Verfahrensgang

OLG Hamburg (Urteil vom 16.05.1973)

LG Hamburg (Urteil vom 23.03.1972)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts zu Hamburg vom 16. Mai 1973 aufgehoben.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der Zivilkammer 4 des Landgerichts Hamburg vom 23. März 1972 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin, Herstellerin elektrischer Geräte, verlangt von der beklagten Bank Schadensersatz aus folgendem Sachverhalt:

Der bei der Klägerin als Debitorenbuchhalter angestellte Jürgen A. veruntreute in der Zeit vom 4. Juli 1968 bis 24. Februar 1969 19 der Klägerin gehörende Kundenverrechnungsschecks über insgesamt 76.719,36 DM. Die Schecks mit Einzelbeträgen zwischen 864,70 DM und 7.752,20 DM waren auf die Klägerin „oder Überbringer” zahlbar gestellt und auf die Beklagte sowie auf andere Banken und Sparkassen gezogen. Angst reichte sie ohne Indossament der Klägerin bei der Zweigstelle Höhenluft der Beklagten zur Einlösung bzw. Einziehung und Gutschrift auf seinem Privatkonto ein. Dieses Konto, auf das die Klägerin die monatlichen Gehaltszahlungen von 800 DM netto überwies, hatte A., damals schon Angestellter der Klägerin, 1967 bei der Zweigstelle H. als Kontokorrentkonto eröffnen lassen. Im Kontoeröffnungsantrag vom 27. Januar 1967 hat er sich als „Industriekaufmann” bezeichnet und seiner H. Anschrift den Zusatz „Marley-Werke” beigefügt. A. hat die gutgeschriebenen Scheckbeträge abgehoben und verbraucht. Der Schaden der Klägerin beträgt nach Abzug einer Ersatzleistung von Angst noch 72.870 DM. Davon hat die Klägerin mit Rücksicht auf ihr Mitverschulden einen Betrag von 29.000 DM gegen die Beklagte geltend gemacht. Sie hat vorgetragen, die Beklagte habe beim Erwerb der Schecks grob fahrlässig nicht erkannt, daß A. nichtberechtigter Besitzer gewesen sei. Durch die Gehaltsüberweisungen habe die Beklagte das Anstellungsverhältnis zwischen der Klägerin und A. gekannt. Zumindest sei durch die für ein Gehaltskonto typischen Kontobewegungen erkennbar gewesen, daß A. Angestellter und nicht selbständiger Kaufmann sei. Überdies habe die Beklagte nicht beachtet, daß eine Weltfirma wie die Klägerin Kundenverrechnungsschecks nicht an Dritte weitergebe.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat bestritten, Kenntnis von dem Anstellungsverhältnis zwischen Angst und der Klägerin gehabt zu haben. Sie hat unbestritten vorgetragen, die Gehaltsüberweisungen der Klägerin seien in ihrer Hauptstelle verbucht worden. Die kontoführende Zweigstelle habe deshalb den Auftraggeber nicht gekannt. Eine spezielle Kontoführung durch einen Kontenführer sei bei Großbanken wie der Beklagten nicht mehr üblich. Sie sei schon vor Jahren dazu übergegangen, die Konten ihrer Kunden bei der Hauptstelle durch elektronische Datenverarbeitungsanlagen zu führen. Bearbeitungsgrundlage für den Mitarbeiter der Beklagten, der ein Kundenkonto betreue, sei die Dispositionsliste. Sie gebe keinen Aufschluß über die Kontenbewegungen, sondern zeige nur den Saldo vom Vortage, damit vor Ausführungen von Kundenaufträgen geprüft werden könne, ob sie in Ordnung gehen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens der Klägerin der Klage in Höhe von 9.108,75 DM stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

I. Das Berufungsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, daß eine Bank dem Eigentümer eines Inhaberverrechnungsschecks nach §§ 990, 989 BGB in Verbindung mit Art. 21 ScheckG auf Schadensersatz haftet, wenn sie beim Erwerb des Schecks aus grober Fahrlässigkeit nicht wußte, zu seinem Besitz nicht berechtigt zu sein, und ihn nicht mehr herausgeben kann. Es meint, die Beklagte habe schon bei der Hereinnahme des ersten von Angst eingereichten Schecks grob fahrlässig gehandelt, ohne daß es darauf ankomme, ob sie damals die Buchungen schon durch eine elektronische Datenverarbeitungsanlage oder noch durch Kontenführer habe vornehmen lassen. Ein Kontenführer habe aus den ihm vorgelegten Überweisungebelegen ersehen müssen, daß die Klägerin Angst monatlich ein Gehalt Überweise. Deshalb habe es als ganz ungewöhnlicher Umstand auffallen müssen, als A. im Juli 1968 einen auf seine Arbeitgeberin zahlbar gestellten Scheck zum Einzug auf sein Konto vorgelegt habe, zumal die Klägerin als große und bekannte Firma die bei ihr eingehenden Kundenverrechnungsschecks unstreitig nicht an Dritte weiterzugeben pflege. Aus dem Fehlen eines Indossaments der Klägerin – einem Umstand, der für sich genommen zwar nicht auffällig sei – habe der Kontenführer unter den besonderen Verhältnissen des Falles schließen müssen, daß die Schecks bei der Klägerin möglicherweise nicht verbucht worden seien. Die Anzahl der Schecks und die Höhe der Scheckbeträge seien nur insofern von Bedeutung, als sie zeigten, daß der Kontenführer die Augen vor den auf die fehlende Besitzberechtigung von A. hinweisenden Verdachtsmomenten verschlossen haben müsse. Ein ungewöhnlich hohes Maß an Sorglosigkeit sei der Beklagten für die Annahme der nach dem 7. November 1968 eingereichten Schecks vorzuwerfen. An diesem Tage habe die Beklagte eine Kreditauskunft über Angst erhalten, der sie hätte entnehmen müssen, daß Angst als angeblich mit dem Verlegen und dem Vertrieb von PVC-Fußböden befaßter selbständiger Kaufmann nicht einmal in derselben Branche wie die Klägerin tätig ist. Nunmehr sei es vollends unverständlich gewesen, weshalb Angst von der Klägerin ein Gehalt und Kundenverrechnungsschecks bekomme. Wenn es aber, so führt das Berufungsgericht weiter aus, zur Zeit der Einreichung des ersten Schecks wegen Umstellung der Kontoführung auf elektronische Datenverarbeitung keinen Kontenführer bei der Beklagten mehr gegeben habe, so könne sich die Beklagte auf eine dadurch eingetretene Einschränkung der Prüfungsmöglichkeiten nicht berufen. Andernfalls könnte sie den ihr nach bisheriger Verkehrsanschauung auferlegten Haftungsmaßstab weiter einengen. Die Beklagte müsse, wenn sie rationalisiere, die bisher bestehenden Kontrollmöglichkeiten beibehalten. Dies habe sie unstreitig nicht getan. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht stand.

II. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfordert der Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit, daß die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße verletzt ist. Dies ist insbesondere der Fall, wenn ein Geschäft der Bank nach den zutageliegenden Umständen, vor allem auch nach der Person des Einreichers, als so ungewöhnlich und verdächtig erscheinen muß, daß sie sich bei einfachster Überlegung einer Erkundigungspflicht nicht entziehen kann, ohne sich nach der verständigen Auffassung der beteiligten Handelskreise (§ 346 HGB) dem Vorwurf eines leichtfertigen Verhaltens auszusetzen (vgl. Sen. Urt. v. 24.5.65 – II ZR 210/62, LM ScheckG Art. 21 Nr. 7).

Das Berufungsgericht hat, wie die Revision zutreffend rügt, die hierfür maßgebenden Umstände nicht erschöpfend berücksichtigt (§ 286 ZPO). Es hat für seine rechtliche Beurteilung einen Sachverhalt unterstellt, der der technischen Abwicklung der Scheckeinreichungen im Bankbetrieb, jedenfalls dem einer Großbank wie der Beklagten, im maßgeblichen Zeitpunkt nicht mehr entsprach. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß der das Konto von Angst betreuende Kontenführer der Beklagten, falls es ihn noch gegeben haben sollte, volle Übersicht über die Vorgänge auf diesem Konto gehabt und alle Angaben aus den Überweisungsaufträgen und den Verrechnungsschecks gekannt hat. Anders läßt sich seine Annahme nicht erklären, dem Kontenführer hätte auffallen müssen, daß die in den Schecks angegebene Zahlungsempfängerin mit der Arbeitgeberin von Angst, die sich aus den Überweisungsformularen habe ersehen lassen, identisch sei. Hierbei ist unberücksichtigt geblieben, daß der Scheckverkehr als Massengeschäft die Banken schon seit langem zu einer Verteilung und Spezialisierung der mit seiner bankinternen Abwicklung verbundenen Aufgaben gezwungen hat. Dies führte dazu, daß dem Kontenführer der im Scheck angegebene Zahlungsempfänger nicht mehr bekannt wird: Das Scheckeinreichungsformular, das der Kunde ausgefüllt zusammen mit dem Scheck der Bank vorlegt, enthält keine Angabe über den Zahlungsempfänger (vgl. BGH, Urt. v. 12.7.65 – II ZR 191/63, WM 1965, 972, 973; Liesecke, WM 1965, 1146, 1148). Daß sich die Bank im allgemeinen darum auch nicht zu kümmern braucht, hat der Senat im Urteil vom 20. Januar 1969 – II ZR 225/66, LM ScheckG Art. 3 Nr. 2 ausgesprochen. Vom Bankschalter oder der Postöffnungsstelle gelangen Schecks und Einreicherliste in die Scheckabteilung, wo sie nach weiterer Bearbeitung getrennt werden. Die Einreicherliste wird an die Kontenabteilung weitergegeben, welche die Buchhaltung der Kundenkonten führt. Sie schreibt die in dem Einreicherverzeichnis aufgeführten Endsummen den Kundenkonten gut. Damit ist dem tatsächlichen Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, der Kontenführer habe aus den Angaben in den Überweisungsformularen und den Schecks die Identität zwischen der Arbeitgeberin von A. und der im Scheck genannten Zahlungsempfängerin erkennen können, die Grundlage entzogen. Da alle weiteren Erwägungen, aus denen das Berufungsgericht die grobe Fahrlässigkeit der Beklagten hergeleitet hat, auf dieser unrichtigen Tatsache aufbauen, verfällt damit das Berufungsurteil der Aufhebung.

III. Die Sache braucht nicht an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden, weil weitere tatsächliche Feststellungen nicht mehr in Betracht kommen und der Rechtsstreit zur Abweisung der Klage reif ist. (§ 565 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Der von der Klägerin vorgetragene Sachverhalt und die Feststellungen des Berufungsgerichts rechtfertigen es nicht, der Beklagten grob fahrlässiges Verhalten bei der Hereinnahme der Schecks vorzuwerfen.

1. Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht angenommen, die Umstände bei der Kontoeröffnung im Jahre 1967 rechtfertigten nicht den Vorwurf grober Fahrlässigkeit, die bis zur Einreichung der Schecks fortgewirkt habe. Zwar sei nicht auszuschließen, daß die Beklagte die Angabe von Angst, er sei „Industriekaufmann”, nicht nachgeprüft habe. Auch hätte der Zusatz „Marley-Werke” dem Bediensteten der Beklagten Anlaß zu der Frage geben können, ob A. Angestellter dieser Firma oder selbständiger Kaufmann sei. Dennoch habe sich der Beklagten der Verdacht, A. werde das Konto zu unredlichen Zwecken mißbrauchen, nicht aufzudrängen brauchen. Dies steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats (Urt. v. 10.12.73 – II ZR 138/72, WM 1974, 154 m.w.N.).

2. Maßgebend für die Prüfung, ob einer Bank bei der Hereinnahme eines Verrechnungsschecks grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt, ist in entsprechender Anwendung von § 166 Abs. 1 BGB das Wissen der Person, die die Bank bei der Annahme des Schecks vertritt. Dies ist vor allem der Angestellte am Annahmeschalter. Er hat in eigener Verantwortung zu prüfen, ob die Bank den Scheck hereinnehmen soll. Die Klägerin hat nicht behauptet, der Schalterbeamte der Zweigstelle Höhenluft der Beklagten habe gewußt, daß A. bei ihr angestellt sei. Nach ihrem Vortrag war dies der Beklagten lediglich aus den Gehaltsüberweisungen bekannt. Da aber die Beklagte nach der Feststellung im Tatbestand des angefochtenen Urteils die Überweisungsaufträge in ihrer Hauptstelle verbuchte, mußte dem Schalterbeamten bei der Zweigstelle diese Tatsache nicht bekannt sein. Die übrigen Umstände brauchten in ihm den die Erkundigungspflicht auslösenden Verdacht unredlichen Verhaltens des Scheckeinreichers nicht zu erwecken. Die bloße Tatsache, daß in den Schecks eine vom Einreicher verschiedene Person als Zahlungsempfängerin angegeben war, gibt noch keinen Anlaß zu besonderer Vorsicht bei der Hereinnahme (vgl. Sen. Urt. v. 24.5.65 aaO). Das vom Berufungsgericht zur Begründung der groben Fahrlässigkeit unterstützend mit herangezogene Fehlen von Indossamenten der Klägerin brauchte bei der Beklagten keinen Verdacht zu erwecken. Bei Inhaberschecks bedarf es keiner Indossierung durch den Zahlungsempfänger. Die Einzugsbank kann deshalb, ohne grob fahrlässig zu handeln, annehmen, der Erwerber habe den Scheck von der Firma, auf die er zahlbar gestellt ist, wirksam erworben (Baumbach/Hefermehl, Wechsel- und Scheckgesetz 11. Aufl. ScheckG Art. 39 Anm. 16). Die Anzahl der Schecks und die Höhe der Scheckbeträge boten, da die mit ihrer Bearbeitung befaßten Angestellten der Beklagten keinen Verdacht gegen die Person des Einreichers zu hegen brauchten, keinen Anlaß zu Nachforschungen. Der Umstand, daß nach der Feststellung des Berufungsgerichts die Klägerin Kundenverrechnungsschecks nicht an Dritte weiterzugeben pflegt, rechtfertigt schon deshalb nicht den Vorwurf grob fahrlässigen Verhaltens, weil weder behauptet noch festgestellt ist, daß dies den Angestellten der Klägerin bekannt war oder bekannt sein mußte. Davon kann nicht ohne weiteres ausgegangen werden, weil die Klägerin unbestritten mit der Beklagten nicht in Geschäftsbeziehungen stand. Dem Berufungsgericht kann schließlich auch nicht darin gefolgt werden, daß die von der Beklagten eingeholte Kreditauskunft über A. Veranlassung zur Nachprüfung seiner Besitzberechtigung an den Schecks gegeben habe, weil nunmehr habe auffallen müssen, daß A. in einer anderen Branche als die als Herstellerin von Elektrogeräten bekannte Klägerin tätig sei. Die Anforderungen an den auf Schnelligkeit ausgerichteten Scheckverkehr würden überspannt, wollte man von einer Bank verlangen, allein aufgrund der Branchenverschiedenheit von Scheckeinreicher und Zahlungsempfänger Nachforschungen anzustellen, insbesondere wenn es sich – wovon die Beklagte nach der Auskunft ausgehen mußte – bei beiden um selbständige Gewerbetreibende handelt.

Schon aus diesen Gründen kann die Klage keinen Erfolg haben, so daß der Senat die vom Berufungsgericht erörterte Frage nicht zu entscheiden brauchte, ob sich die Bank gegenüber dem Scheckeigentümer darauf berufen kann, ihre Prüfungsmöglichkeiten seien durch Einführung der elektronischen Datenverarbeitung noch weiter eingeschränkt.

 

Unterschriften

Stimpel, Dr. Bauer, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Kellermann ist beurlaubt und deshalb verhindert zu unterschreiben. Stimpel, Dr. Tidow, Bundschuh

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1134339

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