Verfahrensgang

LG Schwerin (Urteil vom 18.05.2001)

 

Tenor

1.

Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 18. Mai 2001 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte vom Vorwurf, ihren schlafenden Ehemann B. P. heimtückisch getötet zu haben, freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wenden sich mit ihren auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen gegen diesen Freispruch. Die Rechtsmittel haben Erfolg.

1. Nach den – insoweit rechtsfehlerfrei – getroffenen Feststellungen tötete die Angeklagte in der Zeit zwischen 22.00 Uhr und 6.30 Uhr des folgenden Morgens im Schlafzimmer der gemeinsamen Wohnung ihren Ehemann durch zwei Schüsse aus einer Kleinkaliberpistole. Jeder der beiden Schüsse, die das Opfer linksseitig vorne in den Oberkörper und in die rechte Hinterkopfseite getroffen hatten, war für sich genommen tödlich. Die Waffe hatte sich die Angeklagte tags zuvor für einige Tage in einem Schützenverein ausgeliehen. Zwei zugehörige Patronen hatte sie dort heimlich an sich genommen. Die Leiche, sowie die mit Blut verschmierte Bettwäsche und eine Reisetasche verbrannte und vergrub die Angeklagte zwei Tage später in einem Waldstück.

2. Das Landgericht hat nicht auszuschließen vermocht, daß die Angeklagte, die bestreitet, ihren Ehemann getötet zu haben, in Notwehr gehandelt hat. Es hat sie deshalb aus Rechtsgründen freigesprochen.

Die Strafkammer geht davon aus, B. P., der seit Jahren immer wieder aus nichtigen Anlässen gegen die Angeklagte gewalttätig geworden sei, habe diese auch in der Tatnacht angegriffen, um sie zu schlagen. Der Angeklagten sei es gelungen, die Tatwaffe, die sie in der Wohnung versteckt gehalten habe, zu ergreifen. Sie habe ihrem Ehemann zunächst damit gedroht. Als dieser sich ihr trotzdem bedrohlich genähert und versucht habe, ihr die Waffe wegzunehmen und sie zu „verprügeln”, habe sie aus „Angst und Erregung” zweimal kurz hintereinander geschossen. Der erste Schuß habe das Opfer vorne in den Oberkörper getroffen. Als B. P., „sich nach links unten drehend” (UA 10), auf sie gestürzt sei und versucht habe, sie an den Beinen oder am Rumpf zu packen, habe sie den zweiten Schuß abgegeben, der das Opfer in den Hinterkopf getroffen habe.

3. Die Erwägungen, auf die die Strafkammer das nicht ausschließbare Vorliegen des Rechtfertigungsgrundes der Notwehr stützt, halten sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Zwar darf der Angeklagten kein Nachteil daraus erwachsen, daß sie die Tat bestreitet und deshalb nicht in der Lage ist, ohne sich in Widerspruch zu ihrer Einlassung zu setzen, entlastende Umstände zum Vorliegen einer Notwehrsituation vorzutragen. In einem solchen Fall ist von der für sie günstigsten Möglichkeit auszugehen, die nach den gesamten Umständen in Betracht kommt (vgl. BGH StV 1990, 9). Dabei sind jedoch nicht alle nur denkbaren Gesichtspunkte, zu denen keine Feststellungen getroffen werden können, zu Gunsten der Angeklagten zu berücksichtigen. Vielmehr berechtigen nur vernünftige Zweifel, die reale Anknüpfungspunkte haben, den Tatrichter zu Unterstellungen zu Gunsten der Angeklagten (vgl. BGH aaO; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 18, 22). Die Urteilsgründe müssen deshalb erkennen lassen, daß die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Grundlage beruht und die vom Gericht gezogene Schlußfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist (BGHR StPO § 261 Vermutung 11).

Diesen Anforderungen an die Beweiswürdigung genügt das angefochtene Urteil nicht.

Einziger Anhaltspunkt dafür, daß die Angeklagte in Notwehr gehandelt haben könnte, ist der Umstand, daß B. P. seine Ehefrau nicht nur seit Jahren betrog, sondern häufig auch schlug. Die Annahme, daß ein solcher körperlicher Übergriff durch B. P. auch in der Tatnacht stattgefunden und die Angeklagte zur Notwehr berechtigt hat, stützt die Strafkammer auf zwei Umstände, denen sie „erhebliches Gewicht” beimißt (UA 34): Gegen eine Tatplanung und für eine Notwehrsituation spreche zum einen der Zeitpunkt der Tatausführung. Wegen eines auf den Folgetag der Tat kurzfristig angekündigten Besuchs eines Verwandten ihres Ehemannes habe die Angeklagte mit einer alsbaldigen Nachfrage nach dessen Verbleib rechnen müssen. Wäre die Tat geplant gewesen, hätte es nahegelegen, diese zu verschieben, was möglich gewesen wäre, da die Angeklagte sich die Waffe erneut hätte verschaffen können. Zum anderen spreche gegen eine geplante Tötung, daß die Angeklagte das Fahrzeug, mit welchem sie die Leiche abtransportiert habe, nicht bereits vor der Tat, sondern erst danach ausgeliehen habe.

Weder der Frage des Tatzeitpunkts, noch dem Umstand, daß die Angeklagte erst nach der Tat das Fahrzeug zum Abtransport der Leiche organisierte, kann jedoch der von der Strafkammer zugrundegelegte Beweiswert zugemessen werden.

aa) Das Landgericht legt nicht dar, weshalb es sich für die Angeklagte für den Fall einer Tatplanung ihres Ehemannes aufgedrängt haben könnte, sich schon im Rahmen der Tatvorbereitung um ein Fahrzeug für den Abtransport der Leiche zu bemühen. Vielmehr spricht die Feststellung, daß sich der Getötete häufig, auch über Nacht, außer Haus aufhielt, ohne die Angeklagte hierüber zuvor zu informieren (UA 7) – dies war auch in der ersten Nacht nach Beschaffung der Tatwaffe der Fall (UA 8) – dafür, daß die Angeklagte selbst bei Planung der Tat wegen des für sie nicht vorhersehbaren Tatzeitpunkts jedenfalls keine bis ins einzelne gehende Vorkehrungen für die Spurenbeseitigung treffen konnte. Mit diesem Umstand setzt sich die Strafkammer nicht auseinander.

bb) Mit ihrer Annahme, der Zeitpunkt der Ausführung der Tat spreche wegen des erhöhten Entdeckungsrisikos gegen eine geplante Tat, trägt die Strafkammer den übrigen Urteilsfeststellungen nicht hinreichend Rechnung. Danach gelang es der Angeklagten nämlich am Morgen nach der Tötung ihres Ehemannes, ihrem Schwager, ohne bei diesem Mißtrauen zu erwecken, eine plausible Erklärung für die Abwesenheit ihres Ehemannes zu geben (UA 10). Auch der Tatzeitpunkt ist deshalb kein geeignetes Argument, eine Notwehrlage „naheliegender erscheinen” zu lassen als eine auf einem spontanen Entschluß der Angeklagten beruhende, nicht gerechtfertigte Tötung ihres Ehemannes.

b) Dagegen hat das Landgericht eine Vielzahl von Umständen festgestellt, die dafür sprechen, daß die Angeklagte nicht gehandelt hat, um einen gegenwärtigen Angriff von sich abzuwenden, sondern um sich ihres Ehemannes, dessen Demütigungen und Gewalttätigkeiten sie nicht länger hinnehmen wollte, auf Dauer zu entledigen.

aa) Soweit das Landgericht jedes dieser Indizien einzeln in seiner Beweisbedeutung untersucht hat und dabei zu dem Ergebnis gelangt ist, daß auch eine die Angeklagte nicht belastende Deutung möglich erscheint, läßt diese Vorgehensweise besorgen, daß die Strafkammer den Zweifelsgrundsatz rechtsfehlerhaft schon auf einzelne Indiztatsachen angewandt und sich so den Blick dafür verstellt hat, daß mehrdeutige Indizien mit der ihnen zukommenden Ungewißheit in die erforderliche Gesamtwürdigung einzustellen sind (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 24). So gelangt das sachverständig beratene Landgericht beispielsweise in rechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis, die Reihenfolge der Schußabgabe könne nicht mehr festgestellt werden (UA 28). Es durfte dieses „non liquet” jedoch nicht, wie geschehen, zum Anlaß nehmen, außerhalb der gebotenen Gesamtabwägung zu Gunsten der Angeklagten davon auszugehen, daß das Tatopfer zuerst in die linke vordere Oberkörperhälfte getroffen wurde und der Schuß in den Hinterkopf erst erfolgte, als B. P. in Richtung der Angeklagten stürzte, sie zu packen versuchte und sich dabei nach links unten drehte. Es läßt sich nicht ausschließen, daß die isolierte Bewertung dieser und weiterer Indiztatsachen sich im Rahmen der Gesamtabwägung rechtsfehlerhaft zum Vorteil der Angeklagten ausgewirkt hat.

bb) Hinzu kommt, daß die Strafkammer einem vom Zeugen R. geschilderten Gespräch mit der Angeklagten (UA 31 f.) in rechtlich zu beanstandender Weise keine entscheidende Aussagekraft zugebilligt hat. Diese Schlußfolgerung beruht auf einer unzureichenden Beweiswürdigung. Der Zeuge hat angegeben, mit der Angeklagten ca. zwei bis drei Monate vor der Tat ein Gespräch über „genau die Art der Tötung und Leichenbeseitigung” geführt zu haben, wie sie beim Tatopfer „später angewandt” worden sei. Die Strafkammer hat zwar nicht ausgeschlossen, daß es ein Gespräch dieses Inhalts gab, hat aber nicht festzustellen vermocht, daß die Angeklagte dieses Gespräch mit dem ihr „in keiner Weise nahestehenden” Mitschüler suchte, um sich bei diesem gezielt nach Möglichkeiten, einen Menschen zu töten und die Spuren einer solchen Tat zu beseitigen, zu erkundigen. Das Landgericht ist deshalb der Auffassung, daß dieses Gespräch mit einer Tatplanung ebenso vereinbar sei, wie mit der Möglichkeit, daß sich die Angeklagte erst nach der gerechtfertigten Tötung ihres Ehemannes dieses Gesprächs erinnerte und ihre Erkenntnisse daraus für die Beseitigung der Leiche nutzte. Hiermit nicht in Einklang zu bringen ist die Aussage des Zeugen bei der Polizei, er sei von der Angeklagten angesprochen worden. Die Strafkammer berücksichtigt bei ihrer Würdigung auch nicht, daß das Gespräch mit dem Zeugen R. nicht nur die Spurenbeseitigung, sondern auch die „Art der Tötung” eines Menschen betraf. Ihre Schlußfolgerung, die Angeklagte habe ihre Erkenntnisse aus dem Gespräch nur für die Beseitigung der Leiche genutzt, schöpft den Beweiswert der Zeugenaussage daher nicht vollständig aus. Um die dem Gespräch beigemessene Bedeutung nachvollziehen zu können, hätte es deshalb der näheren Darlegung der Aussage des Zeugen zum Zustandekommen, Verlauf und Inhalt seiner Unterhaltung mit der Angeklagten bedurft.

cc) Daß keiner der Wohnungsnachbarn die beiden Schüsse akustisch wahrgenommen hat, bewertet die Strafkammer ebenfalls als „mehrdeutiges” Indiz (UA 27). Die fehlende Wahrnehmung der Schüsse läßt sich nach Auffassung des Landgerichts sowohl auf eine mögliche Geräuschabdeckung bei Abgabe der Schüsse unter Zuhilfenahme des später von der Angeklagten verbrannten Kopfkissens als auch auf den alltäglich herrschenden Lärm in der Hochhaussiedlung, in der sich die eheliche Wohnung der Angeklagten befand, zurückführen. Auch hier weist die Beweiswürdigung Lücken auf. Die Strafkammer setzt sich – trotz erfolgter Tatrekonstruktion – weder mit der Tatsache auseinander, daß in den späten Abend- bzw. Nachtstunden auch in einem Hochhaus die Intensität von Alltagsgeräuschen nachläßt, noch damit, daß die Schüsse nach den getroffenen Feststellungen nicht unmittelbar nacheinander abgegeben wurden, sondern ein kurzer zeitlicher Abstand zwischen den Schüssen liegen mußte, was bei fehlender Schalldämpfung zusätzlich zu einer besseren Wahrnehmbarkeit führen konnte.

Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.

4. Mit der Urteilsaufhebung ist die sofortige Beschwerde der Angeklagten gegen die Kostenentscheidung und die Entscheidung über die Haftentschädigung im angefochtenen Urteil gegenstandslos.

 

Unterschriften

Tepperwien, Kuckein, Athing, Richterin am Bundesgerichtshof Solin-Stojanović ist infolge Urlaubs an der Unterschrift gehindert. Tepperwien, Sost-Scheible

 

Fundstellen

Haufe-Index 2559995

NStZ-RR 2002, 243

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