Entscheidungsstichwort (Thema)

Berechnung des Werts einer Grundschuldbestellung für Vermögen eines Ehegatten

 

Leitsatz (amtlich)

Bei der Feststellung, ob ein Ehegatte mit einer Grundschuldbestellung über sein (nahezu) gesamtes Vermögen verfügt, sind neben dem Nominalbetrag der Grundschuld auch die bei einer künftigen Vollstreckung in die Rangklasse 4 des § 10 Abs. 1 ZVG fallenden Grundschuldzinsen einzubeziehen und regelmäßig mit dem zweieinhalbfachen Jahresbetrag zu berücksichtigen.

 

Normenkette

BGB § 1365 Abs. 1

 

Verfahrensgang

OLG Hamm (Urteil vom 14.03.2011; Aktenzeichen I-5 U 101/10)

LG Münster (Urteil vom 13.07.2010; Aktenzeichen 14 O 416/09)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 5. Zivilsenats des OLG Hamm vom 14.3.2011 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 14. Zivilkammer des LG Münster vom 13.7.2010 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Mit notarieller Erklärung vom 16.2.2009 bestellte der Kläger der beklagten Bank an seinem Grundstück eine erstrangige Grundschuld i.H.v. 350.000 EUR nebst 16 % Jahreszinsen und einer einmaligen Nebenleistung von 5 % des Grundschuldbetrags und unterwarf sich wegen aller Ansprüche aus der Grundschuld der sofortigen Vollstreckung in das belastete Eigentum. Die Grundschuld sichert Forderungen der Beklagten aus einem Kreditrahmenvertrag über 500.000 EUR; Kreditnehmer sind zwei Gesellschaften, deren Geschäftsführer der Sohn des Klägers war.

Rz. 2

Das Grundstück des im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft lebenden Klägers hat einen Verkehrswert von 426.000 EUR. Daneben verfügten der Kläger und seine Ehefrau im Zeitpunkt der Grundschuldbestellung zumindest noch über ein Bankguthaben i.H.v. 10.179 EUR. Im April 2009 kündigte die Beklagte gegenüber dem Kläger das Kapital der Grundschuld zum 30.11.2009 und stellte es zur Zahlung fällig.

Rz. 3

Der Kläger, der die Grundschuldbestellung mangels Zustimmung seiner Ehefrau gem. § 1365 Abs. 1 BGB für unwirksam hält, wendet sich mit seiner Klage gegen die Vollstreckung aus der notariellen Urkunde. Das LG hat der Klage stattgegeben, das OLG hat sie abgewiesen. Mit der von dem OLG zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

Rz. 4

Das Berufungsgericht meint, die Bestellung der Grundschuld habe nach § 1365 Abs. 1 BGB nicht der Zustimmung der Ehefrau des Klägers bedurft, weil dieser nicht über sein Vermögen als Ganzes verfügt habe. Hiervon wäre nur auszugehen gewesen, wenn das Grundstück mindestens 90 % des gesamten Vermögens des Klägers ausgemacht und die Grundschuld den Grundstückswert zu 90 % oder mehr ausgeschöpft hätte. Letzteres sei nicht der Fall. Im Zeitpunkt der Grundschuldbestellung habe die Belastung insgesamt 367.500 EUR (350.000 EUR Grundschuldbetrag zzgl. einer einmaligen Nebenleistung von 17.500 EUR) und damit nur 86 % des Grundstückswerts betragen. Die dinglichen Zinsen von jährlich 16 % seien nicht zu berücksichtigen, da sie im Zeitpunkt der Verfügung noch nicht entstanden gewesen seien.

II.

Rz. 5

Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Rz. 6

1. a) Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass die Belastung eines Grundstücks, das das alleinige oder wesentliche Vermögen des verfügenden Ehegatten ausmacht, nach § 1365 Abs. 1 BGB zustimmungsbedürftig ist, wenn sie den Wert des Grundstücks ausschöpft (vgl. BGH, Urt. v. 12.7.1989 - IVb ZR 79/88, NJW 1990, 112, 113) und nicht lediglich als Erwerbsmodalität anzusehen ist (vgl. BGH, Urt. v. 21.3.1996 - III ZR 106/95, BGHZ 132, 218, 227 f.). Maßgeblich ist, ob die Belastung - unter Berücksichtigung etwaiger bereits eingetragener Rechte - den Verkehrswert des Grundstücks so weit mindert, dass dem verfügenden Ehegatten nur ein unwesentlicher Teil seines ursprünglichen Gesamtvermögens verbleibt (BGH, Urt. v. 12.7.1989 - IVb ZR 79/88, NJW 1990, 112, 113; vgl. auch BayObLGZ 1959, 442, 446; FamRZ 1967, 337, 338; Koch in MünchKomm/BGB, 5. Aufl., § 1365 Rz. 61 ff.).

Rz. 7

b) Bei der Prüfung der mit einer Belastung einhergehenden Wertminderung eines Grundstücks ist - wie auch sonst im Rahmen von § 1365 BGB - eine wirtschaftliche Betrachtungsweise geboten (vgl. Staudinger/Thiele, BGB [2007], § 1365 Rz. 47 f.). Im Zeitpunkt der Verfügung bereits bestehende Grundschulden werden daher, obwohl sie von der ihr zugrunde liegenden persönlichen Forderung unabhängig sind, nur insoweit berücksichtigt, wie sie valutieren (vgl. BGH, Urt. v. 25.6.1993 - V ZR 7/92, BGHZ 123, 93, 95; BGH, Urt. v. 12.7.1989 - IVb ZR 79/88, a.a.O.). Ist die gesicherte Forderung bereits getilgt und hat der Grundstückseigentümer deshalb einen Anspruch auf (teilweise) Rückübertragung des Grundpfandrechts, ist dieser Anspruch in die Vermögensberechnung einzustellen (vgl. Koch in MünchKomm/BGB, a.a.O., § 1365 Rz. 17).

Rz. 8

Umgekehrt ergibt sich hieraus, dass es bei der (Neu-)Bestellung einer Grundschuld grundsätzlich nicht auf deren Valutierung ankommt. Zwar kann die zu sichernde persönliche Forderung im Zeitpunkt der Bestellung (noch) hinter dem Sicherungswert der Grundschuld zurückbleiben. Einem Rückübertragungsanspruch des Eigentümers wird aber in aller Regel die Möglichkeit entgegenstehen, dass die Grundschuld, weil sie auch künftige Forderungen sichert, zu einem späteren Zeitpunkt voll valutieren wird. Maßgeblich für die Wertminderung des Grundstücks durch neu bestellte Grundpfandrechte ist daher der Betrag, für den das Grundstück hieraus dinglich haftet. Dies ist grundsätzlich der Nominalbetrag einschließlich etwaiger Nebenleistungen und dinglicher Zinsen (§ 1191 Abs. 2 BGB).

Rz. 9

c) Dass dingliche Zinsen im Zeitpunkt der Grundschuldbestellung noch nicht entstanden sein können, führt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht dazu, dass sie bei der Ermittlung der durch die Belastung eingetretenen Wertminderung nicht zu berücksichtigen wären. Richtig ist zwar, dass es bei der Anwendung des § 1365 BGB allein auf die objektiven Wertverhältnisse im Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts ankommt (BGH, Urt. v. 21.3.1996 - III ZR 106/95, BGHZ 132, 218, 227). Das bedeutet aber nicht, dass sich die Wertminderung nach dem Betrag bemisst, der sich bei einer (fiktiven) Verwertung der Grundschuld am Tag ihrer Bestellung bzw. Entstehung erlösen ließe.

Rz. 10

Maßgeblich ist vielmehr, inwieweit die Belastung den Wert des Grundstücks als Zugriffsobjekt für potentielle Gläubiger, und damit auch für den Ehegatten des Verfügenden als möglichen Gläubiger eines Anspruchs auf Zugewinn, absinken lässt (vgl. BGH, Urt. v. 25.6.1980 - IVb ZR 516/80, BGHZ 77, 293, 297; Urt. v. 12.7.1989 - IVb ZR 79/88, NJW 1990, 112, 113 li. Sp. unten; zum Schutzzweck des § 1365 BGB s. BGH, Urt. v. 1.7.1987 - IVb ZR 97/85, BGHZ 101, 225, 228). Ein potentieller Gläubiger wird aber schon im Zeitpunkt der Grundschuldbestellung von einer Wertminderung des Grundstücks im Umfang des vollen, die dinglichen Zinsen einbeziehenden Sicherungswerts der Grundschuld (vgl. BGH, Urt. v. 13.5.1982 - III ZR 164/80, NJW 1982, 2768, 2769 zu II. 2.) ausgehen. Denn er muss im Regelfall damit rechnen, dass die Verwertung der Grundschuld erst zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem auch dingliche Zinsen in nennenswertem Umfang vollstreckt werden können. In diesem Fall haben die in die Rangklasse 4 des § 10 Abs. 1 ZVG fallenden Ansprüche wegen der laufenden Zinsen und der aus den letzten zwei Jahren rückständigen Zinsen Vorrang vor anderen Grundpfandrechten. Dem entspricht es, wenn bei der Berechnung des Wertverlusts, den ein Grundstück infolge der Belastung mit einer Grundschuld erleidet, sofern nicht besondere Umstände im Einzelfall eine abweichende Bewertung erfordern, dingliche Zinsen für zweieinhalb Jahre einbezogen werden.

Rz. 11

2. Hiernach steht außer Zweifel, dass die von dem Kläger bestellte Grundschuld den Wert seines Grundstücks vollständig erschöpfte. Schon bei Hinzurechnung der Grundschuldzinsen von 16 % jährlich für zwei Jahre (112.000 EUR) ergeben diese zusammen mit dem Nominalbetrag (350.000 EUR) und der einmaligen Nebenleistung (17.500 EUR) ein den Verkehrswert des Grundstücks von 426.000 EUR übersteigenden Betrag. Das dem Kläger verbleibende Vermögen ist so gering, dass es der Annahme, er habe mit der Bestellung der Grundschuld über sein Vermögen als Ganzes verfügt, nicht entgegensteht. Denn auch wenn zugunsten der Beklagten davon ausgegangen wird, dass das Bankguthaben von 10.179 EUR allein dem Vermögen des Klägers zuzurechnen ist, und wenn darüber hinaus das im erstinstanzlichen Urteil erwähnte (ursprüngliche) Guthaben von 8.000 EUR bei der LBS Berücksichtigung findet, entspricht das dem Kläger verbleibende Vermögen weniger als 5 % des ursprünglichen Vermögens und liegt damit deutlich unterhalb der bei größeren Vermögen maßgeblichen Grenze von 10 % (vgl. BGH, Urt. v. 13.3.1991 - XII ZR 79/90, NJW 1991, 1739).

III.

Rz. 12

Das angefochtene Urteil kann daher keinen Bestand haben; es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat hat in der Sache selbst zu entscheiden, weil die Aufhebung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung im Sinne des erstinstanzlichen Urteils reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

Rz. 13

Die notwendige Kenntnis der Beklagten, dass es sich bei dem Grundstück um nahezu das ganze Vermögen des Klägers handelt und dass die zu ihren Gunsten bestellte Grundschuld den Wert des Grundstücks ausschöpfte (vgl. BGH, Urt. v. 25.6.1993 - V ZR 7/92, BGHZ 123, 93, 95), ist in dem erstinstanzlichen Urteil festgestellt worden. In den dortigen Entscheidungsgründen, auf die das Berufungsurteil Bezug nimmt, heißt es, der Beklagten seien die Vermögens- und Familienverhältnisse des Klägers bekannt gewesen. Um welche Vermögensverhältnisse es sich dabei handelt, ergibt sich aus dem Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils; der Grundstückwert von 426.000 EUR wird in diesem Zusammenhang ausdrücklich erwähnt.

IV.

Rz. 14

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 und § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2827051

NJW 2011, 3783

NJW 2011, 6

DWW 2012, 158

EBE/BGH 2011

FamRZ 2012, 116

FuR 2012, 3

DNotI-Report 2012, 4

JR 2012, 385

JurBüro 2012, 220

MittBayNot 2012, 222

WM 2012, 73

ZAP 2012, 202

ZfIR 2012, 92

DNotZ 2012, 195

MDR 2011, 1468

Rpfleger 2012, 134

FF 2012, 131

FamRB 2012, 34

NJW-Spezial 2012, 101

NotBZ 2012, 25

RÜ 2012, 8

RENOpraxis 2012, 83

ZNotP 2012, 367

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