Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewertung der Einkommensteuerschuld als außerordentliche Last

 

Leitsatz (amtlich)

  1. Lasten im Sinne von § 2126 BGB sind diejenigen Leistungspflichten, die den Eigentümer, Besitzer oder Rechtsinhaber als solchen treffen.
  2. Die im Falle der Veräußerung oder der Aufgabe des Gewerbebetriebes nach § 16 EStG anfallende Einkommensteuer auf den erzielten oder fingierten Veräußerungsgewinn und die daraus folgende Kirchensteuer sind Lasten, die als auf den Stammwert gelegt anzusehen sind.
  3. § 2126 BGB gilt auch im Fall der befreiten Vorerbschaft.
 

Normenkette

BGB § 2126; EStG § 16; BGB § 995

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 18. Oktober 1978 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Revision hat die Beklagte zu tragen.

 

Tatbestand

Der Kläger ist Testamentsvollstrecker der am 30. März 1975 verstorbenen Frau Irmgard J. Frau J. war befreite Vorerbin der am 27. April 1957 verstorbenen Frau Anita W.; Nacherbin auf den Überrest ist die Beklagte.

Zum Nachlaß der Frau W. gehörte das "Weiße Haus" in Kampen auf Sylt, ein 1763 erbautes, später modernisiertes Friesenhaus mit wertvoller Inneneinrichtung, das unter Denkmalschutz steht. In diesem Hause hatten früher Frau W. und Frau J. gemeinsam eine Pension betrieben; nach dem Tode der Frau W. hatte dies Frau J. allein getan.

Am 29. März 1972 verkaufte Frau J. das Grundstück an ihren Hausarzt Dr. D., behielt sich aber den Nießbrauch vor. Der Kaufpreis betrug 350 000 DM und war in vierteljährlichen Raten von 10 000 DM zu bezahlen; der beim Tode der Frau J. noch offenstehende Rest war spätestens innerhalb eines Jahres danach an die Beklagte zu zahlen. Von dem Kaufpreis erhielt Frau J. insgesamt 130 000 DM. Im Vorprozeß ist rechtskräftig festgestellt, daß Frau J. als Vorerbin gegenüber der Beklagten als Nacherbin berechtigt war, über das Grundstück in der geschilderten Weise zu verfügen.

Das zuständige Finanzamt nimmt den Kläger in seiner Eigenschaft als Testamentsvollstrecker auf Zahlung von Einkommensteuer und Kirchensteuer in Anspruch; dabei ist der von Dr. D. versprochene Kaufpreis vermindert um den in der letzten Bilanz ausgewiesenen Buchwert des Hausgrundstücks als Veräußerungsgewinn im Sinn von § 16 EStG behandelt.

Der Kläger verlangt von der Beklagten Freistellung von den aus Anlaß der Grundstücksveräußerung entstandenen oder noch entstehenden Einkommen- und Kirchensteuerschulden. Er beruft sich darauf, es handele sich um auf den Stammwert der Erbschaft gelegte Lasten, die gemäß § 2126 BGB im Verhältnis zum Vorerben der Nacherbe tragen müsse.

Das Landgericht hat der Klage lediglich in Höhe von 3/5 der Einkommensteuerverbindlichkeiten stattgegeben und hat die Klage im übrigen abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht der Klage in vollem Umfang (unter Vorbehalt der beschränkten Haftung) stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des Urteils des Landgerichts.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision bleibt ohne Erfolg.

Das Berufungsgericht läßt offen, ob das Finanzamt die Erben J. mit Recht als Steuerschuldner ansehe. Darauf komme es nicht an, weil das Finanzamt eine solche Steuerschuld festgestellt habe und weil der Kläger die Rechtskraft der betreffenden Steuerbescheide nicht abzuwarten brauche. Die durch den Verkauf des "Weißen Hauses" an Dr. D. entstandene Einkommen- und Kirchensteuer habe die Beklagte in vollem Umfang zu tragen. Die Einkommensteuerschuld sei eine außerordentliche Last, die als auf den Stammwert der Erbschaft gelegt anzusehen sei. Sie werde nicht nach den Nutzungen, sondern nach dem Stammwert - wenn auch unter Zugrundelegung der persönlichen Verhältnisse - berechnet und könne im Hinblick auf ihre Höhe billigerweise nicht aus den Nutzungen, sondern nur aus dem Stammwert des Vermögens bestritten werden. Etwas anderes gelte auch nicht etwa deshalb, weil Frau J. als befreite Vorerbin gehandelt habe. Bei der befreiten Vorerbschaft solle der Vorerbe besser gestellt sein als sonst. Das gelte insbesondere dann, wenn der Nacherbe (nur) auf den Überrest eingesetzt worden sei. Der Nacherbe habe dann - von unentgeltlichen Verfügungen abgesehen - kein Recht darauf, daß der Vorerbe Rücksicht auf ihn nehme. Wenn die Steuerschuld bereits zu Lebzeiten der Vorerbin fällig gewesen wäre, würde diese die Schuld unzweifelhaft aus dem Stamm der Erbschaft haben bestreiten dürfen. Das sei nicht anders, nur weil die Vorerbin sich den Nießbrauch vorbehalten habe und weil dadurch die Fälligkeit bis zu ihrem Tode hinausgeschoben worden sei. Der Nacherbe dürfe von den außerordentlichen, auf den Stammwert gelegten Lasten auch dann nicht befreit werden, wenn der Vorerbe diesen Stammwert verbraucht habe. Im Falle der Überschuldung des Nachlasses könne der Nacherbe sich durch Ausschlagung der Nacherbschaft oder durch die Beschränkung seiner Haftung auf den Nachlaß schützen. Entsprechendes gelte auch für die Kirchensteuerschuld.

Die Revision macht hierzu geltend, die Steuerpflicht der Erben beruhe auf § 16 Abs. 3 EStG. Wer einen Gewerbebetrieb aufgebe, sei einkommensteuerpflichtig, weil er damit die Werte des Betriebes in sein Privatvermögen einverleibe und damit für sich realisiere. Hier hätten die Erben der Vorerbin den Betrieb aufgegeben und damit die Werte des Betriebes mit Ausnahme des Hauses für sich realisiert. Dagegen sei der Wert der Pension nicht auf die Beklagte übergegangen. Daher habe weder der Verkauf des Hauses noch die Aufgabe des Betriebes zu einer außerordentlichen, den Stammwert des Grundstücks angreifenden Last geführt. Anknüpfungspunkt für die hier entstandene Steuerpflicht sei nur die Realisierung des Wertes der Pension ohne Haus.

Überdies sei § 2126 BGB auf die befreite Vorerbschaft nicht anwendbar. Daß der Nacherbe die außerordentlichen Lasten im Normalfall zu tragen habe, erkläre sich daraus, daß der gewöhnliche Vorerbe diese Lasten nicht aus den ihm allein zustehenden Nutzungen tragen könne. Wie auch der Vergleich mit § 995 BGB zeige, sehe das Gesetz den Ersatz der außergewöhnlichen Lasten aber nur dort vor, wo die Hauptsache nicht veräußert werden könne. Das sei beim befreiten Vorerben aber gerade anders. Da die Vorerbin den Stammwert (des Hauses) für sich realisiert habe, müsse sie auch die dadurch entstandenen außerordentlichen Lasten tragen.

Das angefochtene Urteil hält diesen Angriffen stand.

Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb, die gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 EStG der Einkommensteuer unterliegen (Entsprechendes gilt auch für die Kirchensteuer), gehören nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG auch Gewinne, die bei der Veräußerung des Gewerbebetriebes erzielt werden; das gilt auch für die nach § 16 Abs. 3 EStG ebenso behandelten fiktiven Gewinne, die bei der Aufgabe des Betriebes durch "Realisierung stiller Reserven" entstehen (vgl. z.B. Hermann-Heuer, 18. Aufl. § 16 EStG Anm. 370). Dementsprechend hat das Finanzamt den Kläger als Testamentsvollstrecker auf Zahlung von Einkommen- und Kirchensteuer in Anspruch genommen.

Ob das Finanzamt die Erben J. mit Recht als Steuerschuldner ansieht, ist hier unerheblich. Nicht entscheidend ist auch, ob nun die Steuerpflichten durch die Aufgabe oder die Veräußerung des Gewerbebetriebes (der Pension) oder durch die Veräußerung des (früher) zum Betriebsvermögen gehörigen Hausgrundstücks entstanden sind. In allen diesen Fällen handelt es sich um außerordentliche Lasten von Erbschaftsgegenständen im Sinn von § 2126 BGB, und zwar entweder um Lasten des Gewerbebetriebes oder um Lasten des Grundstücks oder auch um Lasten der an die Stelle des Grundstücks (§ 2111 BGB) getretenen Kaufpreisforderung, von denen die Beklagte die Erben J. ggf. entsprechend §§ 2124 Abs. 2 Satz 2, 257 Satz 1 BGB freistellen muß.

Lasten im Sinn von § 2126 BGB (vgl. auch §§ 103, 995, 1047, 2185, 2379 BGB) sind die Pflichten, die auf Leistung gehen und die den Eigentümer, Besitzer oder Rechtsinhaber als solchen treffen. Außerordentlich ist eine derartige Last, wenn sie nicht regelmäßig wiederkehrt, sondern als eine ausnahmsweise einmalige Leistung erbracht werden muß (BGH LM LAG § 73 Nr. 1 = NJW 1956, 1070; Johannsen WM 1970, 2, 6; Staudinger/Seybold, 11. Aufl. §§ 2124 bis 2126 BGB Rdn. 11). Auf den Stammwert gelegt ist die Last, wenn sie aus der Substanz und nicht aus den Erträgnissen zu leisten ist (BGH LM LAG § 73 Nr. 1; LVO § 59 Nr. 4 = NJW 1952, 1053). Einen Anhalt dafür, ob dies anzunehmen ist, geben die Berechnungsart und die Höhe der Last. Ist eine Steuer nach dem Wert der Sache und nicht nach dem Wert der Nutzungen berechnet, und macht die Steuer in der Regel einen erheblichen Betrag aus, so daß die Aufbringung aus der Substanz das gegebene erscheint, dann stellt sich die Last in der Regel als eine solche dar, die auf den Stammwert der Erbschaftsgegenstände gelegt ist (BGH LM BGB § 2126 Nr. 3 = MDR 1968, 566). Das alles hat das Berufungsgericht nicht verkannt und wird auch von der Revision an sich nicht in Zweifel gezogen. Es hat diese Grundsätze zutreffend angewendet und die Einkommen- und die Kirchensteuerverbindlichkeit mit Recht als außerordentliche, auf den Stammwert gelegte Lasten angesehen.

Wenn die Revision damit argumentiert, die Erben J. hätten den Wert der Pension (ganz oder teilweise) "für sich realisiert" und dieser sei nicht auf die Beklagte übergegangen, so trifft das nicht den Kern. Auch ist nicht entscheidend, welcher Vorgang im einzelnen zu der Besteuerung geführt hat. Vielmehr ist hier allein maßgebend, daß die steuerrechtliche Inanspruchnahme des Klägers eine außerordentliche Last im Sinne von § 2126 BGB darstellt, die aus der Substanz getragen werden muß und die deshalb als auf den Stammwert gelegt anzusehen ist.

Entgegen der Auffassung der Revision kann die Beklagte dem Klageanspruch auch nicht deshalb entgehen, weil es sich hier um einen Fall der befreiten Vorerbschaft im Sinn von § 2137 BGB handelt. Die verbreitete Auffassung, § 2126 BGB lege die außerordentlichen, den Stammwert angreifenden Lasten dem Nacherben deshalb auf, weil dem (nicht befreiten) Vorerben nur die Nutzungen zur Verfügung stünden, könnte allerdings zu der Annahme führen, der Anwendungsbereich des § 2126 BGB müsse auf die Fälle der nicht befreiten Vorerbschaft beschränkt bleiben. Mit Recht ist das Berufungsgericht diesem Gedanken aber nicht gefolgt.

Erfahrungsgemäß treten außerordentliche Lasten im Sinn von § 2126 BGB nicht selten erst nach Eintritt des Nacherbfalles zutage. So ist es auch im vorliegenden Falle. Würde man der von der Revision vertretenen Gegenmeinung folgen, dann müßte in diesen Fällen dem befreiten Vorerben (oder seinen Erben) die Abwälzung solcher Lasten auf den Nacherben konsequenterweise auch dann verwehrt werden, wenn der Vorerbe von seinem Recht, den Nachlaß anzugreifen, keinen oder nur mäßigen Gebrauch gemacht hat und wenn deshalb der Nachlaß so gut wie ungeschmälert auf den Nacherben übergegangen ist. Daß dies nicht angeht, liegt auf der Hand und wird auch von der Revision nicht verkannt.

Aber auch dort, wo der befreite Vorerbe den Nachlaß - wie hier - teilweise für sich verbraucht hat, ist es weder geboten noch gerechtfertigt, § 2126 BGB zugunsten des Nacherben zurückzudrängen. Der Vorerbe hat hier nur von den Rechten Gebrauch gemacht, die ihm der Erblasser gemäß §§ 2136 f BGB eingeräumt hat. Die Lastenverteilung zwischen dem Vor- und dem Nacherben in § 2126 BGB bleibt davon gänzlich unberührt. Auch jetzt kann der Vorerbe im Rahmen des § 2126 BGB sicher sein, die außerordentlichen, auf den Stammwert gelegten Lasten aus dem Nachlaß decken zu dürfen. Kommt es dazu nicht mehr, etwa weil die Lasten erst nach dem Eintritt des Nacherbfalles zutage treten, dann kann das auf verschiedenen Gründen beruhen. Allein die zeitliche Abfolge von Lastenentstehung bzw. -deckung einerseits und Nacherbfall andererseits bietet aber keinen sachlich vertretbaren Grund, dem Vorerben (oder seinen Erben) jetzt den Zugriff auf den Nachlaß wegen solcher Lasten abzuschneiden. Das Gegenteil läßt sich entgegen der Auffassung der Revision ebensowenig aus § 995 BGB ableiten.

Da das angefochtene Urteil auch im übrigen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Beklagten aufweist, ist ihre Revision zurückzuweisen.

 

Unterschriften

Dr. Hoegen

Rottmüller

Dr. Schmidt-Kessel

Rassow

Dr. Zopfs

 

Fundstellen

Haufe-Index 1456197

NJW 1980, 2465

JZ 1980, 686

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge