Leitsatz (amtlich)

›Das Einsteigen in einen nicht von außen zugänglichen Balkon ist ein Einsteigen in ein Gebäude im Sinne des § 3 B Nr. 1a VHB 74.‹

 

Verfahrensgang

OLG München

LG München I

 

Tatbestand

Die Klägerin nimmt den Beklagten aus einer mit ihm abgeschlossenen Hausratversicherung in Anspruch. Dem Versicherungsverhältnis liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Neuwertversicherung des Hausrats gegen Feuer-, Einbruchdiebstahl-, Beraubungs-, Leitungswasser-, Sturm- und Glasbruchschäden (VHB 74) zugrunde.

Die Klägerin hat vorgetragen, ihr seien bei einem Einbruch in ihre Wohnung am 11. Oktober 1988 Hausratgegenstände und ein Zobelmantel gestohlen worden. Sämtliche Türen einschließlich der Terrassentüren seien verschlossen gewesen. Die Täter hätten auf unbekannte Weise die Terrassentür zum Schlafzimmer zurückgeschoben. Als Ersatz für die gestohlenen Gegenstände verlangt sie von dem Beklagten Zahlung von 210.000 DM nebst Zinsen. Der Beklagte bestreitet einen bedingungsgemäßen Diebstahl. An der Terrassentür hätten sich keine Spuren feststellen lassen.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsanspruch weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß nach ständiger Rechtsprechung des Senats dem Versicherungsnehmer Beweiserleichterungen zugute kommen. Er genügt seiner Beweislast, wenn er Anzeichen beweist, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit das äußere Bild eines versicherten Diebstahls ergeben (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 17. März 1993 - IV ZR 11/92 - VersR 1993, 571 unter 1 a m.w.N. = NJW-RR 1993, 719 = RuS 1993, 169). Solche Anzeichen hat das Berufungsgericht jedoch nicht als bewiesen angesehen, weil die Möglichkeit bestehe, daß die Terrassentür nicht geschlossen gewesen sei und somit allenfalls ein nicht versicherter einfacher Diebstahl vorliege.

2. Dabei übersieht das Berufungsgericht, daß nach dem Vortrag der Klägerin auch ein versicherter Einsteigediebstahl in Betracht kommt. Die dahingehende Sachdarstellung der Klägerin hat das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft, § 286 ZPO, unberücksichtigt gelassen. Darauf weist die Revision zu Recht hin.

Nach § 3 B Nr. 1 VHB 74 liegt ein Einbruchdiebstahl im Sinne dieser Bedingungen vor,

"wenn ein Dieb

a) in ein Gebäude oder den Raum eines Gebäudes einbricht, einsteigt oder mittels falscher Schlüssel ... eindringt."

Anders als nach § 5 Nr. 1a VHB 84, wonach ein Diebstahl nur versichert ist, wenn der Dieb in einen Raum eines Gebäudes einsteigt (ebenso § 1 Nr. 2a AERB 87), genügt nach § 3 B Nr. 1a VHB 74 für einen versicherten Diebstahl schon das Einsteigen in ein Gebäude. "Einsteigen" erfordert, daß sich der Dieb auf ungewöhnliche, nach den üblichen Gegebenheiten des Bauwerks nicht vorgesehene Weise Zugang zu seiner Beute verschafft (BGH, Urteil vom 12. Juni 1985 - IVa ZR 17/84 - unter II 2, VersR 1985, 1029).

3. Dazu hat die Klägerin vorgetragen, ihre Terrasse (wohl Balkon) liege so, daß die Täter drei Meter hätten hochklettern müssen (Bl. 267, 283 GA). Darüber habe sich noch ein 1, 20 m hoher Drahtgitterzaun befunden, der hätte überwunden werden müssen (Bl. 98, 138 GA). Mit ihrer Klageschrift hatte sie den Bericht der Kriminalpolizei in den Prozeß eingeführt. Nach ihm war der Gitterzaun teilweise niedergedrückt und enthielt ein 40 cm mal 60 cm großes Loch. In diesem Bereich waren die Pflanzen in den Trögen niedergetreten. Zur Verdeutlichung der Örtlichkeiten hat die Klägerin ein Lichtbild vorgelegt und ihren Vortrag durch Augenscheineinnahme und Zeugenvernehmung unter Beweis gestellt (Bl. 82, 98, 139, 233, 241 GA).

Nach dieser Sachdarstellung von Zugangshindernissen und Spuren kann ein Einsteigediebstahl vorliegen. Es kommt nicht darauf an, ob man den Balkon als Raum eines Gebäudes ansieht. Denn ist der Täter über den Drahtzaun auf den höher gelegenen Balkon gelangt, so ist er auf einem ungewöhnlichen, dafür nicht bestimmten Zugang in ein Gebäude eingestiegen. Balkone sind auch nach der Anschauung eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers Teil eines Gebäudes. Wer dorthin einsteigt, steigt jedenfalls in ein Gebäude ein (vgl. Martin, Sachversicherungsrecht 3. Aufl. D III Rdn. 13). Auf die vom Berufungsgericht in den Vordergrund gestellte Frage, ob die Terrassentür verschlossen war, kommt es für die Voraussetzungen des hier möglichen Einsteigediebstahls nicht an.

4. Da das Berufungsgericht keine Feststellungen zu den Örtlichkeiten getroffen hat und auch die Höhe des Schadens, zumindest was den Pelzmantel betrifft, noch streitig ist, muß das Urteil aufgehoben und die Sache zur weiteren Aufklärung zurückverwiesen werden.

Bei seiner erneuten Verhandlung wird das Berufungsgericht den Einwand des Beklagten zu prüfen haben, er sei nach § 61 VVG, § 16 Nr. 1 VHB 74 leistungsfrei, weil - nach seiner Behauptung - der Zeuge J., der frühere Lebensgefährte und heutige Ehemann der Klägerin, die Terrassentür weder ver- noch geschlossen gehabt habe. Dies sei grob fahrlässig. Das Verhalten des Zeugen sei der Klägerin zuzurechnen, weil er als ihr Repräsentant anzusehen sei (Bl. 212f. GA). In diesem Zusammenhang weist der Senat auf sein Urteil vom 21. April 1993 (IV ZR 34/92 - VersR 1993, 828 = NJW 1993, 1862) hin, mit dem er (unter 3 a) entschieden hat, welche tatsächlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Repräsentantenstellung vorliegen müssen (vgl. auch Senatsurteil vom 4. Juli 1990 - IV ZR 158/89 - NJW-RR 1990, 1305 unter II zur Repräsentanteneigenschaft eines Ehegatten). Demzufolge sind nach dem bisherigen Vortrag des insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten die tatsächlichen Voraussetzungen einer Repräsentantenstellung des Zeugen J. nicht gegeben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993692

NJW 1994, 1073

BGHR AVB Neuwertversicherung des Hausrats § 3 B Nr. 1a, Einsteigen 1

MDR 1994, 1093

VersR 1994, 215

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