Entscheidungsstichwort (Thema)

Schadensersatzanspruch aus Unternehmenskaufvertrag. Verfahrensrechtliche Gegenrüge gegen tatsächliche Feststellungen des Berufungsurteils. Ersichtliches Parteivorbringen in der Berufungsinstanz. Beweis durch Sitzungsprotokoll. Behebung etwaiger Unrichtigkeiten tatbestandlicher Feststellungen durch Berichtigungsverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

a) Das "aus dem Berufungsurteil ersichtliche Parteivorbringen" (§ 559 Abs. 1 ZPO n.F.) erbringt nach § 314 ZPO Beweis für das mündliche Parteivorbringen in der Berufungsinstanz. Dieser Beweis kann nur durch das Sitzungsprotokoll, nicht jedoch durch den Inhalt der Schriftsätze entkräftet werden.

b) Selbst bei einem Widerspruch zwischen ausdrücklichen "tatbestandlichen" Feststellungen und in Bezug genommenem Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze geht der "Tatbestand" vor.

c) Eine etwaige Unrichtigkeit tatbestandlicher Feststellungen im Berufungsurteil kann nur im Berichtigungsverfahren nach § 320 ZPO, nicht jedoch mit einer Verfahrensrüge nach § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO n.F. oder einer entsprechenden Gegenrüge des Revisionsbeklagten behoben werden.

 

Normenkette

ZPO §§ 314, 320, 551 Abs. 3 S. 1 Nr. 2; ZPO n.F. § 559

 

Verfahrensgang

OLG München (Entscheidung vom 28.04.2004; Aktenzeichen 7 U 5482/03)

LG München I (Entscheidung vom 14.10.2003; Aktenzeichen 16 HKO 9067/03)

 

Tenor

Das Versäumnisurteil vom 12.6.2006 wird aufrechterhalten.

Die Klägerin trägt die weiteren Kosten des Revisionsverfahrens. Die durch die Nebenintervention verursachten weiteren Kosten werden der Streithelferin der Klägerin auferlegt.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

[1] Die Klägerin verlangt aus einem mit der Beklagten zu 1) am 17.3.2000 geschlossenen Unternehmenskaufvertrag über den Erwerb sämtlicher von der Beklagten zu 1) gehaltenen Geschäftsanteile an der P. GmbH B. (im Folgenden: P.) Schadensersatz von den Beklagten als Gesamtschuldnern, weil die Beklagte zu 1) entgegen der in dem Vertrag erteilten Zusicherung - für deren Erfüllung die Beklagte zu 2) zusätzlich die Garantie übernommen habe - die Stammeinlage von 950.000 DM aus einer Kapitalerhöhung bei der P. nicht wirksam geleistet habe.

[2] Die P. gewährte auf der Grundlage einer Abrede vom 10.1.1995 der Beklagten zu 1), ihrer damaligen Alleingesellschafterin, am 24.2.1995 ein - bis 30.9.1995 rückzahlbares - verzinsliches Darlehen von 1 Mio. DM; bereits am 1.3.1995 überwies diese 950.000 DM an die P. unter Angabe des Verwendungszwecks "Kapitalerhöhung" zurück. Am 13.3.1995 beschloss die Gesellschafterversammlung der P., das Stammkapital von 50.000 DM auf 1 Mio. DM zu erhöhen, wobei die - sofort bar zu leistende - neue Stammeinlage von 950.000 DM wiederum von der Beklagten zu 1) übernommen wurde. Die von der Beklagten zu 1) zuvor eingezahlten 950.000 DM wurden sodann bei der P. als Erhöhung der Stammeinlage verbucht. Nach den aus dem Berufungsurteil ersichtlichen Feststellungen - die denjenigen im LGurteil entsprechen - zahlte die Beklagte zudem an die P. bis zum 17.3.2000 einen Betrag in Höhe der als Darlehen empfangenen Valuta von 1 Mio. DM in nicht näher bekannten Raten - am 13.1.1997 betrug die noch offene Restforderung 496.230 DM - vollständig zurück. Durch den notariellen Unternehmenskaufvertrag vom 17.3.2000 veräußerte die Beklagte zu 1) an die Klägerin sämtliche von ihr an der P. gehaltenen Geschäftsanteile zu einem Kaufpreis von 1 DM. In dem Vertrag sicherte die Beklagte zu 1) u.a. die vollständige Einzahlung des Stammkapitals zu und verpflichtete sich zum Schadensersatz für den Fall der Unrichtigkeit der gegebenen Zusicherungen; zusätzlich übernahm die Beklagte zu 2) die Garantie für die Erfüllung aller sich aus dem Vertrag ergebenden Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte zu 1).

[3] Am 18.10.2002 wurde auf Antrag der P. das vorläufige Insolvenzverfahren über deren Vermögen eröffnet. Nachdem der vorläufige Insolvenzverwalter am 28.10.2002 die Klägerin zur Zahlung der - nach seiner Ansicht von der Beklagten zu 1) seinerzeit nicht wirksam erbrachten - Stammeinlage von 950.000 DM aufgefordert hatte, zahlte die Klägerin unter dem 16.12.2002 den geforderten Betrag an die P.; diese hatte bereits vorher den Antrag auf Insolvenzeröffnung zurückgenommen, woraufhin das AG D. die Aufhebung der vorläufigen Insolvenzverwaltung angeordnet hatte.

[4] Das LG hat die Beklagten gesamtschuldnerisch zur Leistung von Schadensersatz in Höhe der verlangten 485.727,28 EUR (= 950.000 DM) verurteilt, im Übrigen jedoch wegen eines weitergehenden Leistungs- und Feststellungsbegehrens die Klage - rechtskräftig - abgewiesen. Das OLG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen haben sich die Beklagten mit der - vom Senat zugelassenen - Revision gewandt, mit der sie ihren Antrag auf vollständige Abweisung der Klage weiterverfolgt haben.

[5] In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 12.6.2006 war die Klägerin trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht vertreten. Durch Versäumnisurteil vom selben Tag (II ZR 334/04, BGH v. 12.6.2006 - II ZR 334/04, GmbHR 2006, 982 m. Anm. Bormann = BGHReport 2006, 1311 = ZIP 2006, 1633) hat der Senat unter Aufhebung des Berufungsurteils und unter Änderung des LGurteils die Klage in vollem Umfang abgewiesen.

[6] Gegen dieses Versäumnisurteil hat die Klägerin rechtzeitig Einspruch eingelegt, durch den sie mit einer verfahrensrechtlichen Gegenrüge die von dem Senat bei seiner die Klage abweisenden Entscheidung zugrunde gelegten tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts zu der bis zum 17.3.2000 durch die Beklagte zu 1) bewirkten vollständigen "Rückzahlung des Darlehens" im Umfang von 1 Mio. DM angreift.

 

Entscheidungsgründe

[7] Das auf einer Sachprüfung (BGHZ 37, 79, 82) beruhende Versäumnisurteil des Senats vom 12.6.2006 ist gem. §§ 555, 343 ZPO aufgrund der neuen Verhandlung aufrechtzuerhalten, weil die von der Klägerin mit dem Einspruch erhobene verfahrensrechtliche Gegenrüge gegen die Richtigkeit der diesem Versäumnisurteil über die endgültige Abweisung der Klage zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsurteils (vgl. § 559 Abs. 1 und 2 ZPO) zur "vollständigen Rückzahlung des Darlehens" erfolglos bleibt.

[8] I. Die Klägerin wendet sich mit ihrem Einspruch nicht gegen die - ihr günstige - Annahme des Senats, dass die Beklagte zu 1) die von ihr anlässlich der Kapitalerhöhung vom 13.3.1995 übernommene Einlageverbindlichkeit i.H.v. 950.000 DM nicht durch die ursprüngliche (Vor-)Einzahlung vom 1.3.1995 erfüllt hat, weil hierin eine sog. verdeckte Finanzierung aus Gesellschaftsmitteln in Form des "Her- und Hinzahlens" lag, bei dem unter dem Gesichtspunkt der Kapitalaufbringung der Inferent nichts geleistet und die Gesellschaft nichts erhalten hat und bei dem die in diesem Zusammenhang für die "Herzahlung" getroffene "Darlehensabrede" als Teil des Umgehungsgeschäfts unwirksam ist (vgl. Versäumnisurteil v. 12.6.2006a.a.O. Tz. 11, 12).

[9] Die Klägerin beanstandet vielmehr allein, dass der Senat die offen gebliebene Einlageschuld der Beklagten zu 1) i.H.v. 950.000 DM aufgrund der vom Berufungsgericht als unstreitig festgestellten vollständigen, jedenfalls vor Abschluss des notariellen Unternehmenskaufvertrages vom 17.3.2000 bewirkten "Rückzahlung des Darlehens" in entsprechender Höhe als erfüllt angesehen hat. Zwar habe das Berufungsgericht - ebenso wie schon zuvor das LG - festgestellt, dass die Beklagte zu 1) an die P. "das Darlehen von 1 Mio. DM in nicht näher bekannten Raten vollständig zurückgezahlt" habe; jedoch entspreche dies nicht dem - von den Beklagten zugestandenen - Vortrag der Klägerin im erstinstanzlichen Schriftsatz vom 3.9.2003, dass das Darlehen i.H.v. ca. 750.000 DM mit Forderungen der Beklagten zu 1) gegen die P. aus einem Ergebnisabführungsvertrag "über zwei Jahre hinweg" nach und nach verrechnet worden sei. Eine solche Verrechnung habe wegen Verstoßes gegen § 19 Abs. 5 GmbHG keine Erfüllungswirkung gehabt.

[10] II. Die verfahrensrechtliche Gegenrüge (§ 286 ZPO) geht fehl.

[11] Bei der von der Klägerin als unrichtig beanstandeten Feststellung des Berufungsgerichts über die "vollständige Rückzahlung des Darlehens" durch die Beklagte zu 1) "in nicht näher bekannten Raten" vor dem Abschluss des notariellen Kaufvertrages vom 17.3.2000 handelt es sich um aus dem Berufungsurteil ersichtliches (unstreitiges) Parteivorbringen i.S.d. § 559 Abs. 1 ZPO, das als tatbestandliche Darstellung im Rahmen der Urteilsgründe an die Stelle des früheren förmlichen Tatbestandes des Berufungsurteils gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO n.F. getreten ist (vgl. nur MünchKomm/ZPO(AB)/Wenzel 2. Aufl., § 559 Rz. 2). Dieses "aus dem Berufungsurteil ersichtliche Parteivorbringen" - zu dem auch der in Bezug genommene Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils gehört - erbringt nach § 314 ZPO Beweis für das mündliche Parteivorbringen in der Berufungsinstanz (vgl. Musielak/Ball, ZPO 5. Aufl., § 559 Rz. 15 m.w.N.). Dieser Beweis kann nur durch das Sitzungsprotokoll, nicht jedoch durch den Inhalt der Schriftsätze entkräftet werden (BGH v. 2.2.1999 - VI ZR 25/98, BGHZ 140, 335, 339 = MDR 1999, 545). Selbst bei einem Widerspruch zwischen ausdrücklichen "tatbestandlichen" Feststellungen und in Bezug genommenem Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze geht der "Tatbestand" vor. Eine etwaige Unrichtigkeit derartiger tatbestandlicher Darstellungen im Berufungsurteil kann nur im Berichtigungsverfahren nach § 320 ZPO behoben werden (st.Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 13.7.2000 - I ZR 49/98, MDR 2001, 401 = WM 2000, 2070, 2072; BGH, Beschl. v. 26.3.1997 - IV ZR 275/96, MDR 1997, 680 = NJW 1997, 1933; BGH, Urt. v. 3.3.1995 - V ZR 266/93, MDR 1995, 565 = ZIP 1995, 961; BGH, Urt. v. 7.12.1993 - VI ZR 74/93, MDR 1994, 254 = CR 1994, 205 = NJW 1994, 517, 519 - jew. zu der inhaltsgleichen Vorgängervorschrift des § 561 ZPO a.F.). Eine Verfahrensrüge nach § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO oder - wie hier - eine entsprechende verfahrensrechtliche Gegenrüge des Revisionsbeklagten, die auf ein im Berufungsurteil nur allgemein in Bezug genommenes schriftsätzliches Vorbringen gestützt wird, kommt zur Richtigstellung eines derartigen Mangels nicht in Betracht (vgl. auch Musielak/Ball a.a.O. § 559 Rz. 16; MünchKomm/ZPO(AB)/Wenzel a.a.O. § 559 Rz. 4 und § 551 Rz. 23).

[12] Da es im vorliegenden Fall hinsichtlich der tatbestandlichen Darstellung der unstreitigen vollständigen Rückzahlung des "Darlehens von 1 Mio. DM" durch die Beklagte zu 1) an die P. an einer Urteilsberichtigung nach § 320 ZPO fehlt, sind diese tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts für das weitere Verfahren bindend, §§ 314, 559 ZPO; der Senat hatte sie daher seiner Beurteilung im Rahmen der von ihm getroffenen abschließenden Revisionsentscheidung "in der Sache selbst" (§ 563 Abs. 3 ZPO) zugrunde zu legen.

[13] Darauf, dass selbst unter Zugrundelegung des von der Klägerin als übergangen gerügten Vorbringens die dann seitens der Gesellschaft im Einvernehmen mit der Beklagten zu 1) als Inferentin durchgeführte Verrechnung des bestehen gebliebenen Bareinlageanspruchs mit "Neuforderungen" aus dem Ergebnisabführungsvertrag i.H.v. ca. 750.000 DM gemäß der insoweit einschlägigen Vorschrift des § 19 Abs. 2 Satz 2 GmbHG nach ständiger Senatsrechtsprechung (vgl. BGH v. 2.12.2002 - II ZR 101/02, BGHZ 153, 107, 112 = MDR 2003, 464 = GmbHR 2003, 231 = BGHReport 2003, 228 m. Anm. Terlau; BGH v. 16.9.2002 - II ZR 1/00, BGHZ 152, 37, 43 = MDR 2003, 280 = GmbHR 2002, 1193 m. Anm. Müller = BGHReport 2003, 18 m. Anm. Harnier m.w.N.) zulässig gewesen wäre, weil - mangels gegenteiligen Sachvortrags - diese fällig, liquide und vollwertig waren und eine solche spätere Verrechnung nicht bereits im Zeitpunkt der Begründung der ursprünglichen Einlageschuld abgesprochen war, kommt es danach nicht mehr an.

[14] Damit hat es auch aufgrund der neuen mündlichen Verhandlung nach dem Einspruch bei der sachlich-rechtlichen Feststellung des Senats in dem Versäumnisurteil vom 12.6.2006 zu verbleiben, dass die Beklagte zu 1) durch die vom Berufungsgericht bindend festgestellte "Rückzahlung" von 1 Mio. DM bis zum 17.3.2000 auf die vermeintliche, wegen Verstoßes gegen die Kapitalaufbringungsvorschriften nicht wirksam begründete ("Darlehens"-)Schuld die offene Einlageverbindlichkeit erfüllt hat (vgl. dazu im Einzelnen: Versäumnisurteil v. 12.6.2006a.a.O. Tz. 13). Danach steht der Klägerin gegen die Beklagten ein Schadensersatzanspruch wegen angeblicher Verletzung der unternehmensvertraglichen Zusicherung über die vollständige Erbringung der Stammeinlagen bei der P. nicht zu.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1716850

BB 2007, 742

DStR 2007, 731

BGHR 2007, 572

EBE/BGH 2007

FamRZ 2007, 721

NJW-RR 2007, 1434

JurBüro 2007, 390

NZG 2007, 428

MDR 2007, 853

www.judicialis.de 2007

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