Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen eines Anspruchs auf Pflichtteilsergänzung

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, ob der Erblasser sittlich verpflichtet oder durch eine auf den Anstand zu nehmende Rücksicht gehalten war, seinem Ehegatten, von dem er getrennt und mit dem er in Scheidung lebte, für die Zeit nach seinem Tode eine Rente und ein Wohnrecht zu schenken.

 

Normenkette

BGB §§ 2330, 2303 Abs. 2, § 2325

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 27. Juni 1980 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

 

Tatbestand

Der am 18. Dezember 1972 verstorbene Gastwirt Carl E. (Erblasser) hinterließ die Klägerin, mit der er seit dem 10. August 1965 in zweiter Ehe verheiratet war, und die Beklagten, die Kinder aus seiner Ehe mit seiner im März vorverstorbenen ersten Ehefrau.

Die Klägerin und der Erblasser trennten sich im April 1972; die Gründe dafür sind streitig. Darauf widerrief der Erblasser durch notarielle Erklärung vom 2. Mai 1972 ein früher errichtetes gemeinschaftliches Testament, durch das die Eheleute sich gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt hatten. Stattdessen setzte der Erblasser an diesem Tage die Beklagten zu je 1/2 zu seinen Erben ein. Außerdem übertrug der Erblasser bei dieser Gelegenheit im Wege der vorweggenommenen Erbfolge sein Grundstück "S." auf die Beklagte zu 1) und sein Grundstück "Am K." auf den Beklagten zu 2). An dem erstgenannten Grundstück behielt der Erblasser sich den Nießbrauch vor. Der Beklagte zu 2) hatte als "Gegenleistung" dem Erblasser eine lebenslange wertgesicherte Rente von zunächst 450,00 DM monatlich sowie ein lebenslanges Wohnrecht zu gewähren. Aufschiebend bedingt durch den Tod des Erblassers übernahm der Beklagte zu 2) die Pflicht, an die Klägerin eine entsprechende Rente von zunächst 400,00 DM monatlich sowie das entsprechende Wohnrecht zu gewähren, "sofern im Zeitpunkt des Todes des .... (Erblassers) die Ehe noch bestand". Um die gleiche Zeit (Prozeßvollmacht vom 6. Mai 1972) leitete der Erblasser gegen die Klägerin das Ehescheidungsverfahren ein. Dieses Verfahren kam im November 1972 zum Ruhen und endete mit dem Tod des Erblassers ohne gerichtliche Entscheidung. Im vorliegenden Rechtsstreit hat die Klägerin unter anderem einen Pflichtteil in Höhe von 7.320,00 DM und eine Pflichtteilsergänzung in Höhe von 15.575,00 DM geltend gemacht. Das Landgericht hat ihr darauf 22.895,00 DM nebst Zinsen zugebilligt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht der Klägerin nur noch einen Pflichtteil in Höhe von 7.570,00 DM nebst Zinsen zugesprochen und die Klage wegen eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs in Höhe von 15.325,00 DM nebst Zinsen abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Der Revision bleibt der Erfolg versagt.

1.

Auf der Grundlage der bereits vor dem Berufungsgericht nicht mehr angegriffenen Feststellungen des Landgerichts geht das Oberlandesgericht davon aus, daß die Scheidungsklage des Erblassers nach der bis zum 1. Juli 1977 geltenden Rechtslage zur Zeit seines Todes am 18. Dezember 1972 nicht begründet war, und daß das gesetzliche Pflichtteilsrecht der Klägerin daher nicht gemäß §§ 1933 a.F., 2303 Abs. 2 BGB entfallen ist. Hiergegen ist nichts zu erinnern; auch die Revision hat insoweit keine Beanstandungen erhoben.

2.

Das Berufungsgericht hat die Zuwendungen des Erblassers an die Beklagte zu 1) mit 57.000,00 DM, an den Beklagten zu 2) mit 46.397,00 DM und an die Klägerin mit 22.298,00 DM veranschlagt. Aus der Summe dieser Zuwendungen, die sämtlich als Schenkungen im Sinn von § 2325 BGB zu berücksichtigen seien, hat es für die Klägerin entsprechend einer Pflichtteilsquote von 1/8 als Pflichtteilsergänzung einen Betrag von 15.712,00 DM errechnet. Da die Klägerin aber bereits 22.298,00 DM erhalten habe und da dieser Betrag gemäß § 2327 Abs. 1 Satz 1 BGB auf die Ergänzung anzurechnen sei, stehe der Klägerin ein Anspruch auf Pflichtteilsergänzung nicht zu.

Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung stand.

Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht die Zuwendung des Wohnrechts und der Rente an die Klägerin aufgrund Vertrages des Erblassers mit dem Beklagten zu 2) vom 2. Mai 1972 im Verhältnis zwischen der Klägerin und dem Erblasser als Schenkung qualifiziert; diese sei erst nach dem Tode des Erblassers durch die Entgegennahme der genannten Leistungen und durch die darin liegende konkludente Annahme (des Schenkungsangebotes des Erblassers) von seiten der Klägerin zustandegekommen. Die Revision nimmt diese Würdigung ausdrücklich hin. Sie meint lediglich, das Berufungsgericht habe die Schenkung der Rente und des Wohnrechts an die Klägerin als eine Pflichtschenkung im Sinn von § 2330 BGB ansehen und daher bei der Berechnung der Ergänzung, die diese zu beanspruchen habe, außer Ansatz lassen müssen.

Der Senat vermag dem nicht zu folgen. Das Oberlandesgericht hat eingehend geprüft, ob die Schenkung an die Klägerin als eine solche im Sinn von § 2330 BGB anzusehen ist; es hat dies aus zwei Gründen abgelehnt: Einmal sei der Anwendungsbereich des § 2330 BGB im Interesse der Pflichtteilsberechtigten auf solche Fälle zu beschränken, in denen die rechtlichen und die wirtschaftlichen Folgen einer Schenkung sofort oder jedenfalls noch zu Lebzeiten des Schenkers für diesen selbst fühlbar werden und nicht erst nach seinem Tode eintreten. Das sei hier nicht der Fall, sodaß eine Schenkung im Sinn von § 2330 BGB schon deshalb nicht gegeben sei (BU 19 Abs. 3 bis 21 Abs. 1). Abgesehen davon könne eine Pflicht- oder Anstandsschenkung nicht schon dort angenommen werden, wo die Umstände dem Schenker objektiv hätten Anlaß geben können, eine Schenkung dieser Art vorzunehmen. Vielmehr sei vorweg zu prüfen, von welchen Beweggründen sich der Erblasser bei der Zuwendung habe leiten lassen. Nur wo der Schenker einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht habe nachkommen wollen könne § 2330 BGB eingreifen (BU 21 Abs. 2 bis 23 Abs. 1). Nach dem Vortrag der Beklagten habe ein solches Motiv beim Erblasser nicht vorgelegen; die insoweit beweispflichtige Klägerin habe für ihre gegenteilige Darstellung keine Beweise angetreten (BU 23 Abs. 2 bis 26 Abs. 2). Daraus, ob der Erblasser im vorliegenden Fall zu der Schenkung an die Klägerin sittlich verpflichtet oder durch die gebotene Rücksicht auf den Anstand gehalten war, ist das Berufungsgericht nicht ausdrücklich eingegangen. Eine solche Anstands- oder Sittenpflicht, den Ehegatten für die Zeit nach dem eigenen Tod zu versorgen, will es aber Jedenfalls nicht allgemein annehmen (BU 18 Abs. 2).

Auch diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.

Der vorliegende Fall nötigt nicht zur Entscheidung der im Berufungsurteil in den Vordergrund gestellten Fragen, ob der Anwendungsbereich von § 2330 BGB allgemein in der vom Berufungsgericht für richtig gehaltenen Weise einzuschränken ist. Auf diese Frage kommt es nicht an, weil der Erblasser zu der Schenkung an die Klägerin weder sittlich verpflichtet noch durch die gebotene Rücksicht auf den Anstand gehalten war (§ 2330 BGB).

Nicht zu folgen vermag der Senat dem Berufungsgericht allerdings, wenn es eine Anstands- oder Sittenpflicht unter Eheleuten, die Versorgung des anderen Teiles auch für die Zeit nach dem eigenen Tode sicherzustellen, allgemein ablehnt. Der Bundesgerichtshof hat es sogar als eine Rechtspflicht des erwerbstätigen Ehegatten angesehen, entsprechend seinen wirtschaftlichen Verhältnissen für die dauernde, über seinen eigenen Tod hinausgehende Sicherung des zukünftigen Unterhalts des anderen Ehegatten zu sorgen (BGHZ 74, 38, 46; 32, 246, 248 f; Senatsurteil vom 21. Oktober 1981 - IVa ZR 228/80 -). Daß die gesetzliche Unterhaltspflicht des Ehegatten als seine höchstpersönliche Verpflichtung gemäß §§ 1360 a Abs. 3, 1613, 1615 Abs. 1 BGB grundsätzlich mit seinem Tode endet, steht dem nicht entgegen. Dennoch hätte der Erblasser seine sittlichen Pflichten nicht verletzt, wenn er der Klägerin das Wohnrecht und die Rente nicht geschenkt hätte.

Der Erblasser und die Klägerin hatten seit April 1971 getrennt gelebt. Anfang Mai 1972 hatte der Erblasser Schritte zur Erhebung der Scheidungsklage eingeleitet. In dieser Lage hatte er die Klägerin enterbt und erhebliche Teile seines Vermögens auf die Beklagten übertragen. Daran war er nach den festgestellten Umständen weder rechtlich noch sittlich noch durch Anstandsrücksichten gehindert; vielmehr lagen die Enterbung und die Vermögensverfügungen im Rahmen seiner Testier- und Verfügungsfreiheit. Das gilt umso mehr, als seinerzeit noch völlig ungeklärt war, ob die vom Erblasser im Ehescheidungsverfahren erhobenen Vorwürfe berechtigt waren oder nicht. Die Klägerin wurde dadurch nicht rechtlos gestellt: sie hatte einen güterrechtlichen Anspruch auf Ausgleich eines etwaigen Zugewinns (§ 1371 Abs. 2 BGB) und, wenn die Ehe mit dem Erblasser bis zu dessen Tod noch nicht geschieden war, außerdem ihren Pflichtteil sowie - im Hinblick auf die Zuwendungen an die Beklagten - die Ergänzung dieses Pflichtteils zu erwarten. Unter diesen Umständen kann eine sittliche oder Anstandspflicht des Erblassers, der Klägerin für die Zeit nach seinem Tode eine Rente und ein Wohnrecht zu verschaffen, nicht bejaht werden. Daß der Erblasser den Pflichtteil und die Pflichtteilsergänzung durch Einräumung der Rente und des Wohnrechts bereits zu seinen Lebzeiten - wenn auch erst mit Wirkung nach seinem Tode - wertmäßig vorweggenommen hat, ist daher nicht geeignet, die Rechtsstellung der Klägerin darüber hinaus noch weiter zu verbessern.

Die Revision ist demnach zurückzuweisen, ohne daß es auf die vom Berufungsgericht aufgeworfene und bejahte weitere Frage ankommt, ob die Anwendung von § 2330 BGB außer der sittlichen oder Anstandspflicht des Schenkers auch voraussetzt, daß dieser einer entsprechenden sittlichen Pflicht oder gebotenen Rücksicht auf den Anstand subjektiv nachkommen wollte. Immerhin erscheint es zweifelhaft, ob der Schenker (oder seine Rechtsnachfolger), dessen Schenkung objektiv seiner sittlichen Pflicht oder der ihm gebotenen Rücksicht auf den Anstand entsprach, im Rahmen von § 2330 BGB (oder auch der insoweit gleichlautenden §§ 534, 1425 Abs. 2, 1641, 1804, 2113 Abs. 2, 2205, 2207 BGB) Vorteile davon sollte haben können, wenn er behauptet oder sogar nachweist, daß er subjektiv diese Pflicht nicht hat erfüllen und diese Rücksicht nicht hat aufbringen wollen.

 

Unterschriften

Rottmüller

Dehner

Dr. Schmidt-Kessel

Rassow

Dr. Zopfs

 

Fundstellen

Haufe-Index 1456230

JR 1982, 196

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