Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Klagänderung einer Werklohnklage durch Vorlage einer neuen Schlussrechnung während des Prozesses. Vorlage einer neuen Schlussrechnung kein neues Angriffs- und Verteidigungsmittel, wenn die Partei die neue Schlussrechnung erst während des Prozesses erstellt und unmittelbar danach in den Prozess einführt

 

Leitsatz (amtlich)

Der Streitgegenstand einer Werklohnklage ändert sich nicht dadurch, dass eine neue Schlussrechnung vorgelegt wird (Bestätigung von BGH, Urt. v. 4.7.2002 - VII ZR 103/01, BGHReport 2002, 1053 = MDR 2002, 1390).

Es handelt sich nicht um neue Angriffs- und Verteidigungsmittel i. S. d. prozessrechtlichen Präklusionsvorschriften, wenn eine Partei im Laufe des Verfahrens die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Anspruch erst schafft und alsdann in den Prozess einführt.

 

Normenkette

ZPO §§ 263, 296

 

Verfahrensgang

KG Berlin

LG Berlin

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 4. Zivilsenats des KG v. 10.9.2002 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger verlangt von den Beklagten Zahlung restlichen Werklohns.

Er wurde von den Beklagten im Jahre 1994 unter Geltung der VOB/B mit den Bauleistungen für die Gewerke Maurer- und Betonarbeiten, Trockenbauarbeiten sowie Innen- und Außenputzarbeiten in drei selbständigen Verträgen beauftragt. Die Putzarbeiten wurden zu einem Pauschalpreis, die anderen Arbeiten zu Einheitspreisen vergeben. Die Beklagten kündigten die Verträge im Jahre 1998. Zu diesem Zeitpunkt waren die Beton- und Maurerarbeiten fertig gestellt. Der Kläger rechnete seine Leistungen mit Schlussrechnung v. 18.6.1998 ab, die von den Beklagten nicht bezahlt wurde.

Das LG hat die auf Zahlung von 84.077,92 DM gerichtete Klage nach mündlicher Verhandlung v. 31.1.2001 abgewiesen. Es hat die Schlussrechnung teilweise nicht als prüfbar, teilweise als sachlich nicht gerechtfertigt angesehen.

Im Juni 2002 übersandte der Kläger den Beklagten eine zwischenzeitlich erstellte erneute Schlussrechnung, die er am 1.8.2002 im Berufungsverfahren zu den Akten reichte. Die Berufungsverhandlung war nach Eingang der Berufungsbegründung v. 9.8.2001 auf den 30.8.2002 terminiert.

Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen, da sich die höchstrichterliche Rechtsprechung mit der Frage, ob bzw. ggf. wann in der Geltendmachung einer neuen Schlussrechnung eine Klageänderung zu sehen sei, bislang - soweit ersichtlich - nicht beschäftigt habe.

Der Kläger verfolgt im Revisionsverfahren sein Begehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht ist der Ansicht, die Schlussrechnung v. 18.6.1998 sei bezüglich aller Leistungen nicht prüfbar gewesen. Die Einführung der neuen Schlussrechnung im Berufungsverfahren stelle eine Klageänderung dar. Dieser hätten die Beklagten nicht zugestimmt. Sie sei auch nicht sachdienlich.

Unabhängig davon sei der Vortrag als neues Angriffsmittel gem. §§ 527, 296 Abs. 1 ZPO als verspätet zurückzuweisen, weil er die Entscheidung verzögert hätte. Der Kläger sei wegen der vom LG geäußerten Bedenken gegen die Prüfbarkeit der Schlussrechnung gehalten gewesen, das neue Vorbringen bereits in der Berufungsbegründung geltend zu machen.

II.

1. Die Revision ist gem. § 542, § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zulässig, weil das Berufungsgericht sie im angegriffenen Urteil zugelassen hat. Da die mündliche Verhandlung, auf die das Berufungsurteil ergangen ist, nach dem 1.1.2002 stattgefunden hat, richtet sich die Zulässigkeit der Revision nach der Zivilprozessordnung in der ab dem 1.1.2002 geltenden Fassung (§ 26 Nr. 7 EGZPO).

An die Zulassung ist der Senat gem. § 543 Abs. 2 S. 2 ZPO gebunden, obwohl ein Zulassungsgrund nicht gegeben ist (nachstehend 2. a.).

Das für die prozessuale Beurteilung des Berufungsverfahrens maßgebende Recht richtet sich nach der Zivilprozessordnung in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung, weil die mündliche Verhandlung vor dem LG vor dem 1.1.2002 geschlossen worden ist (§ 26 Nr. 5 EGZPO). Auf das Schuldverhältnis findet das Bürgerliche Gesetzbuch in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung Anwendung (Art. 229 § 5 S. 1 EGBGB).

2. Die Revision beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht in der Vorlage einer neuen Schlussrechnung eine Klageänderung sieht (a). Rechtsfehlerhaft ist ferner die Hilfserwägung, das Vorbringen zur neuen Schlussrechnung im Schriftsatz v. 1.8.2002 unterliege wegen Verspätung der Zurückweisung (b).

a) Die vom Berufungsgericht als rechtsgrundsätzlich angesehene Frage ist vom BGH entschieden. Nach den Urteilen v. 4.7.2002 (BGH, Urt. v. 4.7.2002, VII ZR 103/01, BGHReport 2002, 1053 = MDR 2002, 1390 = ZfBR 2002, 787 = BauR 2002, 1588 = NZBau 2002, 614) und v. 28.9.2000 (BGH, Urt. v. 28.9.2000 - VII ZR 57/00, MDR 2001, 83 = BauR 2001, 124, 125 = ZfBR 2001, 34 = NZBau 2001, 146) ändert sich der Streitgegenstand nicht dadurch, dass eine neue Schlussrechnung erstellt wird. Der prozessuale Anspruch wird bestimmt durch den Klageantrag und den Lebenssachverhalt, aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet. Dazu zählen alle Tatsachen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden Betrachtungsweise zu dem durch den Vortrag des Klägers zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören, die der Kläger zur Stützung seines Rechtsschutzbegehrens dem Gericht unterbreitet.

Der Kläger verlangt in beiden Instanzen seinen Werklohnanspruch i. H. v. 84.077,92 DM aus den Verträgen über die Maurer- und Betonarbeiten, die Trockenbauarbeiten sowie die Innen- und Außenputzarbeiten. Daran hat sich nichts dadurch geändert, dass er im Berufungsverfahren am 1.8.2002 eine neue Schlussrechnung vorgelegt hat.

b) Das Berufungsurteil wird auch nicht von der Hilfserwägung getragen, die Einführung der neuen Schlussrechnung sei als verspäteter Vortrag gem. §§ 527 Abs. 1, 296 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Innerhalb der am 9.8.2001 endenden Berufungsbegründungsfrist konnte der Vortrag schon deswegen nicht erfolgen, weil zu diesem Zeitpunkt die überarbeitete neue Schlussrechnung nicht vorlag. Der Kläger war aus prozessualen Gründen nicht gehindert, eine neue Schlussrechnung zu erstellen und im Berufungsrechtszug in den Prozess einzuführen. Es handelt sich nicht um neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im prozessrechtlichen Sinne, wenn eine Partei im Laufe des Verfahrens die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Anspruch erst schafft und alsdann in den Prozess einführt. Denn die prozessrechtlichen Präklusionsvorschriften sollen die Partei anhalten, zu einem bereits vorliegenden Tatsachenstoff rechtzeitig vorzutragen. Sie haben nicht den Zweck, auf eine beschleunigte Schaffung der materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen hinzuwirken.

War aus Rechtsgründen die zunächst erstellte Rechnung nicht prüfbar, war die Forderung nicht fällig. Die anschließende Erstellung einer prüfbaren Schlussrechnung hatte materiell-rechtlich die Wirkung, die Fälligkeit des Anspruchs herbeizuführen. Der diesbezügliche Vortrag konnte nicht aus prozessualen Gründen zurückgewiesen werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1070878

BGHR 2004, 187

BauR 2003, 1943

BauR 2004, 115

EBE/BGH 2003, 386

NJW-RR 2004, 167

IBR 2003, 705

JurBüro 2004, 342

WM 2004, 288

ZfIR 2004, 130

MDR 2004, 148

ZfBR 2004, 58

BTR 2004, 46

BrBp 2004, 173

NZBau 2004, 98

BauRB 2004, 68

JbBauR 2005, 374

LMK 2004, 54

ProzRB 2004, 64

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge