Leitsatz (amtlich)

Das ordentliche Gericht entscheidet, ob die öffentliche Hand durch eine öffentlich-rechtliche Rechtshandlung wegen öffentlich-rechtlicher Abgabenforderungen eine nach der Konkursordnung anfechtbare Sicherung oder Befriedigung erlangt hat.

Eine Benachteiligung der Konkursgläubiger ist nicht ausgeschlossen, wenn es neben bevorrechtigten Forderungen des Anfechtungsgegners Ansprüche anderer Gläubiger mit gleichen oder besseren Vorrechten gibt und nicht feststeht, daß die Konkursmasse zur Befriedigung aller bevorrechtigten Gläubiger ausreicht.

Ein von der Finanzverwaltung mündlich angeordneter dinglicher Arrest und darauf gestützte Vollziehungsmaßnahmen sind nichtig.

Zur Umdeutung nichtiger Arrestpfändungen.

 

Normenkette

GVG § 13; KO § 29 ff., § 29; AO 1977 §§ 125, 324, 128

 

Verfahrensgang

OLG Celle (Urteil vom 20.12.1989)

LG Hannover

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 20. Dezember 1989 wird auf Kosten des beklagten Landes zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger ist Verwalter im Konkurs über das Vermögen der Niedersächsischen Spielbank Hannover/Bad Pyrmont GmbH & Co. KG (fortan: Gemeinschuldnerin). Er nimmt das beklagte Land Niedersachsen auf Rückgewähr von Geldern in Anspruch, die es wegen geschuldeter öffentlicher Abgaben (Spielbankabgabe, Zusatzleistung, Ironcabgabe) in anfechtbarer Weise an sich gebracht habe.

Der Gemeinschuldnerin wurde im Jahre 1974 von dem beklagten Land die Konzession erteilt, in Hannover eine öffentliche Spielbank mit Zweitspielbetrieb in Bad Pyrmont zu betreiben. Am 13. Dezember 1974 schlossen die Gemeinschuldnerin und der Beklagte gemäß § 2 Abs. 3 des Niedersächsischen Gesetzes über die Zulassung öffentlicher Spielbanken vom 25. Juli 1973 (Nds. GVBl 253) – im folgenden: SpielbG 1973 –, an dessen Stelle das Niedersächsische Spielbankgesetz (NSpielbG) vom 10. November 1989 (Nds. GVBl 375) getreten ist, einen Konzessionsvertrag. Nach dessen § 4 Abs. 1 war die gemäß § 3 Abs. 1 SpielbG 1973 zu entrichtende Spielbankabgabe täglich abzurechnen und am nächsten Bankenöffnungstag an das für die Spielbank und für den Zweitbetrieb zuständige Finanzamt zu überweisen. Nach § 2 Abs. 3 des Vertrags waren für den Fall, daß der Bruttospielertrag 10 Mio DM pro Jahr überstieg, von den jeweils übersteigenden Beträgen zusätzliche Leistungen zu erbringen. Sobald bestimmte Sätze erreicht wurden, war die Zusatzleistung innerhalb der ersten sechs Tage nach Ablauf des betreffenden Monats zu berechnen und an das zuständige Finanzamt zu überweisen. Nach § 2 der aufgrund von § 6 Abs. 2, § 7 SpielbG 1973 erlassenen Verordnung über die Höhe der Abgabe des Spielbankunternehmens aus dem Tronc vom 26. April 1977 (Nds. GVBl 109) war die in § 1 dieser Verordnung näher geregelte Troncabgabe am fünften Spieltag jeden Monats für den vorangegangenen Monat fällig; sie war an die Landeshauptkasse abzuführen. Gemäß § 3 Abs. 1 des Konzessionsvertrages war zur Sicherung der Spielbankabgabe vor Eröffnung des Spielbankbetriebes eine Sicherheit in Bargeld zu hinterlegen; nach § 5 hatte die Gemeinschuldnerin während der Spielzeit eine jederzeit verfügbare Spielbankreserve von 700.000 DM zu halten. Nach § 4 Abs. 4 war der Niedersächsische Minister des Innern berechtigt, soweit Abgaben aus einem von der Gemeinschuldnerin zu vertretenden Grund nicht rechtzeitig erbracht wurden, die Öffnung des Betriebes bis zur Bewirkung der Leistung zu untersagen. In §§ 9 und 10 waren den Ministern des Innern und der Finanzen umfangreiche Kontroll- und Prüfungsrechte eingeräumt. Nach § 14 Abs. 2 konnte die Konzession unter bestimmten Voraussetzungen widerrufen werden.

Aufgrund von Presseberichten über Versäumnisurteile zugunsten ehemaliger Gesellschafter gegen die Gemeinschuldnerin auf Auszahlung ordentlicher Gewinne ließ das beklagte Land die Liquidität der Gemeinschuldnerin prüfen. Als Ergebnis teilte der Niedersächsische Minister des Innern der Gemeinschuldnerin durch Schreiben vom 3. November 1987 mit:

„Am 02.11.1987 bestanden kurzfristige Verbindlichkeiten in der Größenordnung von ca. 1,8 Mio DM. Gleichzeitig wurde festgestellt, daß ein bei den Geschäftsbanken eingeräumter Überziehungskredit von 3,95 Mio DM in Höhe von 4,7 Mio DM in Anspruch genommen worden ist, demnach in Höhe von 0,75 Mio DM überzogen wurde.”

Unter dem 4. November 1984 berichtete der Vorsteher des Finanzamts Hannover-Mitte dem Niedersächsischen Minister der Finanzen unter anderem wie folgt:

„Zu den vorgesehenen Vollstreckungsmaßnahmen bemerke ich:

Die Vollstreckung darf erst beginnen, wenn die Leistung fällig und seit dem erforderlichen Leistungsgebot mindestens eine Woche verstrichen ist (§ 254 Abs. 1 Satz 1 AO). Da die Niedersächsische Spielbank GmbH & Co KG mit der Vorlage der erforderlichen Unterlagen … in Verzug geraten ist, werde ich die abgerechneten Abgaben künftig sofort festsetzen … und entsprechende Leistungsgebote erlassen.

Ich gehe davon aus, daß die Fälligkeit der Spielbankabgabe mit ihrer Abrechnung am Schluß eines jeden Spieltages eintritt (§ 220 Abs. 2 Satz 1 AO, § 4 Abs. 1 KV) … Nach Ablauf der in § 254 AO vorgesehenen Frist beabsichtige ich, die erforderlichen Vollstreckungsmaßnahmen durchzuführen.

Ich sehe mich nicht in der Lage, auf das Leistungsgebot zu verzichten. Abweichend von der Regelung in anderen Bundesländern … fehlt eine Rechtsgrundlage, wonach es sich bei den von der Niedersächsischen Spielbank GmbH & Co KG zu entrichtenden Abgaben um Anmeldesteuern handelt (§ 254 Abs. 1 a.E.).

Sollten Sie meiner Auffassung nicht zustimmen, so bitte ich, mich umgehend zu unterrichten.”

Das Ministerium äußerte sich nicht. Mit Schreiben vom 9. November 1987 an den Vorsteher des Finanzamts Hannover-Mitte, das diesem im Lauf des Nachmittags zuging, bat die Gemeinschuldnerin, Abgabenbeträge von insgesamt 1.441.115,37 DM bis zum 25. November 1987 zu stunden. Der Vorsteher des Finanzamts lehnte dies gegenüber dem Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin am Abend desselben Tages telefonisch ab und teilte zugleich mit, bei Öffnung der Spielbankbetriebe würden sich Vollziehungsbeamte des Finanzamts an den Kassen einfinden, um die vorhandenen Geldmittel und Jetons zu pfänden. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1987 kontrollierten Vollziehungsbeamte des Finanzamts die Spielbetriebe, indem sie sich neben die Kassierer an die Kasse setzten, die Einnahmen überwachten und lediglich die Auszahlung von Spielgewinnen gestatteten. Bei Schließung der Betriebe gegen 3.00 Uhr morgens legten sie Einnahmen von ca. 1 Mio DM sowie die Jetons in die Betriebstresore. Diese versperrten und versiegelten sie. Am folgenden Abend stellte das Finanzamt aus den so sichergestellten Mitteln die für die Öffnung der Bank erforderliche Reserve von 700.000 DM zur Verfügung; der Spielbetrieb wurde in der Nacht vom 10. auf den 11. November 1987 zu denselben Bedingungen wie in der Nacht zuvor fortgesetzt. Am 11. und 12. November 1987 wurde der Spielbankbetrieb nicht aufgenommen. An diesen Tagen verhandelten Bedienstete der Niedersächsischen Ministerien des Innern und der Finanzen mit Vertretern der Geschäftsbanken und den Gesellschaftern der Gemeinschuldnerin über Möglichkeiten der Wiederherstellung der Liquidität. Die Bemühungen des Gesellschafters Baum, innerhalb der ihm bis zum 13. November 1987, 10.00 Uhr, gesetzten Frist die Bürgschaft einer anderen Bank beizubringen, blieben ohne Erfolg. Daraufhin entzog das beklagte Land der Gemeinschuldnerin die Konzession. Die Widerrufsverfügung mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung wurde am frühen Nachmittag des 13. November 1987 zugestellt. Um 17.10 Uhr dieses Tages wurden der Gemeinschuldnerin zwei Verfügungen des Finanzamts Hannover-Mitte zugestellt. Die erste Verfügung lautete auszugsweise wie folgt:

„Der Unterzeichner hat namens des Finanzamts am 9. November 1987 um 18.25 Uhr dem Geschäftsführer M. der Niedersächsischen Spielbank Hannover/Bad Pyrmont GmbH & Co KG fernmündlich mitgeteilt, daß dem Antrag auf Stundung von 1.441.115,37 DM nicht entsprochen werde; vielmehr habe das Finanzamt den Arrest in das bewegliche und unbewegliche Vermögen angeordnet, weil zu befürchten sei, daß sonst die Beitreibung vereitelt oder wesentlich erschwert werde.

Die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen werden seit dem 9. November 1987 durchgeführt und weiterhin aufrechterhalten: Gemäß § 324 (3) AO wird folgende Arrestanordnung bestätigt:

Aufgrund des § 324 … AO … wird wegen folgender Abgabenforderungen der dingliche Arrest in das bewegliche und unbewegliche Vermögen – dazu gehören insbesondere die Kassenbestände, die Automatenanlagen und die Nachschußforderungen der Arrestschuldnerin gegenüber den Gesellschaftern … – der … (Gemeinschuldnerin) angeordnet: … (insgesamt 1.441.115,37 DM). Das Bestehen und die Höhe des Arrestanspruchs gründen sich auf die durch die Spielbankaufsicht Hannover/Bad Pyrmont mitgeteilten Tagesabrechnungen der Spielbanken in Hannover und Bad Pyrmont sowie der entsprechenden Festsetzungen.

Der Arrest kann durch Hinterlegung eines Betrages von 1.441.115,37 DM … abgewendet werden.”

Mit der zweiten Verfügung wurde die Arrestsummme auf 1.701.688,02 DM erhöht, weil seit der Arrestanordnung am 9. November 1987 weitere Spielbankabgaben festgesetzt worden seien. Laut Schreiben des Finanzamts Hannover-Mitte vom 17. November 1987 an die Gemeinschuldnerin wurden insgesamt 1.732.968,20 DM am 14. November 1987 durch das Finanzamt Hannover-Mitte und das Finanzamt Hameln bis zur Wegnahme gesichert und am 16. November 1987 gepfändet und auf eines der Konten des Finanzamts Hannover-Mitte „zur Einziehung bzw. Hinterlegung eingezahlt”. Das Schreiben sollte der Gemeinschuldnerin als Quittung über den genannten Betrag dienen.

Am 17. November 1987 stellte die Gemeinschuldnerin Vergleichsantrag. Am 18. Dezember 1987 wurde über das Vermögen der Gemeinschuldnerin der Anschlußkonkurs eröffnet. Mit seiner am 28. März 1988 erhobenen Klage hat der Kläger aus § 104 VerglO und aus dem Gesichtspunkt der Konkursanfechtung die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 1.732.968,20 DM nebst Prozeßzinsen beantragt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision begehrt das beklagte Land die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

I.

1. Das Berufungsgericht hat die Klage als zulässig angesehen und dem Begehren des Klägers sowohl aus § 104 Abs. 1 VerglO als auch aus § 37 Abs. 1 KO entsprochen. Da die Konkursanfechtung das Berufungsurteil im Ergebnis trägt, braucht die Frage, ob dem Kläger ein vor den ordentlichen Gerichten zu verfolgender Anspruch aus § 104 VerglO zusteht, nicht entschieden zu werden. Deshalb kann auch auf sich beruhen, ob die Ansprüche des beklagten Landes auf Zahlung von Spielbankabgaben, Zusatzleistungen und Troncabgaben Forderungen „wegen öffentlicher Abgaben” sind, denen das Vorrecht des § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO zukommt.

2. Der Rechtsstreit über den konkursrechtlichen Anfechtungsanspruch gehört als bürgerliche Rechtsstreitigkeit vor die ordentlichen Gerichte (§ 13 GVG). Das wird von den Parteien nicht in Zweifel gezogen. Ob eine Streitigkeit öffentlich- oder bürgerlich-rechtlich ist, richtet sich beim Fehlen einer ausdrücklichen Rechtswegzuweisung nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird. Es kommt darauf an, ob sich das Klagebegehren nach den zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachen bei objektiver Würdigung aus einem Sachverhalt herleitet, der nach bürgerlichem Recht zu beurteilen ist (BGH, Urt. v. 29. November 1990 – IX ZR 265/89, WM 1991, 249; Urt. v. 28. Februar 1991 – III ZR 53/90, Umdruck S. 8 f, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen – je m.w.N.). Ob der Konkursverwalter bestimmte Rechtshandlungen eines Konkursgläubigers anfechten und daraus einen Rückgewähranspruch herleiten kann, ist nach Rechtssätzen der Konkursordnung zu entscheiden. Es handelt sich mithin nach der Rechtsnatur der zu beurteilenden Verhältnisse um einen Rechtsstreit im Sinn von § 13 GVG (vgl. BGHZ 92, 339, 340; BGH, Urt. v. 23. Februar 1988 – VI ZR 212/87, VersR 1988, 499). Das gilt auch, wenn darüber zu befinden ist, ob die öffentliche Hand durch eine öffentlich-rechtliche Rechtshandlung wegen öffentlich-rechtlicher Abgabenansprüche eine nach § 30 KO anfechtbare Sicherung oder Befriedigung erlangt hat (vgl. OLG Braunschweig MDR 1950, 356; ArbG Rheine AP § 30 KO Nr. 2; Jaeger/Henckel, KO 9. Aufl. § 37 Rdn. 138; Kilger, KO 15. Aufl. § 37 Anm. 1; Kuhn/Uhlenbruck, KO 10. Aufl. § 29 Rdn. 6; § 37 Rdn. 33; F. Weber, Anm. zu BAG AP § 29 KO Nr. 1; a.A. Schwarz, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO u. FGO 9. Aufl. § 251 AO Rdn. 100). Der konkursrechtliche Rückgewähranspruch nach § 37 Abs. 1 KO ist nicht die Umkehrung des öffentlich-rechtlichen Anspruchs auf Abgaben. Hiermit stimmt überein, daß der gesetzliche Rückgewähranspruch des § 7 AnfG auch dann dem bürgerlichen Recht angehört, wenn der Gläubiger eine Finanzbehörde ist, die den Anspruch zum Zweck der Befriedigung einer Steuerforderung geltend macht (BGH, Urt. v. 29. November 1990 aaO).

II.

Das beklagte Land ist im Ergebnis zu Recht verurteilt worden, die Klagesumme nebst Prozeßzinsen zur Konkursmasse zurückzugewähren.

1. Das Berufungsgericht hat festgestellt, die Gemeinschuldnerin habe am 13. November 1987, 10.00 Uhr, die Zahlungen eingestellt. Dies wird von dem beklagten Land nicht in Zweifel gezogen und läßt zu seinen Lasten Rechtsfehler nicht erkennen. Zu diesem Zeitpunkt war die Gemeinschuldnerin außerstande, die für den Spielbetrieb notwendige Spielbankreserve von 700.000 DM sowie die durch Festsetzungsbescheide und Leistungsgebote eingeforderten Spielbank- und Troncabgaben von 1.441.115,37 DM aufzubringen; ihre Zahlungsunfähigkeit war dem beklagten Land als einem der Hauptgläubiger am Morgen des 13. November 1987 bekannt. Auf sie hat es den Entzug der Spielbankkonzession durch die der Gemeinschuldnerin am frühen Nachmittag des 13. November 1987 zugestellte Widerrufsverfügung gestützt. Das reicht für die Annahme der Zahlungseinstellung in dem genannten Zeitpunkt aus (vgl. BGH, Urt. v. 1. März 1984 – IX ZR 34/83, WM 1984, 1309, 1310 f; Urt. v. 22. November 1990 – IX ZR 103/90, WM 1991, 152, 154 f). Der Kläger macht demgegenüber geltend, die Gemeinschuldnerin habe die Zahlungen bereits am 2., spätestens am 9. November 1987 eingestellt. Die Berechtigung seiner insoweit in der Revisionserwiderung erhobenen Rüge kann auf sich beruhen. Die Klage hat auch Erfolg, wenn Zahlungseinstellung erst zu dem vom Berufungsgericht festgestellten Zeitpunkt eintrat.

a) Alle Rechtshandlungen, die dem beklagten Land nach dem 13. November 1987, 10.00 Uhr, eine Sicherung oder Befriedigung gewährten, sind nach § 30 Nr. 1 Fall 2 KO anfechtbar. Es hat daher gemäß §§ 35 f, 37 Abs. 1 KO den Gegenwert aller Zahlungsmittel herauszugeben, die es aufgrund der am 13. November 1987 um 17.10 Uhr zugestellten schriftlichen Verfügung (Bestätigung einer Arrestanordnung) vom selben Tage oder aufgrund von Steuerfestsetzungen und Leistungsgeboten am 14. und 16. November 1987 sichergestellt und gepfändet oder sonst vereinnahmt hat. Das sind nach dem Schreiben des Finanzamts Hannover-Mitte vom 17. November 1987 die mit der Klage verlangten 1.732,968,20 DM.

b) Der Rückgewähranspruch des Klägers scheitert nicht an einer fehlenden Gläubigerbenachteiligung (vgl. dazu BGHZ 86, 349, 354 f; BGH, Urt. v. 11. Mai 1989 – IX ZR 222/88, WM 1989, 965, 966; Kuhn/Uhlenbruck § 29 KO Rdn. 19 ff). Auch § 242 BGB steht dem Klagebegehren nicht entgegen.

aa) Die Revision vertritt die Auffassung, durch das Vorgehen des beklagten Landes sei die spätere Konkursmasse nicht beeinträchtigt worden. Dies gelte jedenfalls insoweit, als das Klagebegehren über die nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO bevorrechtigten Ansprüche von 775.579,21 DM hinausgehe. Das Land sei wegen seiner Abgabenforderungen bevorrechtigter Konkursgläubiger nach § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO, so daß ihm die Differenz von 957.388,99 DM in jedem Fall zustehe und von dem Kläger alsbald wieder herausgegeben werden müsse (§ 242 BGB).

bb) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urt. v. 24. Oktober 1962 – VIII ZR 126/61, WM 1962, 1316, 1317) kann eine Benachteiligung der Konkursgläubiger entfallen, wenn mit dem anfechtbar erworbenen Betrag gerade die Gläubiger befriedigt wurden, die auch der Konkursverwalter mit diesem Betrag, wäre er im Vermögen des Gemeinschuldners verblieben, hätte befriedigen müssen. Dies wird damit begründet, daß es für die übrigen Konkursgläubiger keinen Unterschied mache, ob diese bevorrechtigten Gläubiger vor dem Konkurs oder nach der Konkurseröffnung die ihnen zustehenden Beträge erhielten. Das Entfallen einer Gläubigerbenachteiligung in solchen Fällen setzt jedoch – wie der Bundesgerichtshof a.a.O. S. 1318 klargestellt hat – voraus, daß es außer den ausgezahlten Gläubigern keine anderen Gläubiger mit gleichen oder besseren Vorrechten gibt oder daß die Konkursmasse zur Befriedigung aller bevorrechtigten Gläubiger ausreicht. Deshalb läßt sich im Streitfall eine Gläubigerbenachteiligung auch dann nicht verneinen, wenn man mit dem beklagten Land annimmt, die Abgabenforderungen seien nach § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO bevorrechtigt.

Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts bestehen Ansprüche von Arbeitnehmern und Sozialversicherungsträgern in Höhe von 775.579,27 DM. Diese genießen das Vorrecht des § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO und gehen deshalb den nach § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO bevorrechtigten Abgabenforderungen vor. Es steht nicht fest, daß die Konkursmasse ausreicht, sowohl diese vorrangigen Ansprüche als auch die Abgabenforderungen des beklagten Landes zu befriedigen. Dann hat das beklagte Land in jedem Fall gemäß § 37 Abs. 1 KO den vorrangigen Betrag von 775.579,27 DM zurückzugewähren. Aber auch eine Beschränkung der Rückgewährungspflicht auf diesen Betrag kommt nicht in Betracht. Denn es steht ebenfalls nicht fest, daß genügend Masse vorhanden ist, um bei einem unterstellten Vorrecht nach § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO die Abgabenforderungen in Höhe der restlichen Klagesumme zu befriedigen. So ist nicht auszuschließen, daß sich die nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 KO bevorrechtigten Ansprüche unterdessen durch Nachanmeldungen weiterer Forderungen mit einem gleich- oder vorrangigen Vorrecht erhöht haben. Ferner können aus dem anfechtbar erlangten Betrag Masseverbindlichkeiten zu begleichen sein, die gemäß § 57 Abs. 1 KO vorweg zu berichtigen sind. Die danach erforderliche Klärung der Frage, ob und welche Beträge dem Anfechtungsgegner letztlich verbleiben, würde den Anfechtungsprozeß mit kaum zu beseitigenden Unsicherheiten belasten. Sie ist deshalb nicht in einem solchen Rechtsstreit, sondern in dem dafür vorgesehenen Verteilungsverfahren nach §§ 149 ff KO zu erledigen.

2. Fraglich kann nur sein, ob dadurch, daß das Finanzamt Hannover-Mitte in der Nacht vom 9. auf den 10. November und vom 10. auf den 11. November 1987 Gelder in den Spielbanken Hannover und Bad Pyrmont sicherstellen ließ, ein Pfandrecht und damit eine unanfechtbare Sicherung des beklagten Landes begründet wurde.

Das Berufungsgericht hat dazu ausgeführt, das beklagte Land habe eine Sicherung nicht an dem Geld erworben, das den Automaten entnommen worden sei. Der Arrest vom 9. November 1987 solle sich nach der Bestätigung vom 13. November 1987 zwar auch auf die Automatenanlagen bezogen haben. Es sei aber nicht behauptet worden, daß diese in den Spielnächten versiegelt worden seien. Diese Gelder, deren Höhe nicht bekannt sei, müßten also in jedem Fall zurückgewährt werden. Eines weiteren Vortrags hierzu bedürfe es jedoch nicht, weil das beklagte Land auch an den übrigen Geldern eine unanfechtbare Sicherung nicht erlangt habe. Allerdings sei an den Geldern, die von den Vollziehungsbeamten der Finanzverwaltung in den Nächten vom 9./10. und vom 10./11. November 1987 jeweils nach Schließung der Spielbank in versiegelte Tresore verbracht worden seien, ein wirksames Pfandrecht begründet worden. In diesen Maßnahmen liege die Vollziehung eines dinglichen Arrestes, den der Vorsteher des Finanzamts Hannover-Mitte durch seine Erklärung gegenüber dem Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin vom 9. November 1987 angeordnet habe. Die Anordnung sei zwar nicht schriftlich ergangen, die den Vollziehungsbeamten erteilten schriftlichen Vollstreckungsaufträge genügten dafür nicht. Sie sei indessen nicht nichtig gewesen; denn das Fehlen der Schriftlichkeit sei für die Gemeinschuldnerin jedenfalls am 9. November 1987 noch nicht ersichtlich gewesen, zumal da eine Zustellung vor Vollziehung nicht erforderlich gewesen sei. Als nicht angegriffener Verwaltungsakt habe die Anordnung des Arrestes Tatbestandswirkung. Das von dem beklagten Land erworbene Pfandrecht sei indessen nach § 30 Nr. 2 KO anfechtbar.

a) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, die mit der Bestätigungsverfügung des Finanzamts vom 13. November 1987 übereinstimmen, soll am 9. November 1987 der Arrest wegen Abgabenforderungen in Höhe von insgesamt 1.441.115,37 DM mündlich angeordnet worden sein. Das beklagte Land hat nicht hinreichend substantiiert dargelegt, daß vor dem 13. November 1987, 10.00 Uhr, höhere Geldbeträge sichergestellt wurden. Da nach diesem Zeitpunkt ausgebrachte Pfändungs- und Befriedigungsmaßnahmen nach § 30 Nr. 1 Fall 2 KO anfechtbar sind, ist auf jeden Fall der mit der Klage verlangte Mehrbetrag von (1.732.968,20 – 1.441.115,37 =) 291.852,83 DM zurückzugewähren. Das gleiche ergibt sich aus der Erwägung, daß durch die Maßnahmen vom 9./10. und 10./11. November 1987 über die Arrestsumme hinaus ein Pfändungspfandrecht nicht begründet werden konnte (vgl. Stein/Jonas/Münzberg, ZPO 20. Aufl. § 930 Rdn. 8 i.V.m. § 754 Rdn. 2, § 804 Rdn. 30). Die Arrestsumme wurde auf 1.701.688,02 DM erst durch den der Gemeinschuldnerin am Nachmittag des 13. November 1987 um 17.10 Uhr, also nach Zahlungseinstellung zugestellten und erst nach diesem Zeitpunkt schriftlich erlassenen Bescheid erhöht. Darauf gestützte Vollziehungsmaßnahmen sind – wie dargelegt – nach § 30 Nr. 1 Fall 2 KO anfechtbar.

b) Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts hat das beklagte Land auch an den Geldern, die in versperrten und versiegelten Betriebstresoren sichergestellt wurden, vor Zahlungseinstellung am 13. November 1987, 10.00 Uhr, ein Pfandrecht nicht erlangt.

aa) Die nach den Feststellungen des Berufungsgerichts mündlich erlassene Arrestanordnung des Vorstehers des Finanzamts Hannover-Mitte, auf deren Grundlage die Vollziehungsmaßnahmen in den Nächten vom 9. auf den 10. und vom 10. auf den 11. November 1987 vorgenommen wurden, war von Anfang an nichtig.

Dies ist nach der Abgabenordnung 1977 zu beurteilen. Das ergibt sich – soweit es sich bei den Abgaben nicht um Steuern handeln sollte, die durch Bundesrecht geregelt sind und durch Bundes- oder Landesfinanzbehörden verwaltet werden (vgl. § 1 AO) – aus § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Niedersächsischen Gesetzes über die Übernahme bundesrechtlicher Vorschriften in das Abgabenrecht des Landes vom 21. Februar 1956 (Nds. GVBl 528) in der Fassung von Art. 1 Nr. 1 des Vorläufigen Gesetzes zur Anpassung von Gesetzen an die Abgabenordnung (Niedersächsisches Abgabenordnung-Anpassungsgesetz – Nds.AOAnpG) vom 20. Dezember 1976 (Nds. GVBl 325). Danach findet die Abgabenordnung, soweit öffentlich-rechtliche Abgaben durch Landesfinanzbehörden verwaltet werden, auch dann Anwendung, wenn sich ihre Geltung nicht schon aus dem Bundesrecht ergibt. Die in Rede stehenden Abgaben wurden durch Landesfinanzbehörden verwaltet. Dies zeigt die aus den Akten ersichtliche tatsächliche Handhabung. Deren rechtliche Grundlagen ergeben sich für die Spielbankabgabe und die Zusatzleistung aus § 4 Abs. 1 und § 2 Abs. 3 des Konzessionsvertrages, wonach beide Abgaben an das zuständige Finanzamt zu überweisen waren. Für die Troncabgabe folgt es aus § 2 der Tronc-Verordnung vom 26. April 1977; danach war diese Abgabe an die Landeshauptkasse abzuführen, die nach § 79 Abs. 2 der Niedersächsischen Landeshaushaltsordnung (LHO) vom 7. April 1972 (Nds. GVBl 181) beim Minister der Finanzen besteht. Wegen der Anwendbarkeit der Abgabenordnung 1977 ist auch das Niedersächsische Verwaltungsvollstreckungsgesetz (NVwVG) vom 2. Juni 1982 (Nds. GVBl 139) nach seinem § 69 hier nicht anzuwenden.

Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, daß die Anordnung eines dinglichen Arrestes nach § 324 AO schriftlich zu erfolgen hat. Die Arrestanordnung ist gemäß § 324 Abs. 2 AO zuzustellen, zu begründen und von dem anordnenden Bediensteten zu unterschreiben. Der Schriftform bedarf die Arrestanordnung von Anfang an. Dies folgt bereits daraus, daß sie zugestellt werden muß und eine nur mündliche Arrestanordnung nicht zugestellt werden kann. Daß die Vollziehung nach § 324 Abs. 3 Satz 2 AO schon vor der Zustellung an den Arrestschuldner zulässig ist, ändert daran nichts. Im übrigen verlangt das Gesetz die Unterzeichnung der Arrestanordnung und damit ihre Schriftform auch unabhängig von ihrer Zustellung. Gemäß § 324 Abs. 3 Satz 1 AO ist die Vollziehung unzulässig, wenn seit dem Tag der Unterzeichnung der Anordnung ein Monat verstrichen ist, und nach Satz 2 bleibt die Vollziehung ohne Wirkung, wenn die Zustellung nicht innerhalb einer Woche nach der Vollziehung und innerhalb eines Monats seit der Unterzeichnung erfolgt.

Der Arrest wurde am 9. November 1987 nur mündlich angeordnet. In den schriftlichen Vollstreckungsaufträgen, die den Vollziehungsbeamten erteilt wurden (vgl. § 324 Abs. 3 Satz 4, 5, § 285 Abs. 2 AO; Abschn. 34, 55 Abs. 1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über die Durchführung der Vollstreckung nach der Abgabenordnung (Vollstreckungsanweisung – VollstrA) vom 13. März 1980 (BStBl I 112), hat das Berufungsgericht zu Recht nicht die schriftliche Anordnung des Arrestes gesehen. Denn in dem Vollstreckungsauftrag, dessen Inhalt in Abschn. 34 Abs. 2 VollstrA geregelt ist, wird die Arrestanordnung nicht wiederholt. Daß dies im Streitfall gleichwohl geschehen sei, hat das beklagte Land nicht behauptet. Ebensowenig hat es vorgetragen, daß der Vollstreckungsstelle vor dem 13. November 1987 gemäß Abschn. 54 Abs. 4 Satz 2 VollstrA eine Ausfertigung der Arrestanordnung zum Zwecke der Vollziehung zugeleitet worden sei.

Der Mangel der Schriftform ist ein „besonders schwerwiegender Fehler” im Sinn von § 125 Abs. 1 AO. Der Grund für die Schriftform der Arrestanordnung liegt wie bei schriftlich zu erteilenden Steuerbescheiden (§ 157 Abs. 1 Satz 1 AO) darin, den Arrestschuldner zuverlässig über den Regelungsinhalt zu unterrichten, insbesondere die Behörde wegen der Voraussetzungen und der Bedeutung eines dinglichen Arrestes zu besonderer Sorgfalt anzuhalten und Manipulationsmöglichkeiten der Verwaltung, namentlich in bezug auf Arrest- und Lösungssumme, vorzubeugen. Damit erweist sich auch die schriftliche Niederlegung einer Arrestanordnung als ein „unverzichtbarer Akt rechtssicherer Verwaltung” (vgl. Tipke/Kruse, AO 13. Aufl. § 157 Rdn. 2) und der Formmangel als ein besonders schwerwiegender Fehler (vgl. auch Klappstein, in Knack, VwVfG 3. Aufl. § 44 Rdn. 4.1.3; Meyer/Borgs, VwVfG 2. Aufl. § 44 Rdn. 8, 13; Obermayer, VwVfG § 44 Rdn. 62). Dies gilt hier zusätzlich deshalb, weil ab Unterzeichnung der Arrestanordnung eine Monatsfrist für Vollziehung und Zustellung beginnt, nach deren fruchtlosem Ablauf eine bis dahin nicht erfolgte Vollziehung der Arrestanordnung unzulässig ist oder eine erfolgte Vollziehung wirkungslos wird (§ 324 Abs. 3 Satz 1 und 2 AO).

Der Mangel der Schriftform ist auch „bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig” (§ 125 Abs. 1 AO) und führt deshalb zur Nichtigkeit einer nur mündlichen Arrestanordnung (im Ergebnis ebenso Schwarz, in Hübschmann/Hepp/Spitaler § 324 AO Rdn. 42 f). Daß das Fehlen der Schriftform während der vor dem 13. November 1987 erfolgten Vollziehungsmaßnahmen für die Gemeinschuldnerin und andere an dem Erlaß des mündlichen Arrestes nicht beteiligte Personen nicht ohne weiteres erkennbar war, steht dem nicht entgegen. Offenkundigkeit wird im Einzelfall auch angenommen, wenn der besonders schwere Fehler nicht allgemein zu erkennen, sondern nur für „Insider” offensichtlich ist (Stelkens/Bonk/Leonhardt, VwVfG 3. Aufl. § 44 Rdn. 59; Klappstein, in Knack, VwVfG 1. Aufl. § 44 Rdn. 4.2; auch 3. Aufl. § 44 Rdn. 4.2; Meyer/Borgs § 44 Rdn. 9; auch bereits Bachof, Anm. in DÖV 1951, 275, 276 zu BGHZ 1, 146, 151 f; Jesch, Anm. in DÖV 1957, 22, 23 zu BGHZ 21, 294, 297; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I 9. Aufl. § 51 I c 4). Diese Annahme erscheint zur Vermeidung untragbarer Ergebnisse jedenfalls in den Fällen geboten, in denen ein aus rechtsstaatlichen Gründen schriftlich zu erlassender Verwaltungsakt – wie die Anordnung eines Arrestes – zu seiner Wirksamkeit der Bekanntgabe an den Adressaten (§§ 122, 124 Abs. 1 AO) nicht bedarf (§ 324 Abs. 3 Satz 2 AO). Dem stehen weder der Wortlaut noch Sinn und Zweck des § 125 Abs. 1 AO entgegen. Die in diese Norm „aus Gründen der Parallelität” zu § 44 Abs. 1 VwVfG (BT-Drucks. 7/4292 S. 28 „Zu § 125”) übernommene Evidenztheorie soll sich nach den Vorstellungen des Gesetzgebers „besonders für eine elastische Handhabung” eignen (BT-Drucks. VI/1173 S. 50 „Zu § 34”; BT-Drucks. 7/910 S. 63 „Zu § 40”). Mit diesem Anliegen ist die hier für notwendig gehaltene Auslegung vereinbar.

Die Richtigkeit des Ergebnisses wird dadurch bestätigt, daß auch ein Steuerbescheid, der der notwendigen Schriftform entbehrt, allgemein als nichtig angesehen wird (Berger, DStR 1975, 175, 177; Klein/Orlopp, AO 4. Aufl. § 125 Anm. 2; Tipke/Kruse § 125 Rdn. 5, § 157 Rdn. 2; vgl. auch Badura, in Erichsen/Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht 8. Aufl. § 41 II 1 S. 412; Kopp, VwVfG 4. Aufl. § 44 Rdn. 21; Schwarze, in Knack, VwVfG 3. Aufl. § 37 Anm. 4.1; Stelkens/Bonk/Leonhardt § 44 Rdn. 66 – jeweils zum Verwaltungsakt allgemein). Ein sachlicher Grund für eine insoweit unterschiedliche Behandlung von mündlichem Steuerbescheid und mündlicher Arrestanordnung ist nicht ersichtlich.

bb) Die Nichtigkeit der mündlichen Arrestanordnung vom 9. November 1987 macht auch die Vollziehungsmaßnahmen in den Nächten vom 9./10. und vom 10./11. November 1987 nichtig. Das Fehlen eines Titels ist als ein besonders schwerwiegender Fehler von Vollziehungsmaßnahmen, also Verwaltungsakten (vgl. Tipke/Kruse § 281 Rdn. 4) im Sinn des § 125 Abs. 1 AO, anzusehen. Dieser Fehler war bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig. Dabei genügt auch hier die Erkennbarkeit für einen mit sämtlichen Gegebenheiten vertrauten „Insider”. Deshalb ist es unerheblich, daß der Fehler weder für die Gemeinschuldnerin noch für die Vollziehungsbeamten des Finanzamts offensichtlich war. Die daraus resultierende Nichtigkeit der Vollziehungsmaßnahmen erscheint aus den gleichen Gründen geboten, die dazu führen, die nur mündliche Arrestanordnung als offenkundigen besonders schweren Fehler zu erachten. Anderenfalls würde dem bereits für die Annahme der Nichtigkeit einer mündlichen Arrestanordnung ausschlaggebenden rechtsstaatlichen Gebot der Rechtssicherheit nicht hinreichend Rechnung getragen. Wenn eine mündliche Arrestanordnung nichtig ist, muß auch die auf ihrer Grundlage erfolgte Pfändung nichtig sein (a.A. insoweit wohl Stein/Jonas/Münzberg vor § 704 Rdn. 129 Fußn. 230). Diese Annahme wird durch die Rechtsprechung zur Unwirksamkeit von Vollstreckungsmaßnahmen aufgrund fehlerhafter Vollstreckungstitel gestützt. Danach ist eine Vollstreckungshandlung unwirksam (nichtig), wenn es schon der äußeren Form nach an einem Titel fehlt (vgl. BGHZ 103, 30, 35; 70, 313, 317; BFHE 75, 147, 150 f; Tipke/Kruse § 254 Rdn. 14). Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 25. Oktober 1990 – IX ZR 211/89, JZ 1991, 404 m. Anm. Stürner, zur Veröffentlichung in BGHZ 112, 356 vorgesehen, ausgesprochen, daß sogar gerichtliche Vollstreckungsmaßnahmen aufgrund eines wirksam angeordneten Arrestes unwirksam sind, wenn sie nach Ablauf der für den Arrest nach § 929 Abs. 2 ZPO geltenden Vollziehungsfrist beantragt wurden. Im Streitfall fehlt es an einem die Vollstreckung tragenden Titel, weil dieser mangels Einhaltung der vom Gesetz vorgeschriebenen Form nichtig ist.

Darüber hinaus ergibt sich die Unwirksamkeit der Pfändung unmittelbar aus § 324 Abs. 3 Satz 2 AO. Danach ist eine Vollstreckungsmaßnahme ohne Wirkung, wenn die Zustellung der Arrestanordnung nicht innerhalb einer Woche nach der Vollziehung erfolgt. Vollzogen wurde vom 9. bis 11. November 1987 morgens 3.00 Uhr eine mündlich erlassene Arrestanordnung. Diese konnte nicht zugestellt werden und ist auch nicht zugestellt worden. Die Sicherstellungen an jenen Tagen waren daher wirkungslos. Die Zustellung der schriftlichen Bestätigung der nichtigen mündlichen Arrestanordnung am 13. November 1987 um 17.10 Uhr war allenfalls die Bekanntgabe einer ersten schriftlichen und daher nach § 324 Abs. 2 AO wirksamen Arrestanordnung, aufgrund deren hätte gepfändet werden können. Sie konnte das Fehlen eines Titels bei den Pfändungen in der Zeit vom 9. bis 11. November 1987 nicht mit rückwirkender Kraft heilen (vgl. Stein/Jonas/Münzberg vor § 704 Rdn. 134; BFHE 75, 147, 151). Ob eine neue Sicherstellung mit Wirkung ex nunc angenommen werden könnte, bedarf keiner Entscheidung, weil diese erst nach Zahlungseinstellung bewirkt worden und deshalb nach § 30 Nr. 1 Fall 2 KO anfechtbar wäre.

cc) Eine Umdeutung der nichtigen Arrestvollziehungen in Pfändungen aufgrund von § 254 Abs. 1 AO kommt nicht in Betracht. Nach § 128 Abs. 1 AO ist die Umdeutung eines fehlerhaften Verwaltungsakts (auch eines nichtigen, vgl. BT-Drucks. 7/4292 S. 29 „Zu § 128” i.V.m. BT-Drucks. 7/910 S. 67 „Zu § 43”) in einen anderen Verwaltungsakt möglich, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Finanzbehörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlaß erfüllt sind. Eine Umdeutung nach dieser Norm scheidet im Streitfall bereits deshalb aus, weil die Pfändung aufgrund eines der bloßen Sicherstellung dienenden Arrestes einen anderen Inhalt hat als die Pfändung aufgrund von Titeln oder einer geschuldeten Anmeldung (§ 254 Abs. 1 Satz 4, § 150 Abs. 1 Satz 2 AO), die eine endgültige Befriedigung des Gläubigers bezwecken.

Ferner scheitert eine Umdeutung an § 128 Abs. 2 AO, weil sie der erkennbaren Absicht der Finanzbehörde widerspräche. Das beklagte Land hat die Pfändungen ganz bewußt auf eine Arrestanordnung und nicht auf Leistungsbescheide und Abgabenanmeldungen gestützt. Dies ergibt sich aus dem Bericht vom 4. November 1987, in dem der Vorsteher des Finanzamts Hannover-Mitte „zu den vorgesehenen Vollstreckungsmaßnahmen” ausdrücklich bemerkt, eine Vollstreckung dürfe erst beginnen, wenn „seit dem erforderlichen Leistungsgebot mindestens eine Woche verstrichen ist (§ 254 Abs. 1 Satz 1 AO)”, und er sehe sich „nicht in der Lage”, „auf das Leistungsgebot zu verzichten”, weil eine Rechtsgrundlage fehle, wonach es sich bei den von der Gemeinschuldnerin zu entrichtenden Abgaben um „Anmeldesteuern” handele. Da nicht vorgetragen ist, daß der Minister der Finanzen dieser Auffassung entgegengetreten wäre, ist die Annahme geboten, daß es bis zur Zahlungseinstellung am 13. November 1987 der Absicht des beklagten Landes widersprach, den Pfändungen eine andere Grundlage als einen Arrest zu unterlegen.

 

Unterschriften

Fuchs, Schmitz, Kreft, Fischer, Melullis

 

Fundstellen

Haufe-Index 1130996

BGHZ

BGHZ, 315

BB 1992, 337

NJW 1991, 2147

NVwZ 1991, 915

Nachschlagewerk BGH

ZIP 1991, 737

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