Entscheidungsstichwort (Thema)

Verminderung der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit bei selbstverschuldetem Verlust des Arbeitsplatzes

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, ob ein Unterhaltspflichtiger, der seinen Arbeitsplatz wegen wiederholten Arbeitsantritts in alkoholisiertem Zustand verloren hat, die dadurch eingetretene Verminderung seiner Leistungsfähigkeit einem Unterhaltsberechtigten entgegenhalten kann (Fortführung des Senatsurteils vom 12. Mai 1993 – XII ZR 24/92 = FamRZ 1993, 1055).

 

Normenkette

BGB §§ 1603, 1610, 1361, 1361 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 13.05.1992)

AG Melsungen

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 2. Familiensenats in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 13. Mai 1992 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Parteien wären seit dem 4. November 1988 verheiratet und lebten seit November/Dezember 1989 getrennt. Ihre Ehe, aus der ein am 2. Februar 1989 geborener Sohn hervorgegangen ist, ist seit Februar 1992 rechtskräftig geschieden. Der Kläger ist wieder verheiratet.

Am 24. August 1990 erwirkte die Beklagte ein Anerkenntnisurteil, durch welches der Kläger verurteilt wurde, an die Beklagte monatliche Unterhaltsrenten von 972 DM für diese selbst und von 355 DM für das Kind der Parteien zu zahlen. Damals bezog der Kläger bei der Firma V. AG ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von 3.460 DM.

Die Beklagte ging wegen der Betreuung des Kindes keiner Erwerbstätigkeit nach.

Mit der im März 1991 erhobenen Abänderungsklage begehrt der Kläger die Herabsetzung der Unterhaltsverpflichtung, da er ab Januar 1991 nur noch monatlich 1.640 DM netto in einem Hosengeschäft verdiene. Den Arbeitsplatz bei der Firma V. AG hat er durch Kündigung des Arbeitgebers zum 30. November 1990 verloren, nachdem er im Oktober 1990 zweimal, und zwar beim zweiten Mal trotz ausdrücklicher Abmahnung durch den Arbeitgeber nach dem ersten Vorfall, unter Alkoholeinfluß am Arbeitsplatz erschienen war. Er hatte jeweils vor Beginn der Spätschicht mit Freunden Gaststätten aufgesucht und dort Alkohol zu sich genommen.

Das Amtsgericht hat die Abänderungsklage abgewiesen. Es hat dem Kläger verwehrt, sich auf seine mangelnde bzw. eingeschränkte Leistungsfähigkeit zu berufen; denn er habe den Verlust seiner gut bezahlten Arbeitsstelle durch leichtfertiges und verantwortungsloses Verhalten vorwerfbar selbst verursacht.

Mit der Berufung gegen dieses Urteil hat der Kläger geltend gemacht, der Verlust seines Arbeitsplatzes bei der V. AG sei auf eine trennungsbedingte seelische Entgleisung zurückzuführen gewesen; ein leichtfertiges und verantwortungsloses Handeln im unterhaltsrechtlichen Sinn liege deshalb nicht vor. Er könne bei seinen derzeitigen Einkommensverhältnissen nicht mehr als monatlich insgesamt 340 DM Unterhalt zahlen. Für die Zeit ab 1. März 1992 hat er im Wege des Übergangs zur Vollstreckungsabwehrklage beantragt, die Zwangsvollstreckung aus dem Anerkenntnisurteil wegen des Ehegattenunterhalts für unzulässig zu erklären.

Das Oberlandesgericht hat das amtsgerichtliche Urteil – unter Abweisung der weitergehenden Klage – teilweise abgeändert und die Verurteilung des Klägers nach dem Anerkenntnisurteil dahin herabgesetzt, daß er vom 1. April 1991 bis einschließlich Februar 1992 monatlich (nur noch) 389 DM Ehegattenunterhalt und 75 DM Kindesunterhalt, sowie ab 1. März 1992 monatlich 340 DM Kindesunterhalt an die Beklagte zu zahlen hat. Ferner hat es dem Vollstreckungsabwehrbegehren stattgegeben.

Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren auf Abweisung der Abänderungsklage weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Entgegen ihrem Hauptanliegen ist der Kläger nicht an seinem früheren, bei der Firma V. AG erzielten Einkommen festzuhalten.

1. a) Der Senat hat sich nach Erlaß des Berufungsurteils in dem Urteil vom 12. Mai 1993 (XII ZR 24/92 = BGHR BGB § 1603 Abs. 1 Leistungsfähigkeit 6 = FamRZ 1993, 1055, 1056; dort in einem Fall von Kindesunterhalt) – unter Auswertung der bisherigen Rechtsprechung zu ähnlich liegenden Fällen – näher mit der Frage auseinandergesetzt, welche Auswirkungen ein zwar selbst verschuldeter, aber doch ungewollter Arbeitsplatzverlust eines Verpflichteten (Ehegatten oder Elternteils) auf seine unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit hat, und unter welchen Voraussetzungen der Verpflichtete sich auf die durch ein solches Verhalten eingetretene Verminderung seiner Leistungsfähigkeit dem Berechtigten gegenüber berufen kann. Der Senat hat sich dabei der auch im Schrifttum vertretenen Auffassung angeschlossen, daß die unterhaltsrechtliche Vorwerfbarkeit einer durch einen selbstverschuldeten Verlust des Arbeitsplatzes entstehenden Einkommensminderung auf schwerwiegende Fälle zu beschränken ist und Fälle leichteren Verschuldens hiervon auszunehmen sind, insbesondere wenn sich das Fehlverhalten nicht gegen den Unterhaltsberechtigten gerichtet hat. Für den unterhaltsrechtlichen Bezug des Fehlverhaltens reicht es nicht aus, daß dieses für den Arbeitsplatzverlust kausal geworden ist, zumal die Folgen einer auf diese Weise entstehenden Einkommensverminderung die unterhaltsberechtigten Angehörigen auch in intakter Ehe treffen und als durch die Wechselfälle des Lebens bedingt hingenommen werden.

Auf dieser Grundlage hat der Senat entschieden, daß es in den Fällen eines zwar selbst verschuldeten aber doch ungewollten Arbeitsplatzverlustes stets einer auf den Einzelfall bezogenen Wertung dahin bedarf, ob es sich bei dem Fehlverhalten um eine schwerwiegende oder eine nur durch leichteres Verschulden geprägte Tat handelt, und ob die dieser zugrundeliegenden Vorstellungen und Antriebe sich auch auf die Verminderung der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit als Folge des Verhaltens erstreckt haben. Dies wird in der Regel Feststellungen dazu erfordern, ob sich der Verpflichtete mit seinem Fehlverhalten am Arbeitsplatz bzw. gegenüber seinem Arbeitgeber der Unterhaltsverpflichtung hat entziehen wollen, oder ob ihm jedenfalls bewußt war, daß er als Folge seines Verhaltens Nachteile in seiner unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit erleiden könnte.

b) Nach den hiernach anzulegenden Maßstäben hält das angefochtene Urteil der revisionsrechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.

Der Revision ist zwar zuzugeben, daß sich der Kläger „in grober Weise arbeitsvertragswidrig” verhalten haben dürfte, als er innerhalb kurzer Zeit zweimal, beim zweiten Mal noch dazu trotz vorheriger Abmahnung durch den Arbeitgeber, unter Alkoholeinfluß an seinem Arbeitsplatz erschienen ist. Gleichwohl kann hieraus unter den hier festgestellten Umständen nicht auch auf ein in unterhaltsrechtlicher Hinsicht schwerwiegendes Fehlverhalten des Klägers in dem Sinn geschlossen werden, daß ihn deshalb, wie die Revision geltend macht, der Vorwurf einer groben unterhaltsbezogenen Verantwortungslosigkeit träfe. Dem steht die tatrichterliche Beurteilung der Persönlichkeit des Klägers entgegen, aus der das Berufungsgericht die Erklärung für sein Verhalten hergeleitet hat.

Das Oberlandesgericht ist dabei zwar davon ausgegangen, daß die hier maßgebliche unterhaltsbezogene Leichtfertigkeit „gleichbedeutend (sei) mit der Voraussetzung des bedingten Vorsatzes”. Das trifft so nicht zu. Vielmehr kann auch bewußte Fahrlässigkeit die Voraussetzungen der unterhaltsrechtlichen Leichtfertigkeit erfüllen; dies wird sogar überwiegend der Fall sein (vgl. zu § 1579 Abs. 1 Nr. 3 BGB Senatsurteil vom 8. Juli 1981 – IVb ZR 593/80 = FamRZ 1981, 1042, 1044/45 unter 2 b cc m.w.N.). Gleichwohl hält die Beurteilung des Berufungsgerichts trotz des von ihm zugrunde gelegten unzutreffenden Maßstabes der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand. Denn das Gericht hat nach dem Inhalt und Zusammenhang der in dem angefochtenen Urteil dargelegten Gründe letztlich rechtsfehlerfrei ein unterhaltsbezogen leichtfertiges Verhalten des Klägers nach seiner Persönlichkeit und seinem Naturell verneint.

So hat das Berufungsgericht den Kläger nach dem Eindruck, den er in der Verhandlung vermittelt hat, als einen einfach strukturierten jungen (1966 geborenen) Mann beurteilt, der sich offenbar durch „unbedachtes und sorgloses Verhalten” zu den Gaststättenbesuchen und dem Alkoholgenuß vor Antritt seiner Spätschicht habe hinreißen lassen. Diese Bewertung findet eine Bestätigung in dem Umstand, daß der Kläger den Ablauf der Geschehnisse, die zu seiner Kündigung geführt haben, in der mündlichen Verhandlung vor dem Familiengericht offen, sachlich und erkennbar zutreffend geschildert hat, ohne nach Ausflüchten zu suchen oder sich – abgesehen von dem Hinweis, daß er irgendwie einen „Blackout” gehabt haben müsse – auf Rechtfertigungsgründe zu berufen. Das Berufungsgericht hat es unter den gegebenen Umständen als möglich – und wohl auch wahrscheinlich – angesehen, daß es sich bei beiden Vorfällen, ähnlich wie bei dem Führen eines Kraftfahrzeuges unter Alkoholeinfluß, um ein typisch jugendlich unüberlegtes Vorgehen gehandelt habe, verbunden mit dem Gedanken „schon nicht aufzufallen”. Gegen diese Beurteilung sind aus Rechtsgründen keine Bedenken zu erheben. Sie schließt die Annahme aus, die Vorstellungen und Antriebe des Klägers hätten sich bei Antritt der Gaststättenbesuche und dem dortigen Alkoholkonsum nicht nur auf einen drohenden Verlust seines Arbeitsplatzes, sondern darüber hinaus auch auf eine Verminderung seiner unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit erstreckt. Der Kläger hat zwar nach der Beurteilung des Berufungsgerichts sorglos und leichtsinnig gehandelt. Es bestehen aber keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, daß er sich mit seinem Verhalten seiner Unterhaltsverpflichtung hat entziehen wollen oder auch nur an die Möglichkeit unterhaltsrechtlicher Konsequenzen des Alkoholgenusses gedacht hat. Dies war ersichtlich in der „einfach strukturierten” Persönlichkeit des jungen und noch wenig gereiften Klägers begründet, durch die seine Erwerbs- und Leistungsfähigkeit im Sinne der §§ 1603, 1361 Abs. 1 Satz 1 BGB als Grundlage der Lebensverhältnisse der Familie geprägt war. Daß ihn insoweit nicht der Vorwurf grober unterhaltsrechtlicher Verantwortungslosigkeit trifft, wird vor allem auch bestätigt durch seine – offenbar ohne Verzögerung und mit Nachdruck aufgenommenen – Bemühungen um einen neuen Arbeitsplatz, die innerhalb kurzer Zeit zu einem Erfolg geführt haben.

2. a) Zur Bemessung des auf der Grundlage des verringerten Erwerbseinkommens des Klägers geschuldeten Ehegatten (Trennungs-) und Kindesunterhalts hat das Berufungsgericht ausgeführt: Bei dem Verdienst von monatlich nur 1.640 DM könne angesichts der Unterhaltspflicht gegenüber der Ehefrau und einem Kleinkind der geltend gemachte Kreditbetrag für ein aus der Ehezeit stammendes Darlehen von monatlich 200 DM jedenfalls für die Dauer der Trennung und bis zum Antritt einer besser bezahlten Arbeitsstelle nicht einkommensmindernd anerkannt werden. Der Kläger sei vielmehr darauf zu verweisen, mit dem Abtrag vorübergehend auszusetzen. Allerdings sei zu berücksichtigen, daß der Gläubiger angesichts einer gegenüber zwei Personen bestehenden Unterhaltsverpflichtung monatlich 125,60 DM pfänden könne. Nach Abzug dieses somit in Rechnung zu stellenden Betrages verblieben für Unterhaltszwecke bei Wahrung des notwendigen Mindestbedarfs des Klägers von 1.050 DM noch monatlich 464 DM (genau: 464,40 DM). Diese verteilten sich nach Durchführung einer Mangelbedarfsberechnung zu 389 DM auf die Beklagte und 75 DM auf den Kindesunterhalt.

Für die Zeit ab März 1992 (nach Rechtskraft des Scheidungsurteils) hat das Oberlandesgericht den Kindesunterhalt – unter Abänderung des Anerkenntnisurteils vom 24. August 1990 – auf monatlich 340 DM herabgesetzt, da der Kläger auch weiterhin diesen Betrag leisten wolle und die Aufteilung auf die Ehefrau und das Kind offengelassen habe.

b) Die hiergegen von der Revision erhobenen Bedenken greifen nicht durch.

Die Revision hält zwar für fraglich, ob die Kreditrate von monatlich 200 DM hinreichend substantiiert dargetan sei, um als leistungsmindernd berücksichtigt werden zu können; sie meint aber im übrigen, jedenfalls könne bei der Unterhaltsberechnung nicht anstelle der Kreditrate ein pfändbarer Betrag von monatlich 125,60 DM von dem Einkommen des Klägers abgezogen werden, zumal nicht feststehe, daß der Darlehensgläubiger tatsächlich in der Lage wäre, in dieser Höhe im Wege der Vollstreckung auf die Einkünfte des Klägers zuzugreifen.

Damit hat die Revision keinen Erfolg.

Wie zwischen den Parteien unstreitig ist, wurde die fragliche Darlehensverbindlichkeit bereits bei der Unterhaltsbemessung in dem Anerkenntnisurteil vom 24. August 1990 berücksichtigt. Damals hatte der Kläger in der Verhandlung vor dem Amtsgericht vorgetragen, er habe Darlehensverbindlichkeiten zurückzuführen, die monatlich mindestens 350 DM betrügen und aus einem Darlehen herrührten, welches zwar vor der Ehezeit begründet, aber in der Ehezeit zur Anschaffung eines Schlafzimmers aufgestockt worden sei. Dem war die Beklagte seinerzeit nicht entgegengetreten. Der geschuldete Unterhalt wurde sodann unter Berücksichtigung der genannten Darlehensschuld errechnet. Mit der vorliegenden Abänderungsklage hat der Kläger zu diesem Punkt vorgetragen, er zahle auch zur Zeit weiterhin monatlich 200 DM auf die genannte Darlehensverbindlichkeit aus der Ehezeit. Das hat die Beklagte nicht bestritten. Damit ist zwischen den Parteien unstreitig, daß die aus der Ehezeit herrührende Darlehensverbindlichkeit noch nicht getilgt ist und von dem Kläger weiterhin mit monatlichen Raten in Höhe von derzeit 200 DM bedient wird. Insoweit ist mithin (abgesehen von der Höhe der gezahlten Raten) keine Änderung in den Verhältnissen seit Erlaß des Anerkenntnisurteils eingetreten, so daß die Kreditrate an sich weiterhin in der vollen derzeitigen Höhe von monatlich 200 DM einkommensmindernd zu berücksichtigen wäre. Daß das Oberlandesgericht demgegenüber nur einen Betrag von monatlich 125,60 DM leistungsmindernd anerkannt hat, enthält keinen Rechtsfehler zu Lasten der Beklagten.

c) Das Berufungsgericht hat der Beklagten (geminderten) Trennungsunterhalt bis Ende Februar 1992 zugesprochen und die Vollstreckung von Ehegattenunterhalt aus dem Anerkenntnisurteil vom 24. August 1990 ab 1. März 1992 für unzulässig erklärt.

Nach der Rechtsprechung des Senats wird Trennungsunterhalt nur bis zum Tag der Rechtskraft des Scheidungsurteils und nicht für den vollen Monat geschuldet, in den die Scheidung fällt (BGHZ 103, 62, 67 m.N.). Das nötigt indessen nicht zu einer – teilweisen – Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Verfahrens an das Oberlandesgericht mit dem Ziel der Feststellung des Tages, an dem das Scheidungsurteil „im Februar 1992” rechtskräftig geworden ist. Denn eine Abänderung des angefochtenen Urteils zu Lasten der Beklagten kommt insoweit wegen des Verbots der Schlechterstellung des Rechtsmittelführers nicht in Betracht.

 

Unterschriften

Blumenröhr, Krohn, Zysk, Hahne, Gerber

 

Fundstellen

Haufe-Index 884741

NJW 1994, 258

Nachschlagewerk BGH

FPR 1998, 48

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