Leitsatz (amtlich)

Zur Vertretungszuständigkeit des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft in einem Rechtsstreit, in dem ein Vorstandsmitglied nach Widerruf seiner Bestellung und fristloser Kündigung des Anstellungsvertrags die Unwirksamkeit der Kündigung sowie Rechte aus dem Anstellungsvertrag geltend macht.

 

Normenkette

AktG § 112

 

Verfahrensgang

OLG Köln (Urteil vom 05.11.1985)

LG Bonn (Urteil vom 21.12.1984)

 

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil des 22. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 5. November 1985 teilweise aufgehoben und das Urteil der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Bonn vom 21. Dezember 1984 teilweise geändert.

Die Klage wird, soweit dem Kläger nicht schon 16.666,66 DM nebst Zinsen (Teiltantieme für 1983) rechtskräftig zuerkannt sind, abgewiesen.

Von den Kosten des ersten und zweiten Rechtszuges tragen der Kläger 89/105 und die Beklagte 16/105. Von den Kosten des Revisionsverfahrens fallen dem Kläger 24/25 der Gerichtskosten und 3/4 der außergerichtlichen Kosten zur Last; der Beklagte trägt die weiteren Kosten des Revisionsverfahrens.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Am 17. Juli 1984 widerrief der Aufsichtsrat der Beklagten die Bestellung des Klägers zu deren Vorstand. Gleichzeitig kündigte er den Anstellungsvertrag fristlos. Die Kündigung haben der (neue) Vorstand K. mit Scheiben vom 25. August 1984 und der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende Hoffmann mit Schreiben vom 12. Oktober 1984 – jeweils namens des Aufsichtsrats – wiederholt. Vorsorglich hat der Aufsichtsrat den Kläger erneut am 28. Oktober 1984 als Vorstand abberufen und den Anstellungsvertrag fristlos gekündigt.

Mit der gegen die Beklagte „vertreten durch ihren Vorstand, Herr Karl-Heinz K.”, gerichteten und diesem am 31. August 1984 zugestellten Klage hat der Kläger zuletzt beantragt, a) festzustellen, daß der Anstellungsvertrag durch die Kündigungen vom 17. Juli, 25. August und 12. Oktober 1984 nicht aufgelöst ist, und b) die Beklagte zur Zahlung von 45.422,40 DM sowie weiterer 25.000 DM – jeweils nebst Zinsen – zu verurteilen. Mit dem Zahlungsanspruch von 45.422,40 DM macht der Kläger Gehaltsforderungen für die Zeit von Juli bis Oktober 1984 geltend. Hilfsweise stützt er diesen Anspruch auf § 6 des Anstellungsvertrags, wonach dem Kläger für die Dauer von zwei Jahren nach Beendigung des Anstellungsverhältnisses jede Tätigkeit für ein Konkurrenzunternehmen gegen Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 50 % seiner letzten Monatsbezüge untersagt ist. Der Anspruch auf Zahlung weiterer 25.000 DM betrifft eine Tantiemeforderung des Klägers für 1983.

Beide Vorinstanzen haben der Klage bis auf einen Teil (8.333,34 DM) der Tantiemeforderung stattgegeben. Mit der Revision erstrebt die Beklagte weiterhin die Abweisung des Feststellungs- und des Zahlungsanspruchs von 45.422,40 DM. Soweit das Berufungsgericht den Anspruch auf Zahlung einer Tantieme von 25.000,– DM in Höhe von 16.666,66 DM dem Kläger zuerkannt hat, hat die Beklagte die Revision zurückgenommen. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Der Senat hat die Beklagte in der Revisionsverhandlung vom 30. Juni 1986 aufgefordert, bis 21. Juli 1986 mitzuteilen, ob ihr Aufsichtsrat nachträglich als gesetzlicher Vertreter in den Prozeß eintritt und die bisherige Prozeßführung des Vorstands genehmigt. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 15. Juli 1986 mitgeteilt, ihr Aufsichtsrat sehe sich hierzu nicht in der Lage. Hierauf hat der Kläger mit Schriftsatz vom 30. Juli 1986 erklärt, das Klagerubrum werde berichtigt; die Klage richte sich gegen die Beklagte „vertreten durch ihren Aufsichtsrat, die Herren B. H. (Vorsitzender), Ulrich L. und Horst G.”. Ferner hat sie drei Schreiben vom 24. September 1984, 18. und 30. April 1986 vorgelegt, aus denen sich ergebe, daß der Aufsichtsrat die bisherige Prozeßführung durch den Vorstand genehmigt habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg. Die Klage ist als unzulässig abzuweisen, soweit über den Klageanspruch noch nicht rechtskräftig entschieden ist. Die Beklagte hätte in dem Rechtsstreit durch ihren Aufsichtsrat und nicht durch ihren Vorstand vertreten werden müssen.

1. Allerdings vertritt nach § 78 Abs. 1 AktG der Vorstand die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich. Hiervon macht jedoch § 112 AktG eine Ausnahme. Danach wird die Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern durch den Aufsichtsrat gerichtlich und außergerichtlich vertreten. Die ausschließliche Vertretungsmacht des Aufsichtsrats ist nicht, worauf der Wortlaut der Bestimmung hindeuten könnte, auf die im Amt befindlichen Vorstandsmitglieder beschränkt (a.M. Hueck, Die Vertretung von Kapitalgesellschaften im Prozeß in Festschrift für Eduard Bötticher S. 199). Der Senat hat § 112 AktG mehrfach auf Rechtsgeschäfte oder Rechtsstreitigkeiten der Gesellschaft mit solchen Personen angewandt, die dem Vorstand noch nicht oder – aufgrund der nach § 84 Abs. 3 Satz 4 AktG stets zunächst sofort wirksamen Abberufung – nicht mehr angehören. So hat er – in einer allerdings noch zu § 97 AktG 1937 ergangenen Entscheidung – ausgesprochen, daß die Vertretungsmacht des Aufsichtsrats auch gegenüber den Personen besteht, die erst Vorstandsmitglieder werden sollen (BGHZ 26, 236, 238). Ferner hat er den Aufsichtsrat für befugt angesehen, die Gesellschaft beim Abschluß eines Vergleichs zu vertreten, der einem Vorstandsmitglied, dessen Bestellung widerrufen ist, die Möglichkeit nehmen soll, die Wirksamkeit des Widerrufs gerichtlich überprüfen zu lassen (BGH a.a.O.). In einer weiteren Entscheidung hat er die Vertretungsmacht des Aufsichtsrats für einen Rechtsstreit bejaht, in dem die Wirksamkeit des Widerrufs streitig war (Urt. v. 11. Mai 1981 – II ZR 126/80, WM 1981, 759; ebenso Meyer-Landrut in Großkomm. AktG § 112 Anm. 2; Geßler/Hefermehl/Eckart/Kropff, AktG § 112 Rn. 6; Mertens in Kölner Kommm. z. AktG § 112 Rn. 7). Außerdem hat er die Vertretungsbefugnis des Aufsichtsrats für gegeben erachtet, wenn nicht nur die Wirksamkeit der Abberufung, sondern zugleich auch Rechte aus dem Anstellungsvertrag im Streit sind oder dessen Kündigung; auch besteht diese bis zum rechtskräftigen Abschluß des Prozesses fort, wenn die Wirksamkeit des Widerrufs schon vor den sonstigen Streitpunkten endgültig geklärt wird (Senatsurt. v. 11. Mai 1981 a.a.O.). Nicht zu entscheiden brauchte der Senat bisher darüber, ob die ausschließliche Vertretungszuständigkeit beim Aufsichtsrat liegt, wenn – wie hier – ein Vorstandsmitglied nach Widerruf seiner Bestellung und fristloser Kündigung des Anstellungsverhältnisses sich mit seiner Klage nur gegen die Kündigung wendet und Ansprüche aus dem Anstellungsvertrag geltend macht. Dazu ist auszuführen:

a) Die Frage, wer in einem solchen Fall die Gesellschaft gesetzlich vertritt, wird im Schrifttum, soweit ersichtlich, allein von M. a.a.O. Rn. 10 eingehend erörtert. Nach seiner Ansicht sollte auch hier die Vertretungsmacht beim Aufsichtsrat liegen; zum einen gehe es um die anstellungsvertragliche Position als Vorstandsmitglied, so daß § 112 AktG noch als einschlägig betrachtet werden könne; zum anderen erscheine es durchaus möglich, daß ein abberufenes Vorstandsmitglied zunächst nur die Kündigung des Anstellungsverhältnisses angreife, sich aber vorbehält, die Wirksamkeit des Widerrufs ebenfalls in Frage zu stellen und bei einem günstig verlaufenden Prozeß um die Wirksamkeit der Kündigung auch noch zur Anfechtung der Abberufung überzugehen; erst wenn das Vorstandsmitglied eindeutig zu erkennen gegeben habe, daß es sich gegen die Abberufung selbst nicht wenden werde, sei die Vertretungsmacht des Aufsichtsrats als beendet anzusehen. Im Ergebnis ähnlich meinen Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff a.a.O., daß die Vertretungsbefugnis des Aufsichtsrats so lange besteht, bis die Wirksamkeit des Widerrufs endgültig geklärt sei (vgl. auch Meyer-Landrut a.a.O.).

b) Der Senat hat in dem bereits erwähnten Urteil vom 11. Mai 1981 darauf hingewiesen, daß § 112 AktG die unbefangene Vertretung der Gesellschaft bezweckt; das erfordere die Auslegung der Vorschrift dahin, daß der Aufsichtsrat die Gesellschaft auch dann vertritt, wenn es um die Wirksamkeit des Widerrufs und der fristlosen Kündigung des Anstellungsvertrags sowie um Rechte daraus geht; denn eine unbefangene Vertretung der Gesellschaft könne in Frage gestellt sein, wenn ein Vorstandsmitglied im Namen der Gesellschaft mit einem bisherigen Vorstandskollegen verhandeln oder sich streitig auseinandersetzen müßte, mit dem er vielleicht bei Unwirksamkeit des Widerrufs oder der Kündigung eines Tages wieder zusammenarbeiten soll.

Aus dieser Sicht kann es aber keinen Unterschied machen, ob das abberufene Vorstandsmitglied zugleich den Widerruf und die Kündigung angreift oder sich zunächst nur gegen die Kündigung wendet. Allerdings wird man eine mögliche Befangenheit des Vorstands dann nicht mehr annehmen können, wenn schon zu Prozeßbeginn eindeutig feststeht, daß der Widerruf endgültig und infolgedessen mit einer Rückkehr des Abberufenen als Vorstandsmitglied nicht mehr zu rechnen ist. Indes ergibt sich dafür im Streitfall aus dem Vortrag der Parteien kein hinreichender Anhalt. Im übrigen erscheint in Fällen der vorliegenden Art die Vertretung der Gesellschaft durch den Aufsichtsrat zweckmäßig und sinnvoll, weil damit die Vertretungsmacht bei jenem ihrer Organe liegt, das über die Kündigung des Anstellungsvertrags zu beschließen und sie zu erklären hat (zur Kündigungszuständigkeit des Aufsichtsrats vgl. Fleck, WM 1981 Sonderbeilage 3 S. 10). Zudem dient eine solche Regelung der Rechtsklarheit. Außerdem bewirkt sie, daß die Vertretungsmacht des Aufsichtsrats, der ein Vorstandsmitglied abberufen und dessen Anstellungsvertrag gekündigt hat, nicht davon abhängig ist, ob sich der Abberufene dazu entschließt, sich zugleich gegen den Widerruf und die Kündigung zu wenden oder zunächst nur die Kündigung anzugreifen.

c) Danach hätte der Aufsichtsrat die Beklagte in dem vorliegenden Rechtsstreit vertreten müssen. Das gilt entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung auch insoweit, als der Kläger den Anspruch auf Zahlung von 45.422,40 DM hilfsweise auf die im Anstellungsvertrag festgelegte Karenzentschädigung gestützt hat. Der Hilfsanspruch gründet sich auf ein Recht aus dem Anstellungsvertrag, das eng mit der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung zusammenhängt, so daß der Streit darüber von der Vertretungsmacht des Aufsichtsrats mitumfaßt wird (vgl. Senatsurt. v. 11. Mai 1981 – II ZR 126/80, WM 1981, 759).

2. Es erscheint zumindest zweifelhaft, ob der Kläger nach Schluß der Revisionsverhandlung die Bezeichnung des gesetzlichen Vertreters der Beklagten noch „berichtigen” und verschiedene Schreiben zum Nachweis der Genehmigung der bisherigen Prozeßführung des Vorstands der Beklagten durch deren Aufsichtsrat vorlegen konnte. Indes bedarf diese Frage keiner weiteren Prüfung. Bejaht man sie mit dem Kläger, so ändert das nichts an der Unzulässigkeit der Klage. Der Kläger hat den gesetzlichen Vertreter der Beklagten nicht irrtümlich falsch bezeichnet, sondern deren Vorstand, wenn auch unrichtigerweise, als deren gesetzlichen Vertreter angesehen und demgemäß in der Klageschrift bezeichnet. In einem solchen Fall ist für eine „Berichtigung” der Bezeichnung des Vertreters kein Raum. Ferner besteht kein Anhalt, daß der Aufsichtsrat der Beklagten mit den vorgelegten Schreiben die bisherige Prozeßführung des Vorstands genehmigen wollte, zumal ihm ohnedies nicht bekannt war, daß er sie zu genehmigen hätte.

 

Unterschriften

Dr. Kellermann, Dr. Bauer, Bundschuh, Brandes, Röhricht

 

Fundstellen

Haufe-Index 1778296

NJW 1987, 254

Nachschlagewerk BGH

ZIP 1986, 1381

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