Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Eigentümer eines Grundstückes hat im Rahmen des Möglichen dafür zu sorgen, dass von den dort stehenden Bäumen keine Gefahr für andere ausgeht. Er ist insbesondere verpflichtet, die Bäume nicht nur in angemessenen Abständen auf Krankheitsbefall zu überwachen, sondern auch solche Pflegemaßnahmen vorzunehmen, welche für das Beibehalten der Standfestigkeit notwendig sind.

Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog ist gegeben, wenn von einem Grundstück im Rahmen seiner privatwirtschaftlichen Benutzung Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen, sofern der davon betroffene Eigentümer aus besonderen Gründen gehindert war, diese Einwirkungen gemäß § 1004 BGB rechtzeitig zu unterbinden.

 

Normenkette

BGB § 906 Abs. 2 S. 2 analog, § 823 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Köln (Urteil vom 17.03.2004; Aktenzeichen 10 S 17/03)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 10. Zivilkammer des LG Köln v. 17.3.2004 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke. Am 26.2.2002 stürzte ein ca. 15m bis 18m hoher Walnussbaum, der auf dem Grundstück der Beklagten stand, bei windigem Wetter um und fiel teilweise auf das Grundstück des Klägers. Dort wurden Pflanzen und Rankelemente beschädigt.

Mit der Behauptung, der Baum sei mit über 80 Jahren überaltert und erkrankt gewesen, er habe spätestens seit dem Jahr 2000 Verschiedene auf einen Krankheitsbefall hindeutende Anzeichen wie schütteres Blattwerk, abgestorbene Äste, eingetrocknete Blattknospen, ausgetrocknete Rinde, braune trockene Stellen unter der teilweise abgefallenen Rinde und starker Rückgang von Menge und Größe der Früchte aufgewiesen, was die Beklagten hätten erkennen können, verlangt der Kläger von den Beklagten die Zahlung von 1.223,80 EUR nebst Zinsen. Das AG hat der Klage stattgegeben; auf die Berufung der Beklagten hat das LG sie - nach Beweisaufnahme - abgewiesen.

Mit der in dem Berufungsurteil zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen, verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht meint, dem Kläger stehe kein deliktsrechtlicher Schadensersatzanspruch zu, weil den Beklagten keine Verletzung der ihnen hinsichtlich des Baumes obliegenden Verkehrssicherungspflicht vorzuwerfen sei. Für sie habe bis zum Umstürzen des Baumes kein Anlass bestanden, ihn durch einen Fachmann untersuchen zu lassen und ggf. daran anschließend besondere Maßnahmen zur Sicherung oder Entfernung des Baumes zu treffen. Die von dem Kläger behaupteten Krankheitserscheinungen - mit Ausnahme der angeblich abgefallenen Rinde - seien aus der Sicht eines Laien keine Anzeichen für einen Krankheitsbefall. Ein teilweises Abfallen der Baumrinde habe der Kläger nicht bewiesen.

Das Berufungsgericht verneint auch einen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch des Klägers. Die Beklagten seien nicht Störer hinsichtlich der durch das Umstürzen des Baumes bei dem Kläger eingetretenen Eigentumsbeeinträchtigung. Diese sei durch ein Naturereignis, nämlich durch Windeinwirkung entstanden; das könne den Beklagten nicht zugerechnet werden. Dass sie den - zunächst gesunden und widerstandsfähigen - Baum auf ihrem Grundstück stehen ließen, begründe keine Störereigenschaft, denn von gegenüber normalen Einwirkungen der Naturkräfte hinreichend widerstandsfähigen Bäumen gehe keine Gefahr für das Nachbargrundstück aus. Auch wenn man zu Gunsten des Klägers unterstelle, der Baum habe vor dem Umstürzen infolge Überalterung oder Krankheit seine ursprüngliche Widerstandskraft gegen starke Windeinwirkung eingebüßt, ergebe sich kein anderes Ergebnis. Denn ein solcher Verlust der Widerstandskraft habe nur durch eine fachmännische Untersuchung festgestellt werden können, zu der die Beklagten rechtlich nicht verpflichtet gewesen seien.

Das hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

II.

Die Revision ist insgesamt zulässig. Entgegen der von dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vertretenen Auffassung lässt sich dem Berufungsurteil nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit entnehmen, dass das Berufungsgericht die Revision beschränkt auf den nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch zulassen wollte.

1. Nach der Entscheidungsformel des Berufungsurteils hat das Berufungsgericht die Revision unbeschränkt zugelassen, denn sie enthält keinen einschränkenden Zusatz. Allerdings kann sich die Beschränkung der Revisionszulassung auch aus den Entscheidungsgründen ergeben (BGH, Urt. v. 29.1.2003 - XII ZR 92/01, BGHZ 153, 357 [360] = MDR 2003, 695 = BGHReport 2003, 536 m.w.N.). Sie muss dann jedoch eindeutig daraus hervorgehen (BGH, Urt. v. 5.2.1998 - III ZR 103/97, MDR 1998, 489 = WM 1998, 870 [871]). Daran fehlt es hier.

2. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, "weil - mit Blick auf die vorzitierte Entscheidung des OLG Düsseldorf - eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung bei der Beurteilung von Fällen der vorliegenden, nicht ganz selten vorkommenden Art erforderlich erscheint". Dass hierin eine Beschränkung der Zulassung auf den nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch und nicht lediglich eine Begründung für die Zulassung der Revision hätte liegen sollen, ist nicht zum Ausdruck gekommen. Denn das Berufungsgericht hat - auch nicht mit dem Hinweis auf die in ZMR 2003, 917 abgedruckte Entscheidung des OLG Düsseldorf - keine Rechtsfrage formuliert, deretwegen es die Revision zugelassen hat. Es hat vielmehr ganz allgemein die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen für notwendig erachtet. Damit ist die Revision unbeschränkt zugelassen.

III.

1. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht einen verschuldensabhängigen deliktsrechtlichen Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagten wegen der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht (§ 823 Abs. 1 BGB) verneint. Zu seiner Auffassung ist es, wie der Kläger mit Erfolg rügt, verfahrensfehlerhaft gelangt, weil es insoweit seiner Entscheidung nur die - entgegen §§ 160 Abs. 3 Nr. 4, 161 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht protokollierten - Aussagen der Zeugen und des Sachverständigen zu den von dem Kläger behaupteten erkennbaren Krankheitszeichen zu Grunde gelegt hat. Es ist jedoch dem weiteren - beweisbewehrten - Vortrag des Klägers nicht nachgegangen, dass der Baum bei ordnungsgemäßem Beschnitt widerstandsfähiger gewesen und auch bei starkem Wind nicht umgestürzt und dass bei einem Beschnitt durch ein Fachunternehmen der Krankheitszustand des Baumes aufgefallen wäre. Treffen diese Behauptungen zu, waren die Beklagten unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherungspflicht verpflichtet, ausreichende Maßnahmen gegen das Umstürzen des Baumes zu ergreifen.

a) Der Eigentümer eines Grundstücks hat im Rahmen des Möglichen dafür zu sorgen, dass von den dort stehenden Bäumen keine Gefahr für andere ausgeht, der Baumbestand vielmehr so angelegt ist, dass er im Rahmen des nach forstwissenschaftlichen Erkenntnissen Möglichen gegen Windbruch und Windwurf, insb. auch gegen Umstürzen auf Grund fehlender Standfestigkeit gesichert ist (BGH, Urt. v. 21.3.2003 - V ZR 319/02, MDR 2003, 802 = BGHReport 2003, 718 = NJW 2003, 1732 [1733] m.w.N.; Urt. v. 2.7.2004 - V ZR 33/04, Umdruck S. 5 [zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt]). Danach waren die Beklagten nicht nur verpflichtet, den Baum in angemessenen Abständen auf Krankheitsbefall zu überwachen (BGH, Urt. v. 2.7.2004 - V ZR 33/04, Umdruck S. 8), sondern auch solche Pflegemaßnahmen vorzunehmen, welche für das Beibehalten der Standfestigkeit notwendig waren. Falls sich dabei Krankheitszeichen gezeigt hätten, wäre eine eingehende fachmännische Untersuchung des Baumes erforderlich gewesen; wenn dabei die mangelnde Standfestigkeit erkannt worden wäre, hätten rechtzeitig geeignete Maßnahmen gegen ein Umstürzen ergriffen werden müssen (BGH, Urt. v. 2.7.2004 - V ZR 33/04, Umdruck S. 8).

b) Das alles haben die Beklagten nicht getan, obwohl ein anderer Nachbar sie - unstreitig - zu einem Beschnitt des Baumes aufgefordert hatte. Es kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass sie die Gefahr einer Beschädigung des Nachbargrundstücks sorgfaltswidrig nicht erkannt haben.

2. Fehlerhaft hat das Berufungsgericht auch einen verschuldensunabhängigen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog verneint.

a) Allerdings hat es die Begründetheit der Klage zu Recht auch unter diesem Gesichtspunkt geprüft. Zwar hat der Kläger einen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch, der selbstständig neben dem deliktsrechtlichen Anspruch nach § 823 Abs. 1 BGB steht (BGH v. 20.11.1992 - V ZR 82/91, BGHZ 120, 239 [249] = MDR 1993, 868; v. 30.5.2003 - V ZR 37/02, BGHZ 155, 99 [107 f.] = MDR 2003, 1225 = BGHReport 2003, 932), bisher nicht ausdrücklich geltend gemacht. Aber beide Ansprüche werden von der auf Ersatz aller durch das Umstürzen des Baumes entstandenen Schäden gerichteten Klage erfasst, sind also auch Streitgegenstand geworden. Da der vorgetragene Sachverhalt den nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch von vornherein mit erfasst, liefe ein das Rechtsschutzziel auf die unerlaubte Handlung beschränkende Auslegung des Klagebegehrens dem erkennbaren Rechtsschutzwillen des Klägers zuwider. Denn beide prozessualen Ansprüche verfolgen trotz ihrer Unterschiedlichkeit das gleiche prozessuale Ziel und konkurrieren nicht miteinander (BGH, Urt. v. 4.7.1997 - V ZR 48/96, MDR 1997, 1021 = WM 1997, 2262 [2263] m.w.N.).

b) Jedoch hat die Begründung des Berufungsgerichts, mit der es den nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch verneint hat, keinen Bestand. Es hat die Voraussetzungen, unter denen die Beklagten als Störer angesehen werden können, verkannt.

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des BGH, insbes. des Senats (BGH, Urt. v. 21.3.2003 - V ZR 319/02, MDR 2003, 802 = BGHReport 2003, 718 = NJW 2003, 1732 [1733] m.w.N.), ist der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch nach 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog gegeben, wenn von einem Grundstück im Rahmen seiner privatwirtschaftlichen Benutzung Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen, sofern der davon betroffene Eigentümer aus besonderen Gründen gehindert war, diese Einwirkungen gem. § 1004 Abs. 1 BGB rechtzeitig zu unterbinden. Danach kommt hier ein Anspruch unter dem Gesichtspunkt einer rechtswidrigen Beeinträchtigung in Betracht, die infolge faktischen Duldungszwangs nicht rechtzeitig verhindert werden konnte. Ein solcher Zwang kann sich u.a. daraus ergeben, dass der Betroffene die abzuwehrende Gefahr nicht rechtzeitig erkannt hat und auch nicht erkennen konnte. So liegt es hier. Dem Kläger war es vor dem Umstürzen des Baumes nicht möglich, gegen die Beklagten mit Erfolg den Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB geltend zu machen. Denn eine von dem Baum ausgehende Gefahr der ernsthaft drohenden Beeinträchtigung seines Grundstücks, die ein Einschreiten erforderte (BGH v. 30.5.2003 - V ZR 37/02, BGHZ 155, 99 [106] = MDR 2003, 1225 = BGHReport 2003, 932), war für ihn nicht erkennbar.

bb) Dem steht nicht etwa der Vortrag des Klägers in den Tatsacheninstanzen entgegen, in welchem er den Beklagten die schuldhafte Verletzung der Verkehrssicherungspflicht vorgeworfen hat, weil sie trotz erkennbarer Krankheitszeichen untätig geblieben sind. Dem kann nicht entnommen werden, dass der Kläger selbst Krankheitszeichen und die mangelnde Standfestigkeit des Baumes erkannt hatte, so dass er gegen die Beklagten nach § 1004 Abs. 1 BGB hätte vorgehen können und somit keinem faktischen Duldungszwang unterlegen gewesen wäre. Das hätte zum Ausschluss des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs geführt (BGH, Urt. v. 21.3.2003 - V ZR 319/02, MDR 2003, 802 = BGHReport 2003, 718 = NJW 2003, 1732 [1733] m.w.N.). Dass der Kläger insoweit zu seinem Nachteil vortragen wollte, ist nicht anzunehmen. Sein bisheriger Vortrag bezieht sich vielmehr nur auf den deliktsrechtlichen Anspruch nach § 823 Abs. 1 BGB. Unter dem Gesichtspunkt der hier gegebenen alternativen Klagenhäufung (BGH, Urt. v. 4.7.1997 - V ZR 48/96, MDR 1997, 1021 = WM 1997, 2262 [2263] m.w.N.) ist es ihm jedoch nicht verwehrt, einerseits zu dem deliktsrechtlichen Anspruch die Erkennbarkeit von Krankheitszeichen an dem Baum vorzutragen und andererseits hinsichtlich des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs davon abzurücken, zumal auch die Beweisaufnahme derartige Anzeichen nicht ergeben hat.

3. Da die Revision Erfolg hat, ist das Berufungsurteil aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 S. 1 ZPO). Es muss den von dem Kläger angebotenen Sachverständigenbeweis zu den bisher übergangenen Behauptungen erheben und sodann über den deliktsrechtlichen Anspruch neu entscheiden. Falls es diesen Anspruch wiederum verneint, wird es auch die Entscheidung über den nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch neu treffen müssen. Dabei wird es die neuere Rechtsprechung des Senats zu berücksichtigen haben, wonach der Eigentümer, der auf seinem Grundstück einen Baum unterhält, welcher allein infolge seines Alters auf das Nachbargrundstück stürzen kann, Störer i.S.d. § 1004 Abs. 1 BGB ist (BGH, Urt. v. 21.3.2003 - V ZR 319/02, MDR 2003, 802 = BGHReport 2003, 718 = NJW 2003, 1732 [1733] m.w.N.), und wonach durch Naturereignisse ausgelöste Störungen dem Eigentümer zugerechnet werden können, wenn sich aus der Art der Nutzung des Grundstücks, von dem die Störung ausgeht, eine "Sicherungspflicht", also eine Pflicht zur Verhinderung möglicher Beeinträchtigungen ergibt. Hierfür ist u.a. entscheidend, ob sich die Nutzung des störenden Grundstücks im Rahmen ordnungsgemäßer Bewirtschaftung hält (BGH, Urt. v. 14.11.2003 - V ZR 102/03, BGHZ 157, 33 = BGHReport 2004, 224 = MDR 2004, 389 = NJW 2004, 1037 [1039]). Unter diesen Gesichtspunkten, zu welchen die Parteien noch ergänzend vortragen können, kann sich eine Verantwortlichkeit der Beklagten für das Umstürzen des Baumes ergeben.

 

Fundstellen

BauR 2005, 444

ZfIR 2005, 115

AuUR 2005, 410

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