Entscheidungsstichwort (Thema)

Bindungswirkung eines Insolvenztabelleneintrags. Berücksichtigungsbetrag im Insolvenzverfahren bei teilweiser Gläubigerbefriedigung durch Mithaftende des Schuldners

 

Leitsatz (amtlich)

Der Insolvenzverwalter hat bei einer Abschlagsverteilung alle zur Tabelle festgestellten Forderungen uneingeschränkt zu berücksichtigen. Der Tabelleneintrag löst für den Insolvenzverwalter nur dann keine Bindungswirkung aus, wenn er gegen eine eingetragene Forderung mit einer Vollstreckungsgegenklage vorgeht.

Sofern Zahlungen von Mithaftenden des Schuldners nicht zur vollen Befriedigung eines Insolvenzgläubigers geführt haben, nimmt dieser mit dem vollen Berücksichtigungsbetrag am Insolvenzverfahren teil.

 

Normenkette

InsO §§ 43, 188

 

Verfahrensgang

OLG München (Urteil vom 18.07.2007; Aktenzeichen 17 U 3163/07)

LG Landshut (Urteil vom 04.05.2007; Aktenzeichen 22 O 634/07)

 

Tenor

Auf die Rechtsmittel des Beklagten werden das Urteil des 17. Zivilsenats des OLG München vom 18.7.2007 und das Urteil der 2. Zivilkammer des LG Landshut vom 4.5.2007 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

[1] Der Beklagte ist Verwalter in dem am 1.9.2002 über das Vermögen der I. GbR (fortan: Schuldnerin) eröffneten Insolvenzverfahren.

[2] Die klagende Sparkasse gewährte der Schuldnerin am 16.3.2001 zwei Darlehen i.H.v. jeweils 100.000 DM, die in mehrfacher Weise gesichert waren: Zum einen erklärten die Gesellschafter der Schuldnerin einen Schuldbeitritt; zum anderen trat die Schuldnerin durch Globalzessionsvertrag vom 13.2.2001 sämtliche Forderungen an die Klägerin ab; ferner wurde eine Grundschuld am Wohnhaus eines Gesellschafters bestellt; schließlich traten die Gesellschafter, die zudem Einzelbürgschaften erteilten, Lebensversicherungsansprüche an die Klägerin ab.

[3] Die Klägerin meldete nach Insolvenzeröffnung eine Forderung i.H.v. 78.264,65 EUR zur Insolvenztabelle an. Die Forderung wurde in voller Höhe festgestellt. Nach Auskehrung eines auf Absonderungsrechte entfallenden Betrages von 9.120,44 EUR durch den Beklagten beläuft sich die Forderung der Klägerin gegenwärtig noch auf 74.390,73 EUR. Der Beklagte kündigte eine erste Abschlagsverteilung auf der Grundlage einer Insolvenzquote von 14,38 % an die Gläubiger an. Durch Schreiben vom 24.7.2006 lehnte der Beklagte wegen der zugunsten der Klägerin bestellten Sicherheiten ab, die Klägerin bei dieser Verteilung zu berücksichtigen.

[4] Die Klägerin, die meint, bei der Abschlagsverteilung berücksichtigt werden zu müssen, beantragt, den Beklagten zu verurteilen, die Forderung der Klägerin i.H.v. 74.390,73 EUR zur Insolvenztabelle festzustellen. LG und OLG haben der Klage stattgegeben. Mit der von dem erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Klageabweisungsbegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

[5] Die Revision des Beklagten hat Erfolg und führt zur Abweisung der Klage.

I.

[6] Das OLG meint, § 43 InsO stehe einer Feststellung der unstreitigen klägerischen Forderung auch in voller Höhe nicht entgegen. Aus der Tatsache, dass sie eigenständige Ansprüche gegen die Gesellschafter der Schuldnerin habe, erlange die Klägerin keinen zusätzlichen Vorteil. Der Gläubiger, dem mehrere Personen, von denen eine in Insolvenz gefallen sei, für eine Forderung hafteten, sei im Falle von Teilleistungen nicht gezwungen, in dem Insolvenzverfahren nur noch die Restforderungen zu verfolgen und auf diese Weise einen höheren Ausfall hinzunehmen. Nach dem Grundsatz der Doppelberücksichtigung könne der Gläubiger in mehreren Verfahren stets die Ausgangsforderung beanspruchen. Dies gelte auch für den Fall, dass ein Mithaftender nach Insolvenzeröffnung einen Teilbetrag zahle.

II.

[7] Diese Ausführungen halten im entscheidenden Punkt rechtlicher Prüfung nicht stand.

[8] 1. Die Forderung der Klägerin i.H.v. 74.390,73 EUR durfte - wie die Revision zutreffend rügt - durch die Vordergerichte nicht zur Insolvenztabelle festgestellt werden. Wegen der bereits erfolgten Eintragung der Forderung und der damit verbundenen Rechtskraftwirkung (§ 322 Abs. 1 ZPO, § 178 Abs. 3 InsO) ist die - zur Verfolgung des Rechtsschutzziels der Klägerin ohnehin ungeeignete - Klage vielmehr als unzulässig abzuweisen.

[9] a) Ist eine Forderung von dem Insolvenzverwalter oder einem Gläubiger bestritten worden, kann der Gläubiger gem. § 179 Abs. 1 InsO die Feststellung gegen den Bestreitenden betreiben. Ihrer Rechtsnatur her bildet die Klage eine Feststellungsklage i.S.d. § 256 ZPO (BGH, Urt. v. 10.4.1967 - II ZR 98/65, WM 1967, 508). Wird die begehrte Feststellung getroffen, obliegt es der obsiegenden Partei, beim Insolvenzgericht die Berichtigung der Tabelle zu beantragen (§ 183 Abs. 2 InsO).

[10] b) Vorliegend ist jedoch unstreitig die von der Klägerin angemeldete Forderung, ohne dass der Beklagte oder ein Gläubiger Widerspruch erhoben haben, in die Tabelle eingetragen worden. Die Eintragung in die Tabelle wirkt ggü. dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern gem. § 178 Abs. 3 InsO wie ein rechtskräftiges Urteil (BGH, Urt. v. 21.2.1991 - IX ZR 133/90, ZIP 1991, 456, 457). Die mit der Eintragung verbundene Rechtskraft (§ 322 ZPO; BGH, Urt. v. 29.5.2008 - IX ZR 45/07, WM 2008, 1456, 1457 Rz. 12; Schumacher in MünchKomm/InsO, 2. Aufl., § 178 Rz. 59; FK-InsO/Kießner, 4. Aufl., § 178 Rz. 21) steht der Zulässigkeit der von dem Kläger erhobenen, auf das gleiche Ziel gerichteten Feststellungsklage entgegen (vgl. BGHZ 93, 287, 289; BGHZ 157, 47, 50 f.; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 67. Aufl., § 322 Rz. 5). Wegen Entscheidungsreife (§ 563 Abs. 3 ZPO) ist die Klage mithin als unzulässig abzuweisen.

[11] 2. Sollte der Beklagte eine Abschlagsverteilung beabsichtigen, weist der Senat auf Folgendes hin:

[12] a) Bei einer Abschlagsverteilung ist gem. § 188 Satz 1 InsO ein mit der Tabelle identisches (HK-InsO/Depré, 5. Aufl., § 188 Rz. 1) Verteilungsverzeichnis zu erstellen, in das sämtliche festgestellten Forderungen - mithin hier auch diejenige der Klägerin - aufzunehmen sind (MünchKomm/InsO/Füchsl/Weishäupl, a.a.O., § 188 Rz. 4). Dies folgt aus der Rechtskraftwirkung der Tabelleneintragung (Schumacher in MünchKomm/InsO, a.a.O.). Der Insolvenzverwalter darf die Aufnahme nicht mit der Begründung, die Forderung sei ganz oder teilweise erloschen, verweigern (MünchKomm/InsO/Füchsl/Weishäupl, a.a.O.). Dazu ist der Verwalter nur berechtigt, wenn er gegen den Gläubiger mit einer Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO) durchgedrungen ist (Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., § 188 Rz. 13; MünchKomm/InsO/Füchsl/Weishäupl, a.a.O.; HK-InsO/Depré, a.a.O., § 188 Rz. 4). Schon nach Erhebung der Vollstreckungsgegenklage ist der Insolvenzverwalter bis zur rechtskräftigen Entscheidung analog §§ 189 Abs. 2, 198 InsO zu einer Zurückhaltung und Hinterlegung des betroffenen Betrages befugt (HK-InsO/Depré, a.a.O.). Kennt er dessen Höhe nicht, hat ihm der Gläubiger auf entsprechendes Verlangen Auskunft über die Erlöse von Sicherheitenverwertungen zu erteilen. Ist er dem nachgekommen, verweigert der Verwalter gleichwohl die Aufnahme eines Gläubigers in das Verzeichnis, kann dieser mit Hilfe einer sofortigen Beschwerde (§ 194 Abs. 2 Satz 2 InsO) seine Berücksichtigung erzwingen (MünchKomm/InsO/Füchsl/Weishäupl, a.a.O.).

[13] b) Im gegenwärtigen Verfahrensstadium kann nicht beurteilt werden, ob der Beklagte mit Hilfe einer Vollstreckungsgegenklage eine Kürzung der auf die Klägerin entfallenden Insolvenzdividende erreichen kann.

[14] Wird über das Vermögen mehrerer oder - wie im Streitfall - einer von mehreren Personen, die nebeneinander für dieselbe Leistung auf das Ganze haften, das Insolvenzverfahren eröffnet, kann der Gläubiger nach dem Grundsatz der Doppelberücksichtigung gem. § 43 InsO bis zu seiner vollen Befriedigung in jedem Verfahren den Betrag geltend machen, den er zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens zu fordern hatte (sog. Berücksichtigungsbetrag). Solange Zahlungen von Mithaftenden des Schuldners nicht zur vollen Befriedigung des Insolvenzgläubigers geführt haben, nimmt dieser mit dem (vollen) Berücksichtigungsbetrag am Verfahren teil. Die Insolvenzdividende ist erst zu kürzen, wenn sie zusammen mit den Teilzahlungen, die der Gläubiger von einem Mithaftenden freiwillig oder im Zwangswege erhalten hat, den Gesamtbetrag seiner Forderung übersteigt; etwaige Überzahlungen kann der Insolvenzverwalter wegen ungerechtfertigter Bereicherung zurückfordern (BGH, Urt. v. 4.10.1984 - IX ZR 159/83, WM 1984, 1547, 1548; RGZ 156, 271, 279). Mithin hat eine Vollstreckungsgegenklage des Beklagten erst Erfolg, wenn die Forderung der Klägerin durch Zahlungen der Mithaftenden und eine etwaige von dem Beklagten zu verteilende Dividende voll gedeckt ist (Uhlenbruck, a.a.O., § 188 Rz. 12; FK-InsO/Kießner, a.a.O., § 188 Rz. 12).

 

Fundstellen

Haufe-Index 2099083

NWB 2009, 601

BGHR 2009, 366

EBE/BGH 2009

StuB 2009, 326

WM 2009, 275

WuB 2009, 401

ZIP 2009, 243

DZWir 2009, 168

MDR 2009, 351

NZI 2009, 167

Rpfleger 2009, 261

ZInsO 2009, 142

NJW-Spezial 2009, 343

NWB direkt 2009, 202

ZVI 2009, 115

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