Entscheidungsstichwort (Thema)

Ordnungsgemäße Verwaltung durch Vorerben

 

Leitsatz (amtlich)

a) Ordnungsmäßige Verwaltung durch den Vorerben kann bei einer Kreditaufnahme zu Lasten des Nachlasses voraussetzen, daß ein erfahrener und zuverlässiger Treuhänder eingeschaltet wird, ohne dessen Zustimmung über die Kreditmittel nicht verfügt werden kann.

b) Ordnungsmäßige Verwaltung durch den Vorerben kann dabei ferner voraussetzen, daß sichergestellt ist, daß die fortlaufenden Zinsen und die Tilgung nicht zu einer Auszehrung des Nachlasses führen können (Fortführung von BGHZ 110, 176; 114, 16).

Zwischen Nacherben besteht vor dem Nacherbfall keine Erbengemeinschaft (Abweichung von RGZ 93, 292, 296).

Erheben Nacherben Widerspruchsklage gemäß § 773 ZPO, dann sind sie keine notwendigen Streitgenossen.

 

Normenkette

BGB §§ 2120, 2032 Abs. 1, § 2139; ZPO §§ 62, 773

 

Verfahrensgang

LG Tübingen

OLG Stuttgart

 

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Kläger zu 1), 2c) und 2d) werden das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 18. Dezember 1990 aufgehoben und das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Tübingen vom 11. September 1987 abgeändert, soweit zum Nachteil der Revisionskläger erkannt ist.

Auf ihre Klage wird die Verwertung des in S., L. straße, gelegenen Grundstücks Gemarkung B. Flurstück Nr. im Wege der Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Tübingen vom 30. Juli 1984 in Sachen Gemeinde S. gegen Sch. in vollem Umfang für unzulässig erklärt. Die gegen die Kläger zu 1), 2c) und 2d) gerichtete Widerklage wird abgewiesen; die Anschlußberufung der Beklagten gegen sie wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des ersten Rechtszuges und beider Berufungsverfahren tragen die Kläger zu 2a) und 2b) als Gesamtschuldner 10% und die Beklagte 90%. Die Kosten beider Revisionsverfahren fallen der Beklagten zur Last.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die beklagte Gemeinde hat einen rechtskräftigen Zahlungstitel über 333.945,68 DM nebst 8,75% Zinsen seit dem 1. April 1984 gegen die Eltern der Kläger zu 2) erwirkt. Sie vollstreckt aus diesem Titel in ein Grundstück des Vaters in S. Das Vollstreckungsgericht hat die Zwangsversteigerung angeordnet. Die Kläger halten die Zwangsvollstreckung in das Grundstück für unzulässig. Sie haben deshalb Widerspruchsklage gemäß § 773 Satz 2 ZPO erhoben. Dem liegt folgendes zugrunde:

Der am 12. Februar 1978 verstorbene Erblasser wurde aufgrund Testaments vom 28. November 1968 von seinem Sohn, dem Vater der Kläger zu 2), als seinem alleinigen Vorerben beerbt. Zu Nacherben beim Tode des Vorerben sind dessen eheliche Abkömmlinge berufen; dabei handelt es sich zur Zeit um die vier Kläger zu 2a) bis 2d). Zur Wahrnehmung der Interessen etwaiger weiterer ehelicher Abkömmlinge des Vorerben („unbekannte Nacherben”) hat das Vormundschaftsgericht eine Pflegerin (§ 1913 Satz 2 BGB) bestellt.

Die bekannten (Kläger zu 2a) bis 2d)) und die unbekannten (Kläger zu 1)) Nacherben, die letzteren vertreten durch die Pflegerin, haben Klage erhoben mit dem Antrag, die Verwertung des genannten Grundstücks im Wege der Zwangsvollstreckung für unzulässig zu erklären. Sie sind der Auffassung, das Grundstück gehöre zur Vorerbschaft nach dem Großvater, und die von der Beklagten betriebene Zwangsversteigerung werde ihre Rechte als Nacherben vereiteln oder beeinträchtigen. Die Beklagte hat Widerklage erhoben mit dem Antrag, die Kläger zur uneingeschränkten Duldung der Zwangsvollstreckung aus dem Zahlungstitel in das Grundstück zu verurteilen.

Das Landgericht hat die Verwertung im Wege der Zwangsversteigerung für unzulässig erklärt, soweit sie wegen eines höheren Betrages als 146.448 DM betrieben werde, hat die Kläger zur Duldung der Zwangsvollstreckung aus dem Titel wegen dieses Betrages in das Grundstück verurteilt und hat Klage und Widerklage im übrigen abgewiesen. Die Berufung der Kläger hatte zunächst keinen Erfolg; vielmehr hat das Berufungsgericht auf die Anschlußberufung der Beklagten die Verwertung durch Zwangsversteigerung seinerzeit nur für unzulässig erklärt, soweit sie wegen mehr als 160.363 DM nebst Zinsen betrieben werde, hat die Kläger zur Duldung der Zwangsvollstreckung wegen dieses Betrages nebst Zinsen verurteilt und hat die weitergehende Anschlußberufung zurückgewiesen. Auf die dagegen gerichtete Revision der Kläger zu 1), 2c) und 2d) hat der erkennende Senat dieses erste Berufungsurteil aufgehoben, soweit die Klage der Revisionskläger abgewiesen, soweit sie zur Duldung der Verwertung des Grundstücks verurteilt und soweit ihnen Kosten auferlegt worden waren (BGHZ 110, 176).

Nunmehr hat das Berufungsgericht die Verwertung des Grundstücks durch Zwangsvollstreckung aus dem genannten Zahlungstitel für unzulässig erklärt, soweit die Zwangsvollstreckung wegen mehr als 93.600,45 DM nebst Zinsen betrieben werde. Weiter hat es die Kläger verurteilt, die Zwangsvollstreckung in das Grundstück wegen dieses Betrages nebst Zinsen zu dulden, hat Klage und Widerklage im übrigen abgewiesen und die weitergehende Berufung und Anschlußberufung zurückgewiesen. Dagegen wenden sich die Kläger zu 1), 2c) und 2d) mit ihrer erneuten Revision.

 

Entscheidungsgründe

Auch das zweite Berufungsurteil hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Wie der Senat bereits entschieden und im einzelnen näher begründet hat (BGHZ 110, 176, 178), gehört das Grundstück, um das es hier geht, kraft dinglicher Surrogation (§ 2111 BGB) zur Erbschaft (Vorerbschaft) und unterliegt der Nacherbfolge durch die Kläger; dem Vater der Kläger zu 2) gehört es nur als nichtbefreitem Vorerben. Eine Zwangsverfügung in einen derartigen Gegenstand durch einen (Eigen-) Gläubiger des Vorerben wie hier durch die Beklagte unterliegt den Beschränkungen der §§ 2115 BGB, 773 ZPO. Demgemäß wird eine derartige Verfügung mit dem Eintritt des Nacherbfalles im allgemeinen unwirksam; ein Vorerbschaftsgegenstand soll dementsprechend im Wege der Zwangsvollstreckung schon gar nicht veräußert, insbesondere nicht zwangsversteigert werden. Das ist nur dann anders, wenn es sich um eine Nachlaßverbindlichkeit handelt oder wenn ein dingliches Recht an dem Erbschaftsgegenstand geltend gemacht wird, das im Nacherbfall auch gegenüber dem Nacherben wirkt (§ 2115 BGB). Indessen ist die auf die Beklagte gemäß § 774 BGB übergegangene und zu vollstreckende Darlehensrückzahlungsforderung der Raiffeisenbank nicht auch gegen den Nachlaß gerichtet; eine entsprechende Nachlaßverbindlichkeit, für die gegebenenfalls auch die Nacherben einzustehen hätten, besteht entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht.

2. Der Senat hat das erste Berufungsurteil unter anderem deshalb aufgehoben, weil das Berufungsgericht nicht geprüft hatte, ob die der Kreditgewährung durch die Raiffeisenbank zugrundeliegende Kreditvereinbarung der Bank mit dem Vorerben und dessen Ehefrau dahin auszulegen ist, daß der Vorerbe nur mit seinem Eigenvermögen und nicht auch mit dem zugunsten der Nacherben gebundenen Nachlaß haften soll. Das Oberlandesgericht hat diese Auslegung jetzt nachgeholt. Es hat sich außerstande gesehen, die zugrundeliegenden Darlehensverträge – Formularverträge – vom 10. November 1978 und vom 8. Juni 1979 (Bl. 126 ff. der Beiakten LG T.) mit der Kreissparkasse H. und vom 25. Juni 1979 (Bl. 69 f. dieser Akten) mit der Raiffeisenbank im Sinne einer entsprechenden Haftungsbeschränkung auszulegen. Das ist im Hinblick auf das Fehlen von Sachvortrag über die dem Vertragsschluß vorangegangenen Vorgänge und die näheren Umstände dazu im Ergebnis nicht zu beanstanden.

3. Entgegen der Meinung des Berufungsgerichts muß der Klage aber aus anderen Gründen in vollem Umfang stattgegeben werden.

Das Berufungsgericht stellt fest, daß 64.800 DM von den aufgenommenen Kreditmitteln in den Hausbau geflossen seien; dieser Betrag sei für die Fertigstellung des Hauses erforderlich gewesen. Insoweit entspreche die Kreditaufnahme einer ordnungsmäßigen Verwaltung, so daß die Kläger dem hätten zustimmen müssen. Hinzu rechnet es anteilige Zinsen für die Zeit ab 18. Juli 1979 bis zum 31. März 1984, so daß sich 93.600,45 DM ergeben. Wegen dieses Betrages müßten die Kläger die Zwangsversteigerung dulden, wegen der darüber hinausgehenden Beträge, für die eine ordnungsmäßige Verwaltung nicht nachgewiesen sei, müsse die Klage Erfolg haben.

Diese Begründung trägt das Berufungsurteil nicht.

Auch wenn es sich bei den festgestellten 64.800 DM um Mittel handelt, deren Aufwendung an sich sinnvoll und zur Fertigstellung des Hauses notwendig war, und wenn daher das Vorgehen losgelöst von den Umständen in einem objektiven Sinn als ordnungsmäßig bezeichnet werden kann, so ist damit noch nicht gesagt, daß es sich bei einer entsprechenden Kreditaufnahme um eine Maßnahme der ordnungsmäßigen Verwaltung im Sinne von § 2120 BGB handelt. Die Pflicht des Vorerben zu ordnungsmäßiger Verwaltung schützt – ähnlich wie diejenige des Vorvermächtnisnehmers im Verhältnis zum Nachvermächtnisnehmer (vgl. BGHZ 114, 16, 21) – in erster Linie die Nacherben. Von dem Vorerben wird erwartet, daß er das auf Substanzerhaltung und -erlangung gerichtete Interesse der Nacherben (Erbschaftsinteresse) wahrt. Dementsprechend kann eine Maßnahme des Vorerben nur dann als eine solche der ordnungsmäßigen Verwaltung angesehen werden, wenn er das „Erbschaftsinteresse” der Nacherben ausreichend berücksichtigt. Das ist hier nicht der Fall.

Bereits bei den Hinweisen, die der Senat dem Berufungsgericht für die weitere Sachbehandlung gegeben hat, ist hervorgehoben, daß eine Kreditaufnahme durch den Vorerben (auch) zu Lasten der Nacherben, etwa ein Baukredit der vorliegenden Art, für die Nacherben ein erhebliches Risiko mit sich bringt (BGHZ 110, 176, 181). Diese laufen nämlich Gefahr, daß der Vorerbe die Kreditmittel in anderer als der ursprünglich geplanten Weise verwendet. Deshalb sind – auch bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen – besondere Vorkehrungen zu treffen, die eine entsprechende Schädigung der Nacherben nach Möglichkeit ausschließen. In Betracht kommt etwa die Einschaltung eines erfahrenen und zuverlässigen Treuhänders, ohne dessen Zustimmung Verfügungen über die Kreditmittel nicht möglich sind, wie das aus der notariellen Praxis bekannt ist (BGHZ 114, 16, 27). Ein solcher Treuhänder würde die Erbschaftsinteressen der Nacherben wahrzunehmen und solche Geschäfte zu verhindern haben, die die Nacherben nicht hinnehmen müssen. Darauf, daß ein Treuhänder hier nicht bestellt worden ist, kommt es aber nicht an. Denn es hätte jedenfalls sichergestellt werden müssen, daß die fortlaufenden Zinsen und die Tilgung nicht zu einer Auszehrung der Substanz des Grundstücks führen konnten, sondern daß der Vorerbe, der als einziges Mitglied der Familie über eigenes Einkommen verfügte, sie aus seinen eigenen Mitteln deckte. Eine Kreditaufnahme, die es hieran fehlen ließ, lief den Interessen der Nacherben zuwider und durfte ihnen daher nicht zugemutet werden (vgl. BGHZ 114, 16, 27).

Wie die Feststellungen des Berufungsgerichts zeigen, sind im vorliegenden Fall keine Vorkehrungen getroffen worden, die die Interessen der Nacherben hätten schützen können. Da dem Vorerben die Mittel fehlten, um die aufgenommenen Kredite zuverlässig zu bedienen, und da sich seine Hoffnung auf eine neue auskömmliche Stellung am neuen Wohnort zerschlug, ist danach das gesamte Kreditgeschäft von vornherein für die Nacherben zu risikoreich. Dies gilt umso mehr, als der Vorerbe darüber hinaus noch weiteren Kredit aufgenommen hat, der nicht in das Haus geflossen ist und der die Aussichten auf ordnungsmäßige Abwicklung zusätzlich verringerte. Genügt hätte der Vorerbe seinen Verwalterpflichten gegenüber den Nacherben daher allenfalls dann, wenn er von Anfang an klargestellt hätte, daß die Kreditgeber nicht auf das Grundstück zugreifen dürfen.

Danach darf die Beklagte das Grundstück nicht versteigern lassen. Dem kann nicht entgegengehalten werden, daß der Vorerbe gegebenenfalls einen Erstattungsanspruch gemäß §§ 2124 Abs. 1, 2125, 683, 684, 612, 256 Satz 2 BGB gegen die Nacherben bis zur Höhe der verbliebenen Wertsteigerung erlange. Ein solcher Anspruch kann nicht vor dem Nacherbfall entstehen.

4. Dementsprechend kann auch der Widerklage gegen die Revisionskläger nicht stattgegeben werden.

5. Nicht aufheben kann der Senat das angefochtene Urteil allerdings, soweit es sich um die Kläger zu 2a) und 2b) handelt, die auch am zweiten Revisionsverfahren nicht beteiligt sind. Zwischen Nacherben besteht vor dem Nacherbfall, anders als das Berufungsgericht meint, keine Erbengemeinschaft. Der V. Zivilsenat des Reichsgerichts hat das zwar einmal ausgesprochen (RGZ 93, 292, 296; ebenso Soergel/Wolf, BGB 12. Aufl. § 2032 Rdnr. 2 Fn. 13). Dem kann der Senat aber nicht zustimmen. Eine Erbengemeinschaft setzt ein ihr zugeordnetes Vermögen voraus (§ 2032 Abs. 1 BGB). Ein solches gemeinschaftliches Vermögen haben Nacherben vor dem Nacherbfall jedoch nicht. Das Erblasservermögen liegt vielmehr bis zum Nacherbfall (§ 2139 BGB) ausschließlich in der Hand des oder der Vorerben. Schon deshalb sind Nacherben keine notwendigen Streitgenossen (§ 62 Abs. 1 Fall 2 ZPO), wenn sie gemeinsam Widerspruchsklage gemäß § 773 ZPO erheben. Vielmehr hat jeder Nacherbe für sich ein eigenes Widerspruchsrecht gemäß § 2115 BGB, § 773 ZPO. Daß das Berufungsgericht den gegenteiligen Standpunkt eingenommen hat, läßt keine besonderen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Zwangsversteigerung erwarten. Da die Kläger zu 1), 2c) und 2d) die Zwangsversteigerung vollständig verhindern können, kommt dies auch den Klägern zu 2a) und 2b) zugute, obwohl sie selbst die Versteigerung wegen eines Teilbetrages nach dem insoweit bestehen bleibenden Berufungsurteil hinnehmen müßten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 609378

NJW 1993, 1582

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