Leitsatz (amtlich)

›Zur Frage, wie ein Vergleich, der über Schadensersatzansprüche eines iranischen Bierimporteurs gegen einen deutschen Lieferanten vor der islamischen Revolution geschlossen wurde, nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage anzupassen ist.‹

 

Verfahrensgang

OLG Celle

LG Hannover

 

Tatbestand

Im Jahre 1977 bestellte die Klägerin, eine iranische Importfirma mit Sitz in Teheran, bei der Beklagten, einer deutschen Brauerei, 12.000 Kartons mit je 24 Dosen Export-Bier zum Preis von 15,36 DM pro Karton. Sie zahlte den Kaufpreis von 184.320 DM im Juli 1977 mit Akkreditiv der Bank von Teheran. Die Ware, die "cif Teheran" geliefert werden sollte, wurde im August 1977 von Bremen aus in einen persischen Hafen verschifft und von dort aus zum größten Teil ins Landesinnere befördert.

Bei der nachfolgenden Untersuchung stellte die Klägerin fest, daß ein Teil der Ware beschädigt und unbrauchbar war. Sie unterrichtete die Beklagte von dem Schaden, ließ über Art und Umfang durch ein deutsches Schadensbüro in Teheran Gutachten erstellen und machte gegenüber der Beklagten geltend, von der Ware seien 40 % beschädigt, darüber hinaus habe sie einen weiteren Schaden in Höhe von 96.937,60 DM - insbesondere den auf die schadhafte Ware entrichteten Zoll und Gutachterkosten erlitten.

In der Folgezeit verhandelten die Parteien, die beide ihren Wunsch nach künftiger Zusammenarbeit betonten, über die Schadensregulierung. Die Beklagte bestätigte mit Schreiben vom 7. November 1978, in dem beide Parteien den Abschluß eines Vergleichs sehen, vorausgegangene Forderungen der Klägerin wie folgt:

"... Bis zum 31. Mai 1980 räumen wir Ihnen einen Festpreis pro Karton 24/33 cl HERRENHÄUSER PILSENER von DM 9,30 ein ....

In den nächsten Tagen erfolgt eine Auszahlung in Höhe von DM 20.000 auf das Konto (der Klägerin) ....

Die restlichen DM 20.000 aus der Schadensreklamation werden nach Erhalt eines Akkreditivs über 20.000 Kartons HERRENHÄUSER PILSENER Dosenbier ausgezahlt ...."

Die ersten 20.000 DM zahlte die Beklagte an die Klägerin. Zu weiteren Bierlieferungen und zur Zahlung der restlichen 20.000 DM an die Klägerin kam es nicht mehr. Im Januar 1979 übernahm der Ayatollah Khomeini nach der Flucht des Schah die Macht im Iran. Seitdem besteht nach der Darstellung der Klägerin in der Islamischen Republik ein uneingeschränktes - unter der Androhung der Todesstrafe stehendes - Verbot, Alkohol in den Iran einzuführen oder mit alkoholischen Erzeugnissen zu handeln. Auf den Wunsch der Klägerin, über eine anderweitige außergerichtliche Einigung zu verhandeln, ging die Beklagte nicht ein.

Die Klägerin hat im vorliegenden Rechtsstreit Schadensersatz für angeblich unbrauchbare Bierdosen in Höhe von 53.728 DM (40 % von 184.320 DM = 73.728 DM abzüglich bereits erhaltener 20.000 DM) geltend gemacht. Das Landgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Beklagte zur Zahlung von 37.000 DM verurteilt und die Klage im übrigen abgewiesen. Mit der - zugelassenen - Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf volle Klageabweisung weiter. Die Klägerin erstrebt im Wege der unselbständigen Anschlußrevision die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Anschlußrevision.

 

Entscheidungsgründe

I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:

Die Geschäftsgrundlage des Vergleichs, den die Parteien mit dem aus dem Schreiben vom 7. November 1978 ersichtlichen Inhalt abgeschlossen hätten, sei fortgefallen. Denn die Art der vereinbarten Ersatzleistung durch Lieferung von Bier zu Vorzugspreisen setze die Möglichkeit einer derartigen Zusammenarbeit zwischen den Parteien voraus. Die entsprechende Vorstellung der Parteien habe sich nicht verwirklicht, weil seit Gründung der Islamischen Republik der Handel mit Alkohol im Iran unstreitig verboten und die Klägerin daher gehindert sei, weiterhin Bier der Beklagten zu importieren. Unerheblich sei, ob die Klägerin Bier außerhalb des Irans absetzen könne, da dem Vergleich die gemeinsame Annahme der Parteien zugrunde gelegen habe, der Schaden der Klägerin sei durch weitere Bierimporte auszugleichen. Die irrige Vorstellung der Parteien über die Möglichkeit weiterer Bierimporte führe nicht zur Unwirksamkeit des Vergleichs gemäß § 779 BGB, weil sich die Parteien nicht über einen gegenwärtigen Sachverhalt geirrt hätten. Die Klägerin könne sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen, obwohl die Absetzbarkeit mängelfreier Ware grundsätzlich zum typischen Risiko des Empfängers gehöre. Denn unter den vorliegenden besonderen Umständen, wie sie in politischen Umwälzungen und darauf beruhenden Handelsbeschränkungen gesehen werden könnten, sei es grob unbillig, die Klägerin mit dem vollen Risiko der Undurchführbarkeit des Vergleichs zu belasten. Das verbiete auch der Zweck des Vergleichs, der die Klägerin für die Nachteile im Zusammenhang mit der Bierlieferung vom August 1977 habe entschädigen sollen. Der nicht durchgeführte Teil des Vergleichs müsse daher der veränderten Sachlage in der Weise angepaßt werden, daß dabei dem mit dem Vergleich bezweckten Erfolg, die Klägerin für die erlittenen Verluste zu entschädigen, Rechnung getragen und der Ausgleichsanspruch der Klägerin an der Höhe der von ihr bei Durchführung des Vergleichs erzielbaren Gewinne ausgerichtet werde. Andererseits dürfe nicht außer Betracht bleiben, daß auch die Beklagte aus den vorgesehenen Bierlieferungen selbst bei Einräumung des Vorzugspreises noch Gewinn gezogen hätte. Jede Partei müsse daher die Hälfte des Risikos der Durchführbarkeit des Vergleichs tragen. Der Klägerin stehe deshalb über die bereits gezahlten 20.000 DM hinaus die Hälfte des von der Beklagten weiter in bar zu Leistenden Betrages, mithin 10.000 DM, sowie die Hälfte des Gewinns zu, den die Klägerin bei Durchführung des Vergleichs voraussichtlich gezogen hätte. Bei der Ermittlung dieses Gewinns sei im Wege der Schätzung davon auszugehen, daß die Beklagte auf der Grundlage des Vergleichs mindestens 60.000 Kartons Bier zum Vorzugspreis geliefert hätte. Den Preisnachlaß je Karton habe das Landgericht zutreffend auf 0,90 DM geschätzt. Von dem danach aus der Durchführung des Vergleichs durch die Klägerin voraussichtlich gezogenen Gewinn in Höhe von 54.000 DM könne sie weitere 27.000 DM, insgesamt also 37.000 DM beanspruchen.

II. Diese Ausführungen des Berufungsgerichts halten den Angriffen der Revision und der Anschlußrevision im Ergebnis stand .

1. Die Revision der Beklagten:

a) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß deutsches Recht zur Anwendung kommt. Denn beide Parteien haben sich in diesem Verfahren auf deutsches Recht berufen (dazu Senatsurteile vom 9. Februar 1977 - VIII ZR 149/75 = WM 1977, 478 und vom 29. September 1982 - VIII ZR 320/81 = WM 1982, 1249).

b) Beide Parteien haben im zweiten Rechtszug vorgetragen, zwischen ihnen sei ein außergerichtlicher Vergleich mit dem Inhalt des Schreibens der Beklagten vom 7. November 1978 zustande gekommen. Zu Recht hat das Berufungsgericht diese übereinstimmende Wertung seiner weiteren Beurteilung zugrunde gelegt (dazu BGHZ 71, 243, 247) .

c) Das Berufungsgericht hat eine Unmöglichkeit der Leistung mit der Begründung verneint, das Verbot, Bier in den Iran einzuführen, habe die Beklagte von ihrer Schadensersatzpflicht nicht befreit. Das wird von den Parteien nicht angegriffen und ist jedenfalls im Ergebnis schon deshalb richtig, weil die Klägerin ihre nach dem Vergleich zu erbringenden Leistungen (Teilerlaß, Stundung, Schuldabänderung) im Vergleich selbst bereits erbracht hat und die Beklagte ihre Leistungen, nämlich Zahlung weiterer 20.000 DM, aber auch Bierlieferungen zum Vorzugspreis durch die schon 1977 widerspruchslos angekündigte Lieferung "fob deutscher Hafen" erbringen konnte. Die Bestellung von Bier und die Eröffnung eines Akkreditivs waren keine Verpflichtungen der Klägerin, sondern standen als Voraussetzung für die Leistung der beklagten im Belieben der Klägerin.

d) Zutreffend und auch von der Revision nicht beanstandet hält das Berufungsgericht den Vergleich nicht für unwirksam nach § 779 BGB. Nur wenn der als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entsprochen hat, ist der Vergleich nach dieser Vorschrift nicht wirksam. Haben sich die Parteien dagegen bei Vergleichsabschluß Vorstellungen über das Eintreten oder Ausbleiben künftiger Ereignisse - wie hier möglicherweise über die politische Entwicklung im Iran und deren Auswirkungen auf ihr Vertragsverhältnis; - gemacht, so kann ein Zuwiderlaufen der Entwicklung mit ihren Erwartungen nicht zu einer Nichtigkeit des Vergleichs nach § 779 BGB führen (BGH, Urteil vom 13. Juni 1961 - VI ZR 215/60 = JZ 1953, 129; Steffen in: BGB-RGRK, 12. Aufl., § 779 Rdn. 44) .

e) Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, daß die Geschäftsgrundlage des Vergleichs vom 7. November 1978 nachträglich fortgefallen ist.

aa) Auch die Revision verkennt nicht, daß ein Vergleich der Prüfung sowohl unter dem Gesichtspunkt des § 779 BGB als auch demjenigen des § 242 BGB unterzogen werden kann (Senatsurteil vom 24. September 1959 - VIII ZR 189/58 = WM 1959, 1319, 1322; BGH, Urteil vom 21. Februar 1952 - IV ZR 103/51 = NJW 1952, 778).

bb) Geschäftsgrundlage sind die bei Vertragsschluß bestehenden gemeinsamen Vorstellungen beider Parteien oder die dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Vertragspartei vom Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf dieser Vorstellung aufbaut (Senatsurteile vom 9. Dezember 1970 - VIII ZR 245/68 = WM 1971, 214 und vom 4. Oktober 1978 - VIII ZR 167/77 = WM 1978, 1354, 1355). Es hält den Angriffen der Revision stand, wenn das Berufungsgericht in der Möglichkeit weiterer Zusammenarbeit der Parteien die Geschäftsgrundlage des Vergleichs gesehen hat. Es handelte sich dabei nicht nur um einen - von den Parteien mehrfach geäußerten - Wunsch. Nur im Wege künftiger Zusammenarbeit ließ sich vielmehr der beabsichtigte wirtschaftliche Zweck des Vergleichs, den der Klägerin entstandenen Schaden auszugleichen (so ausdrücklich das Schreiben der Beklagten vom 7. November 1978), verwirklichen. Denn die Inanspruchnahme eines Vorzugspreises war für die Klägerin wirtschaftlich sinnvoll nur, wenn sie die bei der Beklagten bestellte Ware auch verwerten konnte.

Der Annahme, daß die entsprechende Vorstellung der Parteien die Geschäftsgrundlage des Vergleichs bildete, steht nicht der Grundsatz entgegen, daß Umstände, die in den Risikobereich der einen oder anderen Vertragspartei fallen, ihr nicht das Recht geben, sich auf eine Störung der Geschäftsgrundlage zu berufen (Senatsurteile vom 6. Juli 1974 - VIII ZR 41/63 = WM 1964, 1025; vom 20. März 1974 - VIII ZR 31/73 = WM 1974, 453, 455; vom 8. Februar 1978 - VIII ZR 221/76 = WM 1978, 322, 323). Zwar fällt das Weiterverkaufsrisiko im Geschäftsleben in der Regel in die Sphäre des Käufers (Senatsurteile vom 13. Oktober 1959 - VIII ZR 120/58 = LM BGB § 242 (Bb) Nr. 33 m.Nachw.; vom 18. Juni 1975 - VIII ZR 34/74 = WM 1975, 917) . Indessen hat das Berufungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, daß es sich im vorliegenden Fall nicht um einen Kaufvertrag, sondern um ein Rechtsgeschäft handelte, mit dem die Beklagte der Klägerin Ersatz für einen bei dieser eingetretenen Verlustleisten wollte. Es sind keine Umstände ersichtlich, aus denen folgte, daß nach dem Willen der Vertragsparteien das Risiko des Scheiterns des mit dem Vergleich beabsichtigten Entschädigungszwecks ausschließlich von der Klägerin getragen werden soll.

cc) Die Geschäftsgrundlage des Vergleichs ist fortgefallen. Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß der Handel mit Alkohol im Iran verboten ist. Dagegen wendet sich die Revision ohne Erfolg. Das von der Beklagten im ersten Rechtszug vorgelegte Schreiben des Verbandes der Ausführbrauereien vom 9. Dezember 1981 weist zwar für die Jahre 1979 (68 hl), 1980 (21 hl) und 1981 (175 hl) Bierexporte in den Iran in vergleichsweise geringen Mengen aus. Dieses Schreiben erlaubt aber schon nicht die Schlußfolgerung, der Handel mit Alkohol sei im Iran doch erlaubt. Die Beklagte ist der Vermutung der Klägerin, es habe sich um Lieferungen an ausländische Unternehmen oder Vertretungen gehandelt, nicht entgegengetreten. Im übrigen betrafen diese Exporte Mengen, die im Vergleich zu den von den Parteien beabsichtigten Bierlieferungen, die das Berufungsgericht in - wie noch zu zeigen sein wird -rechtsfehlerfreier Weise auf 60.000 Kartons (= 4 800 hl) geschätzt hat, so geringfügig sind, daß aus ihnen nicht geschlossen werden kann, der Klägerin sei es möglich gewesen, die Waren auch nur annähernd in der geplanten Menge in den Iran einzuführen. Daraus rechtfertigt sich die Auffassung des Berufungsgerichts, das in dem Vortrag der Beklagten, auch die Klägerin hätte ausnahmsweise eine Importgenehmigung erhalten, die hinreichende Substantiierung vermißt hat. Den Vortrag der Beklagten, die Klägerin habe das Bier auch in anderen Ländern absetzen können, hat das Berufungsgericht für unerheblich gehalten; seine Ausführungen, nach dem Vortrag der Parteien stehe fest, daß es der Klägerin auch verboten sei, außerhalb des Irans Bier abzusetzen, greift die Revision mit einer Verfahrensrüge nicht an.

dd) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kann eine Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage nur dann in Betracht kommen, wenn dies zur Vermeidung untragbarer, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin nicht vereinbarer und damit der betroffenen Vertragspartei nicht zumutbarer Folgen unabweislich erscheint (Senatsurteile vom 1 Juli 1958 - VIII ZR 96/57 = WM 1958, 1226; vom 9. Dezember 1970 - VIII ZR 245/68 = WM 1971, 214, 215; vom 8. Februar 1978 - VIII ZR 221,/76 = WM 1978, 322, 323) . Eine Störung aber, durch die die beiderseitigen Verpflichtungen in ein grobes Mißverhältnis geraten, läßt die (Geschäftsgrundlage entfallen (Senatsurteil vom 13. Oktober 1959 - VIII ZR 120/58 = LM BGB § 242 (Bb) Nr. 33). Die Klägerin, die mit dem Vergleich darauf verzichtete, die ihr aus der mangelhaften Bierlieferung im August 1977 zustehenden Ansprüche durchzusetzen, und die dafür eine bestimmte Gegenleistung erhalten sollte, braucht sich nicht mit einem Bruchteil dieser Gegenleistung zufrieden zu geben.

Ohne Erfolg macht die Revision geltend, die Klägerin habe die politische Entwicklung im Iran voraussehen müssen. Eine bestimmte Erwartung der Parteien - wie hier die ihrer künftigen Zusammenarbeit - kann auch dann Geschäftsgrundlage sein, wenn sie sich der Möglichkeit eines Fehlschlages bewußt sind. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, gegen die die Revision eine Verfahrensrüge nicht erhebt, lag die Möglichkeit eines Fehlschlagens dieser Erwartungen jedenfalls nicht so nahe, daß es der Klägerin verwehrt wäre, sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage zu berufen.

ee) Trotz Wegfalls der Geschäftsgrundlage hat das Berufungsgericht zu Recht den Vergleich mit angepaßtem Inhalt aufrechterhalten (vgl. auch Soergel/Siebert/Knopp, BGB, 10. Aufl., § 242 Rdn. 398). Die Anwendung der Grundsätze über den Geschäftsgrundlage-Wegfall führt nur ausnahmsweise zur völligen Beseitigung des Vertragsverhältnisses; in aller Regel ist der Vertrag nach Möglichkeit aufrechtzuerhalten und lediglich in einer den berechtigten Interessen beider Parteien Rechnung tragenden Form der veränderten Sachlage anzupassen (BGHZ 47, 45, 51 f.; Senatsurteil vom 23. März 1966 - VIII ZR 51/64 = WM 1956, 475, 476). Dem Vortrag der Parteien ist nicht zu entnehmen, daß sie bei Kenntnis der künftigen Entwicklung einen Vergleich nicht geschlossen hätten. Insbesondere hat die Beklagte in ihren ersten Antworten auf die Schadensmeldung der Klägerin eine Regulierung in Aussicht gestellt, die keinen Bezug zu weiteren Bierlieferungen herstellte. Aus der Aufrechterhaltung des Vergleichs folgt zugleich, daß es auf die Rechtslage vor Vergleichsabschluß nicht ankommt. Unerheblich ist daher, in welcher Höhe die Beklagte den Anspruch der Klägerin bestritten hatte und ob aus ihrer Sicht der Vergleichsschluß ein großzügiges Entgegenkommen ihrerseits darstellte.

Die vom Berufungsgericht vorgenommene Anpassung der vertraglichen Pflichten an die veränderten Umstände hält sich im Rahmen des pflichtgemäßen tatrichterlichen Ermessens (dazu Senatsurteil vom 9. Dezember 1970 - VIII ZR 245/68 = WM 1971, 214, 215). Insbesondere kann aus Rechtsgründen nicht beanstandet werden, daß das Berufungsgericht das Risiko, das sich in der Grundlagenstörung verwirklicht hat, auf beide Parteien je zur Hälfte verteilt hat. Diese Aufteilung bietet sich bei Fehlen von Anhaltspunkten, die für eine andere Verteilung sprechen könnten, an, wenn die Folgen der Grundlagenstörung nicht einer Partei allein zugewiesen werden können (vgl. auch MünchKomm-Roth, BGB, § 242 Rdn. 577; Medicus, Festschrift für Flume, 1978, S. 642). Aus dem Prozeßstoff ergibt sich auch nichts dafür, daß eine der Parteien durch die Vertragsanpassung über das ihr zugemutete hälftige Risiko der Durchführbarkeit des Vergleichs hinaus belastet worden ist. Wenn das Berufungsgericht einige Umstände - wie den von den Parteien bei den geplanten Bierlieferungen zu erzielenden Gewinn - mangels substantiierter Angaben der Parteien nur pauschal bewerten konnte, so liegt dies auf tatrichterlichem Gebiet und führt nicht etwa zur Unzulässigkeit einer Vertragsanpassung überhaupt.

ff) Die von dem Berufungsgericht vorgenommene Vertragsanpassung im einzelnen ist ebenfalls rechtsfehlerfrei.

a) Das Berufungsgericht hat den Gewinn, den die Klägerin bei Durchführung des Vergleichs voraussichtlich gezogen hätte, in der Weise ermittelt, daß es als Menge des von der Klägerin während der Geltung des Vorzugspreises vermutlich bestellten Bieres 60.000 Kartons und als von der Beklagten zu gewährenden Preisnachlaß einen Betrag von 0,90 DM je Karton angenommen hat. Beides hält die Revision zu Unrecht für willkürlich:

Grundlage für die von dem Berufungsgericht vorgenommene Schätzung der hypothetischen Liefermenge ist 287 Abs. 1 ZPO in zumindest entsprechender Anwendung. Denn das Berufungsgericht hat den der Klägerin infolge der Nichtdurchführung des Vergleichs entgangenen Gewinn und damit die Höhe ihres Schadens ermittelt. Da der Vergleich tatsächlich nicht durchgeführt worden und der hypothetische Verlauf dem exakten Beweis nicht zugänglich ist, erlaubt § 287 Abs. 1 ZPO die Schätzung (vgl. BGH, Urteil vom 28. April 1982 - IVa ZR 8/81 = WM 1982, 718, 719). Es spricht nichts dagegen, eine derartige Schätzung auch im Rahmen der Vertragsanpassung nach Wegfall der Geschäftsgrundlage zuzulassen.

Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. zuletzt, BGH Urteil vom 13. Juli 1983 - III ZR 182/82 = VersR 1983, 1031, 1033 m.Nachw.) hat sich die revisionsrechtliche Nachprüfung der im Bereich des § 287 ZPO liegenden tatrichterlichen Würdigung darauf zu beschränken, ob die Bewertung auf grundsätzlich falschen und offenbar unsachlichen Erwägungen beruht und ob wesentliche die Entscheidung bedingende Tatsachen außer acht gelassen worden sind. Dieser Nachprüfung hält die Schätzung des Berufungsgerichts stand: Es hat die tatsächlichen Grundlagen der Schätzung und ihre Auswertung in objektiv nachprüfbarer Weise im Urteil angegeben (dazu BGHZ 6, 52, 63) . Es hat nämlich aus den Zahlen, die die Beklagte in ihren Schreiben vom 28. November 1977 und 22. März 1978 selbst genannt hat, einen - etwas unterhalb der hälftigen Differenz liegenden - Mittelwert gebildet. Im Schreiben vom 28. November 1977 gab die Beklagte die im Zeitraum vom 1. Dezember 1977 bis 31. Dezember 1978 voraussichtlich zu ordernde Menge mit "100.000 Kartons und mehr" an; in dem an den Vertreter der Klägerin gerichteten Schreiben vom 22. März 1978 nannte sie als Voraussetzung für die alleinige Agententätigkeit dieses Vertreters einen Bierbezug von "mindestens 40.000 Kartons" für die Zeit vom 1. Januar 1978 bis 30. Juni 1979. Die Bildung eines Mittelwertes aus diesen von der Beklagten selbst geschätzten Zahlen liegt nahe. Wenn das Berufungsgericht trotz der Angabe lediglich eines Mindestwertes im Schreiben vom 22. März 1978 und des im Schreiben vom 28. November 1977 berücksichtigten kleineren Zeitraums als der Geltungsdauer des Vorzugspreises einen Wert unterhalb des Mittels angenommen hat, belastet dies die Beklagte nicht.

Das Berufungsgericht führt aus, das Landgericht "schätze" den vereinbarten Preisnachlaß auf 0,90 DM je Karton, und schließt sich dem an. Ob es sich hierbei um eine Schätzung nach § 287 ZPO handelt, kann dahinstehen. Denn das Ergebnis hält auch den strengeren Anforderungen nach § 286 ZPO stand. Mangels einer Angabe der Beklagten über etwaige Wertänderungen in der Zeit zwischen November 1977 und 1978 kann aus den Angaben in ihrem Schreiben vom 28. November 1977, bei einem Preis von 9,40 DM pro Karton gewähre sie einen Nachlaß von 0,80 DM, kein anderer Schluß gezogen werden, als daß sie bei dem - schließlich vereinbarten - Vorzugspreis von 9,30 DM einen Nachlaß von 0,90 DM gewährte.

b) Die Teilung der noch ausstehenden 20.000 DM ergibt sich aus der vom Berufungsgericht gewählten Halbierung des Vertragsrisikos.

c) Es liegt auch kein Rechtsfehler darin, daß das Berufungsgericht nicht auch den bereits gezahlten Betrag von 20.000 DM geteilt hat. Denn der Vergleich der Lage, in der sich die Parteien bei störungsfreier Durchführung der Vereinbarung befunden hätten, mit derjenigen, in der sie sich nach der Anpassung durch das Berufungsgericht befinden, zeigt, daß sich die von ihnen zu tragenden Wachteile in etwa aufwiegen: Die Klägerin hat einen Barbetrag von 10.000 DM eingebüßt und einen Verlust aus der Nichtinanspruchnahme des Vorzugspreises im Wert von 27.000 DM erlitten; auf der anderen Seite hat sie das Risiko und die Aufwendungen an Arbeit gespart, die mit der Bestellung, dem Verschiffen, dem Vertrieb und dem Verkauf des Bieres verbunden gewesen wären. Die Beklagte hat die Möglichkeit verloren, Bier abzusetzen und dabei einen - von ihr nicht näher bezifferten Gewinn zu erzielen; andererseits spart sie die Zahlung von 10.000 DM und die Gewährung eines Vorzugspreises im Werte von 27.000 DM. Unter diesen Umständen ist es der Beklagten nicht gelungen, eine Unausgewogenheit der vom Berufungsgericht vorgenommenen Vertragsanpassung darzulegen. Insbesondere bestätigt die Zusammenstellung der von beiden Seiten zu tragenden Nachteile, daß das Berufungsgericht den von der Beklagten bei Durchführung des Vergleichs erwarteten Gewinn entgegen den Angriffen der Revision durchaus veranschlagt hat.

2. Die Anschlußrevision der Klägerin:

Aus den zur Revision der Beklagten angestellten Überlegungen ergibt sich im wesentlichen bereits die Unbegründetheit der Anschlußrevision. Für sie gilt:

a) Zu Unrecht macht die Klägerin geltend, sie dürfe nach ihrem vergleichsweise Nachgeben nicht gezwungen sein, noch eine weitere Einschränkung ihrer Ansprüche hinzunehmen. Welche der Parteien bei Abschluß des Vergleichs in welchem Maße nachgegeben hat, ist wegen der grundsätzlichen Aufrechterhaltung der vergleichsweisen Regelung dem Streit entzogen. Deshalb können an die Stelle der unterbliebenen Lieferungen auch nicht einfach die ursprünglichen Ersatzansprüche der Klägerin treten; denn das liefe auf eine Aufhebung des Vergleichs hinaus. Die weiteren Nachteile muß die Klägerin tragen, weil sie sich ebenso wie die Beklagte an dem Risiko, das sich in der Störung der Geschäftsgrundlage verwirklicht hat, zur Hälfte beteiligen muß.

b) Der Anschlußrevision kann auch nicht darin zugestimmt werden, daß die in der Vergleichsregelung zum Ausdruck kommende Begünstigung der Beklagten dazu fahren müsse, sie das Risiko der Undurchführbarkeit des Vergleichs allein tragen zu lassen. Wie ausgeführt hing es von der - zwischen den Parteien streitigen Begründetheit der früheren Ansprüche der Klägerin ab, welche Partei der Vergleich begünstigte. Immerhin verpflichtete sich die Beklagte zur Zahlung von 40.000 DM und zum Verzicht auf einen Teil ihres üblicherweise zu erzielenden Gewinns aus den künftigen Bierlieferungen. Nimmt man hinzu, daß die Beklagte bei Anpassung des Vergleichs weitere Nachteile auf sich nehmen muß, so kann von einer ungerechtfertigten Bevorzugung keine Rede sein.

III. Mithin waren Revision und Anschlußrevision zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2992727

NJW 1984, 1746

ZIP 1984, 452

JuS 1986, 272

MDR 1985, 47

IPRspr. 1984, 23

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