Tatbestand

(a) ›... Auch derjenige, der Schutzpflichten gegenüber einem anderen verletzt, ist grundsätzlich berechtigt, sich auf § 254 Abs. 1 BGB zu berufen, wenn sich die zu schützende Person durch mitursächliches schuldhaftes Verhalten selbst einen Schaden zufügt. Der erk. Senat hat deshalb in zahlreichen Fällen, in denen ein Schädiger aufgrund Vertrages, Amtspflicht oder einer ihm obliegenden Verkehrssicherungspflicht gehalten war, durch Hinweise, Warnungen oder andere Schutzmaßnahmen einer Schadensentstehung vorzubeugen, die auch der Geschädigte im eigenen Interesse zu vermeiden hatte, keine Bedenken dagegen gehabt, den Schaden gemäß § 254 Abs. 1 BGB ganz oder teilweise von dem Geschädigten selbst tragen zu lassen [folgen Hinw.].

Das kann auch bei Verletzung ärztlicher Fürsorgepflichten, insbesondere von Hinweis- und Warnpflichten, in Betracht kommen (vgl: Senatsurt. VersR 1954,98,99 f. und 1979,720,722), da den Patienten die Obliegenheit trifft, an den Heilbemühungen des Arztes mitzuwirken (vgl. Deutsch, Arztrecht und Arzneimittelrecht, Rdn. 158).

Jedoch .. soll § 254 BGB als Ausprägung des in § 242 BGB normierten Grundsatzes von Treu und Glauben .. den Schädiger nur in dem Umfang von der Haftung entlasten, in dem der Schaden billigerweise dem eigenen Verhalten des Geschädigten zugerechnet werden muß .. . Eine solche (auch nur teilweise) Schadenszurechnung gegenüber dem Geschädigten muß aus Schutzzweckerwägungen ausscheiden, wenn die Verhütung des entstandenen Schadens dem Bekl. allein oblag. Aufgrund dieser Erwägungen hat der Senat z. B. einem Abschleppunternehmer den Einwand versagt, zu dem Abschleppen sei es nur gekommen, da der Kraftfahrzeughalter (dessen Fahrzeug beim Abschleppvorgang beschädigt wurde) gegen das Halteverbot und das Gebot zur Sicherung des Fahrzeugs gegen unbefugten Gebrauchs verstoßen habe (Senatsurt. VersR 1978,1070,1071), und einem Arzt den Einwand, der (von ihm fehlerhaft behandelte) Patient habe seinen zur Behandlung führenden Unfall selbst verschuldet (Senatsurt. NJW 1972,334,335).

Deshalb hat das BerGer. Ä insoweit durchaus zutreffend Ä [dem Patienten] A. nicht schon deswegen ein Mitverschulden angelastet, weil sich seine Behandlungsbedürftigkeit nur aufgrund der Einnahme von LSD ergeben hat.

(b) Aber auch der Selbstmordversuch des Patienten kann den Mitverschuldenseinwand nicht begründen. Der Schaden wird durch das Mitverschulden nämlich nur berührt, wenn er vom Schutzbereich der den Geschädigten treffenden Obliegenheiten erfaßt ist. Das ist nur der Fall, wenn die in der Situation des Geschädigten konkret von ihm geforderte Mitwirkungspflicht gerade die Vermeidung des eingetretenen Schadens bezweckt (vgl. Deutsch, aaO.). Die dem Patienten A. zumutbare Mitwirkungspflicht bezweckte aber .. grundsätzlich nicht die Unterlassung eines Selbstmordversuches. Inhalt des Behandlungsvertrages war nicht nur die Behandlung der psychotischen Reaktionen, sondern auch die Verhinderung der bei dem Patienten bestehenden Selbstmordgefahr. Die Inschutznahme des Patienten ›vor sich selbst‹ stand .. mit im Zentrum des Anlasses für die Einschaltung ärztlicher Hilfe und prägte den Behandlungsauftrag. Es handelte sich dabei nicht nur um eine .. Nebenpflicht. Krankenhausärzte und Pflegepersonal hatten daher die Aufgabe, den Patienten während der Behandlungszeit vor von ihm ›gewollten‹ selbstschädigenden Handlungen zu bewahren. Bei einer derartigen Gestaltung des Behandlungsvertrages ist ein dieser Behandlung und Fürsorge entgegenstehender Drang oder Wille des Patienten rechtlich ohne Bedeutung. Er erzeugt jedenfalls keine Pflicht des Patienten, von sich

aus der Selbstmordgefahr entgegenzuwirken. Der Krankenhausträger kann daher einem an einer Psychose leidenden Patienten nicht entgegenhalten, er sei mitverantwortlich an einem durch einen Selbstmordversuch entstandenen Schaden, weil er seinen inneren krankhaften Zwang, für den ärztlicher Beistand übernommen worden war, nicht selbst unterdrückt hat. Solange daher eine Pflicht des Krankenhausträgers besteht, einen Patienten wegen einer bestehenden Selbstgefährdung zu behandeln und ihn vor dadurch möglicherweise eintretenden Schäden zu bewahren, können die bei einem dennoch erfolgenden Selbsttötungsversuch des Patienten eingetretenen Schäden niemals in den Schutzbereich der den Patienten treffenden Obliegenheiten fallen und können daher einen Mitverschuldenseinwand nicht begründen. ...

Anders mögen die Fälle zu beurteilen sein, in denen ein Patient, der zunächst wegen einer geistigen Erkrankung, die Selbstmordgefahren mit sich brachte, in Behandlung kam und im Verlaufe der Behandlung so weit wiederhergestellt wird, daß aufgrund der Krankheit solche Gefahren nicht mehr bestehen, daß er aber aus normal-psychologischen Motiven oder sonstigen sachlichen Überlegungen seinem Leben ein Ende bereiten .. will. Falls es derartige Fallgestaltungen überhaupt gibt, würde sich dort eine Gefahr verwirklicht haben, vor der der Patient durch die Krankenanstalt nicht mehr zu schützen war, so daß von vornherein jede Haftung des Krankenhausträgers ausscheidet. Für eine Anwendung des § 254 Abs. 1 BGB ist dann kein Raum mehr. ...‹

 

Fundstellen

Haufe-Index 3018855

BGHZ 96, 98

BGHZ, 98

NJW 1986, 775

DRsp I(123)298a-b

JZ 1986, 238

MDR 1986, 218

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