, daß die Verjährungshemmung durch ihr Schreiben vom 3. Juli 1973, mit dem sie jede weitere Leistung abgelehnt hat, beendet wurde. Dann aber kommt es auf die von der Revision zur Überprüfung gestellte Frage, ob die am 27. Juni 1975 zugestellte Klage als am Tage des Eingangs bei Gericht, nämlich am 30. Mai 1975, erhoben angesehen werden kann (§ 261 b Abs. 3 ZPO a.F.), nicht an. Selbst wenn man dies im Gegensatz zum Berufungsgericht verneinen wollte, wären die im Streit befindlichen Ansprüche nicht verjährt gewesen, weil die dreijährige Frist des § 852 BGB, die hier in Betracht kommt, unter Berücksichtigung der Zeitspanne vom Unfalltag bis zur Anmeldung frühestens im Juni 1976 hätte ablaufen können.

III.

1. Die Revision dringt auch nicht mit ihrer Auffassung durch, der Antrag des Klägers auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Rentenbeiträgen an den Versicherungsträger sei mangels ausreichender Bestimmtheit (§ 253 ZPO) unzulässig.

Der Kläger hat nämlich durch seine Bezugnahme auf die Auskunft des Rentenversicherungsträgers, die notwendigen Beiträge zur Überbrückung der Ausfallzeit berechnen und benennen zu können, dem Erfordernis des § 253 ZPO hinreichend genüge getan. Das Landgericht konnte daher ein Grundurteil zulässigerweise erlassen und brauchte nicht auf den hilfsweise vom Kläger gestellten Feststellungsantrag überzugehen.

2. Die Revision wendet sich schließlich auch ohne Erfolg gegen die Zuerkennung eines Anspruchs auf Zahlung freiwilliger Rentenbeiträge an die Landesversicherungsanstalt.

a) Der Senat hat in seinem Urteil vom 18. Oktober 1977 (BGHZ 69, 347, 349 ff; vgl. dazu Anm. von Hofmann, VersR 1978, 620 und Buchmüller NJW 1978, 999) zu der hier wesentlichen Frage unter Fortführung der bis dahin schon gefestigten Rechtsprechung (BGHZ 46, 332) erneut Stellung genommen und ausgesprochen, daß ein Anspruch des Geschädigten auf Erstattung freiwilliger, zur Fortsetzung des Rentenversicherungsverhältnisses geleisteter Beitragszahlungen – die Möglichkeit zu einer solchen freiwilligen Weiterversicherung freilich vorausgesetzt (§ 1233 RVO) – auch dann besteht, wenn bei Fortfall der Versicherungspflicht während der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit eine nachteilige Beeinflussung der künftigen Rente durch den Beitragsausfall noch nicht feststeht, aber möglich ist (unrichtig OLG Bamberg VersR 1978, 451, 452). Der diese Entscheidung tragende Gedanke, der auf die Bedeutung der Ausfallzeiten im gesetzlichen System der Gewährung und Bemessung der Renten abstellt und von der Erwägung ausgeht, daß die Ausfallzeit in aller Regel für den Versicherten eine schadensrechtlich beachtliche Störung im Aufbau seiner sozialen Lebensvorsorge bedeutet, gilt auch im Streitfall und darf nicht durch die Überlegung verdrängt werden, daß wegen der Ungewissen zukünftigen Entwicklung des Versicherungsverhältnisses erst bei Eintritt der Rentenberechtigung eine nachteilige Auswirkung der Ausfallzeit feststellbar ist. Nur wenn eine Fallgestaltung vorliegt, in der die vom Versicherten bereits erworbene Rechtsstellung durch den Beitragsausfall nicht oder doch nur in einem so geringen Ausmaß beeinträchtigt wird, daß ein verständiger Geschädigter von einer auf eigene Rechnung vorzunehmenden freiwilligen Versicherung absähe, also insbesondere wenn eine „unfallfeste” Position vorläge, könnte der vom Kläger geltend gemachte Anspruch unbegründet sein (BGHZ 69, 347, 350).

b) Im Streitfall sind aber die Voraussetzungen für die Geltendmachung des Rentenausfallschadens entsprechend den Feststellungen im landgerichtlichen Urteil erfüllt.

Das Berufungsgericht hat die Möglichkeit der Nachentrichtung der freiwilligen Beiträge unter Hinweis auf das Schreiben der für den Kläger zuständigen Landesversicherungsanstalt vom 3. Februar 1976 festgestellt (vgl. BGHZ 46, 332, 337). Dagegen hat die Revision nichts erinnert.

Der Kläger hatte im Unfallzeitpunkt – er war damals 36 Jahre alt – in der Rentenversicherung selbst dann noch keine „unfallfeste” Position erlangt, wenn er damals die große Wartezeit für das Altersruhegeld (§ 1248 Abs. 7 RVO) bereits erfüllt gehabt haben sollte. Wesentlich ist, daß für sein Rentenversicherungsverhältnis die sogenannte Halbbelegung im Sinne von § 1239 Abs. 3 RVO nicht gegeben war, als die Zahlung der Pflichtbeiträge infolge der Unfallverletzungen endete. Selbst wenn er bereits mit 16 Jahren in ein versicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis eingetreten sein sollte, hätte er eine Halbbelegung erst nach Leistung von Pflichtbeiträgen für 24 1/2 Jahre erreicht; für die Feststellung der Halbbelegung ist nämlich die Dauer des gesamten regelmäßigen Erwerbslebens (im angenommenen Fall 65 – 16 = 49 Jahre) maßgeblich. Im Unfallzeitpunkt wären jedoch erst allenfalls 20 Jahre mit Beiträgen belegt gewesen. Dieser Mangel an einer Halbbelegung führt u.a. dazu, daß beitragslose Zeiten bei der Feststellung der für den Steigerungsbetrag zugrunde zu legenden Versicherungsjahre (§§ 1253, 1254 RVO) nicht berücksichtigt werden, was möglicherweise zu einem Rentenausfallschaden führen kann, dessen Abwendung durch freiwillige Beitragsleistungen möglich ist. Daher sind diese dem Kläger entsprechend den oben (III 2 a) dargelegten Grundsätzen zuzugestehen, selbst wenn die weitere, nicht sicher voraussehbare Entwicklung der Rentenanwartschaft letztlich diese freiwillige Leistung als überflüssig erscheinen lassen sollte.

 

Unterschriften

Dr. Weber, Dunz, Scheffen, Dr. Steffen, Dr. Deinhardt

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1742399

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