Leitsatz (amtlich)

Wird ein Grundstück, das mit dem Recht belastet ist, dort eine unterirdische Ferngasleitung zu betreiben, mit einem Bagger überfahren, kann ein Schadenersatzanspruch wegen Verletzung eines sonstigen Rechts i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB in Betracht kommen.

 

Normenkette

BGB §§ 823, 1090

 

Verfahrensgang

OLG Hamm (Urteil vom 09.12.2010; Aktenzeichen I-6 U 56/10)

LG Dortmund (Entscheidung vom 10.02.2010; Aktenzeichen 2 O 101/09)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des OLG Hamm vom 9.12.2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus übergegangenem Recht des Energieversorgungsunternehmens E. AG auf Ersatz der für die Überprüfung einer Ferngasleitung entstandenen Kosten in Anspruch.

Rz. 2

Die Beklagte führte im Zuge der Baumaßnahme "Kanalstraße West" der Stadt H. Rodungsarbeiten auf verschiedenen Waldgrundstücken durch. Diese Grundstücke waren mit dem im Grundbuch von H. eingetragenen Recht der E. AG belastet, einen 8m breiten Grundstückstreifen (Schutzstreifen) zum Verlegen und Betreiben einer unterirdischen Gasfernleitung zu nutzen. Zugleich war dem Eigentümer die Bebauung des Schutzstreifens untersagt. Am 15.5.2007 fuhr ein Mitarbeiter der Beklagten mit einem 20t schweren Kettenbagger über den Schutzstreifen; dabei rutschte er von den zum Schutz der Gasleitung verlegten Baggermatten ab. Die E. AG ließ die Gasleitung freilegen und überprüfen. Es wurde eine innerhalb der Norm liegende Verformung ("Unrundheit") festgestellt, die keiner Reparatur bedurfte. Eine Unterbrechung der Gaszufuhr war nicht erforderlich.

Rz. 3

Die Klage blieb in beiden Vorinstanzen erfolglos. Mit der vom OLG zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

Rz. 4

Nach Auffassung des Berufungsgerichts scheitert das Schadensersatzbegehren der Klägerin daran, dass kein deliktsrechtlich geschütztes Rechtsgut der Klägerin verletzt worden sei. Eine Haftung nach § 7 StVG scheide gem. § 8 Nr. 1 StVG aus, weil der Bagger nicht schneller als 20 km/h fahren könne. Abgesehen davon fehle es an der Beschädigung einer Sache. Die Gasleitung selbst sei nicht beschädigt worden. Eine regelwidrige Substanzveränderung sei nicht festgestellt worden. Aus diesem Grund sei auch eine Eigentumsverletzung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB zu verneinen. Da die Gasleitung weiter habe betrieben werden können, sei ein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Rechtsvorgängerin der Klägerin nicht ersichtlich. Die Beklagte habe auch das dinglich gesicherte Nutzungsrecht der E. AG nicht verletzt. Dieses Recht umfasse nur das Verlegen und Betreiben der Ferngasleitung und ein Bebauungsverbot. Ein Befahren des Grundstückstreifens sei nicht grundsätzlich untersagt. Das Leitungsrecht selbst sei nicht beeinträchtigt worden, weil die Leitung weiter habe betrieben werden können. Weitergehende Pflichten, eine Gefährdung der Leitung auszuschließen, seien von dem dinglichen Recht nicht umfasst. Die Klägerin mache Überprüfungskosten wegen vermuteter Beschädigung der Leitung geltend. Hierauf habe sie keinen Anspruch, wenn eine Beschädigung tatsächlich nicht eingetreten sei.

II.

Rz. 5

Diese Erwägungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin aus übergegangenem Recht der E. AG kann nicht mit der Begründung verneint werden, es fehle an der Verletzung eines absoluten Rechts.

Rz. 6

1. Es kann dahinstehen, ob die bei der Überprüfung festgestellte Verformung der Gasleitung eine Verletzung des Eigentums der E. AG an der Gasleitung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB darstellt und ob sie auf die Arbeiten der Beklagten zurückzuführen ist. Ebenso kann offenbleiben, ob bereits der begründete Verdacht, die Gasleitung könne infolge des Befahrens des Schutzstreifens mit dem Bagger beschädigt worden sein, für die Annahme einer Eigentumsverletzung genügt (vgl. dazu BGH, Urt. v. 25.10.1988 - VI ZR 344/87, BGHZ 105, 346 [350]; v. 21.6.1977 - VI ZR 58/76, VersR 1977, 965 [966]; BGH, Urt. v. 11.7.2002 - I ZR 36/00, TranspR 2002, 440 f. zur Sachbeschädigung i.S.d. § 429 HGB in der Fassung vom 1.1.1964; Staudinger/Hager, BGB, 13. Bearb. 1999, § 823 Rz. B 83; Wagner in MünchKomm/BGB, 5. Aufl., § 823 Rz. 113; Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 4. Aufl., § 10 Rz. 14).

Rz. 7

2. Denn die Beklagte hat jedenfalls das der E. AG eingeräumte dingliche Recht, die betroffenen Grundstücke in einem 8m breiten Schutzstreifen zum Verlegen und Betreiben einer Gasfernleitung zu nutzen, verletzt.

Rz. 8

a) Das Berufungsgericht hat im Ansatz zutreffend angenommen, dass beschränkte dingliche Rechte - wie das der der E. AG in Form einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit (§ 1090 Abs. 1 BGB) eingeräumte Nutzungsrecht - als "sonstiges Recht" i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB zu qualifizieren und damit deliktsrechtlich geschützt sind (vgl. BGH, Urt. v. 25.9.1964 - VI ZR 140/63, VersR 1964, 1201 [1202]; v. 21.11.2000 - VI ZR 231/99, VersR 2001, 648 [649 f.]; BGH, Urt. v. 31.5.2007 - III ZR 258/06, VersR 2007, 1281; MünchKomm/Wagner, a.a.O., Rz. 146; Staudinger/Hager, a.a.O., Rz. B 126 jeweils m.w.N.).

Rz. 9

b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat die Beklagte widerrechtlich in die zugunsten der E. AG bestellte Dienstbarkeit eingegriffen.

Rz. 10

aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH setzt ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung beschränkter dinglicher Rechte einen "grundstücksbezogenen" Eingriff voraus, der sich dahin auswirkt, dass die Verwirklichung des jeweiligen Rechts am Grundstück als solches durch rechtliche oder tatsächliche Maßnahmen beeinträchtigt wird (vgl. BGH, Urt. v. 28.10.1975 - VI ZR 24/74, BGHZ 65, 211 [212]; v. 21.11.2000 - VI ZR 231/99, a.a.O., S. 650). Ein solcher Eingriff ist beispielsweise darin gesehen worden, dass ein Grundstück infolge baulicher Maßnahmen verschlechtert oder Zubehör entgegen den Regeln einer ordnungsmäßigen Wirtschaft weggeschafft und hierdurch die Sicherheit auf dem Grundstück lastender Grundpfandrechte gefährdet wurde (BGH, Urt. v. 28.10.1975 - VI ZR 24/74, a.a.O.; v. 6.11.1990 - VI ZR 99/90, VersR 1991, 232).

Rz. 11

bb) Auch im Streitfall ist ein "grundstücksbezogener" Eingriff zu bejahen. Die Beklagte hat die Ausübung der der E. AG eingeräumten Dienstbarkeit beeinträchtigt. Denn sie hat die zu duldende Benutzung des belasteten Grundstücks - das ungestörte Betreiben der unterirdischen Ferngasleitung - behindert (vgl. zur Beeinträchtigung einer Dienstbarkeit BGH, Urt. v. 7.10.2005 - V ZR 140/04, NJW-RR 2006, 237 [239]; Staudinger/Mayer, a.a.O., 14. Bearbeitung 2009, § 1027 Rz. 3 m.w.N.). Dadurch dass ihr Mitarbeiter beim Befahren des Schutzstreifens mit einem 20t schweren Bagger von den zum Schutz der Gasleitung verlegten Baggermatten abgerutscht war und den begründeten Verdacht geschaffen hatte, dass die unter der Erdoberfläche befindliche Gasleitung durch die nicht unerhebliche Krafteinwirkung auf den Erdboden beschädigt worden war, konnte die E. AG die Nutzung der Leitung nicht mehr ungehindert fortsetzen. Aufgrund der von einer beschädigten Ferngasleitung ausgehenden erheblichen Gefahren für die Allgemeinheit war die E. AG - sowohl aufgrund der sie als Betreiberin der Anlage treffenden allgemeinen Verkehrssicherungspflichten als auch gem. § 49 Abs. 1 EnWG, wonach Energieanlagen so zu errichten und zu betreiben sind, dass die technische Sicherheit gewährleistet ist, - vielmehr verpflichtet, dem Schadensverdacht nachzugehen und zu überprüfen, ob die Gasleitung durch das Abrutschen des Baggers beschädigt worden war (so auch OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.11.2008 - 19 U 13/08). Dem steht - anders als das Berufungsgericht meint - nicht entgegen, dass die E. AG die Gaszufuhr nicht unterbrechen musste. Der Betrieb der Leitung war bereits dadurch beeinträchtigt, dass die E. AG die Nutzung nicht dauerhaft fortsetzen konnte ohne besondere Überprüfungsmaßnahmen zu ergreifen.

Rz. 12

cc) Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung wird die E. AG haftungsrechtlich auch nicht besser gestellt, als wenn sie Eigentümerin des mit der Dienstbarkeit belasteten Grundstücks bzw. des Schutzstreifens gewesen wäre. In diesem Fall hätte die Beklagte das Eigentum der E. AG verletzt, weil sie durch Einwirkung auf das Grundstück deren Eigentümerbefugnisse (§ 903 BGB) beeinträchtigt hätte. Denn das Eigentum an einem Grundstück umfasst auch das Recht, das Grundstück zum Betreiben einer Leitung zu nutzen. Die Ausübung dieses Rechts hat die Beklagte - wie unter bb) ausgeführt - durch Einwirkung auf die Substanz des Grundstücks behindert.

Rz. 13

c) Die Revision weist auch zu Recht darauf hin, dass der E. AG infolge der Verletzung der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit ein Schaden in Gestalt der für die Überprüfung der Leitung erforderlichen Kosten entstanden ist.

III.

Rz. 14

Die Sache war zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Der Senat kann nicht gem. § 563 Abs. 3 ZPO in der Sache selbst entscheiden, da das Berufungsgericht - aus seiner Sicht folgerichtig - keine Feststellungen zu den weiteren Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches der Klägerin aus §§ 823 Abs. 1, 831 BGB getroffen hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2936681

NJW 2012, 6

BauR 2012, 992

EBE/BGH 2012

NJW-RR 2012, 1048

WM 2012, 1788

ZfIR 2012, 375

MDR 2012, 463

NJ 2012, 291

NZV 2012, 481

NZV 2012, 6

RdE 2012, 335

VRS 2012, 154

VersR 2012, 447

ZfS 2012, 371

NJW-Spezial 2012, 174

NZBau 2012, 289

RÜ 2012, 285

RdW 2012, 413

ZNER 2012, 271

r+s 2012, 200

EWeRK 2012, 147

IR 2012, 133

NRÜ 2012, 167

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