Entscheidungsstichwort (Thema)

Herabsetzung des nachehelichen Unterhalts bei Eintritt der Sozialhilfebedürftigkeit der neuen Familie des Unterhaltsschuldners bei Fortsetzung der vollen Unterhaltszahlung

 

Leitsatz (amtlich)

Daß die neue Familie des Unterhaltsverpflichteten bei Erfüllung des Unterhaltsanspruchs des geschiedenen Ehegatten unterhalb der „Sozialhilfeschwelle” leben muß, rechtfertigt für sich nicht, den Unterhaltsanspruch des mit den Familienangehörigen gleichrangigen Berechtigten aufgrund des § 1579 Nr. 7 BGB herabzusetzen und ihn auf ergänzende Sozialhilfe zu verweisen.

 

Normenkette

BGB §§ 1572, 1579 Nr. 7

 

Verfahrensgang

OLG Hamburg

AG Hamburg

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 12. Zivilsenats als 3. Senat für Familiensachen des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 7. April 1995 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts – Familiengericht – Hamburg vom 15. April 1994 geändert und wie folgt gefaßt: Es verbleibt bei Ziffer 1 des Teilvergleichs vom 16. März 1994 auch für die Zeit ab 1. August 1995.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren trägt der Kläger. Von den Kosten der ersten Instanz werden ihm 11/12, der Beklagten 1/12 auferlegt.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der 1945 geborene Kläger und die 1940 geborene Beklagte schlossen im Jahre 1975 die Ehe. Durch am 11. September 1986 rechtskräftig gewordenes Urteil wurde die Ehe geschieden. Die Beklagte, schon bei Eingehung der Ehe gesundheitlich beeinträchtigt, ist inzwischen infolge einer Hirnblutung erwerbsunfähig. Sie bezieht Renten von insgesamt monatlich 781,43 DM. Der Kläger, der als Busfahrer erwerbstätig ist, hatte im Jahre 1992 ein durchschnittliches Nettoeinkommen von monatlich 3.391,48 DM. Die Ehe der Parteien war kinderlos. Der Kläger ging am 7. Februar 1987 eine neue Ehe ein, aus der drei in den Jahren 1990, 1992 und 1993 geborene Kinder hervorgingen.

Durch Prozeßvergleich vom 20. August 1987 verpflichtete sich der Kläger, an die Beklagte einen monatlichen Unterhalt von 720 DM zu zahlen. Im vorliegenden Rechtsstreit beantragte er in erster Instanz, seine Unterhaltsverpflichtung aus diesem Vergleich mit Wirkung ab 1. Februar 1993 dahin abzuändern, daß der Unterhaltsanspruch der Beklagten lediglich monatlich 600 DM beträgt und bis zum 31. Juli 1995 zeitlich begrenzt wird.

In der mündlichen Verhandlung vom 16. März 1994 vor dem Amtsgericht – Familiengericht – schlossen die Parteien einen Teilvergleich, wonach die Unterhaltsverpflichtung des Klägers ab 1. März 1993 auf monatlich 600 DM herabgesetzt wird (Ziffer 1) und ein etwaiger Rückforderungsanspruch für die Vergangenheit entfällt (Ziffer 2). Die Kostenregelung sollte der Schlußentscheidung des Gerichts vorbehalten bleiben. Dem von dem Vergleich unberührt gebliebenen Begehren des Klägers, den titulierten Unterhaltsanspruch der Beklagten auf die Zeit bis zum 31. Juli 1995 zu begrenzen, gab das Amtsgericht sodann auf der Grundlage des § 1579 Nr. 7 BGB statt.

Hiergegen legte die Beklagte Berufung ein. Der Kläger schloß sich dem Rechtsmittel mit dem Antrag an, den am 16. März 1994 geschlossenen Vergleich dahin abzuändern, daß er ab 1. Januar 1995 der Beklagten nur noch einen Unterhalt von monatlich 100 DM schulde. Die Anschlußberufung hatte keinen Erfolg. Auf die Berufung der Beklagten erkannte das Oberlandesgericht in Abänderung der amtsgerichtlichen Entscheidung und der abgeschlossenen Vergleiche dahin, daß der Beklagte ab 1. August 1995 nur noch einen monatlichen Unterhalt von 200 DM zu zahlen hat. Im übrigen blieben Klage und Berufung erfolglos. Das Urteil ist veröffentlicht in FamRZ 1995, 1417. Mit der – zugelassenen – Revision wendet sich die Beklagte gegen die Verkürzung ihres Anspruchs auf monatlich 200 DM.

 

Entscheidungsgründe

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

1. Zur Bedeutung des am 16. März 1994 abgeschlossenen Teilvergleichs hat das Berufungsgericht ausgeführt: Durch ihn hätten die Parteien die Höhe des Unterhaltsanspruchs der Beklagten verbindlich für den Zeitraum geregelt, für den eine zeitliche Begrenzung des Anspruchs aufgrund des § 1579 Nr. 7 BGB nach dem Antrag des Klägers noch nicht in Betracht gekommen sei, also bis zum 31. Juli 1995. Der Kläger habe dabei erwartet, bestärkt durch eine entsprechende Ankündigung der Richterin erster Instanz, daß er den vereinbarten Unterhalt von monatlich 600 DM nur noch für knapp eineinhalb Jahre werde aufbringen müssen. Dies sei der Beklagten auch erkennbar gewesen. Dennoch lasse sich dem Vergleich kein Vorbehalt in dem Sinne entnehmen, daß auch ohne Eintritt einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse eine Neuberechnung des Unterhalts für den Fall möglich sein solle, daß die das Verfahren abschließende Entscheidung, gegebenenfalls die des Rechtsmittelgerichts, nicht den vom Kläger erwarteten Inhalt haben werde. Nur die Frage, ob der Unterhaltsanspruch der Beklagten durch die Härteklausel des § 1579 BGB berührt werde, hätten die Parteien bei Vergleichsabschluß ausgeklammert und einer streitigen Entscheidung des Gerichts überlassen. Greife die Härteklausel ein, sei verfahrensrechtlich nicht nur die zeitliche Begrenzung des Unterhaltsanspruchs bis zum 31. Juli 1995 möglich, wie vom Kläger beantragt, sondern auch eine Herabsetzung für die nachfolgende Zeit.

Diese Ausführungen, die in der Revisionsinstanz von keiner Seite angegriffen werden, sind nicht zu beanstanden. Durch den Teilvergleich haben die Parteien den Rechtsstreit für einen bestimmten Unterhaltszeitraum, der am 31. Juli 1995 endete, im Sinne der Bemessung des Unterhalts der Beklagten auf monatlich 600 DM vollständig beigelegt. Die Fortdauer der vereinbarten Unterhaltsrente über diesen Zeitpunkt hinaus sollte nach dem Parteiwillen zur Voraussetzung haben, daß das Gericht im weiteren Verfahren auf der Grundlage der vom Kläger geltend gemachten Härteklausel des § 1579 Nr. 7 BGB keine begrenzende Entscheidung trifft. Das kann als entsprechende auflösende Bedingung angesehen werden; eine solche ist nach allgemeiner Ansicht auch bei einem Prozeßvergleich rechtlich möglich (vgl. etwa Stein/Jonas/Münzberg ZPO 21. Aufl. § 794 Rdn. 61). Der Kläger ist damit das Risiko eingegangen, daß dann, wenn die das Verfahren abschließende gerichtliche Entscheidung nicht den erstrebten Inhalt hat, es grundsätzlich bei dem Prozeßvergleich auch für die Zeit nach dem 31. Juli 1995 verbleibt und eine Abänderung nur nach den für Vergleiche geltenden Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage (vgl. BGHZ – GSZ – 85, 64, 73; ständige Senatsrechtsprechung) in Betracht kommt. Unbedenklich ist auch die weitere Annahme des Berufungsgerichts, daß der vom Kläger für das fortgesetzte Verfahren gestellte Antrag auf zeitliche Begrenzung des Unterhaltsanspruchs der Beklagten als Weniger auch eine Herabsetzung des Unterhaltsanspruchs für die Zeit nach dem 31. Juli 1995 umfaßt; der zur Begründung des Antrags herangezogene § 1579 Nr. 7 BGB sieht ausdrücklich beide Möglichkeiten vor.

2. Im Gegensatz zum Amtsgericht hat das Berufungsgericht die vom Kläger begehrte zeitliche Begrenzung des Unterhaltsanspruchs der Beklagten wegen krankheitsbedingter Erwerbsunfähigkeit (§ 1572 BGB) nicht für gerechtfertigt erachtet. Im Anschluß an das Senatsurteil vom 9. Februar 1994 (XII ZR 183/92 – FamRZ 1994, 566) hat es dabei berücksichtigt, daß § 1572 BGB eine Ehebedingtheit der Erkrankung des Berechtigten nicht voraussetzt und deswegen der Umstand, daß die Unterhaltsbedürftigkeit der Beklagten hier nicht als ehebedingt anzusehen ist, auch Ober die Härteklausel des § 1579 Nr. 7 BGB nicht zu einer zeitlichen Begrenzung ihres Anspruchs führen kann. Die diesbezüglichen Ausführungen sind für die Revision günstig; sie lassen auch keinen Rechtsfehler erkennen (vgl. dazu auch Senatsurteil vom 15. März 1995 – XII ZR 257/93 – FamRZ 1995, 665).

3. Seine Auffassung, daß die Härteklausel des 5 1579 Nr. 7 BGB aber für die Zeit ab 1. August 1995 eine Herabsetzung des Unterhalts der Klägerin auf monatlich 200 DM rechtfertige, hat das Berufungsgericht im wesentlichen wie folgt begründet: Müßte der Kläger an die Beklagte, die im Verhältnis zu seiner zweiten Ehefrau keinen Vorrang nach 5 1582 BGB genieße, den vereinbarten Unterhalt von monatlich 600 DM Ober den 31. Juli 1995 hinaus weiterzahlen, müßte seine neue Familie Ober Jahre hinaus unterhalb der Sozialhilfeschwelle leben. Der nach den Vorschriften des Sozialhilferechts zu veranschlagende Bedarf des Klägers und seiner mit ihm in Haushaltsgemeinschaft lebenden Angehörigen (zweite Ehefrau und drei Kinder) belaufe sich auf monatlich 3.031 DM. Das Erwerbseinkommen des Klägers liege noch um 20 DM unter diesem Betrag, wenn sein Nettoeinkommen (3.391,48 DM) um die sozialhilferechtlich zulässigen Abzüge für Pkw-Benutzung (120 DM) und Berufstätigenaufwand (260 DM) vermindert werde (es verblieben rund 3.011 DM). Zwar erhielten der Kläger und seine jetzige Ehefrau zusätzlich Kindergeld von insgesamt 420 DM, so daß die Sozialhilfeschwelle im Ergebnis um 400 DM Oberschritten werde. Es wäre aber grob unbillig, wenn der Kläger nur deswegen den aus seiner Sicht für eine Übergangszeit vereinbarten Krankheitsunterhalt von 600 DM in voller Höhe weiterzahlen müßte. Die Folge wäre nämlich, daß auf seiner Seite Sozialhilfebedürftigkeit einträte; dies wäre nicht mit dem Grundgesetz (Art. 1, 20) vereinbar.

Auch wenn allein auf die Person des Klägers abgestellt werde, ergebe sich nichts anderes. Sein angemessener Selbstbehalt sei unter Berücksichtigung der anfallenden Mietkosten von monatlich 972 DM auf 2.000 DM zu veranschlagen. Wenn er weiter monatlich 600 DM an die Beklagte zahlen müsse, verbleibe ihm kaum der notwendige Unterhalt. Eine solche Lage sei für einen geschiedenen Ehemann, der bereits für eine der Ehedauer entsprechende Zeit nacheheliche Solidarität bewiesen habe, objektiv unzumutbar. Bei Abwägung der gegebenen Umstände erscheine vielmehr als gerecht und billig, den Unterhaltsanspruch der Beklagten vom 1. August 1995 ab auf monatlich 200 DM zu reduzieren. Dies könne zwar dazu führen, daß die Beklagte ergänzende Sozialhilfe in Anspruch nehmen müsse. Dies müsse aber in Kauf genommen werden, wenn als Alternative nur in Betracht komme, daß auch auf seiten des Klägers Sozialhilfebedürftigkeit eintreten würde.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Zwar ist auch in der Rechtsprechung des Senats der Grundsatz anerkannt, daß durch eine Unterhaltsleistung keine Sozialhilfebedürftigkeit eintreten darf (vgl. BGHZ 111, 194; Senatsurteil vom 16. Juni 1993 – XII ZR 6/92 – FamRZ 1993, 1186, 1188). Dieser Grundsatz gilt jedoch nur zugunsten des Unterhaltsverpflichteten selbst, nicht auch zugunsten von Unterhaltsberechtigten, die mit ihm in einer Haushaltsgemeinschaft leben. Das Verhältnis mehrerer Unterhaltsberechtigter zueinander wird durch die Rangvorschriften des BGB (§§ 1582, 1609 BGB) bestimmt, die nicht nach der Haushaltszugehörigkeit der Berechtigten unterscheiden. So kann ein nachrangiger Berechtigter, in vielen Fällen der neue Ehepartner des Unterhaltsverpflichteten, im Falle beschränkter Leistungsfähigkeit des Verpflichteten mit seinem Unterhaltsanspruch ganz ausfallen, und zwar ohne Rücksicht auf das zusammenleben mit dem Verpflichteten und auch darauf, daß sich faktisch nachteilige Auswirkungen auf dessen eigenen Lebensstandard ergeben können (vgl. Hampel FamRZ 1996, 513, 516).

Vorliegend geht das Berufungsgericht zutreffend davon aus, daß die Beklagte, die zweite Ehefrau des Klägers und die drei Kinder aus der neuen Ehe unterhaltsrechtlich den gleichen Rang haben (vgl. Senatsurteil vom 27. April 1983 – IVb ZR 372/81 – FamRZ 1983, 678, 680). Seine Auffassung, daß die „Sozialhilfeschwelle” der neuen Familie des Klägers nicht unterschritten werden dürfe, während die Beklagte auf ergänzende Sozialhilfe zu verweisen sei, ist mit diesem Gleichrang aller Berechtigten nicht zu vereinbaren. Denn dadurch würden die mit dem Kläger zusammenlebenden Unterhaltsberechtigten durch Errichtung einer Schranke, die für die Beklagte nicht gelten soll, einseitig begünstigt. Die Handhabung des § 1579 Nr. 7 BGB durch das Berufungsgericht läuft somit darauf hinaus, die gesetzliche Rangregelung zu mißachten. Ihm kann daher insoweit nicht gefolgt werden. Dem gesetzlichen Gleichrang wird nur Rechnung getragen, wenn bei beschränkter Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten mehrere Unterhaltsgläubiger eine gleichmäßige Kürzung ihres Unterhaltsanspruchs hinzunehmen haben; auch in bezug auf die etwaige Inanspruchnahme ergänzender Sozialhilfe darf keiner bevorzugt behandelt werden.

b) Soweit allein auf die Person des Klägers abgestellt wird, stellt sich nach den festgestellten Einkommensverhältnissen auch ab dem 1. August 1995 die Frage des Eintritts der Sozialhilfebedürftigkeit nicht. Es ist auch nicht ersichtlich, daß aus anderen Gründen die Grenze des Zumutbaren in unerträglicher Weise überschritten würde, wenn der Kläger die Unterhaltsrente von monatlich 600 DM, zu deren Zahlung er sich bis zum 31. Juli 1995 verpflichtet hat, über diesen Termin hinaus an die Beklagte zahlen muß. Insbesondere kann nicht angenommen werden, daß der Kläger zumutbar nur für eine der Ehedauer entsprechende Zeit nacheheliche Solidarität schulde (vgl. BT-Drucks. 10/2888 S. 18)

4. Die Entscheidung des Berufungsgerichts kann nach allem keinen Bestand haben, soweit es den Unterhaltsanspruch der Beklagten für die Zeit ab 1. August 1995 auf monatlich 200 DM herabgesetzt hat. Da die Härteklausel des § 1579 Nr. 7 BGB nicht eingreift, verbleibt es bei Ziffer 1 des Teilvergleichs vom 16. März 1994 auch für die nachfolgende Zeit.

 

Fundstellen

Haufe-Index 609873

NJW 1996, 2793

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