Entscheidungsstichwort (Thema)

EG-Pauschalbeträge für Fleischuntersuchungen. Abweichungen. Gemeinschaftlicher Staatshaftungsanspruch. Gebührenbescheid. Aufschiebende Wirkung § 80 VwGO. Schadensersatz bei Sofortvollzug

 

Leitsatz (amtlich)

a) Unter den Voraussetzungen des § 839 Abs. 3 BGB tritt auch eine Ersatzpflicht nach dem gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch nicht ein.

b) Lässt sich nicht feststellen, dass ein Antrag des Geschädigten nach § 80 Abs. 5 VwGO Erfolg gehabt hätte, die aufschiebende Wirkung eines Gebührenbescheids anzuordnen (hier Gebührenerhebung für Fleischuntersuchungen oberhalb der in der Entscheidung des Rates v. 15.6.1988 - 88/408/EWG - vorgesehenen Pauschalbeträge), kann die Ersatzpflicht für einen durch den Sofortvollzug eingetretenen Zinsschaden nicht mit der Begründung verneint werden, der Geschädigte habe die Einlegung eines solchen Rechtsmittels unterlassen (Fortführung des BGH, Urt. v. 16.1.1986 - III ZR 77/84, MDR 1986, 650 = NJW 1986, 1924).

 

Normenkette

BGB § 839; EGVtr Art. 288

 

Verfahrensgang

OLG Karlsruhe (Urteil vom 19.09.2002; Aktenzeichen 3 Ss 143/01)

LG Mosbach

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 12. Zivilsenats des OLG Karlsruhe v. 19.9.2002 unter Zurückweisung des weiter gehenden Rechtsmittels im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage in Höhe eines Betrages von 78.351,41 DM (= 40.060,44 EUR) abgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin nimmt als Rechtsnachfolgerin ihres während des Rechtsstreits verstorbenen Ehemanns die beklagte Gemeinde auf Ersatz eines in der Zeit v. 2.4.1991 bis 9.12.1997 erlittenen Zinsschadens in geltend gemachter Höhe von 84.837,65 DM in Anspruch. Dieser beruht darauf, dass die Beklagte im Zeitraum von Januar 1991 bis Dezember 1992 für Fleischuntersuchungen Gebühren erhoben hatte, die um insgesamt 156.079,48 DM über den nach der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften v. 29.1.1985 über die Finanzierung der Untersuchungen und Hygienekontrollen von frischem Fleisch und Geflügelfleisch - 85/73/EWG - (ABlEG Nr. L 32/14) und der zu ihrer Ausführung ergangenen Entscheidung des Rates v. 15.6.1988 - 88/408/EWG - (ABlEG Nr. L 194/24) vorgesehenen Pauschalbeträgen lagen. Der Ehemann hatte die von ihm geforderten Gebühren ungeachtet der von ihm eingelegten Widersprüche gegen die Bescheide gezahlt. Durch Urteil des VGH Karlsruhe v. 25.6.1997 wurden die Gebührenbescheide, soweit sie die EG-Pauschalbeträge überschritten, aufgehoben und die Beklagte antragsgemäß verurteilt, einen überzahlten Betrag von 150.056,18 DM nebst 4 % (Prozess-)Zinsen an den Ehemann der Klägerin zu zahlen. Die Beklagte zahlte diesen Betrag und Zinsen i. H. v. 15.155,67 DM am 10.12.1997. Die aus der Inanspruchnahme von Bankkredit folgenden höheren Zinsen sind Gegenstand der Klage.

Das LG hat einen Schadensersatzanspruch auf der Grundlage der Art. 189, 215 des EWG-Vertrags i. H. v. 69.837,10 DM zuerkannt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Ehemannes der Klägerin hat das Berufungsgericht im ersten Berufungsurteil der Klage i. H. v. insgesamt 78.351,41 DM entsprochen; die Berufung der Beklagten und die weiter gehende Berufung des Ehemannes der Klägerin hat es zurückgewiesen. Der Senat hat auf die Revision der Beklagten durch Urt. v. 14.12.2000 (BGH v. 14.12.2000 - III ZR 151/99, BGHZ 146, 153 = BGHReport 2001, 190) das Berufungsurteil aufgehoben, soweit zu ihrem Nachteil erkannt worden ist. Er hat entschieden, das dem Einzelnen durch die in Rede stehenden gemeinschaftsrechtlichen Regelungen verliehene Recht stehe unter dem einer gerichtlichen Nachprüfung zugänglichen Vorbehalt (vgl. Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Ratsentscheidung 88/408/EWG), dass die Mitgliedstaaten, in denen die Lohnkosten, die Struktur der Betriebe und das Verhältnis zwischen Tierärzten und Fleischbeschauern von dem für die Berechnung der Pauschalbeträge zu Grunde gelegten Gemeinschaftsdurchschnitt abweichen, die Pauschalbeträge auf den Stand der tatsächlichen Untersuchungskosten senken bzw. anheben dürften. Lägen diese Abweichungsvoraussetzungen - was noch ungeprüft sei - vor, sei ein gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch nicht gegeben. Soweit wegen der rechtswidrigen Gebührenbescheide Amtshaftungsansprüche in Betracht kämen, bedürfe die Frage der weiteren Klärung, ob den Amtswaltern der Beklagten ein Verschulden zur Last falle.

Das Berufungsgericht hat im zweiten Berufungsurteil die Voraussetzungen für einen gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch und einen Amtshaftungsanspruch verneint und die Klage insgesamt abgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche in vollem Umfang weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist überwiegend begründet; in diesem Umfang führt sie zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

1. Das Berufungsgericht verneint einen gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch, weil die Voraussetzungen, unter denen von den EG-Pauschalbeträgen für Fleischuntersuchungen abgewichen werden konnte, in den Jahren 1991 und 1992 in der Bundesrepublik vorgelegen hätten. Die Beklagte habe nämlich substanziiert vorgetragen und durch Zahlenmaterial hinreichend belegt, dass die Lohnkosten der Tierärzte in der Bundesrepublik höher gelegen hätten als diejenigen, die der Rat der Berechnung der Pauschalbeträge zu Grunde gelegt habe. Auch das Verhältnis zwischen Tierärzten und Fleischbeschauern weiche erheblich von dem Gemeinschaftsdurchschnitt ab, wie die detaillierte Berechnung in Anlage 1c des von der Beklagten vorgelegten Ergebnisprotokolls v. 9.10.1997 der Sitzung der Arbeitsgruppe "Gebühren" des Ausschusses für Fleischhygiene der Arbeitsgemeinschaft der Leitenden Veterinärbeamten der Länder zeige, das Grundlage für die Bekanntmachung des Bundesministeriums für Gesundheit v. 24.10.1997 (Bundesanzeiger Nr. 204v. 31.10.1997, S. 13298) gewesen sei. Schließlich habe die Beklagte substanziiert die Strukturen der Schlachtbetriebe in Deutschland dargestellt, in denen nur zu einem sehr kleinen Teil die Zahlen von Schlachttieren jährlich anfielen, wie sie bei der Berechnung der Pauschalgebühren berücksichtigt worden seien. Die Klägerin habe sich hiermit nicht näher auseinander gesetzt und die vom Bundesministerium für Gesundheit am 24.10.1997 bekannt gemachten und im Vortrag der Beklagten übernommenen Vergleichswerte nicht hinreichend bestritten, so dass sie als unstreitig zu Grunde zu legen seien.

2. Diese Beurteilung hält den Verfahrensrügen der Revision nicht stand. Wie das Berufungsgericht nicht verkennt, hat die Klägerin mit verschiedenen Erwägungen bezweifelt und bestritten, dass die Voraussetzungen für eine Erhöhung der Pauschalgebühren in den Jahren 1991 und 1992 vorgelegen hätten. Unter diesen Umständen war es Sache des Berufungsgerichts, sich im Wege einer förmlichen Beweisaufnahme die erforderliche Gewissheit zu verschaffen. Von einem unstreitigen Sachverhalt durfte das Berufungsgericht nicht ausgehen.

a) Die Frage, ob die Voraussetzungen für eine Abweichung von den Pauschalgebühren vorlagen, ist nach dem Senatsurteil v. 14.12.2000 entscheidend dafür, ob sich die Klägerin auf die gemeinschaftsrechtlichen Pauschalbeträge berufen kann und ob ihr im Ergebnis eine Rechtsstellung verliehen ist, deren Verletzung einen gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch auslösen kann (vgl. BGH v. 14.12.2000 - III ZR 151/99, BGHZ 146, 153 [161 f.] = BGHReport 2001, 190). Durfte die Beklagte nämlich - gemessen an den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften - von den Pauschalgebühren abweichen, steht der Klägerin ein gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch nicht zu.

b) Ungeachtet dieser Ausgangslage ist die Klägerin jedoch nicht mit der Pflicht belastet, zur Begründung des geltend gemachten Staatshaftungsanspruchs in qualifizierter Weise darzulegen und im Streitfall den Nachweis zu führen, dass es in der Bundesrepublik am Vorliegen der Abweichungsvoraussetzungen gefehlt habe. Eine solche Betrachtung ließe außer Acht, dass in der Ratsentscheidung 88/408/EWG mit Wirkung ab 31.12.1990 eine unmittelbar wirksame gemeinschaftsrechtliche Bestimmung vorlag, die im Grundsatz die Anwendung der Gebührenregelung über die durchschnittlichen Pauschalbeträge von der Beklagten verlangte. Wie der Senat bereits entschieden hat, war die Heranziehung des Ehemannes der Klägerin zu den über die EG-Pauschalbeträge hinausgehenden Gebühren rechtswidrig, weil die innerstaatlichen Voraussetzungen für eine solche Gebührenerhebung im Zeitpunkt des Erlasses der jeweiligen Bescheide nicht geschaffen waren (BGH v. 14.12.2000 - III ZR 151/99, BGHZ 146, 153 [156 f.] = BGHReport 2001, 190) sie verstieß zugleich gegen Europäisches Gemeinschaftsrecht (BGH v. 14.12.2000 - III ZR 151/99, BGHZ 146, 153 [158] = BGHReport 2001, 190). Unter diesen Umständen steht es zur Last der öffentlichen Hand, der auch die Beklagte auf gemeindlicher Ebene zuzurechnen ist, das Vorliegen der Abweichungsvoraussetzungen - wie bei einer entsprechenden Gebührenerhebung selbst - darzulegen und im Streitfall nachzuweisen. Es würde eine nicht hinnehmbare Verkürzung der Rechtsstellung des von den in Rede stehenden Gemeinschaftsrechtsakten betroffenen Einzelnen darstellen, wenn er den Inhalt der Bekanntmachung des Bundesministeriums für Gesundheit v. 24.10.1997 ohne weiteres hinnehmen müsste oder in anderer Weise gehalten wäre, sich in Bezug auf die Abweichungsvoraussetzungen zu Elementen der Rechtsanwendung substanziiert zu äußern, die in klassischer Weise mit der Frage verknüpft sind, ob die öffentliche Hand in dem ihr eigenen hoheitlichen Bereich berechtigt ist, Gebühren in einer die EG-Pauschalbeträge überschreitenden Höhe zu erheben. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die in der Ratsentscheidung vorgesehene Möglichkeit einer Abweichung von den Pauschalgebühren einer gerichtlichen Nachprüfung zugänglich ist (EuGH, Urt. v. 10.11.1992 - Rs. C-156/91, Slg. 1992, I-5589, 5594 f. = MDR 1993, 1139 = NJW 1993, 315 f Tz. 14-17 - Hansa Fleisch). Es wäre mit der dem einzelnen grundsätzlich verliehenen Rechtsstellung und der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts unvereinbar, wenn die gerichtliche Nachprüfung durch Anforderungen an die Vortragslast des Einzelnen unzumutbar erschwert würde. Das Berufungsgericht durfte daher nicht mit dem Argument, der Klägerin habe selbst offensichtlich Datenmaterial zur Verfügung gestanden, über ihre grundsätzliche Aussage hinweggehen, nach der sie das Vorliegen der Abweichungsvoraussetzungen bestritten hat.

II.

Auch die weitere Begründung des Berufungsgerichts rechtfertigt die vollständige Abweisung der Klage nicht.

1.Das Berufungsgericht verneint einen gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch mit der zusätzlichen Erwägung, der Klägerin sei es entsprechend §§ 254, 839 Abs. 3 BGB verwehrt, die streitgegenständlichen Verzugszinsen geltend zu machen. Denn der Ehemann habe es schuldhaft unterlassen, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden. Er hätte nämlich - über die gegen die Gebührenbescheide eingelegten Widersprüche hinaus - nach § 80 Abs. 5 VwGO beantragen müssen, die aufschiebende Wirkung seiner Widersprüche anzuordnen. Ein solcher Antrag hätte Erfolg gehabt, soweit die Gebührenbescheide die EG-Pauschalbeträge überschritten hätten. Die gerichtliche Entscheidung hätte bewirkt, dass der Ehemann der Klägerin nur Gebühren in der zulässigen Höhe hätte zahlen müssen. Eine Zinsbelastung durch Aufnahme eines Darlehens wäre dann vermieden worden. Aus dem gleichen Grunde sei ein möglicher Amtshaftungsanspruch wegen der rechtswidrigen Gebührenbescheide nach § 839 Abs. 3 BGB ausgeschlossen.

2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

a) Nicht zu beanstanden ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, dass auch ein gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch aus Gründen, die in den Regelungen der §§ 254 und 839 Abs. 3 BGB angesprochen sind, gemindert oder ausgeschlossen sein kann. Entgegen der Auffassung der Revision ist eine Anwendung der in diesen Regelungen enthaltenen Grundsätze nicht deshalb ausgeschlossen, weil der gemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsanspruch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften nicht von einem Verschulden abhängig gemacht werden darf, das über den hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht hinausgeht. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat entschieden, die Mitgliedstaaten hätten die Folgen eines verursachten Schadens, für den sie nach dem Gemeinschaftsrecht einzustehen hätten, im Rahmen ihres nationalen Haftungsrechts zu beheben. Mangels einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung sei es Sache der nationalen Rechtsordnung, die zuständigen Gerichte zu bestimmen und das Verfahren für die Klagen auszugestalten, die den vollen Schutz der dem Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen. Dabei dürften die im Schadensersatzrecht der einzelnen Mitgliedstaaten festgelegten Voraussetzungen nicht ungünstiger sein als bei ähnlichen Klagen, die nur nationales Recht betreffen, und nicht so ausgestaltet sein, dass sie die Erlangung einer Entschädigung praktisch unmöglich machten oder übermäßig erschwerten (vgl. EuGH, Urt. v. 19.11.1991 - Rs. C-6/90, C-9/90, Slg. 1991, I-5403, 5415 f. = NJW 1992, 165 [167] Tz. 42, 43 - Francovich). Diese Rechtsprechung hat er in seinem Urt. v. 5.3.1996 fortgeführt und dahingehend ergänzt, es sei, soweit es an Gemeinschaftsvorschriften fehle, Sache der nationalen Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats, die Kriterien festzulegen, anhand deren der Umfang der Entschädigung bestimmt werden könne. Insbesondere könne das nationale Gericht bei der Bestimmung des ersatzfähigen Schadens prüfen, ob sich der Geschädigte in angemessener Form um die Verhinderung des Schadenseintritts oder um die Begrenzung des Schadensumfangs bemüht und ob er insbesondere rechtzeitig von allen ihm zur Verfügung stehenden Rechtsschutzmöglichkeiten Gebrauch gemacht habe. Nach einem allgemeinen, den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundsatz müsse sich nämlich der Geschädigte in angemessener Form um die Begrenzung des Schadensumfangs bemühen, wenn er nicht Gefahr laufen wolle, den Schaden selbst tragen zu müssen (EuGH v. 5.3.1994 - Rs. C-46/93, Rs. C-48/94, Brasserie du Pêcheur; und v. 5.3.1996 - Rs. C-46/93, Rs. C-48/93, Slg. 1996, I-1131, 1153, 1155, 1157 = MDR 1996, 342 = NJW 1996, 1267 [1270 f.] zu Tz. 67, 74, 83-85 - Factortame). Es bestehen daher keine grundsätzlichen Bedenken, die den §§ 254, 839 Abs. 3 BGB zu Grunde liegenden Rechtsgedanken auf den gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch anzuwenden (in diesem Sinn auch Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 516; Streinz, Europarecht, 5. Aufl. 2001, Rz. 374c; Fischer, Europarecht, 3. Aufl. 2001, § 7 Rz. 87; Staudinger/Wurm, 13. Bearb. 2002, § 839 Rz. 540).

b) Unbedenklich ist auch die Annahme des Berufungsgerichts, dass neben dem eingelegten Widerspruch, der bei Gebührenbescheiden von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung hat (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), als Rechtsbehelf gegen einen möglichen Sofortvollzug, auf dem die Beklagte bestanden hatte, ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO in Betracht kam, die aufschiebende Wirkung der Bescheide anzuordnen. Für den Bereich des Amtshaftungsrechts hat der Senat wiederholt entschieden, dass das schuldhafte Unterlassen, einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung oder auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu stellen oder sich gesondert gegen die Vollziehung eines Steuer- oder Haftungsbescheides zu wehren, nach § 839 Abs. 3 BGB zum Verlust des Amtshaftungsanspruchs führen kann (vgl. BGH, Beschl. v. 13.7.1984 - III ZR 6/84, WM 1984, 1276; Urt. v. 19.9.1985 - III ZR 71/83, MDR 1986, 386 = NJW 1986, 1107 [1108] - insoweit ohne Abdruck in v. 19.9.1985 - III ZR 71/83, BGHZ 96, 1 = MDR 1986, 386; v. 13.7.1995 - III ZR 160/94, BGHZ 130, 332 [338 f.] = MDR 1995, 1014; v. 7.11.1996 - III ZR 283/95, VIZ 1997, 247 [248] = MDR 1997, 357; v. 16.11.2000 - III ZR 1/00, MDR 2001, 451 = BGHReport 2001, 68 = NJW 2001, 1067 [1068]).

c) Das Berufungsgericht hat im ersten Urteil in dieser Sache § 839 Abs. 3 BGB für nicht anwendbar gehalten, weil der Ehemann der Klägerin mit der rechtzeitigen Widerspruchserhebung und den Anfechtungsklagen zum VGH aus seiner damaligen Sicht alles ihm Zumutbare getan habe, um einen Schaden abzuwehren. Ob dem zugestimmt werden könnte, erscheint insoweit zweifelhaft, als ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nach Lage der Dinge der gebotene Rechtsbehelf war, um sich gegen den Sofortvollzug der Gebührenbescheide zu wehren. Der Senat kann diese Frage jedoch offen lassen, weil eine Anwendung des § 839 Abs. 3 BGB aus anderen Gründen nicht in Betracht kommt.

aa) Die Ersatzpflicht kann nach § 839 Abs. 3 BGB nur verneint werden, wenn die Einlegung eines gebotenen Rechtsmittels den Eintritt des Schadens verhindert hätte. Für die Kausalität zwischen der Nichteinlegung des Rechtsmittels und dem Schadenseintritt ist der Schädiger beweispflichtig. Wie der Senat bereits entschieden hat, ist bei der Frage, welchen Verlauf die Sache genommen hätte, wenn der Rechtsbehelf eingelegt worden wäre, nicht ohne weiteres - wie bei der Prüfung der Ursächlichkeit einer Amtspflichtverletzung - zu Grunde zu legen, wie über den Rechtsbehelf richtigerweise hätte entschieden werden müssen (vgl. BGH, Urt. v. 16.1.1986 - III ZR 77/84, MDR 1986, 650 = NJW 1986, 1924 [1925]). Diese Erwägungen, die der Senat in der genannten Entscheidung für eine Dienstaufsichtsbeschwerde angestellt hat, bei der es möglich erscheine, dass der Dienstvorgesetzte keinen Anlass sehe, das Verhalten des Untergebenen zu korrigieren, sind jedoch auf solche Rechtsbehelfe i. w. S., die ein Verhalten der Behörde selbst auslösen sollen, nicht beschränkt. Geht es, wie hier, um einen Antrag, der zu einer gerichtlichen Entscheidung führen soll, wird die wirkliche Rechtslage grundsätzlich eine größere Rolle spielen. Dennoch muss auch die Rechtspraxis in der in Rede stehenden Frage zu dem Zeitpunkt in Betracht gezogen werden, in dem der Rechtsbehelf hätte angebracht werden müssen, wenn er den Eintritt des Schadens hätte verhindern sollen.

bb) Bei Anlegung dieser Maßstäbe kann nicht davon ausgegangen werden, dass Anträge des Ehemannes der Klägerin nach § 80 Abs. 5 VwGO zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung der eingelegten Widersprüche geführt hätte. Die gegenteilige Annahme des Berufungsgerichts berücksichtigt nicht hinreichend, dass die von ihm wiedergegebene Rechtslage, wie sie durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften und vor allem der Verwaltungsgerichte in den letzten Jahren geklärt worden ist, in dem hier maßgeblichen Zeitraum 1991/1992 - namentlich in Ansehung eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens - noch nicht so der allgemeinen Rechtsüberzeugung entsprochen hat, dass ein Erfolg entsprechender Anträge zu erwarten war.

Dass sich ein Einzelner gegenüber einem Mitgliedstaat auf Art. 2 Abs. 1 der Ratsentscheidung 88/408/EWG v. 15.6.1988 berufen kann, um sich höheren als den Pauschalgebühren zu widersetzen, hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften erst durch Urt. v. 10.11.1992 entschieden (EuGH v. 10.11.1992 - Rs. C-156/91, Slg. 1992, I-5589 = MDR 1993, 1139 = NJW 1993, 315 - Hansa Fleisch), wobei er den einer gerichtlichen Nachprüfung zugänglichen Vorbehalt gemacht hat, dass die Voraussetzungen, die Gebühren auf die tatsächlichen Untersuchungskosten anzuheben, nicht erfüllt seien. Die Fragen des vorlegenden VGH Schleswig im Beschl. v. 15.3.1991 belegen den damaligen Klärungsbedarf. Innerstaatlich war mit der genannten Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften aber noch nicht geklärt, unter welchen Voraussetzungen Untersuchungsgebühren erhoben werden durften, die über die EG-Pauschalbeträge hinausgingen. Eine endgültige Klärung ist insoweit erst durch Urteil des BVerwG v. 29.8.1996 (BVerwGE 102, 39) herbeigeführt worden, das entschieden hat, nach § 24 Abs. 2 Fleischhygienegesetz (FlHG) müsse die den Bundesländern überlassene Entscheidung durch Rechtssatz getroffen werden, ob von den in Art. 2 Abs. 1 der Ratsentscheidung 88/408/EWG genannten durchschnittlichen Pauschalbeträgen abgewichen werden solle, ob die Voraussetzungen für eine Abweichung erfüllt und wie ggf. höhere Beträge zu berechnen seien (vgl. BGH, Urt. v. 14.12.2000 - III ZR 151/99, BGHZ 146, 153 [156] = BGHReport 2001, 190). Für die hier zu beurteilende Frage, wie die Verwaltungsgerichte entschieden hätten, wenn sich der Ehemann der Klägerin gegen den Sofortvollzug als solchen im Zeitraum 1991/1992 gewehrt hätte, ist von Bedeutung, dass der angeführten Entscheidung des BVerwG Gebührenbescheide aus dem Jahr 1991 zugrunde lagen, die vom VGH Schleswig und vom OVG Schleswig noch im Jahr 1994 für rechtmäßig befunden waren. Der Bayerische VGH hatte in seinem Beschl. v. 4.2.1992, der durch Beschluss des BVerwG v. 17.2.1993 (7 NB 7/92) aufgehoben wurde, in einem Normenkontrollverfahren ebenfalls keine Bedenken gegen die Gestaltung einer Gebührensatzung v. 18.12.1991, in der die Erhebung kostendeckender Gebühren unter Einbeziehung von Reisekosten für das Fleischbeschaupersonal bejaht wurde (vgl. zum Verfahrensgang VGH Bayern v. 25.5.1994 - 4 N 93.749, BayVBl. 1994, 593 und zum Inhalt der abschließenden Entsch. v. 12.3.1997 BVerwG Buchholz 418.5 Fleischbeschau Nr. 17).

Wenn dem Berufungsgericht daher auch im Ausgangspunkt zu folgen ist, dass es bei der Begründetheit eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO in der hier vorliegenden Konstellation, bei der Rechtsfragen im Vordergrund standen, wesentlich darauf ankommt, ob die angefochtenen Gebührenbescheide rechtswidrig waren - bei offensichtlicher Erfolgsaussicht der eingelegten Widersprüche hätte das Aussetzungsinteresse überwogen - (vgl. hierzu allgemein Eyermann/Jörg Schmidt, VwGO, 11. Aufl. 2000, § 80 Rz. 69, 73; Kopp/Schänke, VwGO, 13. Aufl. 2003, § 80 Rz. 158 f.) und ob sich ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit insbesondere aus der Ratsentscheidung 88/408/EWG ergaben, kann doch nicht übersehen werden, dass die Rechtspraxis diesen Stand in dem hier zu beurteilenden Zeitraum noch nicht erreicht hatte, so dass der Senat nicht davon ausgehen kann, der Ehemann der Klägerin hätte den Schadenseintritt durch Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO verhindern können.

3. Dieselben Erwägungen gelten für die Ausführungen des Berufungsgerichts, mit denen es einen auf der rechtswidrigen Gebührenerhebung möglicherweise beruhenden Amtshaftungsanspruch verneint. Zwar ist insoweit eine Rechtsfrage betroffen, die allein im nationalen Amtshaftungsrecht wurzelt, sodass die Anforderungen an einen Geschädigten, der Amtshaftungsansprüche verfolgt, in Bezug auf den wahrzunehmenden Primärrechtsschutz strenger sein mögen als für jemanden, der sich wegen eines in der Vergangenheit erlittenen Schadens auf den gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch beruft. Im Ergebnis beruhte die Unsicherheit in der rechtlichen Beurteilung aber gerade auf der Frage, unter welchen innerstaatlichen Voraussetzungen in der Bundesrepublik von den Pauschalbeträgen abweichende höhere Gebühren gefordert werden durften. Der Klägerin kann daher auch in Bezug auf einen Amtshaftungsanspruch aus § 839 BGB nicht entgegengehalten werden, ihr Ehemann habe sich nicht gegen den Sofortvollzug gewehrt, weil der Senat von einem Erfolg eines solchen Rechtsmittels nicht ausgehen kann

III.

Die Revision der Klägerin hat jedoch insoweit keinen Erfolg, als sie einen Zinsschaden i. H. v. 6.486,24 DM weiterverfolgt. Dieser Teil des Schadensersatzanspruchs wurde dem Ehemann der Klägerin bereits durch das erste Berufungsurteil in dieser Sache aberkannt, ohne dass hiergegen ein Rechtsmittel geführt worden wäre. Dem entsprechend hat der Senat das erste Berufungsurteil nur insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist. Damit ist dieser Teil des geltend gemachten Zinsschadens rechtskräftig abgewiesen und kann von der Klägerin nicht erneut zur Entscheidung gestellt werden.

IV.

Soweit die Revision der Klägerin begründet ist, ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es die nach dem Senatsurteil v. 14.12.2000 erforderlichen Feststellungen trifft und auf dieser Grundlage erneut entscheidet.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1058746

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