Leitsatz (amtlich)

Das Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners aus § 320 BGB ist eine echte Einrede, die vom Schuldner erhoben werden muß, um eine Zug-um-Zug-Verurteilung zu erreichen.

Zur Zulässigkeit einer Erklärung mit Nichtwissen.

 

Normenkette

BGB § 320; ZPO § 138 Abs. 4

 

Verfahrensgang

OLG Dresden (Urteil vom 06.02.1997; Aktenzeichen 7 U 2159/96)

LG Dresden

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 6. Februar 1997 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin stellt Bauteile her, unter anderem sogenannte Isokörbe und Tronsolen. Die Beklagte, die sich inzwischen in Liquidation befindet, handelte mit Baustoffen. Sie unterhielt 1994 ständige Geschäftsbeziehungen zu der D. AG, über deren Vermögen am 31. März 1995 das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet wurde, nachdem sie Ende 1994 in Zahlungsschwierigkeiten geraten war.

Mit Schreiben vom 9. Dezember 1994 bestellte die bei der Beklagten im Einkauf tätige Frau C. bei der Klägerin verschiedene Isokörbe und eine bestimmte Tronsole. Als Lieferort war die „D. AG, …” angegeben. Mit dem Transport der Baustoffe beauftragte die Klägerin eine Spedition, die ihrerseits teilweise einen Subunternehmer einschaltete. Mit Datum vom 20. Dezember 1994 erteilte die Beklagte der D. AG unter Hinweis auf die „Anlieferung lt. LS 174910 v. 15.12.94” für die bei der Klägerin bestellten Baustoffe eine – nicht unterschriebene – Rechnung über 106.631,68 DM. Unter dem 23. Dezember 1994 stellte die Klägerin der Beklagten unter anderem mit Bezug auf die „Vers. Anschr.: D. AG, …”, das „Versanddatum: 15.12.94” und die „Liefersch.-Nr.: 174910” 95.211,61 DM in Rechnung, die sie mit Schreiben vom 19. April und 12. Mai 1995 vergeblich anmahnte.

Am 8. August 1995 hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Vollstreckungsbescheid über den vorgenannten Betrag nebst 10 % Zinsen seit dem 24. Januar 1995 und über weitere 20 DM Nebenkosten erwirkt. In dem sich anschließenden streitigen Verfahren haben die Parteien insbesondere darüber gestritten, ob Frau C. Vertretungsmacht für die Beklagte hatte und ob die Klägerin die bestellten Baustoffe an die D. AG geliefert hat. Die Klägerin hat unter Vorlage von Ablichtungen ihres Lieferscheins Nr. 174910, des Speditionsauftrags und des Frachtbriefs sowie unter Benennung verschiedener Zeugen behauptet, die Baustoffe am 16. Dezember 1994 an die D. AG geliefert zu haben. Die Beklagte hat sich dazu mit Nichtwissen erklärt und im übrigen behauptet, ihr Liquidator habe die Rechnung der Klägerin vom 23. Dezember 1994 und ihre eigene Rechnung vom 20. Dezember 1994 in den Geschäftsunterlagen nicht auffinden können. Es sei zu vermuten, daß ihre Mitarbeiter in unlauterer Weise zu ihrem Nachteil mit Dritten zusammengearbeitet hätten.

Das Landgericht hat den Vollstreckungsbescheid aufgehoben und die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht den Vollstreckungsbescheid mit der Maßgabe aufrechterhalten, daß die Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin 95.211,61 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 20. April 1995 sowie 5 DM außergerichtliche Mahnkosten zu zahlen, und im übrigen den Vollstreckungsbescheid aufgehoben, die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten.

 

Entscheidungsgründe

I. Das Berufungsgericht hat – soweit in der Revisionsinstanz noch von Interesse – ausgeführt:

Der Klägerin stehe der geltend gemachte Kaufpreisanspruch gegen die Beklagte zu. Zwischen den Parteien sei ein Kaufvertrag über die im Schreiben vom 8. (richtig: 9.) Dezember 1994 im einzelnen aufgeführten Baustoffe zustande gekommen. Bei Vertragsschluß sei die Beklagte durch Frau C. nach den Grundsätzen der sogenannten Scheinhandlungsvollmacht wirksam vertreten worden.

Die Verpflichtung der Beklagten zur Kaufpreiszahlung bestehe unabhängig davon, ob die Klägerin ihrerseits den Kaufvertrag bereits erfüllt habe. Diese Frage wäre allenfalls dann von Bedeutung, wenn die Beklagte ein Zurückbehaltungsrecht nach § 320 BGB ausgeübt hätte; das sei indes nicht der Fall. Selbst wenn man in dem Vortrag der Beklagten eine stillschweigende Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts sehen wollte, würde dies nicht zu einer Verurteilung der Beklagten nur Zug um Zug gegen Lieferung der bestellten Materialien führen. Das Bestreiten der Lieferung vom 16. Dezember 1994 durch die Beklagte mit Nichtwissen sei unzulässig. Zwar könne eine Partei grundsätzlich alle Umstände mit Nichtwissen bestreiten, die nicht Gegenstand ihrer Wahrnehmung bzw. der Wahrnehmung ihres gesetzlichen Vertreters gewesen seien. Auch das Wissen von Hilfspersonen müsse sich eine Partei grundsätzlich nicht zurechnen lassen. Allerdings müsse sie aufgrund der ihr obliegenden Prozeßförderungspflicht und der daraus resultierenden Informationspflicht zumindest versuchen, Informationen bei ihren Hilfspersonen einzuholen, bevor sie zulässigerweise mit Nichtwissen bestreiten könne. Die D. AG sei zwar nicht den Weisungen der Beklagten unterworfen gewesen. Nach den Vorstellungen der Parteien bzw. zumindest der Klägerin und der die Beklagte wirksam vertretenden Frau C. habe die D. AG jedoch eine Nebenpflicht der Beklagten aus dem Kaufvertrag mit der Klägerin, nämlich die Abnahmepflicht, übernehmen sollen. Die Beklagte habe der D. AG dann auch sämtliche, von der Klägerin zu liefernden Materialien unter dem 20. Dezember 1994 mit Bezugnahme auf den Lieferschein der Klägerin Nr. 174910 vom 15. Dezember 1994 in Rechnung gestellt. Die Beklagte habe deshalb zumindest versuchen müssen, bei der D. AG Erkundigungen darüber einzuziehen, ob und inwieweit am 16. Dezember 1994 eine Lieferung durch die Klägerin erfolgt sei.

II. Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Nach den bisher getroffenen Feststellungen hat das Berufungsgericht die Beklagte zu Unrecht uneingeschränkt verurteilt, gemäß § 433 Abs. 2 BGB den Kaufpreis in Höhe von 95.211,61 DM für die Baustoffe zu zahlen, die die Klägerin auf Bestellung der Beklagten an die D. AG geliefert haben will.

Soweit das Berufungsgericht das Zustandekommen eines Kaufvertrages zwischen den Parteien über die betreffenden Baustoffe und in diesem Zusammenhang eine sogenannte Scheinhandlungsvollmacht der Mitarbeiterin C. der Beklagten bejaht hat, bestehen allerdings keine Bedenken. Zu Recht wendet sich die Revision jedoch dagegen, daß das Berufungsgericht eine uneingeschränkte Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung des Kaufpreises unabhängig davon angenommen hat, ob die Klägerin ihrerseits den Kaufvertrag bereits erfüllt, d.h. die bestellten Baustoffe an die D. AG in D., den vertraglich vereinbarten Leistungsort (§ 269 Abs. 1 BGB), geliefert hat. Der Kaufvertrag ist ein gegenseitiger Vertrag. Wer aus einem solchen Vertrag verpflichtet ist, kann nach § 320 Abs. 1 Satz 1 BGB die ihm obliegende Leistung grundsätzlich bis zur Bewirkung der Gegenleistung verweigern. Nach den bisher getroffenen Feststellungen gilt hier für die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung des Kaufpreises nichts anderes.

1. Richtig ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, daß das Leistungsverweigerungsrecht des § 320 Abs. 1 BGB vom Schuldner ausgeübt werden muß, um Wirksamkeit zu entfalten. Sein bloßes Bestehen hindert zwar den Eintritt des Schuldnerverzugs (BGHZ 84, 42, 44; 116, 244, 249 m.w.Nachw.; Palandt/Heinrichs, BGB, 57. Aufl., § 320 Rdnr. 12). Erhebt der Gläubiger – wie hier die Klägerin – Leistungsklage, muß sich der Schuldner – hier die Beklagte – jedoch auf das Leistungsverweigerungsrecht berufen. Es handelt sich um eine echte Einrede. Das entspricht ganz herrschender Meinung (MünchKomm/Emmerich, BGB, 3. Aufl., § 320 Rdnr. 76, § 322 Rdnrn. 1, 4–6; Palandt/Heinrichs a.a.O., § 320 Rdnr. 13, § 322 Rdnr. 2; Soergel/Wiedemann, BGB, 12. Aufl., § 320 Rdnr. 61, § 322 Rdnr. 6, jeweils m.w.Nachw.).

2. Nicht gefolgt werden kann indessen der Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte habe die Einrede des § 320 Abs. 1 BGB nicht erhoben.

Das ist zwar nicht ausdrücklich geschehen. Dessen bedarf es aber auch nicht. Insbesondere bedarf es keines formellen Antrags des Beklagten, nur zur Zahlung Zug um Zug verurteilt zu werden. Vielmehr reicht es aus, wenn der Beklagte einen uneingeschränkten Abweisungsantrag stellt, sofern der Wille, die eigene Leistung im Hinblick auf das Ausbleiben der Gegenleistung zurückzubehalten, eindeutig erkennbar ist. Das ist etwa der Fall, wenn der Beklagte den Klageabweisungsantrag damit begründet, der Kläger könne oder wolle die ihm obliegende Gegenleistung nicht erbringen (Soergel/Wiedemann a.a.O., § 322 Rdnr. 7 m.w.Nachw.; auch Palandt/Heinrichs a.a.O., § 322 Rdnr. 2; zu § 274 BGB vgl. weiter BGH, Urteil vom 4. März 1977 – I ZR 83/75 = WM 1977, 533 unter II 4). Nichts anderes kann gelten, wenn der Beklagte bestreitet, daß der Kläger die von diesem behauptete Gegenleistung bereits erbracht habe. Auch darin kommt in Verbindung mit dem Klageabweisungsantrag der Einwand zum Ausdruck, bis zum Bewirken der Gegenleistung nicht zur Erfüllung verpflichtet zu sein. So ist es hier. Die Beklagte hat – mit Nichtwissen – bestritten, daß die Klägerin die betreffenden Baustoffe der D. AG geliefert hat.

3. Entgegen der Hilfsbegründung des Berufungsgerichts durfte sich die Beklagte zu der von der Klägerin behaupteten Lieferung am 16. Dezember 1994 mit Nichtwissen erklären.

Nach § 138 Abs. 4 ZPO ist eine Erklärung mit Nichtwissen (nur) über Tatsachen zulässig, die – wie hier die Lieferung der Baustoffe an die D. AG in bezug auf die Beklagte – weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind. Den Handlungen und Wahrnehmungen der Partei stehen die ihrer gesetzlichen Vertreter gleich (BGH, Urteil vom 9. Juli 1987 – III ZR 229/85 = BGHR ZPO § 138 Abs. 4 Erkundigungspflicht 1; Zöller/Greger, ZPO, 20. Aufl., § 138 Rdnr. 15; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 138 Rdnrn. 34, 34 a; MünchKomm/Peters, ZPO, § 138 Rdnr. 29, der das auch für rechtsgeschäftlich bestellte Vertreter annimmt). Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof eine Erkundigungspflicht der Partei angenommen, wenn es sich um Vorgänge im Bereich von Personen – nicht nur der eigenen, sondern auch einer anderen Firma – handelt, die unter ihrer Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung tätig geworden sind (Urteile vom 10. Juli 1986 – III ZR 19/85 = NJW 1986, 3199 unter II 4; vom 9. Juli 1987 a.a.O.; vom 15. November 1989 – VIII ZR 46/89 = BGHZ 109, 205, 208 ff; vom 10. Oktober 1994 – II ZR 95/93 = WM 1994, 2192 unter 3 d aa).

Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Die D. AG war – wie auch das Berufungsgericht nicht verkennt – nicht den Weisungen der Beklagten unterworfen. Sie ist auch sonst nicht unter Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung der Beklagten tätig geworden. Dafür reicht nicht aus, daß sie Geschäftspartner der Beklagten war, zumal die zwischenzeitliche Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens über ihr Vermögen die Informationsbeschaffung zusätzlich erschwerte (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 1986 a.a.O.). Schließlich kann entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht davon ausgegangen werden, daß die D. AG die Abnahmepflicht der Beklagten aus deren Kaufvertrag mit der Klägerin übernommen hat. Dafür hätte es einer Vereinbarung der D. AG mit der Beklagten bedurft, für die aber nichts festgestellt ist. Vielmehr hatte die D. AG lediglich eine eigene Abnahmepflicht gegenüber der Beklagten aus dem mit dieser geschlossenen Kaufvertrag. Letztlich führt das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang auch zu Unrecht die Rechnung vom 20. Dezember 1994 an, die die Beklagte der D. AG erteilt haben soll und in der der Lieferschein der Klägerin Nr. 174910 vom 15. Dezember 1994 aufgeführt ist. Die Beklagte hat ausdrücklich die Echtheit der nicht unterschriebenen Rechnung bestritten.

4. Die Erhebung der Einrede des § 320 Abs. 1 BGB im Prozeß hat zwar nach § 322 Abs. 1 BGB nur die Wirkung, daß der Beklagte zur Erfüllung Zug um Zug zu verurteilen ist. Hält der Kläger jedoch – wie hier – den Antrag auf uneingeschränkte Verurteilung aufrecht, kommt eine solche dann in Betracht, wenn er die bestrittene Erfüllung der Gegenleistung beweist (vgl. Palandt/Heinrichs a.a.O., § 320 Rdnr. 14). Diesen Beweis hat die Klägerin hier zwar durch Benennung verschiedener Zeugen angetreten. Zudem hat sie Kopien des Lieferscheins, des Speditionsauftrags und des Frachtbriefs mit den angeblichen Unterschriften der Mitarbeiter der D. AG vorgelegt. Das Berufungsgericht hat die Beweise indessen nicht erhoben und insoweit keine Feststellungen getroffen.

5. Das Berufungsurteil, durch das die Beklagte gleichwohl uneingeschränkt verurteilt worden ist, kann danach insoweit keinen Bestand haben. Da es noch weiterer tatsächlicher Feststellungen zu der streitigen Lieferung der Baustoffe an die D. AG bedarf, ist die Sache nicht zur Endentscheidung reif. Nach alledem war das Berufungsurteil insoweit, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist, aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

 

Unterschriften

Dr. Zülch, Dr. Beyer, Dr. Leimert, Wiechers, Dr. Wolst

 

Fundstellen

Haufe-Index 2021276

BB 1998, 2440

DB 1998, 2593

NJW 1999, 53

BGHR

BauR 1999, 69

Nachschlagewerk BGH

WM 1998, 2538

WuB 1999, 335

WuB 1999, 373

ZAP 1998, 1203

ZIP 1998, 1965

JA 1999, 353

MDR 1999, 26

NJ 1999, 41

ZfBR 1999, 35

www.judicialis.de 1998

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