Leitsatz (amtlich)

a) Die von einem Richterkollegium gemäß § 283 Satz 1 ZPO bewilligte Frist, einen Schriftsatz nachzureichen, kann wirksam nur vom Kollegium, nicht vom Vorsitzenden allein verlängert werden.

b) Ist das Gericht für eine Fristüberschreitung mitverantwortlich, etwa weil der Vorsitzende die Frist – unwirksam – verlängert hat, so muß es die verspätet eingereichte Erklärung gemäß § 283 Satz 2 ZPO bei seiner Entscheidung berücksichtigen.

c) Geschieht dies nicht und wird das mit der Berufung gerügt, so muß das Berufungsgericht nach Feststellung des Verfahrensverstoßes das neue Vorbringen gemäß § 528 Abs. 2 ZPO zulassen.

d) Die verstärkte Beweiskraft des Tatbestandes eines Urteils gemäß § 314 ZPO gilt nicht für das bloße Prozeßgeschehen (hier:erlängerung einer Erklärungsfrist).

 

Normenkette

ZPO §§ 224-225, 283, 314, 320, 528

 

Verfahrensgang

OLG Celle (Urteil vom 24.02.1982)

LG Hannover

 

Tenor

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 24. Februar 1982 samt dem Verfahren aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Kläger ließen im Jahre 1978 Bauarbeiten an ihrem Wohnhaus ausführen. Mit den Architektenleistungen beauftragten sie den Beklagten, dem sie auch die Begleichung der Handwerkerrechnungen übertrugen. Sie zahlten an ihn insgesamt 45.647,20 DM. Während der Bauarbeiten beanstandete das Bauamt den bis dahin nicht beschiedenen Bauantrag. Daraufhin kündigten die Kläger den Vertrag mit dem Beklagten.

Die Kläger haben im Wege der Stufenklage vom Beklagten zunächst Abrechnung verlangt. Dem hat das Landgericht durch Teilurteil stattgegeben. Im Dezember 1980 haben die Kläger auf Rückzahlung von 36.271,68 DM nebst Zinsen geklagt mit der Behauptung, der Beklagte habe an die Auftragnehmer nur 10.575,52 DM weitergeleitet und durch die Unbrauchbarkeit seiner Planungsunterlagen zusätzliche Kosten verursacht. Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 4. Februar 1981 die Zahlung weiterer 8.150,82 DM an Bauhandwerker eingewandt und mit eigenen Vergütungsansprüchen aufgerechnet.

In der mündlichen Verhandlung vom 11. Februar 1981 räumte das Landgericht den Klägern auf ihre Verspätungsrüge eine Erwiderungsfrist bis 4. März 1981 ein und bestimmte Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 25. März 1981. Auf fernmündlichen Antrag der Kläger wurde die Erwiderungsfrist zunächst bis 9. März, dann bis 18. März 1981 verlängert. Mit am 23. März 1981 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom selben Tage bestritten die Kläger das Vorbringen des Beklagten im einzelnen und hielten seinen Gegenforderungen Schadensersatzansprüche entgegen, mit denen sie bereits vorher hilfsweise aufgerechnet hatten.

Das Landgericht hat durch Schlußurteil den Klägern nur 18.432,56 DM nebst Zinsen zuerkannt, im übrigen die Klage abgewiesen. Dabei hat es den Inhalt des Schriftsatzes vom 23. März 1981 wegen Verspätung nicht berücksichtigt. Die Kläger haben diesen Vortrag mit ihrer Berufung wiederholt und weitere 12.839,12 DM nebst Zinsen verlangt. Sie haben Beweis dafür angetreten, daß vor oder am 18. März 1981 fernmündlich durch den Vorsitzenden der Zivilkammer die Erwiderungsfrist noch einmal bis zum 23. März 1981 verlängert worden sei.

Die Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der – zugelassenen – Revision, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt, verfolgen die Kläger ihren Berufungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Das Berufungsgericht billigt die Entscheidung des Landgerichts, den Sachvortrag der Kläger im Schriftsatz vom 23. März 1981 nicht zu berücksichtigen. Dieser Schriftsatz sei nicht innerhalb der gemäß § 283 Satz 1 ZPO gesetzten Frist eingegangen. Diese sei mangels eines Beschlusses der Kammer nicht wirksam verlängert worden. Zwar habe das Landgericht auch die verspätet eingereichte Erklärung gemäß § 283 Satz 2 ZPO noch berücksichtigen können. Dazu sei es aber nicht verpflichtet gewesen, und zwar selbst dann nicht, wenn der Vorsitzende tatsächlich eine dritte Fristverlängerung bis 23. März 1981 gewährt haben sollte. Angesichts der eindeutigen gesetzlichen Regelung genieße jedenfalls im Anwaltsprozeß und im Falle wiederholter Fristverlängerung das Vertrauen einer Partei auf die Wirksamkeit einer allein durch den Vorsitzenden ohne Anhörung des Gegners bewilligten Fristverlängerung keinen Schutz.

Ermessensfehlerhaft sei allerdings, daß das Landgericht das verspätete Vorbringen der Kläger unberücksichtigt gelassen habe, ohne die – angebliche – abermalige Fristverlängerung überhaupt in Erwägung zu ziehen. Gleichwohl komme hier weder eine Aufhebung oder Abänderung des angefochtenen Urteils noch eine nachträgliche Zulassung des verspäteten Vorbringens im zweiten Rechtszug in Betracht. Könne nämlich der Berufungskläger in solchen Fällen mit der bloßen Behauptung, der Vorsitzende der Zivilkammer habe die Erklärungsfrist – unwirksam – verlängert, das Berufungsgericht zur Beweiserhebung darüber zwingen, so würden die Beschränkungen des § 528 Abs. 1 und 2 ZPO unterlaufen. Infolge der durch die Beweisaufnahme ohnehin eintretenden Verzögerung des Rechtsstreits könnte das neue Vorbringen nicht mehr ausgeschlossen werden. Damit würde die Erklärungsfrist des § 283 Satz 1 ZPO zur Bedeutungslosigkeit entwertet. Die betroffene Partei könne zur Wahrung ihrer Belange über § 320 ZPO eine nachträgliche Aufnahme der die Rüge begründenden Tatsachen in den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteile erreichen. Versäume sie dies, so könne sie ihre Berufung nicht mit Erfolg auf die angeblich gewährte Fristverlängerung stützen.

Dagegen wendet sich die Revision mit Erfolg.

I.

1. Irrig ist allerdings die Meinung der Kläger, auf ihren nachgereichten Schriftsatz vom 23. März 1981 sei es für die Entscheidung des Landgerichts schon deshalb nicht angekommen, weil bereits die Klageerwiderung vom 4. Februar 1981 als verspätet hätte zurückgewiesen werden müssen.

Zwar hat der Beklagte die ihm gesetzte Erklärungsfrist bis zum 16. Januar 1981 nicht eingehalten. Läßt aber das Gericht verspätetes Vorbringen dennoch zu, so kann dies in der Rechtsmittelinstanz nicht nachgeprüft werden; einmal verwertetes Vorbringen kann nicht nachträglich wegen Verspätung zurückgewiesen werden (BGH NJW 1981, 928 m.N.).

2. Das Berufungsgericht hat auch darin Recht, daß der Erwiderungsschriftsatz der Kläger vom 23. März 1981 in jedem Fall verspätet eingegangen ist.

a) Wie jede richterliche Frist kann auch die gemäß § 283 Satz 1 ZPO gesetzte auf Antrag verlängert werden (§§ 224 Abs. 2, 225 ZPO). Ist die Frist durch ein Kollegialgericht bewilligt worden, so entscheidet mangels abweichender gesetzlicher Regelung jedoch über das Verlängerungsgesuch nicht der Vorsitzende, sondern der ganze Spruchkörper (vgl. Stein/Jonas, ZPO, 19. Aufl., § 225 Anm. I; Thomas/Putzo, ZPO, 12. Aufl., § 225 Anm. 1 a; Zöller/Stephan, ZPO, 13. Aufl., § 225 Anm. 1). Auch darf eine wiederholte Verlängerung nur nach Anhörung des Gegners bewilligt werden (§ 225 Abs. 2 ZPO).

b) Zwar ist nach dem Tatbestand des landgerichtlichen Urteils davon auszugehen, daß die vom Vorsitzenden der Zivilkammer fernmündlich übermittelte zweimalige Verlängerung der Erklärungsfrist bis zum 18. März 1981 von der Kammer gebilligt und damit wirksam geworden ist. Dagegen ist die Bewilligung weiterer Fristverlängerung, von der auch im nachgereichten Schriftsatz nicht die Rede ist, von der Kammer ersichtlich nicht in Betracht gezogen worden. Somit ist die Frist nach § 283 Satz 1 ZPO nicht wirksam ein drittes Mal verlängert worden.

3. Zutreffend geht schließlich das Berufungsgericht davon aus, daß das Landgericht das ihm in § 283 Satz 2 ZPO eingeräumte Ermessen, die verspätete Erklärung zu berücksichtigen, pflichtgemäß unter Berücksichtigung aller wichtigen Umstände auszuüben hatte, dieser Anforderung aber möglicherweise nicht gerecht geworden ist.

a) Die Vorschrift des § 283 Satz 2 ZPO verfolgt unter anderem den Zweck, durch Berücksichtigung verspäteten Vorbringens eine andernfalls gebotene Wiedereröffnung der Verhandlung und die mit ihr verbundene Verfahrensverzögerung zu vermeiden (vgl. Amtliche Begründung zur Vereinfachungsnovelle BT-Drucksache 7/2729 S, 75). Daraus ergibt sich, daß verspätetes Vorbringen jedenfalls dann in die Entscheidung einbezogen werden muß, wenn andernfalls wieder in die mündliche Verhandlung eingetreten werden müßte (vgl. Zöller/Stephan aaO § 283 Anm. III 3 b). Eine solche Pflicht des Gerichts wird insbesondere durch vorangegangene Verfahrensfehler begründet, die sich anders nicht beheben lassen (vgl. BGHZ 53, 245, 262 m.N.; BGH, Urteil vom 17. November 1978 – V ZR 16/77 = WM 1979, 587, 588; OLG Köln OLGZ 1980, 356, 358; OLG Schleswig OLGZ 1981, 245, 247). Dementsprechend hat das Gericht im Anwendungsbereich des § 283 Satz 2 ZPO sein Ermessen zugunsten der säumigen Partei auszuüben, wenn es selbst für die Fristüberschreitung mitverantwortlich ist.

b) Dies ist hier der Fall, sofern der Vorsitzende der Zivilkammer die Erklärungsfrist ohne Mitwirkung des anderen Kammermitgliedes bis 23. März 1981 verlängert haben sollte.

Zwar hätte dem beim Prozeßbevollmächtigten der Kläger angestellten Rechtsanwalt Ammann bewußt sein müssen, daß der Vorsitzende in unmittelbarer Beantwortung des Anrufs, also ohne zuvor den Beklagten anzuhören und mit den Beisitzern zu beraten, eine abermalige Verlängerung der Frist nicht bewilligen durfte, sondern allenfalls sein Bemühen hätte zusagen dürfen, nach Anruf beim Prozeßbevollmächtigten des Beklagten umgehend eine Entscheidung der Kammer herbeizuführen. Andererseits war die von der Kammer am 11. Februar 1981 gesetzte Erwiderungsfrist bereits zweimal durch fernmündlichen Bescheid des Vorsitzenden verlängert worden. Das Kollegialgericht äußert sich gegenüber Parteien und Rechtsanwälten weitgehend durch seinen Vorsitzenden. Grundsätzlich ist es dessen Sache, sich die für verbindliche Erklärungen erforderliche Ermächtigung des Kollegiums zu verschaffen, sofern er nach der Prozeßordnung nicht ohnehin allein zu entscheiden hat.

Hinzu kommt, daß es zumeist dem Vorsitzenden obliegt, richterliche Fristen zu setzen oder zu ändern (vgl. für Beibringungsfristen §§ 226 Abs. 3, 273 Abs. 2, 274 Abs. 3, 275 Abs. 1, 276 Abs. 1 und 3 ZPO). So kann auch ein Rechtsanwalt leicht übersehen, daß eine in der mündlichen Verhandlung vor der Zivilkammer gesetzte Frist auch nur von der Kammer verlängert werden kann. Umso eher muß der Vorsitzende wissen und den anrufenden Rechtsanwalt darauf hinweisen, daß er in einem solchen Fall die Frist nicht ohne Anhörung der anderen Partei und ohne Zustimmung der Beisitzer abermals verlängern darf.

Trifft die Behauptung der Kläger über die dritte Fristverlängerung zu, so wiegen die Verfahrensfehler des Vorsitzenden der Zivilkammer jedenfalls erheblich schwerer als die des Rechtsanwalts. Dabei ist unerheblich, ob den Beisitzern die angebliche Bewilligung einer dritten Fristverlängerung durch den Vorsitzenden bekannt war. Auch wenn sie davon nichts gewußt haben, würde dies auf einem Verfahrensverstoß beruhen, welcher die Kläger nicht beschweren darf. Das Landgericht hätte daher – falls die Behauptung der Kläger zutrifft – das verspätete Vorbringen der Kläger gemäß § 283 Satz 2 ZPO berücksichtigen müssen.

II.

Die Kläger haben mit der Berufung den behaupteten Verfahrensfehler des Landgerichts gerügt und das dort nicht berücksichtigte Vorbringen wiederholt. Das Berufungsgericht durfte sich nicht der Prüfung entziehen, ob die Verfahrensrüge begründet war und ob das verspätete Vorbringen Jedenfalls im zweiten Rechtszug zuzulassen war.

1. An einer solchen Prüfung war das Berufungsgericht nicht durch die Bestimmung des § 528 Abs. 3 ZPO gehindert. Das Landgericht hat das verspätete Vorbringen nicht gemäß § 296 ZPO (zu Recht) zurückgewiesen, sondern es lediglich gemäß §§ 283 Satz 2, 296 a ZPO unberücksichtigt gelassen. Daher konnte § 528 Abs. 3 ZPO nicht angewendet werden (BGHZ 76, 133, 141 a.E. m.N.; BGH NJW 1980, 343, 344). Das hat auch das Berufungsgericht nicht verkannt.

Eine Anwendung des § 528 Abs. 1 ZPO schied aus, weil in dieser Vorschrift § 283 ZPO nicht genannt ist. Zwar wird auch nach § 283 Satz 1 ZPO eine Frist für neue Angriffs- und Verteidigungsmittel eingeräumt. Das steht aber in unmittelbarem Verfahrenszusammenhang mit den Vorschriften des § 282 ZPO, auf die wiederum allein die §§ 296 Abs. 2, 528 Abs. 2 ZPO Bezug nehmen. Trotz richterlicher Fristsetzung kam daher hier allein die Anwendung des § 528 Abs. 2 ZPO in Betracht.

2. Die Anwendung dieser Bestimmung war hier auch geboten. Die Gegengründe des Berufungsgerichts können nicht überzeugen.

a) Die von den Klägern beantragte Beweisaufnahme über eine dritte Fristverlängerung hätte weder das Berufungsverfahren verzögert noch – wie das Berufungsgericht befürchtet – die Erwiderungsfrist des § 283 ZPO zur Bedeutungslosigkeit entwertet.

Bereits nach Eingang der Berufungsbegründung hätte in der prozeßleitenden Verfügung des Vorsitzenden vom 30. September 1981 angeordnet werden können, eine dienstliche Äußerung des Kammervorsitzenden einzuholen und vorsorglich den von den Klägern als Zeugen benannten Rechtsanwalt Ammann zur Berufungsverhandlung zu laden. Die Vernehmung des Zeugen hätte, wenn sie nach Eingang der dienstlichen Äußerung des Kammervorsitzenden überhaupt noch erforderlich erschienen wäre, nur wenige Minuten in Anspruch genommen und wäre daher bei so frühzeitiger Terminsbestimmung dem Berufungsgericht zuzumuten gewesen. Zu einer derart das Berufungsverfahren nicht verzögernden Beweiserhebung ist es ohnehin sogar bei unentschuldigter Verspätung des Vorbringens verpflichtet (BGHZ 76, 173, 178 m.N.; BGH NJW 1981, 286). Im übrigen konnte selbst eine Verzögerung des Rechtsstreits das Berufungsgericht nicht von der Prüfung des gegebenenfalls die Klageabweisung tragenden Verfahrensfehlers des Landgerichts entbinden.

Wäre dann die Behauptung der Kläger nicht zur Überzeugung des Berufungsgerichts bestätigt worden, so hätte es das im ersten Rechtszug verspätete Vorbringen im zweiten Rechtszug nicht zuzulassen brauchen, sondern hätte das Rechtsmittel der Kläger wie geschehen zurückweisen dürfen. Eine ungerechtfertigte Berufung der Kläger auf eine weitere Fristverlängerung im Rahmen des § 283 ZPO hätte ihnen keinen Prozeßvorteil gebracht. Die Befürchtung des Berufungsgerichts, das Beispiel der Kläger könne Schule machen, ist somit nicht gerechtfertigt.

b) Hätte sich aber die Behauptung der Kläger als zutreffend erwiesen, so hätte das Berufungsgericht gemäß § 528 Abs. 2 ZPO prüfen müssen, ob den Klägern unter solchen Umständen grobe Nachlässigkeit bei der Versäumung der bis zum 18. März 1981 wirksam verlängerten Frist vorzuwerfen ist. Falls sich neue Gesichtspunkte nicht ergeben hätten, hätte ihr verspätetes Vorbringen zugelassen werden müssen. Die Rechtsanwälte der Kläger hätten mit ihrem Vertrauen auf die Zusage des Vorsitzenden der Zivilkammer weder die ihnen obliegende Sorgfaltspflicht in ungewöhnlich großem Umfang verletzt noch dasjenige unbeachtet gelassen, was jedem Prozeßbeteiligten hätte einleuchten müssen (vgl. zu diesen Verschuldensmaßstäben BGH NJW 1975, 1928; OLG Köln OLGZ 1973, 365, 369; Thomas/Putzo aaO § 296 Anm. 4 c; Zöller/Schneider aaO § 528 Anm. V 3 b). Eine Verspätung, die zumindest teilweise auf Verfahrensfehler des Gerichts zurückzuführen ist, darf die betroffene Partei nicht beschweren. Ihr nachgereichtes Vorbringen ist daher grundsätzlich zuzulassen (BGH NJW 1975, 1744, 1745; OLG Oldenburg NJW 1980, 295 m. Anm, Deubner 296; OLG Köln NJW 1980, 2421, 2422; vgl. auch BVerfG NJV 1982, 1453 Nr. 4, 1454; Zöller/Schneider aaO § 528 Anm. IV 5 b, V 3 b aa).

c) Schließlich durfte das Berufungsgericht die Prüfung des angeblichen Verfahrensfehlers des Landgerichts nicht mit der Begründung ablehnen, die Kläger hätten die Fristverlängerung im Wege der Tatbestandsberichtigung feststellen lassen müssen.

Der Tatbestand des Urteils liefert Beweis allein für das mündliche Parteivorbringen; insoweit kann der Beweis nur durch das Sitzungsprotokoll entkräftet werden (§ 314 ZPO). Allein mit Rücksicht auf diese erhöhte Beweiskraft des Tatbestands ist die Möglichkeit der Berichtigung gemäß § 320 ZPO geschaffen worden. Sie soll verhindern, daß unrichtig beurkundeter Parteivortrag infolge der Beweiskraft fehlerhafte Grundlage für die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts wird. Eine Tatbestandsberichtigung ist daher nur zulässig, soweit der Tatbestand die verstärkte Beweiskraft gemäß § 314 ZPO besitzt (vgl. BGH NW 1956, 1480 Nr. 7; OLG Stuttgart NJW 1973, 1049; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 13. Aufl., S. 340).

Dies trifft für das bloße Prozeßgeschehen, um das es hier geht, nicht zu. Für dieses entfaltet der Tatbestand lediglich die Wirkung einer öffentlichen Urkunde gemäß § 418 ZPO, deren Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit durch jedes Beweismittel, auch in der Rechtsmittelinstanz, nachgewiesen werden kann (so schon RGZ 149, 312, 316; auch OLG Celle NJW 1970, 53, 54), Es mag sein, daß eine Tatbestandsberichtigung, falls das Landgericht einem entsprechenden Antrag dennoch stattgegeben hätte, hier auch ohne die besondere Beweiskraft des Tatbestands von Nutzen gewesen wäre, weil das Berufungsgericht dann das verspätete Vorbringen wohl zugelassen hätte. Dennoch hätten die Kläger hier nicht auf ein solches, prozeßrechtlich zweifelhaftes Verfahren verwiesen werden dürfen. Den Klägern durfte der Beweis dafür, daß das Verfahren nach § 283 ZPO nicht nur im Tatbestand unvollständig wiedergegeben, sondern auch in den Entscheidungsgründen fehlerhaft gewürdigt worden sei, nicht abgeschnitten werden.

III.

War somit das Berufungsgericht gehalten, dem behaupteten Verfahrensfehler des Landgerichts zumindest im Rahmen der Beurteilung nach § 528 Abs, 2 ZPO nachzugehen, muß das angefochtene Urteil gemäß § 564 Abs. 2 ZPO samt dem Verfahren aufgehoben werden.

Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

 

Unterschriften

Girisch, Recken, Bliesener, Obenhaus, Quack

 

Fundstellen

Haufe-Index 839035

NJW 1983, 2030

Nachschlagewerk BGH

ZIP 1983, 864

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