Leitsatz (amtlich)

1. Zu den Voraussetzungen, unter denen ein GmbH-Geschäftsführer seinen Anstellungsvertrag aus wichtigem Grund kündigen kann, wenn ein anderer Geschäftsführer unberechtigte Vorwürfe gegen ihn erhebt, die ihm das Verbleiben in seinem Amt unzumutbar machen.

2. Verlangt in einem solchen Fall der (frühere) Geschäftsführer nach wirksamer Kündigung Ersatz des ihm dadurch entstehenden Verdienstausfallschadens, dann muß die Gesellschaft sich das unberechtigte Verhalten des anderen Geschäftsführers zurechnen lassen.

 

Orientierungssatz

Frühere Vorfälle, aus denen allein ein Kündigungsrecht nicht mehr hergeleitet werden kann, sind in die gebotene Gesamtwürdigung eines noch nicht erledigten Vorfalls von nicht unerheblichem Gewicht einzubeziehen (vergleiche BGH, 1975-07-03, II ZR 35/73, WM IV 1975, 787 und BGH, 1977-12-08, II ZR 219/75, WM IV 1978, 109).

 

Tatbestand

Der Beklagte erwarb im Dezember 1986 von dem damaligen alleinigen Gesellschafter S. den hälftigen Geschäftsanteil an der klagenden GmbH. Er wurde gleichzeitig – neben S. – zum alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer bestellt. Zwischen den beiden Gesellschaftern und Geschäftsführern kam es alsbald zu Meinungsverschiedenheiten, weil S. der Ansicht war, der Beklagte erfülle seine Geschäftsführerpflichten nicht ordnungsgemäß. Am 1. Dezember 1987 verfaßte S. einen als „persönlich – vertraulich” gekennzeichneten, 14 Seiten langen Brief an den Beklagten, den er diesem auf den Schreibtisch legen ließ. S. warf dem Beklagten in dem Schreiben eine Vielzahl von angeblichen Pflichtverletzungen vor und beschuldigte ihn unter anderem der Unwahrhaftigkeit und des geschäftsschädigenden Verhaltens. Dies nahm der Beklagte zum Anlaß, durch Anwaltsschreiben vom 7. Dezember 1987 den Rücktritt vom Anteilskaufvertrag und die Kündigung seines Anstellungsvertrags aus wichtigem Grund zu erklären. Mit Schreiben vom 14. Dezember 1987 erklärte sich S., auch namens der Klägerin, mit der sofortigen Beendigung des Anstellungsverhältnisses einverstanden; er bestritt jedoch, daß die Kündigung durch einen wichtigen Grund gerechtfertigt sei. Den Geschäftsanteil übertrug der Beklagte im Frühjahr 1988 auf S. zurück.

Mit der Widerklage, die allein noch Gegenstand des Rechtsstreits ist, verlangt der Beklagte von der Klägerin Ersatz des Verdienstausfallschadens, der ihm infolge der Beendigung des Anstellungsvertrags entstanden sei und den er zuletzt mit 99.000,– DM beziffert hat. Er hat im einzelnen dargelegt, daß die gegen ihn erhobenen Vorwürfe unberechtigt gewesen seien und daß durch sie das für eine Zusammenarbeit nötige Vertrauensverhältnis so erschüttert worden sei, daß ihm die Fortsetzung der Geschäftsführertätigkeit nicht mehr zuzumuten gewesen sei.

Die Vorinstanzen haben die Widerklage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Beklagte den Anspruch auf Schadensersatz weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Die Abweisung der Widerklage läßt sich mit der Begründung des Berufungsgerichts nicht halten.

a) Das Berufungsgericht hat den auf § 628 Abs. 2 BGB gestützten Schadensersatzanspruch verneint, weil ein wichtiger Grund für die vom Beklagten am 7. Dezember 1987 ausgesprochene Kündigung seines Anstellungsvertrags nicht vorgelegen habe. Es hat sich dabei mit dem Schreiben des Mitgeschäftsführers und Mitgesellschafters S. vom 1. Dezember 1987, das unmittelbarer Anlaß der Kündigung war, auseinandergesetzt und gemeint, dieses Schriftstück enthalte zwar beträchtliche Schärfen, die möglicherweise den Tatbestand der Beleidigung im strafrechtlichen Sinne erfüllten; die fristlose Kündigung rechtfertige es aber gleichwohl nicht, weil die Vorhaltungen als Appell zu zukünftiger konstruktiver und gedeihlicher Zusammenarbeit zu werten und Form und Stil des Briefes vor dem Hintergrund persönlicher Freundschaft und Verbundenheit zu sehen seien, die von einem letztlich positiven Grundkonsens getragen gewesen seien. Auf frühere Vorfälle komme es nicht an, weil der Beklagte diese nicht zum Anlaß genommen habe, seine Geschäftsführertätigkeit alsbald einzustellen.

b) Diese Beurteilung greift die Revision mit Erfolg an. Es ist zwar in erster Linie eine tatrichterliche Frage, ob ein bestimmtes Verhalten als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung zu werten ist. Aufgabe des Revisionsgerichts ist es aber, die vom Berufungsgericht vorgenommene Wertung darauf zu überprüfen, ob der Rechtsbegriff des wichtigen Grundes richtig erkannt und die Grenzen des dem Tatrichter eingeräumten Ermessens bei der Würdigung des von ihm festgestellten Sachverhalts eingehalten worden sind; ein Ermessensfehler liegt insbesondere dann vor, wenn wesentliche Tatsachen außer acht gelassen oder nicht vollständig gewürdigt worden sind (BGH, Urt. v. 28. April 1960 VII ZR 218/59, LM BGB § 626 Nr. 10; Sen.Urt. v. 21. April 1975 II ZR 2/73, WM 1975, 761). Nach diesen Maßstäben kann die angefochtene Entscheidung nicht bestehen bleiben.

aa) Auch wenn man, wie das Berufungsgericht es getan hat, zunächst nur auf den Inhalt des Briefes vom 1. Dezember 1987 abstellt, sind die Erwägungen, mit denen ein wichtiger Kündigungsgrund verneint worden ist, rechtsfehlerhaft. Das Schreiben enthält Wendungen wie „… hast Du mich … in der übelsten Weise hintergangen”, „es ist längst nicht nur mir klar, daß Du … lügst”, „Deine mangelnde Liebe zur Wahrheit …”, „hast Du nicht nur mich, sondern auch meine Frau belogen”, „schämst Du Dich eigentlich nicht, so viel Geld für eine Tätigkeit zu erhalten …”, „daß ich ständig belogen und hintergangen werde”. Diese Angriffe gegen Person und Charakter des Beklagten waren mit einer Reihe von sachlichen Vorwürfen verknüpft, mit denen seine Handlungsweise im Zusammenhang mit verschiedenen Vorfällen gerügt wurde. Dem Beklagten wurde danach zur Last gelegt, er habe durch die Art und Weise, wie er sich den Geschäftspartnern gegenüber verhielt – einen von ihnen soll er zur Nachtzeit wegen privater Probleme angerufen haben –, die Geschäftsbeziehungen zu diesen belastet; er habe unsorgfältige Arbeit geleistet, schwerwiegende fachliche Fehler begangen und sich anschließend durch falsche Angaben herausgeredet; in einem Fall habe er sich vor den Angestellten des Unternehmens dadurch lächerlich gemacht, daß er weinend im Büro gesessen habe; den Mitgesellschafter S. habe er im Zusammenhang mit dem versprochenen, aber nie ernsthaft ins Auge gefaßten Familienumzug belogen; die Zusage, der Gesellschaft an jedem zweiten Wochenende zur Verfügung zu stehen, habe er nicht eingehalten; er habe Reisekosten inkorrekt abgerechnet, Termine nicht eingehalten und teilweise einfach vergessen; in einem Fall habe er eine von ihm zu bearbeitende Akte, als sie gesucht wurde, heimlich auf den Tisch der Sekretärin gelegt und anschließend behauptet, er wisse nicht, wie sie dort hingekommen sei; er habe den Dienstwagen unerlaubterweise privat genutzt; schließlich habe er sich heimlich bei Kunden der Klägerin um eine andere Stellung beworben und über die Auflösung seines vorangegangenen Beschäftigungsverhältnisses falsche Angaben gemacht. Treffen diese Vorwürfe zu, dann mag der Ton des Briefes vom 1. Dezember 1987 verständlich erscheinen und letztlich nicht zu beanstanden sein. Es ist nicht auszuschließen, daß das Berufungsgericht sich davon hat beeinflussen lassen. Indessen hat es die sachliche Berechtigung jener gegen den Beklagten erhobenen Beschuldigungen nicht, wie es erforderlich gewesen wäre (vgl. Sen.Urt. vom 19. Oktober 1987 II ZR 97/87, ZIP 1988, 47, 48 = BGHR BGB § 626 Abs. 1, wichtiger Grund 1), geprüft; der Beklagte hat zu den Beschuldigungen im einzelnen Stellung genommen und bestritten, daß sie inhaltlich zutreffen. Für die Revisionsinstanz ist daher zu unterstellen, daß die gegen ihn erhobenen Vorwürfe unbegründet waren. Geht man hiervon aus, dann läßt sich das Schreiben vom 1. Dezember 1987 nicht damit rechtfertigen, daß es lediglich gewisse Schärfen und überspitzte Formulierungen enthalte, die wegen des freundschaftlichen Verhältnisses zwischen den beiden Gesellschaftern und Geschäftsführern nicht zu einer schwerwiegenden Zerrüttung der Vertrauensbasis hätten zu führen brauchen. Auch im Verhältnis zwischen zwei miteinander befreundeten Gesellschafter-Geschäftsführern braucht der eine nicht hinzunehmen, daß der andere ihn noch dazu in beleidigender Form mit haltlosen Vorwürfen überschüttet. Erst wenn feststeht, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die gegen den Beklagten erhobenen Vorwürfe berechtigt waren, wird sich beurteilen lassen, inwiefern ihre Form zu entschuldigen war und ob, wie das Berufungsgericht meint, der Beklagte sich zunächst auf das von seinem Mitgesellschafter gesuchte Gespräch hätte einlassen müssen, bevor er sein Geschäftsführeramt niederlegte und den Anstellungsvertrag kündigte. Jene Feststellungen werden zunächst getroffen werden müssen.

bb) Ein Rechtsfehler liegt auch darin, daß das Berufungsgericht es abgelehnt hat, frühere Vorfälle in seine Gesamtwürdigung miteinzubeziehen. Nach dem Sachvortrag des Beklagten soll S. ihn verschiedene Male vor den Angestellten „heruntergeputzt”, als Lügner beschimpft, als unfähig bezeichnet und ihn bei einem Gaststättenbesuch, bei dem auch S.s Ehefrau, Bruder und Schwägerin zugegen waren, beschimpft und zur Belustigung der übrigen Gäste lächerlich gemacht haben. Daß der Beklagte darauf nicht jeweils innerhalb der Zweiwochenfrist des § 626 Abs.2 BGB mit der Kündigung reagiert, sondern seine Geschäftsführertätigkeit zunächst fortgesetzt hat, hindert es nicht, jene Vorfälle, die mit den im Brief enthaltenen Vorwürfen in engem Zusammenhang stehen, bei der erforderlichen Gesamtbeurteilung mit heranzuziehen. Auf ältere Vorgänge, aus denen allein ein Kündigungsrecht nicht mehr hergeleitet werden kann, kann unter der Voraussetzung, daß wenigstens ein noch nicht erledigter Vorfall von nicht unerheblichem Gewicht vorhanden ist, unterstützend zurückgegriffen werden (Sen.Urt. v. 3. Juli 1975 II ZR 35/73, WM 1975, 787, 789 und vom 8. Dezember 1977 II ZR 219/75, WM 1978, 109, 111).

2. Die Widerklage ist nicht aus einem anderen Grund abweisungsreif. Die Klägerin muß sich das etwaige den Schadensersatzanspruch des Beklagten begründende Verhalten S.s zurechnen lassen. Dieser hat mit seinen Angriffen gegen den Beklagten nicht nur als Gesellschafter – als solcher kann er persönlich dem Beklagten wegen Treupflichtverletzung schadensersatzpflichtig sein –, sondern auch als Geschäftsführer der Klägerin gehandelt. Soweit er sich im Rahmen des zwischen dem Beklagten und der Klägerin bestehenden Anstellungsverhältnisses jenem gegenüber schuldhaft pflichtwidrig verhalten hat, hat die Klägerin dafür gemäß § 31 BGB einzustehen (vgl. Zöllner in: Baumbach/Hueck, GmbHG 15. Aufl. § 35 Rdn. 89 ff.). Zu den Pflichten eines Geschäftsführers gehört es auch, mit seinen Mitgeschäftsführern kollegial und in einer Weise zusammenzuarbeiten, daß diesen das Verbleiben in ihrem Amt nicht unzumutbar gemacht wird (Zöllner aaO § 35 Rdn. 18). Verhält er sich nicht entsprechend, dann verletzt er nicht nur seine eigenen Pflichten gegenüber der Gesellschaft, sondern gleichzeitig damit auch deren Verpflichtungen gegenüber den anderen Geschäftsführern; denn die Gesellschaft hat aufgrund des Anstellungsvertrags dafür zu sorgen, daß ihrem Geschäftsführer die Tätigkeit für sie nicht durch Mitgeschäftsführer und Angestellte der Gesellschaft unerträglich erschwert wird.

3. Damit die nach den Ausführungen zu 1 noch erforderlichen tatsächlichen Feststellungen getroffen werden können, ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 647879

BB 1992, 801

ZIP 1992, 539

GmbHR 1992, 301

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